("Kosovo: Il ritorno del colonialismo" è il titolo di questa approfondita analisi del saggista viennese Hannes Hofbauer, apparsa sulla rivista Ossietzky n.15/2007. Nella quale si passa al setaccio la scandalosa situazione economica che le potenze imperialiste hanno creato in Kosovo appoggiandosi sulla criminalità organizzata locale...)-------- Original-Nachricht --------Datum: Sat, 1 Sep 2007 23:40:32 +0200Von: "Kaspar Trümpy"Betreff: Kosovo: Die Rückkehr des KolonialismusDer interessante Bericht von Dr. Hannes Hofbauer über die aktuelle Lage im Kosovo, "Die Rückkehr des Kolonialismus" im Attachement, beschreibt die wirtschaftlich missliche Lage in der Region. Kriegsschäden und mafiöse Strukturen in der Gesellschaft sind die Ursachen.H.H. studierte in Wien Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Er arbeitet als Historiker und Journalist. Von ihm stammt unter anderem das Standardwerk "Balkan Krieg, Zehn Jahre Zerstörung Jugoslawiens" (Promedia, Wien 2001).
Kosovo: Die Rückkehr des Kolonialismus
Hannes Hofbauer
Der hohe Metallzaun und der allradgetriebene Jeep sind in der Hauptstadt des Kosovo zu Sinnbildern einer neuen Zeit geworden, die von den meisten EinwohnerInnen Prishtines gleichwohl – noch – als Freiheit wahrgenommen wird. Im Zentrum der rasant gewachsenen Stadt haben sich die internationalen Verwalter hinter technisch mehr oder weniger ausgereiften Schutzmaßnahmen eingenistet, verbarrikadiert. Vor eisernen Gittern stehen dicht gedrängt Betonblöcke rund um die Bürogebäude von KFOR, UNMIK, OSZE und nationalen Sicherheitseinrichtungen. Damit soll verhindert werden, daß Sprengstoff direkt per Fahrzeug herangeführt wird.
Die Ausfahrt der Verwalter erfolgt ausnahmslos in geräumigen Allradfahrzeugen. Die wichtigsten von ihnen sind mit zwei Meter langen, leicht schwingenden Antennen ausgestattet, die nicht nur symbolisch den Eindruck vermitteln, daß die Befehle für die Insassen von weit her direkt über Satellitentelefone erteilt werden. Terrestrisch sind die mit allen erdenklichen Vollmachten ausgestatteten UNMIK-Bürokraten sowohl über die US-amerikanische Vorwahl 001/ zu erreichen als auch über die lokale Einwahl 00381/, die international nach wie vor als eine serbische registriert ist. In der Warteschlange passiert es dann schon einmal, daß es nicht, wie in Europa üblich, beruhigende Vertröstungsworte oder Musik zu hören gibt, sondern die Zeit bis zur Durchstellung an den gewünschten Apparat mit US-amerikanischer Werbung verkürzt wird.
Vom UNMIK-Komplex direkt im Stadtzentrum über die UNMIK-Büros entlang der Straße Richtung Basar bis zum Glaspalast der OSZE wird gut und gerne ein Viertel der Innenstadt von Prishtine (auf serbisch: Pristina, von internationalen Behördenvertretern genutzt. Befremdlich für einen in Kolonialverwaltung ungeübten Besucher mutet auch die Selbstdarstellung der zu Zehntausenden im Land weilenden »Internationalen« an. Als wäre die Größe des Gefährts, mit dem sie sich auf den Straßen bewegen, nicht augenscheinlich genug, um die Kraft der verschiedenen militärischen Kontingente oder zivilen Administrationen zu unterstreichen, touren die einzelnen Armeeeinheiten und Institutionen weithin sichtbar mit unterschiedlichen Nummerntafeln durch die Gegend. Auch die zivilen Verwalter lassen es dabei an Phantasie nicht mangeln: Ihre Autokennzeichen beginnen mit UNMIK-, UN-, UNHCR-, EU-, UNDP-, UNOPS- und OSCE, Vielfalt in der Einheit, wobei alle zivilen Einheiten formal der UNO, alle militärischen der NATO-geführten KFOR unterstellt sind.
Englischsprachige Kürzel dominieren: UNMIK, KFOR, OSCE
Im Vertrag von Kumanovo vom 9. Juni 1999 vereinbarten Generäle von NATO und Jugoslawischer Volksarmee nach 78 Kriegstagen den Rückzug der letzteren aus dem Kosovo. Die kurz darauf vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Resolution 1244 beließ die Provinz bei Jugoslawien/Serbien, unterstellte sie jedoch – interimistisch – militärisch der NATO und zivil der UN-Verwaltung (UNMIK). Seither tummelten sich Hunderttausende Soldaten und Bürokraten aus fast aller Herren Länder in dem kleinen Nicht-Staat.
Jetzt machen Militärs aus 34 Staaten im Kosovo Dienst. Für einen gut bezahlten Auslandseinsatz können sich Polizisten aus 44 Ländern bei ihren jeweiligen nationalen Rekrutierungsstellen bewerben. Was die zivilen Verwalter betrifft, versagt die Statistik: Zu unübersichtlich ist das Geflecht aus UN-, OSZE- und diversen Nichtregierungsorganisationen, als daß irgendjemand wüßte, wie viele »HelferInnen« hier sind und woher sie kommen.
Zwischen 17.000 und 20.000 NATO-Soldaten befinden sich ständig im Land. Die größte Einheit, US-geführt, ist in Camp Bondsteel nahe Urasevac (albanisch: Ferizaj) stationiert, über die NATO-»Partnerschaft für den Frieden« dürfen auch Angehörige von Nicht-NATO-Staaten die Luft internationaler Einsätze schnuppern. Die ehemalige »Filmstadt Prishtine« ist zum militärischen Hauptquartier mutiert. Auch im Polizeiwesen haben Ende 2006 die USA (vor der Ukraine und Deutschland) mit über 200 Ausbildern die Nase vorn. Bei der UNMIK ist eine Bestandsaufnahme schon schwieriger, zu stark ist die Fluktuation in den zwar bestens entlohnten, aber offensichtlich doch recht mühsamen Jobs. Auf der Homepage der internationalen Verwaltung UNMIK (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo) ist am 8. Dezember 2006 noch nicht einmal der zu diesem Zeitpunkt bereits seit über drei Monaten amtierende Chef der Mission eingetragen. Der Deutsche Joachim Rücker – den Namen wird man sich aller Voraussicht nach nicht merken müssen – nahm im September 2006 bereits als sechster »Special Representative of the Secretary General (SRSG)« in nicht einmal sieben Jahren den Posten des Chefs der UN-Mission ein.
