stern.de - 21.2.2008 - 15:35
Kosovo
Mafia-Staat von UN Gnaden
Von Christoph Reuter
Der Ex-Regierungschef sitzt in Den Haag auf der Anklagebank, auf dem Korruptionsindex liegt der Kosovo mit Kambodscha und Kamerun an der Spitze und die Mafia wäscht dort ihr schmutziges Geld - alles unter den Augen der UNO, die den Ministaat nach ihren Vorstellungen aufbauen wollte.
Die Party war sehr groß am Sonntag. Menschen weinten auf den Straßen der Kosovo-Hauptstadt Pristina, trotzten der Kälte mit ihren Transparenten "A new state is born", und brauchten zum Rausch gar nicht die Gratisdrinks der Cafes: "Mein Leben lang habe ich auf diesen Tag gewartet", wiederholten Junge wie Alte unisono in die Mikrophone der Reporter, "endlich sind wir unabhängig von den Serben!"
Der jüngste Staat der Welt ist geboren, Amerika und weite Teile Europas haben seine Anerkennung angekündigt, die EU lockt mit Mitgliedschaft in weiter und Milliardenhilfen in naher Ferne - doch der Kater nach dem Fest könnte lange anhalten. Was nicht daran liegt, dass Moskau gegen die Unabhängigkeit protestiert und Serbien beschwört, den Kosovo niemals aufgeben zu wollen. Sondern am Ausgang des neun Jahre währenden Experiments, die UN einen Staat nach ihren Vorstellungen und Möglichkeiten aufbauen zu lassen.
Die UN formte ein Land nach ihren Vorstellungen
Nachdem die Nato dem serbischen Feldzug und der Vertreibung der Albaner im Kosovo 1999 mittels Bombardements ein Ende gemacht hatte, übernahm die "United Nations Mission in Kosovo", UNMIK, zusammen mit der Truppengemeinschaft KFOR die Kontrolle. Und ging daran, ein Land nach ihren Grundsätzen zu formen, demokratisch und rechtsstaatlich sollte es werden. Personell wurde diese Mission nicht in homöopathischen Dosen ausgestattet wie etwa in Afghanistan, sondern mit immensem Aufwand für die etwa 2,1 Millionen Einwohner. Polizei, Gerichtsbarkeit, Militär, Wirtschaftsaufbau, Telekommunikation, Zoll, alles lag in den Händen der mehreren tausend "Internationalen" unter Führung des "SRSG", des "Special Representative of the UN Secretary General in Kosovo"; eine Art Vizekönig mit beinahe monarchischer Machtfülle und weitgehender Immunität für seine Mitarbeiter.
Aus dem Kosovo wurde Unmikstan. Und wird nun an "Eulex" übergeben, die nächste aufsichtsführende Behörde: 1800 Polizisten, Juristen, Zoll- und andere Beamte der EU, die demnächst einrücken. Doch was für einen Staat hat die Weltgemeinschaft nach knapp neun Jahren auf die Welt geholfen?
Den Strom absichtlich ausgeschaltet
Bei den Unabhängigkeitsfeiern in Pristina lachten die Gäste einer Bar erleichtert, als sie merkten, dass der Besitzer Licht und Musik zum Toast auf die Nation absichtlich ausgeschaltet hatte. Denn mehrstündige Stromausfälle gehören weiterhin zum Alltag. Fast die Hälfte der Kosovaren ist arbeitslos. Der Energiekonzern KEK ist in den vergangenen Jahren von lokalen Machthabern wie internationalen Beratern gleichermaßen geplündert worden, ohne in der Zwischenzeit eine geregelte Versorgung sicherzustellen. Einziger nennenswerter Exportartikel des Kosovo ist Metallschrott. Bei der internationalen Anti-Korruptions-Organisation "Transparency International" lag Kosovo auch schon vor der Unabhängigkeit im Bericht vom Dezember 2007 zusammen mit Staaten wie Kamerun und Kambodscha in der Spitzengruppe der Korrupten. Ein beträchtlicher Teil des gesamten Heroin-Schmuggels von Afghanistan via Türkei nach Europa laufe durch den Kosovo, wiederholen Ermittler von BND und europäischen Polizei-Einheiten regelmäßig. Was ist schiefgegangen?
