Revisionsoffensive 

26.10.2007

BERLIN (Eigener Bericht) - Nach der Entscheidung der Bundeskanzlerin zugunsten der Errichtung eines "Zentrums gegen Vertreibungen" in Berlin verlangt der "Bund der Vertriebenen" (BdV) einen "nationalen Gedenktag". Jährlich soll der Umsiedlung der Deutschen, die im Mittelpunkt des zukünftigen Hauptstadt-"Zentrums" steht, bundesweit und mit staatlichen Weihen gedacht werden, fordert BdV-Präsidentin Erika Steinbach. Damit weiten die Organisationen der Umgesiedelten, deren Anliegen die Bundesregierung mit dem Aufbau des "Zentrums gegen Vertreibungen" zum Staatsanliegen erhebt, ihre Revisionsoffensive aus. Zudem sollen auch in Zukunft die gesetzlichen Grundlagen der Umsiedlung, die in mehreren EU-Staaten (etwa in Tschechien) Verfassungsrang haben, angegriffen werden, teilt Steinbach mit. Parallel zur Stärkung ihrer Positionen in der Öffentlichkeit treiben die Verbände der Umgesiedelten ihre EU-weite Vernetzung voran. Im Dezember soll die Satzung einer "Europäischen Union der Flüchtlinge und Vertriebenen" unterzeichnet werden. Wie es unter den deutschen Beteiligten heißt, sind Organisationen aus Italien, Finnland oder Zypern "nicht mit einer nationalsozialistischen Vergangenheit belastet" und können daher deutsche Forderungen besser vertreten als der BdV.

Tag der Heimat

Wie BdV-Präsidentin Erika Steinbach verlangt, soll Berlin einen "nationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibungen" einrichten.[1] Er soll auf den "Tag der Heimat" fallen, den die Umgesiedelten jedes Jahr im Spätsommer feiern. Mit ihm halten sie die Erinnerung an die deutsche Vergangenheit ihrer Herkunftsgebiete wach. Der "Tag der Heimat" fand ursprünglich jeweils am ersten Augustwochenende statt und damit in unmittelbarer Nähe zum Jahrestag der Unterzeichnung des Potsdamer Abkommens (2. August); das Datum wurde nach Angaben des BdV aus "Protest gegen die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz 1945" gewählt.[2] Mit der Aufwertung zum "nationalen Gedenktag" sollen die BdV-Feierlichkeiten, die bereits jetzt regelmäßig mit Festreden höchstrangiger Bundespolitiker prominent gewürdigt werden, staatliche Weihen erlangen.

Zentrum gegen Vertreibungen

Staatliche Weihen erlangt schon in Kürze ein anderes Anliegen des BdV: ein "Zentrum gegen Vertreibungen" in der deutschen Hauptstadt zu errichten. Erika Steinbach verfolgt entsprechende Pläne seit dem Frühjahr 1999; damals hatte sie sich mit Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) über den prinzipiellen Charakter der Institution geeinigt. Wie Bundeskanzlerin Merkel jetzt bekanntgegeben hat, wird die Regierung noch dieses Jahr den Beschluss zum Aufbau des "Zentrums" fassen. Grundlage ist eine Ausstellung des Bonner "Hauses der Geschichte", die in enger personeller Verbindung zu entsprechenden BdV-Ablegern erarbeitet wurde und die Absichten der Umgesiedelten weitgehend identisch transportiert (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Um den erwarteten Protesten im Ausland den Wind aus den Segeln zu nehmen, erhält das "Zentrum" in scheinbarer Abgrenzung zu den BdV-Plänen einen abweichenden Namen ("sichtbares Zeichen", "Ausstellungs- und Dokumentationszentrum" o.ä.). Die SPD will aus demselben Grund die Beteiligung der Umgesiedelten-Verbände auf eine Mitgliedschaft in beratenden Gremien ohne eine repräsentative Funktion beschränken. Nach gegenwärtigem Diskussionsstand wird das "Zentrum" unter der Federführung des Deutschen Historischen Museums errichtet, also in staatlicher Trägerschaft; allein im kommenden Jahr stellt die Bundesregierung für das Vorhaben 1,2 Millionen Euro zur Verfügung.

Entrechtung

Besonderes Lob zollen die deutschen Medien der Bundeskanzlerin für die Wahl des Zeitpunktes, zu dem sie die "Zentrums"-Pläne verkündet hat. Der polnische Ministerpräsident Jarosław Kaczyński, ein scharfer Kritiker des Projekts, ist gerade abgewählt worden, sein Nachfolger tritt das Amt frühestens in einer Woche an. "Jetzt, da die polnische Innenpolitik ganz mit sich selbst beschäftigt ist, kommt der deutsche Vorstoß zu einer günstigen Zeit", heißt es in der Presse: "Warschau kann sich nach der Regierungsbildung entscheiden, ob es weiterhin den Buhmann spielen (...) will".[4] BdV-Präsidentin Steinbach hat bereits neue Offensiven angekündigt, die an die öffentliche Charakterisierung der Umsiedlung durch das "Zentrum" anschließen ("Unrecht") und auf die Annullierung ihrer gesetzlichen Grundlagen zielen; dies betrifft vor allem die Benes-Gesetze in der Tschechischen und der Slowakischen Republik, die Bierut-Gesetze in Polen und die AVNOJ-Gesetze in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens. "Nach wie vor" gebe es "in der Europäischen Union Vertreibungs- und Entrechtungsgesetze", erklärte die Erika Steinbach beim 50jährigen Jubiläum des BdV: "Das darf nicht ausgeblendet werden und daran muss intensiv gearbeitet werden."[5]