Wie unumschränkt UNMIK und KFOR in Kosovo herrschen, zeigt sich nicht nur in der Machtfülle des Missionschefs, der de jure sämtliche Vollmachten eines autokratischen Herrschers innehat, sondern auch – derselben Logik entsprechend – an der Ohnmacht der lokalen Politiker, auch im täglichen politischen Geschäft. So verfügt zum Beispiel der kosovarische Minister für Energie und Bergbau über keinerlei Zuständigkeiten für den monopolistischen Energieversorger KEK oder das riesige Bergwerk Trepca. Der Transportminister darf sich nicht um den einzigen Flughafen des Landes kümmern, der Justizminister hat keinen Einfluß auf Polizei und Gerichtswesen. Mimikry in höchster Vollendung ist die Folge. Die örtliche politische Klasse ist dazu verdammt, Tätigkeit zu simulieren, ohne selbst Kompetenz zugesprochen zu bekommen.
Die OSZE ist mit 850 Angestellten vor Ort; im Rahmen der Gesamtverwaltung wurde ihr die sogenannte »3. Säule« (von vier Säulen) beim Aufbau des Kosovo übertragen. Sie ist zuständig für »Demokratisierung« und »Institution building«, wozu auch der Aufbau einer lokalen Polizei gehört. Mit den drei anderen Säulen sind das Justizwesen, die zivile Verwaltung und die wirtschaftliche Entwicklung gemeint.
Die ganze Verwaltung des Kosovo krankt an einem wesentlichen strukturellen Defekt, wenn man sie an den Ansprüchen mißt, die sie an sich und das Land stellt: Exekutive und Legislative kommen von außen, beide noch dazu von unterschiedlichen Stellen. Und dazwischen sucht die kosovarische Elite verzweifelt ihren Platz.
Nehmen wir das Beispiel Polizei. Kein lokales Parlament hat seit 1999 darüber befunden, wie der Aufbau dieses wichtigen Organs der Gesellschaft zu geschehen habe. Der UN-Missionsleiter übergab, gewiß mit Zustimmung des NATO-Hauptquartiers, der OSZE die Befugnisse zu Aufbau und Ausbildung einer Polizeitruppe. »Erstmals in der Geschichte der UNO haben internationale Polizeieinheiten im Kosovo Exekutivgewalt von sich aus ausgeübt«, bemerkt der für das österreichischen Polizeikontingent zuständige Oberst Berthold Hubegger zu den Anfängen der UNMIK-Verwaltung im Kosovo. Seither wurde viel Geld in die Ausbildung lokaler Polizisten gesteckt, über 8000 Kadetten haben in der Zwischenzeit die Trainingscamps durchlaufen. Anfangs kamen 50 Prozent von ihnen direkt aus den Reihen der UCK. OSZE-Sprecher Sven Lindholm vermerkt, daß Ende 2006 noch 25 Prozent mit UCK-Hintergrund in Dienst stehen. Zwischen acht und 20 Wochen dauert die Ausbildung zum Polizisten. Die Frage, ob eine solche, vorbei an der lokalen Legislative, die freilich kaum Einfluß auf die Geschehnisse hat, überhaupt sinnvoll sei, beantwortet Oberst Hubegger aus dem österreichischen Innenministerium mit der Feststellung: »Als Österreicher gehen wir relativ unbedarft in solche Einsätze, weil wir keinen Rucksack eigener Interessen mit uns tragen.« Welche Interessen in US-amerikanischen oder deutschen Trainingsprogrammen zusammengepackt sind, darauf gibt der Oberst freilich keine Antwort.
Ganz andere Probleme bei der Rekrutierung zum Polizisten schildert einem dann ein einfacher Mann aus Prishtine: Nachdem er die Einschulung bestanden hatte, scheiterte sein Einstieg beim Kosovo Police Service (KPS) an den 1000 Euro, die sein Vorgesetzter, Kosovare wie er, als Bakschisch verlangt hatte. Freilich hätte er den Betrag, der etwa vier Monatslöhnen entspricht, aufbringen können, immerhin arbeitet sein Bruder als Staplerfahrer in Duisburg, aber er wollte einfach nicht in korrupte Machenschaften verwickelt sein.
Die Internationalen
Erstmals hat Peter Handke die Kaste der Neo-Internationalen beschrieben, die im höheren – imperialen – Auftrag seit dem Ende des Kalten Krieges Gesellschaften mitten in Europa kontrollieren, lokale wie nationale Politik bestimmen und ökonomische Interessen global agierender Konzerne durchsetzen. Er tat dies in seinem Bühnenstück »Die Fahrt im Einbaum«. Darin setzt sich der mutmaßlich wegen ebensolcher Kritik verhinderte Literaturnobelpreisträger mit den Folgen des Einmarsches von Medien- und anderen internationalen Vertretern in Bosnien-Herzegowina auseinander.
International im Wortsinn ist freilich nicht einmal ihre Zusammensetzung, vielmehr arbeiten militärische und zivile Verwaltungen, die unter NATO- oder UN-Ägide agieren, weniger zwischenstaatlich als vielmehr nebeneinander. Einzig ein gemeinsames Oberkommando verbindet die jeweils von nationalen Stellen in Washington, etlichen EU-Hauptstädten, Ankara, Delhi, Karatschi und sonstwo rekrutierten Soldaten oder zivilen Helfer. Sie kommen, weil es im Kosovo doppelt so hohe Gehälter gibt wie zu Hause, beste Karrieremöglichkeiten und steuerfreies Einkommen. »Ihre Auslagen sind gering und ihre Verantwortung noch viel geringer«, bringt es Albin Kurti von der Bürgerinitiative »Selbstbestimmung« auf den Punkt. Und weil dem so ist, fügt er hinzu, sollte man die Internationalen nach ihrer Heimkehr isolieren, »weil sie so viele Privilegien gewohnt sind, daß sie in ihren eigenen Gesellschaften noch Schaden anrichten könnten«.
