KOSMET (deutsch / 3: Die Racak-Luege)

1. Clintons Massaker-Story wankt (Anna Gutenberg, jW 28.01.05)

2. Der Racak-Schwindel (Ralph Hartmann, Ossietzky 10/2005)


=== 1 ===

http://www.jungewelt.de/2005/01-28/006.php

junge Welt, 28.01.2005
Ausland

Anna Gutenberg

Clintons Massaker-Story wankt

Milosevic-Prozeß: Reporter der Berliner Zeitung sagte als Zeuge der
Verteidigung zu Racak aus

Der einzige Anklagepunkt gegen den ehemaligen jugoslawischen
Staatschef Slobodan Milosevic in Sachen Kosovo, der sich auf die Zeit
vor Beginn des NATO-Krieges gegen Belgrad bezieht, wankt. Das ergab
der Auftritt von Bo Adam, zweiter deutscher Zeuge der Verteidigung, in
der nun beendeten Verhandlungswoche des Den Haager Prozesses zu
Jugoslawien.

Der Reporter der Berliner Zeitung setzte sich gründlich mit der
Behauptung des ehemaligen US-Präsidenten William Clinton auseinander,
wonach im kosovarischen Dorf Racak Mitte Januar 1999
»kosovo-albanische Frauen, Kinder und ältere Männer im Matsch kniend
hingerichtet wurden«. Das angebliche Massaker an unschuldigen
Zivilisten diente seinerzeit offiziell als Begründung für den
NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien.

Bo Adam berichtete, wie er und sein Kollege Roland Heine seinerzeit
zunehmend Zweifel an den offiziellen Darstellungen über Racak hegten.
Sie hätten darin gravierende Widersprüche registriert. Irritierend sei
auch gewesen, daß Hinweise auf Kämpfe zwischen der kosovo-albanischen
UCK und den jugoslawischen Sicherheitskräften einfach verschwanden.
Schließlich zeigten die geheimgehaltenen Autopsieprotokolle eines
finnischen Ärzteteams unter der Leitung von Helena Ranta, an die die
Berliner Zeitung gelangt war, daß auch nicht von einer unterstellten
»Exekution aus nächster Nähe« gesprochen werden konnte.

Ein Jahr nach den Ereignissen machte sich Adam selbst auf den Weg. In
Racak, so der Zeuge, ließ er sich, nachdem er die UCK-Vertreter
abgewimmelt hatte, von Dorfbewohnern die Handlungsorte von 1999
zeigen. Dabei ging er vor allem der Frage nach, wie zwei der Opfer,
der junge Halim Beqiri und Hanumshahe Mehmeti, ums Leben gekommen
waren. Er bat seine Begleiter, ihm den Tathergang zu demonstrieren,
und erfuhr so, daß beide Personen in Kampfhandlungen involviert waren:
»Sie haben von diesem Berg da drüben geschossen«, hieß es. Folglich
war die Behauptung Clintons, die Personen seien an einen Ort getrieben
und auf dem Boden kauernd exekutiert worden, falsch. An einem anderen
Ort, so der Zeuge, sei ein Mann mit Gewehr in der Hand von einem
naheliegenden Berg aus tödlich getroffen worden. Adam zufolge könnte
er einer Dorfmiliz angehört haben. Diese hatte sich nach Angaben des
»Spiegel« Tage vor dem Vorfall in Racak der UCK angeschlossen.

Adam erschütterte mit seiner Aussage die Anklage in ihrem wichtigsten,
das Kosovo-Geschehen betreffenden Vorwurf gegen den damaligen
jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic schwer. Der Zeuge
überraschte die Ankläger insbesondere mit seinem detaillierten Wissen
zu Racak. Zudem bezeichnete Adam auf Fragen der Anklage die
seinerzeitigen Untersuchungen als unprofessionell. Offensichtlich in
der Erkenntnis, dem Zeugen wenig entgegensetzen zu können, brach die
Anklage schließlich das Kreuzverhör ab.