Kollaborateure

Die deutschen Umgesiedelten erhalten dabei nicht nur Unterstützung von der Bundesregierung, sondern auch aus anderen europäischen Staaten. So teilte BdV-Präsidentin Steinbach jetzt mit, "dass im November das ungarische Parlament einen Kongress und eine Debatte zur Vertreibung ihrer Deutschen durchführen wird."[6] Ungarn ist der deutschen Revisionspolitik verbunden; erst kürzlich bekräftigte ein Vertreter der ungarischsprachigen Minderheit in der Slowakei die Forderung nach Abschaffung der Benes-Gesetze, auf deren Grundlage nach Kriegsende nicht nur deutsche, sondern auch ungarische NS-Kollaborateure enteignet wurden.[7]

Deutsche Mehrheit

Zudem schreitet die Gründung eines EU-weiten Umgesiedeltenverbandes voran. Verhandlungen darüber hatten im März im italienischen Trieste einen entscheidenden Durchbruch erzielt (german-foreign-policy.com berichtete [8]) und waren im Juni auf Einladung der Landsmannschaft Ostpreußen in Berlin fortgesetzt worden. Wie einer der Vorkämpfer der "Europäischen Union der Flüchtlinge und Vertriebenen" berichtet, hat der Staatspräsident Frankreichs ebenfalls im Juni einen Mitinitiator des neuen Verbands empfangen und weitere Gespräche in Aussicht gestellt. Anfang Dezember soll mit der Unterzeichung der Satzung der Gründungsprozess weitgehend abgeschlossen werden. Der neuen Organisation wollen neben Umgesiedelten aus Finnland ("Karelien"), Italien ("Istrien") und Zypern mehrere deutsche Vereinigungen beitreten.[9] Wie Rudi Pawelka, der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, berichtet, haben die nichtdeutschen Mitglieder die deutsche Führungsrolle bereitwillig akzeptiert. Demnach werden - abweichend von dem "in Europa geltenden Länderprinzip" - "die Vertretungen der einzelnen deutschen Vertriebenenlandschaften sowohl aus Deutschland als auch aus Österreich" jeweils gesondert als Mitglieder aufgenommen. "In der Praxis bedeutet dies, dass deutsche Mehrheiten gesichert sind."[10]

Unbelastet

Pawelka zufolge bietet die europäische Verkleidung der "deutschen Mehrheit" klare Vorteile. "Andere europäische Staaten sind nicht mit einer nationalsozialistischen Vergangenheit belastet", erläutert er: "Die Einordnung und Bewertung der Vertreibung erfolgt unbefangen ohne psychologische Sperren." Wie der Verbandsfunktionär hofft, wird daher "die Forderung nach einem Gedenktag (...) auf europäischer Ebene wirkungsvoller vertreten werden können", aber auch das Verlangen nach einer "Lösung offener Fragen".

Europäisch

Unter "offenen Fragen" versteht Pawelka Entschädigungsforderungen deutscher Umgesiedelter gegen Polen und die Tschechische Republik. Er selbst organisiert im Namen der "Preußischen Treuhand" Restitutions- bzw. Entschädigungsprozesse gegen Warschau.[11] Wie Pawelka berichtet, wollen das Europaparlament und die Europäische Kommission jetzt eine Studie erstellen lassen, die diesem Verlangen Auftrieb zu geben verspricht. Thema der Studie ist die "Rückgabe von Privateigentum in Ost- und Mitteleuropa", verlangt werden "eine umfassende Lagedarstellung" sowie "Vorschläge(...) für Lösungsmöglichkeiten".[12] Zu den Ländern, die in der Ausschreibung für die Arbeit ausdrücklich als Untersuchungsobjekte genannt werden, befinden sich Polen und die Tschechische Republik. Auslöser für die EU-Maßnahme sind Petitionen, die Bürger von EU-Mitgliedstaaten an das Europaparlament gerichtet haben. Damit werden zum ersten Mal Entschädigungsfragen zum Gegenstand offener Einmischung der EU in die inneren Angelegenheiten der von deutscher Revisionspolitik betroffenen Staaten.


[1] WAZ: Bund der Vertriebenen fordert nationalen Gedenktag; www.presseecho.de 21.10.2007
[2] Dokumentation zum Tag der Heimat 2006. Menschenrechte achten - Vertreibungen ächten. Festakt des Bundes der Vertriebenen in Berlin, 2. September 2006
[4] Wandel durch Überrumpelung; Der Tagesspiegel 25.10.2007
[5], [6] Festakt 50 Jahre Bund der Vertriebenen am 22. Oktober 2007 im Kronprinzenpalais Berlin. Rede der Präsidentin Erika Steinbach MdB
[9] Dies sind die Landsmannschaft Ostpreußen, die Landsmannschaft Schlesien, die Sudetendeutsche Landsmannschaft, die Pommersche Landsmannschaft und die Landsmannschaft Weichsel-Warthe.
[10] Europäischer Vertriebenenverband vor der Gründung; Presseinformationen der Landsmannschaft Schlesien - Nieder- und Oberschlesien e.V., 18.10.2007
[12] Rudi Pawelka: EU lässt offene Eigentumsfragen untersuchen; Schlesische Nachrichten 20/2007