Weniger radikal, aber in der Substanz ebenso treffend, faßt der Pristhineer Philosoph Shkelzen Maliqi die Meinung vieler seiner Landsleute zusammen: »Alle diese Verwalter von außen sind wie ein eigenes Volk. Sie touren von Land zu Land, immer dorthin, wo es viel zu verdienen gibt. Zivile Menschenrechte sind ihnen ein Vorwand für ihr eigenes Fund-Raising. Ihre Expertise erschöpft sich im hohen Einkommen. Im Kosovo ist daraus eine ganze Industrie geworden.«
Die vorgebliche Risikolosigkeit ihrer Entscheidungen dient in erster Linie zur Verlängerung ihres Aufenthalts und perpetuiert damit indirekt die Kosten, die in anderer Form auf die lokale Bevölkerung abgewälzt werden. Längst hat man im Kosovo für die großteils in Westeuropa und Nordamerika überproduzierte technische und soziale Intelligenz, deren zweite und dritte Reihe nun ihren Dienst in den Kolonien versehen, verschiedene Spitznamen parat: »Domestic internationals« werden sie genannt, oder – im Falle der ungezählten Nichtregierungsorganisationen, die sich vor Ort tummeln – »MANGO«, was als Abkürzung für Mafia-NGO steht. 4000 Nichtregierungsorganisationen sollen im Kosovo bereits ihr Glück versucht haben.
Je nach Quelle drei bis vier Milliarden Euro sind in den Jahren seit der Machtübernahme durch die UNMIK von außen in die zivile Verwaltung des Kosovo gepumpt worden, zur Entwicklung lokaler Strukturen hat das Geld nicht beigetragen. »Die Internationalen füttern sich selbst mit ihrer Hilfe« oder »sie essen ihr eigenes Geld« lauten geflügelte Worte in Prishtine.
Doch viele Kosovaren scheinen es den »Internationalen« nicht übelzunehmen, daß und wie sie sich an den von EU und USA bereitgestellten Futtertrögen satt essen. »Die Mehrheit sagt Danke an die internationale Gemeinschaft«, meint Gani Demaj aus dem Justizministerium, »vor allem die Amerikaner und die Briten sind immer willkommen« – »aber auch die Deutschen«, fügt er hinzu, als er gewahr wird, welchen Medienvertreter er vor sich hat. Fast selbstverständlich das Eigenlob der »Internationalen«: Einer ihrer führenden Köpfe, der im Dienste Ihrer Majestät stehende Brite Paul Acda, Chef der »4. Säule« und damit absoluter Herrscher über die Privatisierung der kosovarischen Wirtschaft, meint auf die Frage, inwieweit man beim Protektorat Kosovo von einer Kolonialverwaltung sprechen könne, selbstbewußt: »Ich kam im Jahr 2000 hier her und habe das ganze Zollsystem eingeführt. 600 Zöllner tun seitdem gute Arbeit. Ich glaube nicht, daß wir das Land kolonisiert haben. Im Gegenteil: Wir haben fähige Leute geschaffen, die ihren Weg finden werden.« Muhamet Mustafa von »Riinvest«, dem einzigen unabhängigen Wirtschaftsinstitut des Landes, sieht das anders: »Die internationale Präsenz im Kosovo war gut für die Rettung im Notfall nach der Katastrophe von 1999. Als es darauf ankam, das Land zu entwickeln, war sie nicht erfolgreich.«
Großmachtinteressen
Mit dem Zerfall Jugoslawiens kommt es zur geopolitischen Neuordnung auf dem Balkan, wenn nicht bereits seine auch von außen betriebene Zerstörung ohnedies genau diesen Zweck verfolgte. Als Großmächte, die sich um militärische und politische Positionen sowie wirtschaftliche Vorteile in dem als Vakuum wahrgenommenen Raum bemühen, treten seit 1991 Deutschland, die von ihm geführte Europäische Union, die USA und fallweise Frankreich und Rußland auf. Serbien, das in den vergangenen Jahren als Jugoslawien und später als Serbien-Montenegro firmierte, scheint zu schwach, um eine über seine Grenzen hinaus entscheidende Rolle zu spielen. Wo diese Grenzen liegen, darum geht es im Ringen um den Einfluß im Kosovo seit dem Ende des Krieges 1999. In den über UN-Vermittlung geführten »Status-Gesprächen« versuchte Serbien im Jahr 2006 zumindest einen minimalen Einfluß auf »Kosovo und Metohija«, so die serbische Bezeichnung für die Provinz, zu halten.
Anschließend an den ohne UN-Mandat geführten NATO-Bombenkrieg gegen Jugoslawien war der UN-Sicherheitsrat auf den Plan getreten, um der Aggression der 19 NATO-Staaten im Nachhinein eine gewisse Legitimität zu verleihen. UNMIK- und OSZE-Präsenz im Kosovo können dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Schlüssel für die zukünftige Entwicklung des kleinen Landes irgendwo zwischen Washington, Brüssel und Moskau gefunden werden wird.
Mehrere Akteure reflektieren üblicherweise widersprüchliche Interessen. Doch die Position Rußlands ist schwach, die Serbiens noch schwächer, und Widersprüche zwischen den USA und EU-Europa im Kosovo sind 2007 nur bedingt auszumachen. Der militärische Gleichschritt und der zivile Konsens von USA und EU kommen am besten in der Person von Javier Solana zum Ausdruck: NATO-Generalsekretär zur Zeit des Angriffs auf Jugoslawien und später EU-»Verteidigungs-« und Außenminister, hatte er von der für Makedonien entscheidenden Ohrid-Vereinbarung im August 2001 über die Verfassung der kurzlebigen serbisch-montenegrinischen Union bis zur Kosovo-Kontaktgruppe die Finger bei der Neuordnung auf dem Balkan wie kein anderer Politiker nach 1999 im Spiel. Als quasi entpersonifizierter Transatlantiker verband er damit die Interessen Washingtons und Brüssels auf ideale Weise.