In der kommenden Prozeßwoche soll der aus Pristina stammende Serbe
Mitar Balevic seine Aussage fortsetzen. Diese befaßt sich mit den
Reden Milosevics auf dem Amselfeld. Um die Version der Anklage, wonach
es sich um nationalistische Haßreden gehandelt habe, auszuräumen,
waren in dieser Woche die Aufnahmen der Reden erstmals in voller Länge
abgespielt worden.


=== 2 ===

http://www.free-slobo.de/notes/os1005rh.htm

http://www.sopos.org/aufsaetze/429a2a7e6e1e4/1.phtml
Aus: „Ossietzky" 10/2005 v.

DER RACAK-SCHWINDEL

Ralph Hartmann

»Racak ist eines der wichtigsten Elemente der Anklage.« Mit diesen
Worten wies der Vorsitzende Richter Patrick Robinson im Haager Prozeß
gegen den jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic die
Forderung des stellvertretenden Chefanklägers Geoffrey Nice zurück,
Aussagen der Zeugin Danica Marinkovic nicht in das Beweismaterial
aufzunehmen. Die ehemalige Untersuchungsrichterin am Bezirksgericht in
Pristina hatte einen Tag vor dem Chef der OSZE-Beobachter-Mission, dem
US-Botschafter William Walker, den Ort des angeblichen Massakers
aufgesucht; im Prozeß hatte sie Walkers Aussagen gründlich widerlegt.

Dem Richter ist zuzustimmen. Tatsächlich ist Racak sogar der einzige
»Vorfall« in Kosovo vor dem NATO-Überfall auf Jugoslawien, der in der
»Kosovo-Klage« explizit angeführt ist. In ihr heißt es wörtlich: »In
dieser Periode haben die Vertreter der internationalen
Verifikationsmission und von Organisationen zum Schutz der
Menschenrechte eine bestimmte Anzahl von Ermordungen von
Kosovo-Albanern dokumentiert. In einem solchen Vorfall, am 15. Januar
1999, wurden 45 unbewaffnete Kosovo-Albaner im Dorf Racak in der
Gemeinde Stimlje/Shtima umgebracht.«

Auf dem Weg zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien war der »Vorfall im Dorf
Racak« ein Schlüsselereignis. Am 16. Januar 1999 hatte der komplott-
und bürgerkriegserfahrene US-Botschafter Walker der Weltpresse in
einem Graben 45 aufgehäufte tote Kosovo-Albaner präsentiert und an Ort
und Stelle erklärt, es »handle sich um ein Massaker an unbewaffneten
Zivilisten, um eine unerhörte Grausamkeit, um ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, für das eindeutig die Sicherheitskräfte der Regierung
die Verantwortung trügen«, wie die Neue Zürcher Zeitung damals
berichtete. Obwohl aufgrund vieler Ungereimtheiten und Indizien der
Verdacht aufkam, daß das »Massaker an unbewaffneten Zivilisten« in
Wirklichkeit eine von Walkers unterstützte oder zumindest geduldete
Inszenierung der kosovo-albanischen Separatistentruppe UCK war, die
ihre im Gefecht gefallenen Kämpfer eingesammelt und mediengerecht zur
Schau gestellt hatte, bestimmte die Einschätzung des US-Botschafters
den Tenor der Medien-Berichterstattung, die die Öffentlichkeit auf die
Notwendigkeit eines Eingreifens der NATO in den innerjugoslawischen
Kosovo-Konflikt vorbereitete. Allen voran ging das »Serbenfreßblatt«
(Peter Handke) FAZ , das zur Ausschmückung der Walker-Enthüllungen zu
berichten wußte: »Viele Opfer... waren verstümmelt, Schädel
eingeschlagen, Gesichter zerschossen, Augen ausgestochen. Ein Mann war
enthauptet.«