»Frieden und Sicherheit für den Kosovo« lautet die offiziell verkündete Devise deckungsgleich in allen Dokumenten. Niemand wird sich finden, der ein anderes Zukunftsbild für das großteils von AlbanerInnen besiedelte Land veröffentlichen würde. Hinter den Kulissen nehmen unterschiedliche Konzepte für die Zukunft des Kosovo allerdings langsam Konturen an. Die USA gelten als Unterstützer einer raschen und möglichst umfassenden Souveränität; es sieht auch nicht danach aus, daß die 2006 erfolgte Aufnahme Serbiens in die NATO-Partnerschaft für den Frieden daran etwas ändern würde. Im geopolitischen Ränkespiel könnte ein ideologisch moderater und dennoch sich festigender moslemischer Knoten im großteils slawisch-orthodoxen Umfeld für die USA langfristig von Nutzen sein. Für ein solches, immer wieder tatsächlich oder vermeintlich von Serbien bedrängtes Kosovo wären ständig Interventionen oder Interventionsdrohungen notwendig, eine Rolle, die die USA in strukturell ähnlicher Weise an vielen Brennpunkten der Welt bestens zu spielen gelernt haben; besonders auffällig im Nahen Osten, wo Israel Wächter und Militärbasis im arabischen Umfeld ist. Es sieht so aus, als ob sich Washington mit der Aufrechterhaltung seiner in wenigen Jahren aufgebauten Militärbasis »Camp Bondsteel«, der größten in Europa, zufrieden geben und die kostenintensive zivile und politische Betreuung des Landes an EU-Stellen abgeben will.
Das Land und seine Zerstörungen
Wenig mehr als 10.000 Quadratkilometer, das entspricht der Größe des Regierungsbezirkes Lüneburg in Niedersachsen, umfaßt der Kosovo in seinen aktuellen Grenzen. In Tito-jugoslawischen Zeiten bildete er 4,25 Prozent der Fläche des Vielvölkerstaates.
Wie viele Menschen auf dem Territorium Kosovos leben, darüber gibt es keine verläßlichen Angaben. Die letzte Volkszählung, an der sich alle beteiligten, liegt mehr als 25 Jahre zurück. Damals im Jahre 1981 wurde Pristina mit einer Einwohnerzahl von 65.000 angegeben, inzwischen gehen alle Schätzungen davon aus, daß über eine halbe Million Menschen Zuflucht in der Hauptstadt des Landes gefunden haben. Etwa zwei Millionen dürften es sein, die 2007 das Land bevölkern, davon 90 Prozent Albaner, fünf Prozent Serben in diversen Enklaven und der Rest Türken, Gorani, Zigeuner unterschiedlicher Selbstbezeichnungen sowie Bosniaken und Kroaten.
Juden sind nach 1999 nahezu sämtlich geflohen. Außerhalb der klar erkennbaren Enklaven, in denen sich ethnische Minderheiten halten können, ist das Land auch serbenfrei. Die einst 40.000 SerbInnen, die noch vor einer Generation in Pristina gelebt haben, sind bis auf wenige, die bei den internationalen Verwaltern als Übersetzer oder in ähnlichen Berufen arbeiten, allesamt ins serbische Kernland ausgewandert oder aus der Stadt vertrieben worden. Die Reste des Slawischen finden sich als Kuriosum auf den allgegenwärtigen dreisprachigen Straßenschildern, die neben dem Albanischen und dem Englischen die serbische Bezeichnung auflisten. Skurril muten dabei Neubenennungen von Straßenzügen wie »rr. Clinton« oder »rr. UCK« an, die – einer Verhöhnung der verschwundenen Serben gleich – politisch korrekt als »rd. UCK« und »ul. UCK« dreisprachig angeschrieben sind.
Ein Großteil der schätzungsweise 150.000 bis 200.000 vertriebenen Serben hat im Kernland Serbien Zuflucht gefunden. Dort leben viele von ihnen auch acht Jahre nach ihrem Exodus noch in zu Flüchtlingslagern umfunktionierten Hotels wie zum Beispiel im »Inex-Krajina«-Komplex im ostserbischen Negotin. Mehrere hundert Kosovo-Serben fristen darin ein trübseliges Dasein ohne Arbeit und ohne nennenswerte finanzielle Unterstützung durch die serbischen Behörden. Im Kosovo selbst sind diese ehemaligen BewohnerInnen weitgehend in Vergessenheit geraten, obwohl UNMIK und OSZE in allen ihren Proklamationen auf das Rückkehrrecht sämtlicher Flüchtlinge pochen.
Die Menschenrechtsorganisation KMDLNJ (Rat zur Verteidigung von Menschenrechten und Freiheit) trifft man unweit der drei alten Moscheen im Zentrum von Prishtine. Faik ist seit ihrer Gründung im Jahre 1989 mit dabei: »Damals haben wir uns um die der serbischen Repression preisgegebenen Albaner gekümmert«, meint der Aktivist, »heute besteht unsere Zielgruppe umgekehrt aus Serben, Roma, Aschkali, Gorani und Türken.« Etwa 200 Mitglieder umfaßt die auch von der UNMIK finanzierte Menschenrechtsvereinigung, die einzige eigenständige im Kosovo. Regelmäßig reisen KMDLNJ-Aktivisten zu Flüchtlingslagern in Nis, Belgrad und Kragujevac, um mit den Kosovo-Serben Kontakt zu halten und irgendwann ihre Rückkehr möglich zu machen. Allzu optimistisch wirkt Faik allerdings nicht, gibt es doch auch in letzter Zeit schwere Rückschläge für seine Vision eines multiethnischen Kosovo. Er erinnert an die ethnischen Säuberungen im März 2004: »7000 Menschen sind damals aus ihren Häusern gejagt wurden.« Die meisten von ihnen Serben und Roma.
Angesichts der allgemeinen zigeunerfeindlichen Stimmungslage haben schätzungsweise 70.000 Roma seit 1999 das Land – großteils in Richtung Serbien – verlassen. Außer wenigen Roma sind noch albanisch sprechende Aschkali und Ägypter geblieben sowie die Volksgruppe der Gorani an der Grenze zu Makedonien im Gebiet von Dragas (albanisch: Dragash) und Reste von türkischer Bevölkerung hauptsächlich in Prizren. Allen Minderheiten ist gemeinsam, daß sie von der albanischen Mehrheitsbevölkerung kaum akzeptiert und der Kollaboration mit der früheren serbischen Verwaltung verdächtigt werden.
Den Hintergrund für den Haß bildet der extreme ökonomische und soziale Zustand des Landes, der mit dem Wort Krise nur unzureichend umschrieben ist. Die flächendeckende Zerstörung Ende der 1990er Jahre, selbst Folge wirtschaftlicher und politischer Hoffnungslosigkeit und zugleich Ausdruck dieses Hasses, prägt den Kosovo bis heute.
Die Bomben der NATO zerstörten nicht nur die Infrastruktur, sondern verseuchten das Land auch mit abgereichertem Uran. Letzteres diente der Härtung panzerbrechender Munition, die durch US-Truppen vor allem im Kosovo (aber auch in Teilen Bosniens und der Vojvodina) weiträumig zum Einsatz kam. 78 Kriegstage haben die Krise der 1990er Jahre zur Katastrophe perfektioniert. Von den langfristigen Folgen radioaktiver Verseuchung will keine internationale Hilfsorganisation etwas wissen. Zerstörte Wohnquartiere wurden indes rasch wieder aufgebaut. Von einer wirtschaftlichen Konsolidierung kann dennoch keine Rede sein.
Die gesamten 1980er Jahre hindurch waren unter Belgrader Verwaltung kaum Investitionen getätigt worden. Schon damals lag das Pro-Kopf-Einkommen im Armenhaus Jugoslawiens mit 730 US-Dollar pro Jahr acht Mal unter jenem Sloweniens (5500 US-Dollar) und drei Mal unter jenem Serbiens (2200 US-Dollar). Das Entwicklungsgefälle zwischen Kosovo und Slowenien hatte sich zwischen 1950 und 1990 verdoppelt.
Die 1990er Jahre beschreibt der Ökonom Muhamet Mustafa vom Riinvest-Institut als »Dekade der Deindustrialisierung«. Trug die industrielle Produktion 1989 noch zu 46 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Kosovo bei, sank die entsprechende Kennziffer im Kriegsjahr 1999 auf 15 Prozent. In den seither vergangenen acht Jahren UNMIK-Verwaltung gab es keinerlei industriellen Entwicklungsschub. Ende 2006 betrug der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt 17 Prozent. Im Klartext heißt das, daß alle in jugoslawischen Zeiten zwischen 1950 und 1980 errichteten Produktionsanlagen nicht mehr in Betrieb sind; daher gibt es für die Menschen keine Arbeit. »Seit 20 Jahren wurde hier nichts investiert, weder in Infrastruktur wie Straßenbau, Wasserversorgung oder Elektrizität, noch in Produktionsanlagen. Das ist eine extreme Situation«, sagt Muhamet Mustafa. 600 Millionen Dollar jährlich, davon 70 Prozent öffentliches Geld, waren es noch in den ohnedies bereits krisengeschüttelten 1980er Jahren, die laut Berechnung des Riinvest-Instituts in die kosovarische Wirtschaft gepumpt wurden; in den 1990er Jahren fand kein Aufbau mehr statt. Ganze 50 Millionen, durchweg privates Geld aus Kreisen der Diaspora, kamen damals pro Jahr ins Land. »Gleichzeitig strich Belgrad jährlich 300 Millionen an Steuern ein und verkaufte zudem serbische Produkte fast konkurrenzlos im Land.« Die von kosovo-albanischer Seite errichtete Parallelgesellschaft war zwar in der Lage, Schulen und Gesundheitseinrichtungen mehr schlecht als recht am Laufen zu halten, wirtschaftlicher Aufbau wurde indes nicht betrieben. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert.
Für die Ärmsten der Armen hat sich die fast schon permanente Krise als tödliche Falle erwiesen. So sterben die aus den albanischen Siedlungsgebieten in die serbischen Enklaven im Norden vertriebenen Roma an den Folgen von Vergiftungen. Nahe dem seit Kriegsende stillgelegten Bleibergwerk Trepca hatten 550 von ihnen eine Abraumhalde als Wohnplatz zugewiesen bekommen. Die extrem hohen Cadmium- und Arsenwerte wurden von Medizinern erst gemessen, als in kurzer Zeit 35 Roma verstorben waren und sich bei vielen weiteren motorische Koordinationsschwierigkeiten und Gedächtnisverluste als Symptome einer Bleivergiftung zeigten. Erst im Jahr 2006 flog dieser Skandal auf, nachdem deutsche (s. tageszeitung vom 12.5.06) und französische Journalisten darüber berichtet hatten. Die UNMIK-Behörden konnten weder den kontaminierten Boden isolieren noch verhindern, daß vertriebene Zigeuner dort im wahrsten Sinn des Wortes ihre letzte Ruhestatt fanden.
Der Fall Haradinaj
Am 13. Februar 2000 erwiderten französische KFOR-Soldaten in Kosovska Mitrovica, der zwischen albanischer und serbischer Bevölkerung geteilten Stadt im Norden des Kosovo, das Feuer auf eine Gruppe Heckenschützen, die aus einem serbischen Wohnblock heraus die internationale Patrouille attackierte. Zufällig wurde einer der Angreifer getötet. Sein Name: Avni Hardinaj. Der gezielte Schuß aus einem französischen Gewehr verhinderte, daß die Absicht der Täter, nämlich der serbischen Seite einen Überfall auf die französische KFOR unterzujubeln, vereitelt werden konnte. Und damit die möglichen Folgen einer durch die internationale Gemeinschaft abgesegneten Aussiedlung der Serben aus der Stadt.
Avni Haradinaj war nicht irgendwer. Er war einer von fünf für die albanische Sache im Kosovo kämpfenden Brüdern. Der berühmteste von ihnen, Ramush, agierte im Rang eines UCK-Führers nicht nur als der engste Verbündete von Hashim Thaci, sondern schaffte es im Dezember 2004 bis zum Ministerpräsidenten des Kosovo. Mit der Anklage beim Haager Kriegsverbrechertribunal im März 2005 erhielt seine Karriere einen Knick.