Unmittelbar nach der Aufdeckung des »Massakers« trat der NATO-Rat
eiligst zu einer Sondersitzung zusammen, um die Kriegsvorbereitungen
zu intensivieren. Als die High-Tech-Waffen einsatzbereit waren, diente
Racak als Zünder. Am 17. März 1999 legte die Leiterin eines Teams
finnischer Gerichtsmediziner, Helena Ranta, die nach späterem eigenen
Eingeständnis ihre Instruktionen vom deutschen Außenministerium
erhalten hatte, einen vorläufigen Kurzbericht vor, nach dem es »keine
Hinweise« gegeben habe, »daß es sich bei den Betroffenen nicht um
unbewaffnete Zivilpersonen handelte«. Ein Woche danach überfiel die
NATO Jugoslawien.

Am 65. Tag der Aggression erhob das Haager Tribunal Anklage gegen
Milosevic und andere, in der das »Racak-Massaker« eben als eines der
»wichtigsten Elemente« angeführt ist. Folgerichtig wurde dem
»Massaker« in dem am 12. Februar 2002 begonnenen Prozeß ein zentraler
Platz eingeräumt und seinem Erstverkünder eine tragende Rolle
zugedacht. Doch Walkers Auftritt vor Gericht war ein Flop. Er
wiederholte frühere Behauptungen, aber im von Milosevic geführten
Kreuzverhör geriet er ins Schleudern. Auf die Frage, warum er in
seiner damaligen Erklärung für die Öffentlichkeit nicht mitgeteilt
habe, daß sich unter den Toten in Racak Angehörige der UCK befanden,
erwiderte er, daß er das nicht gewußt habe. Da Walker seinerzeit sogar
bestritten hatte, daß die UCK in Racak präsent war, forderte der
Angeklagte das Gericht auf, den Video-Film zu zeigen, auf dem zu sehen
ist, daß der USA-Diplomat bei seiner Besichtigung der Toten von Racak
von UCK-Kämpfern umgeben war.

Ebensowenig konnte sich der Zeuge der Anklage daran erinnern, ob er,
der als OSZE-Vertreter zu unparteiischer Haltung verpflichtet war,
über Racak mit dem NATO-Oberkommandierenden für Europa, Wesley Clark,
und anderen ­NATO-Größen gesprochen habe. Auch hier, so Walker, lasse
ihn sein Gedächtnis leider im Stich. Wörtlich fügte er hinzu: »Wenn
einige Leute behaupten, daß ich mit ihnen gesprochen habe, habe ich
keinen Grund daran zu zweifeln. Ich erinnere mich nicht, daß ich mit
ihnen sprach, was nicht heißt, daß ich es nicht getan habe.«

Nein, Walker bereitete der Chefanklägerin wenig Freude. Noch
unerfreulicher für sie waren allerdings die Zeugen, die Milosevic zu
seiner Verteidigung aufrief und die das windschiefe Konstrukt der
Anklage auch im Falle Racak zum Einsturz brachten. Der serbische
Chefpathologe Slavisa Dobricanin, der gemeinsam mit finnischen
Kollegen die Obduktion der Toten vornahm, wies unter anderem anhand
der untersuchten Einschußkanäle nach, daß diese nicht am Ort ihrer
Zurschaustellung, sondern im Kampf gefallen waren. Überzeugend
widerlegte er die Behauptung von Helena Ranta, daß es sich bei den
Leichen um »unbewaffnete Zivilisten« gehandelt habe. Ranta habe als
Gerichtsstomatologin an der Obduktion nicht einmal teilgenommen,
berichtete Dobricanin. Er selbst bezeugte, daß an den Händen von 37
der von ihm untersuchten 40 Toten Schmauchspuren festgestellt wurden,
die darauf hinwiesen, daß sie kurz vor ihrem Tod von Schußwaffen
Gebrauch gemacht hatten. Angesichts dessen sei es umso
verwunderlicher, daß keine der in Racak gefundenen Waffen nach
Fingerabdrücken der Erschossenen untersucht wurden.