Ramush Haradinaj wurde 1968 in Westkosovo geboren. Als Gastarbeiter in der Schweiz baute er bereits in den 1990er Jahren kosovo-albanische Strukturen auf, kehrte im Februar 1998 in seine Heimat zurück und leitete militärische Operationen der UCK. Im Bericht des deutschen Bundesnachrichtendienstes vom Februar 2005 steht über diese vielleicht schillerndste Figur der kosovarischen Politszene zu lesen: »Die im Raum Decani auf Familienclan basierende Struktur um Ramush Haradinaj befaßt sich mit dem gesamten Spektrum krimineller, politischer und militärischer Aktivitäten, die die Sicherheitsverhältnisse im gesamten Kosovo erheblich beeinflussen. Die Gruppe zählt ca. 100 Mitglieder und betätigt sich im Drogen- und Waffenschmuggel und im illegalen Handel mit zollpflichtigen Waren. Außerdem kontrolliert sie regionale Regierungsorgane.« (BND-Bericht vom 22.5.05, zitiert in:. Die Weltwoche 43/05)
Schon im Sommer 2000 hatten ihn mutmaßlich US-amerikanische Agenten vor einer Verhaftung durch die UNMIK im Kosovo bewahrt. Damals war Ramush Haradinaj bei einer Schießerei verletzt worden. Laut dem Nachrichtendienst »Central Intelligence Unit« (CIU) hatte der UCK-Mann am 7. Juli 2000 das Haus eines rivalisierenden Clan-Chefs überfallen. Eine Blitzaktion im höchsten Auftrag rettete ihn vor einer peinlichen Befragung durch die UN-Behörde. Ein italienischer Militärhubschrauber brachte ihn auf eine US-amerikanische Militärbasis (Die Weltwoche 43/05). Grund für diese Schutzaktion war die offensichtlich berechtigte Sorge, eine Verhaftung des beliebten UCK-Bosses könnte zu Unruhen in der Provinz führen. Nach einem längeren Aufenthalt in den USA führte Haradinaj ein paar politische Kleingruppen zur »Allianz für die Zukunft des Kosovo« (AAK) zusammen und wurde, als ob die USA dies bereits vorher so geplant hätten, nach den 2004er Wahlen Ministerpräsident.
Ähnlich schützend hielten die USA ihre Hand im Jahr 2005 über Ramush Haradinaj, als das Haager Tribunal seine Auslieferung mit der Begründung forderte, ihm würden über 60 Morde und mehr als 200 Aufträge zum Töten in Westkosovo vorgeworfen. Nach kürzester Zeit aus der Untersuchungshaft entlassen, bewegte sich Ramush Haradinaj Ende 2006 als freier Mann in Prishtine, wie ich anläßlich einer vom US-amerikanischen »National Democratic Institute« (NDI) ausgerichteten Party im Prishtineer Szenelokal »Strip Depot« live beobachten konnte. Haradinaj führt weiterhin die AAK und wartet auf seinen Prozeß in Den Haag. Genau gegenüber der UNMIK-Zentrale prangt über vier Stockwerke sein Konterfei. »Our prime has a job to do here« steht darauf in Anspielung auf eine eventuell bevorstehende Auslieferung nach Den Haag zu lesen.
Tatsächlich ist es mehr als seltsam, daß Den Haag sechs Jahre nach dem Ende des großen Mordens im Kosovo plötzlich neue Übeltäter entdeckte. Die koloniale Attitüde dieses Vorgangs ist offensichtlich. Recken wie Haradinaj waren offensichtlich gut genug, als es darum ging, Jugoslawien zu zerstören, jetzt, wo es darum geht, in Kosovo pflegeleichte Verwalter für westeuropäische und/oder US-amerikanische Interessen zu etablieren, beginnen sie zu stören. Wie lange die USA noch schützend die Hand über Haradinaj legen werden? Einer seiner engsten Weggefährten, Justizminister Ahmet Isufi, macht sich keine Illusionen: »Ramush wird nach Den Haag gehen, wenn er danach gefragt wird. Er weiß, daß er unschuldig ist. Denn die UCK lag mit Serbien im Krieg. Und er war ein sehr wichtiger Mann in diesem Krieg.«
»Keine Verhandlungen – Selbstbestimmung«
Am 28. November 2006, dem neuen kosovarischen Nationalfeiertag, demonstrierten über 10.000 Menschen im Zentrum von Prishtine gegen die Kolonialpolitik der UNMIK. »Keine Verhandlungen – Selbstbestimmung«, lautete die Losung der von der gleichnamigen Bürgerinitiative organisierten Veranstaltung. Das zentrale UNMIK-Gebäude wurde mit Farbbeuteln beworfen und vereinzelt UNMIK-Personal attackiert. Betonbarrikaden der UNO-Verwaltung kamen unter Hämmer und Sägen, wurden zerschlagen und in den umzäunten Komplex geworfen. Offiziellen Angaben zufolge gab es keine Verletzten.
Zwischen die national-albanischen Sprechchöre der Demonstranten mischten sich soziale Begehren: »Für ein selbstbestimmtes Leben und für soziale Standards« hieß es aus der großteils aus Jugendlichen bestehenden Menge. Ihr Sprecher Albin Kurti erinnerte an die Proteste in Budapest anläßlich des 50-Jahr-Gedenkens zur Niederschlagung der ungarischen Revolte und an die Jugendunruhen in Paris.
Überall in der kosovarischen Hauptstadt haben Aktivisten der Gruppe »Vetevendosja« (»Selbstbestimmung«) ihre Hauptforderung an die Wände der Hausmauern gesprayt: »Keine Verhandlungen – Selbstbestimmung«. Sie trauen den Verhandlern von UNMIK genauso wenig über den Weg wie der albanischen Elite. Den »Internationalen« werfen sie koloniales Gebaren vor und den eigenen Parteien Verrat. »Die UNMIK ist eine pyramidal aufgebaute, autoritäre Struktur. Sie kamen hierher und haben die lokalen, parallel zur serbischen Besatzung aufgebauten Strukturen zerstört. Sie eignen sich alles an: politische Herrschaft und ökonomische Macht«, bilanziert die unumstrittene Führungsfigur der Gruppe, Albin Kurti, die Lage. »Wir wollen ein klares Zeitlimit für die Internationalen in Kosova.« Für die Nichtregierungsorganisationen im Land hat der begnadete Rhetoriker Kurti überhaupt kein Verständnis: »Heute haben wir hier 4000 NGOs und eine schwache Zivilgesellschaft«.
Den Internationalen offizieller und inoffizieller Provenienz wirft Kurti vor, die individuelle Freiheit vor die kollektive zu stellen. »Die kollektive Freiheit«, meint er, »ist eine Voraussetzung für individuelle Freiheiten. Ohne Selbstbestimmung verkommt Freiheit zur Farce. Dehalb«, so der 32-Jährige im Gespräch, »bringen wir die Sache auf den Punkt: zuerst der Staat, dann der Pluralismus.«
Albin Kurti residiert mit seiner Gruppe »Selbstbestimmung«, die vor 2005 »Kosovo Action Network« geheißen hat, in einem Haus im Zentrum von Prishtine. Schriftreif sprudelt es aus ihm in perfektem Englisch heraus. Der 1975 in Prishtine geborene Kurti studierte Computerwissenschaft und Telekommunikation an der Universität Pristina, konnte aber sein Studium erst nach dem Krieg beenden. Im August 1998 schloß er sich dem legendären Adem Demaci an, der als Nelson Mandela des Kosovo gilt, weil er viele Jahre in serbischen Gefängnissen verbracht hatte. Der Bruch mit der UCK erfolgte bereits Ende Januar 1999, als der widerspenstige Adem Demaci auf Druck der USA durch Hashim Thaci ersetzt worden war. Demaci war nicht bereit gewesen, bei den Gesprächen im französischen Rambouillet Kompromisse über Souveränitätsrechte im Kosovo einzugehen. Am 27. April 1999, während die NATO Jugoslawien bombardierte und serbische Einheiten den Kosovo durchkämmten, wurde Albin Kurti von der Polizei verhaftet, mit dem Rückzug der Serben im Juni 1999 in ein Gefängnis in Nis transferiert. Nach zweieinhalb Jahren hinter Gittern kam er, der wegen Staatsgefährdung zu 15 Jahren verurteilt worden war, am 7. Dezember 2001 frei. Mittlerweile haben ihn seine radikalen Ideen auch schon kosovarische Gefängnismauern von innen sehen lassen. Den eigenen Eliten gilt er als »Leninist« und »Aufrührer«. Vize-Premier Lufti Haziri nannte die von Kurti initiierten Proteste »inakzeptabel« und »kontraproduktiv«.
Schon anläßlich ihres ersten massiven Auftretens mit Sprühaktionen im August 2005 wurden 175 Mitglieder der Gruppe »Selbstbestimmung« von UNMIK-Polizisten vorübergehend verhaftet. Über 18 Zentren hat Kurtis Netzwerk in ganz Kosovo aufgebaut, er selbst gibt die Mitgliederzahl mit 1000 Aktivisten und 10.000 Spendern an. Anders als ähnlich aufgebaute Jugendgruppen in anderen osteuropäischen Ländern, die von der Soros-Stiftung oder von US-amerika-nischen Fonds unterstützt werden, finanziert sich »Vetevendosja « nicht durch »fremdes Geld«, wie Kurti sagt, sondern durch Spenden von Kosovo-Albanern inner- und außerhalb des Kosovo. »Genau genommen sind wir illegal, weil ›Vetevendosja‹ nicht einmal behördlich registriert ist.«
Aufsehen erregte die Gruppe »Selbstbestimmung« im Herbst 2006 auch mit einem fingierten UNMIK-Flugblatt. Unter dem Titel »Zehn Merksätze für die Evakuierung«, der sich an das internationale Personal wendet, stand da zu lesen: »Heute wurden wir gezwungen, Kosovo zu verlassen. (...) Die Einwohner von Kosovo haben entschieden, unser Gesetz und unsere Kolonisierung nicht mehr zu tolerieren. Wir müssen unsere Flucht selbst organisieren. Die Evakuierung sollte nicht wie unsere Mission ablaufen, sie muß erfolgreich sein.« Das Flugblatt forderte die Internationalen mit zynischem Unterton auf, in Anspielung an die desaströsen wirtschaftlichen Verhältnisse und politischen Strukturen des Landes folgende Regeln beim Abzug zu beachten: »Verwendet keine Aufzüge oder sonstige Geräte, die mit Strom funktionieren. Vergeßt nicht das Wandbild von Kofi Annan. Besteht nicht darauf, im eigenen Jeep zu fliehen, nehmt den nächsten, der vorbeifährt. Traut der Lokalbevölkerung nicht. Schaut nur auf euch selbst, genau so wie ihr es während eurer Mission hier gemacht habt. Kümmert euch nicht um lokales Recht, ihr seid ihm nicht unterstellt. Behandelt das Land, wohin ihr geht, nicht so, wie ihr Kosovo behandelt habt, denn dort werdet ihr nicht über dem Gesetz stehen. Und zu guter Letzt: Vergeßt Kosovo nicht, denn ihr werdet niemals mehr eine Aufgabe wie diese bekommen, wo ihr tun konntet, was immer ihr wolltet.«
Im offiziellen politischen Leben des Kosovo herrscht über die Gruppe »Selbstbestimmung« geteilte Meinung. Je höher die Ränge, desto harscher die Kritik an ihr. Sabri Hamiti, Schriftsteller und Abgeordneter der größten Partei LDK, wollte gar nichts zu ihr sagen: »Es ist nicht an mir, so etwas zu kommentieren«, gab er sich hochnäsig. Ahmet Isufi von der AAK des Ramush Haradinaj wiederum erklärte: »Wir verstehen die jungen Leute und daß die Gesellschaft einen Druck erzeugt, um die Politiker zu besserer Arbeit anzustacheln.« Als »politisches Spiel« zwischen radikaler außerparlamentarischer Bewegung und der neuen Elite des Landes interpretiert Henriette Riegler vom Österreichischen Institut für Internationale Politik die Beziehungen zwischen Radikalen und Gemäßigten: »Entkolonialisierung ist ein hilfreiches Bild zum Verständnis der Lage. Die einen verhandeln, die anderen demonstrieren.«
Die albanische Frage
»Wo es Albaner gibt, dort ist unser Land«, lautet die im Kosovo weit verbreitete Auffassung, die nicht nur der Gesprächspartner Faton Klinaku, Vizepräsident der UCK-Veteranenorganisation OVL-UCK, vertritt. Auf einer in Großbritannien gefertigten Homepage der Bürgerinitiative »Vetevendosje« (»Selbstbestimmung«) fügen sich sieben Landesteile aus Serbien, Makedonien, Montenegro und Griechenland und der gesamte Kosovo gemeinsam mit dem »Mutterland« Albanien zur Vision eines Großalbanien zusammen.