Eine weitere Schlappe mußte die Anklage durch die eingangs erwähnte
Untersuchungsrichterin des Bezirksgerichtes in Pristina hinnehmen, die
vor Walker den Ort des blutigen Geschehens aufgesucht und nichts von
dem gesehen hatte, worüber dieser die Welt mit seinem dramatischen
Auftritt unterrichtete. Sie sagte aus, daß sie die vom Botschafter der
USA bei der OSZE präsentierten Leichname zwei Tage später in der
Moschee von Racak mit Hilfe der Fingerabdrücke identifiziert und sie
später im Institut für Gerichtsmedizin den Angehörigen gegen
Unterschrift übergeben habe. Bei einer Überprüfung habe sie
feststellen müssen, daß von den 40 von ihr Identifizierten und auf
einer Liste Festgehaltenen neun in der Haager Anklageschrift nicht
aufgeführt und zum Teil durch völlig andere Namen ersetzt wurden.

Aufschlußreich in dieser Vernehmung war auch folgender Dialog:

Milosevic (an die Zeugin gewandt): Wissen Sie, daß Herr Walker
mitteilte, in Racak seien Frauen und Kinder ermordet worden?

Richter Robinson: Stellen Sie die Frage, wie es erforderlich ist,
sonst wird der Ihnen zugeteilte (Zwangs)-Rechtsanwalt die Befragung
fortsetzen!

Milosevic: Befinden sich auf Ihrer Liste Frauen und Kinder?

Zeugin: Nur eine Frau, die 36. auf der Liste, ihr Name war Mehmeti
Hana Musabe...

Milosevic: War sie Mitglied der UCK?

Zeugin: Sie war es, so wie ihre drei Brüder. Ihr Vater war Kommandant
des UCK-Stabes in dieser Region.

Auf Nachfragen des Angeklagten ergänzte die Zeugin, daß Racak schon
früher durch terroristische Aktivitäten, Morde und Brandschatzungen
der Häuser jener Albaner bekannt war, die sich nicht der UCK
anschließen wollten. Eine Aussage, die wenig später durch den
Polizeiinspektor von Urosevac, Dragan Jasovic, mit dem Hinweis ergänzt
wurde, daß in Racak bereits ab Juni 1998 ein Stab der UCK
untergebracht war. Berücksichtigt man zudem die selbst von Helena
Ranta geübte Kritik, daß das Tribunal den Informationen über schwere
Kämpfe zwischen serbischen Soldaten und UCK-Kämpfern in der Nacht vom
15. zum 16. Januar im Raum Racak nur unzureichend nachging, dann weiß
man, was von der von Walker verbreiteten und von der Chefanklägerin in
die Anklageschrift übernommenen Tatarennachricht zu halten ist, in
Racak seien 45 »unbewaffnete Kosovo-Albaner« umgebracht worden.

Mittlerweile hat sich selbst der eingangs erwähnte Stellvertreter der
Chefanklägerin der Wahrheit angenähert und eingeräumt, daß 25 der
Racak-Toten Angehörige der UCK waren.

Mit Lügen und Fälschungen einen Kriegsvorwand zu schaffen, ist
bekanntlich nichts Neues. Der Überfall polnischer Soldaten auf den
deutschen Sender Gleiwitz, der Angriff Nordvietnams auf ein
US-amerikanisches Kriegsschiff in der Tonking-Bucht, die Entdeckung
der Massenvergewaltigungslager in Bosnien, die von den irakischen
Massenvernichtungswaffen ausgehenden Gefahren für die »freie Welt«
sind nur Beispiele für die bewährte Praxis kriegslüsterner
Aggressoren. Neu ist im Falle des »Racak-Massakers« lediglich, daß die
NATO die eigene betrügerische Tat zu einem »der wichtigsten Elemente
der Anklage« gegen den Betrogenen, den Präsidenten des überfallenen
Staates, gemacht hat. Dieses Element hat sich nun zweifelsfrei als ein
übler Schwindel erwiesen.

Erschienen in Ossietzky 10/2005