Tatsächlich existieren albanische Siedlungsgebiete – außer in Albanien und Kosovo – in Serbien, Montenegro, Makedonien und Griechenland. Eine nach ethnischen Kriterien gezogene Grenze würde alle betroffenen Länder destabilisieren. Dennoch sehen auch gemäßigte Kosovo-Albaner – auch das mit einer gewissen Berechtigung – nicht ein, warum ihnen verwehrt sein soll, was den Deutschen erlaubt wurde. So vermerkt beispielsweise der Philosoph Shkelzen Maliqi auf die Frage, was er zu einer möglichen zukünftigen Vereinigung Kosovos mit Albanien sagen würde: »Ich befürworte diese Idee. Nach einer möglichen Unabhängigkeit des Kosovo kann zumindest eine Konföderation mit Albanien geschlossen werden. Für den Moment allerdings ist es verboten, daran auch nur zu denken.«
Feuer am Dach der internationalen Wächter der nationalen Fragen brach kurzfristig im März 2006 aus, als sich der Außenminister der Republik Albanien – wieder einmal – nicht an das von UNO, NATO und anderen verordnete Gebot hielt, zur albanischen Frage Stillschweigen zu bewahren. In einer von der makedonischen TV-Gesellschaft veranstalteten Diskussion in Skopje meinte Besnik Mustafaj auf die Frage, wie es um mögliche zukünftige Grenzverschiebungen in der Region bestellt sei: Er könne die Unveränderbarkeit der Grenzen gegenüber den Nachbarländern mit albanischem Bevölkerungsanteil nicht garantieren, sollte der Kosovo unabhängig werden. Die Ängste in der Region vor großalbanischen Ambitionen hat Mustafaj damit nicht zerstreut, sondern angeheizt.
Welche Wirtschaft?
Eine herkömmliche Herangehensweise bekommt die Ökonomie des Kosovo nicht in den Griff. Das Binnenland mit seinen geschätzten zwei Millionen EinwohnerInnen lebt zum größten Teil von Rücküberweisungen emigrierter Kosovaren sowie von Spenden, verfügt seit 1999 über keine nennenswerte Industrie sowie völlig unzureichende Energieversorgung und Infrastruktur, verwendet unter Kontrolle ausländischer Verwalter seit Januar 2001 den Euro als Zahlungsmittel und importiert jährlich zwischen zehn und zwanzig mal mehr, als es exportiert. Seine traditionellen Handelskontakte mit Serbien sind aus politischen respektive albanisch-nationalen Gründen eingeschränkt. Es gilt zugleich als wirtschaftsliberalster Platz in Europa und als Armenhaus des Kontinents. Die Eigentumsverhältnisse sind ungeklärt.
»Rücküberweisungen und der Konsum des UNMIK-Personals« fallen Muhamet Mustafa vom Riinvest-Institut in Prishtine ein, wenn er an die Habenseite der Landesökonomie denkt. Dazu noch die extrem junge Bevölkerung als »human capital« sowie ein nicht ausgenütztes agrarisches Potential. Letzteres dürfte wegen der im NATO-Krieg verwendeten uranhaltigen Munition allerdings auf möglichen Exportmärkten auf Skepsis stoßen.
Zwischen drei und vier Milliarden Euro haben die meist aus Westeuropa stammenden Verwalter über die UNMIK in das Land gepumpt. Den Großteil verbrauchten die »Internationalen« für eigene Löhne und Ausgaben. Das erklärt zumindest zum Teil, wieso mehr als sieben Jahre nach der Machtübernahme durch die UNO die Elektrizitätsversorgung nach wie vor nicht klappt, der Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt – laut dem Wirtschaftsinstitut »Riinvest« – zwischen 1989 und 2006 von 47 Prozent auf 17 Prozent gesunken ist und die einzigen florierenden Wirtschaftszweige graue und illegale Sektoren – Stichwort: Mafiaökonomie – sind.
Im Weltbankbericht aus dem Mai 2004 wird ein weiterer schwerwiegender struktureller Defekt des Landes benannt: Die sich aus der Aufteilung Jugoslawiens ergebende Auslandsschuld wird den Kosovo noch auf Jahre hinaus einer restriktiven Finanzpolitik unterwerfen. Das Land ist pleite. »Es ist wichtig zu erkennen, daß die Ausgaben des ›öffentlichen Sektors‹ viel höher sind als das konsolidierte Budget Kosovos. Der öffentliche Sektor beinhaltet effektiv das UNMIK-Budget, den aus Spenden finanzierten Teil des Öffentlichen Investitionsprogramms und mehrere NGO-Projekte«, listet die Weltbank die schwarzen Löcher der lokalen Wirtschaft auf, in denen das Geld versickert. Ihre Forderung nach Sparmaßnahmen trifft – mangels Staat – die UNO und ihre Verwaltungsstrukturen im Kosovo.
»Den beschränkten Zugang zu Märkten« nennt der Ökonom Wladimir Gligorow vom »Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche« (WIIW) als eines der Hauptprobleme, mit dem das Binnenland auch nach eventuell geklärtem Status wird fertig werden müssen. Eine einzige größere Straße führt von der Hauptstadt Prishtine aus dem Kosovo hinaus, es ist jene über das Amselfeld ins makedonische Skopje. Als am 15. Januar 2006 ein Bergrutsch diese Verbindung unterbrach, dauerten die Aufräumarbeiten 50 Tage, bis Prishtine auf dem Landweg wieder erreichbar war. Der einzige zivile Flughafen des Landes kann im Winter wetterbedingt oft tagelang nicht angeflogen werden. Zudem verweigert die UNMIK noch Anfang 2007 aus ideologischen Gründen der serbischen Fluggesellschaft »JAT« die Landeerlaubnis für Prishtine. Die traditionelle Verbindung Belgrad-Pristina wurde nicht nur im Flugverkehr gekappt, auch die Eisenbahn darf – von Serbien kommend – nicht einmal ins nordöstlich gelegene Mitrovica fahren. Langwierige Umstiegsprozeduren unterbrechen de facto auch diese Route. Importe finden dennoch, hauptsächlich über Makedonien, ihren Weg nach Kosovo.
Schwere Vorwürfe an die Adresse der internationalen Verwaltung erhebt Musa Limani, Professor für Makroökonomie
(Message over 64 KB, truncated)
(Message over 64 KB, truncated)