Die plakativste Antwort lächelt seit Monaten pausbäckig vor rotem Hintergrund von metergroßen Anzeigentafeln überall im Stadtzentrum von Pristina: "Ramush - We need you, now!" verkünden die Plakate. Ramush Haradinaj war, Ex-Kommandeur in der "Kosovo-Befreiungsarmee" UCK, 2004 - 2005 Premierminister des Kosovo und ist derzeit angeklagt vorm Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Für seine Gefolgsleute: "die Faust Gottes". Für die UNMIK-Mission: "ein Freund und Partner".
Zusammen mit zwei Mitangeklagten, Idriz Balaj, Anführer der "Schwarzen Adler" und Lahi Brahimaj, "der Zigeuner", soll Ramush Haradinaj zwischen März und September 1998 systematisch Serben, auch auch Roma und Albaner, die sich seinem Herrschaftsanspruch nicht unterwarfen, aus dem Gebiet seines Clans im Nordwesten des Kosovo vertrieben und ermordet haben. Menschen wurden mit Stacheldraht gefesselt und an Autos hergeschleift, bei lebendigem Leib verstümmelt. Dutzende Leichen fanden sich später an der bevorzugten Hinrichtungsstätte der drei. Insgesamt 37 Verbrechen gegen die Menschlichkeit wirft die Haager Anklage Ramush Haradinaj vor.
Fraglich, ob Ramush verurteilt wird
Doch ob er, wie geplant, in den kommenden Wochen verurteilt werden kann, wird immer fraglicher. Vier Zeugen sind im Verlauf des Verfahrens bereits auf die eine oder andere Art zu Tode gekommen, etliche bedroht worden. Ein Drittel der insgesamt 90 Zeugen durfte mit verdeckter Identität aussagen - der höchste Anteil aller bisherigen Prozesse vor dem Jugoslawientribunal.
Dass UN-Chefanklägerin Carla del Ponte wieder und wieder die UNMIK darauf drängt, sich von Haradinaj zu distanzieren, um Zeugen nicht das Gefühl zu geben, der Mann verfüge weiterhin über internationale Unterstützung - vergebens. Als Ramush Haradinaj sich im März 2007 auf den Weg nach Den Haag machte, empfing ihn "SRSG" Joachim Rücker nochmal zum demonstrativen Abschiedstreffen. "Herr Haradinaj ist nicht verurteilt", erklärte später der feinsinnige UNMIK-Chef, der früher einmal Bürgermeister von Sindelfingen war: "Und er ist Parteivorsitzender einer Regierungspartei. Das, finde ich, gehört zum normalen Geschäft."
Ein normales Geschäft, das seit Jahren darin besteht, einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher tatkräftig bei seiner Polit-Karriere zu helfen. Schon als Ramush mit einer Gruppe Bewaffneter im Juli 2000 das Anwesen eines konkurrierenden Drogenhändlerclans überfiel und dabei Verletzungen erlitt, wurde er vom US-Militär in deren deutsche Basis Ramstein ausgeflogen. Der UNMIK-Nachrichtendienst erhielt die Anweisung, "keine restiktiven Maßnahmen gegen Ramush Haradinaj zu ergreifen" und urteilte später in einem geheimen Memorandum: "Weil die internationale Gemeinschaft vor ihren (Haradinajs Clan) Aktivitäten die Augen verschließt, werden sie von der Bevölkerung als unantastbar betrachtet."
Zum Regierungschef durchgedrückt
Als Haradinajs neu gegründete Partei AAK, "Zukunftsallianzs Kosovos", bei den Wahlen 2004 acht Prozent der Stimmen erhielt, drückte Rückers Vorgänger, der damalige UNMIK-Chef Sören Jessen-Petersen, ihn als Premierminister durch - und bedauerte seinen Rücktritt nach der Anklageerhebung im März 2005. Aber sorgte wenig später dafür, dass Haradinaj bis zum Beginn des eigentlichen Prozesses frei kam und in Pristina sein politisches und geschäftliches Machtsystem weiter ausbauen konnte. Von dem Ermittler berichten, dass es praktisch die Kontrolle über Drogen- und andere Schmuggelgeschäfte im West-Kosovo umfasse.
Es ist ein faustischer Pakt, überaus praktisch für beide Seiten. Denn für die alle ein, zwei Jahre wechselnden UNMIK-Chefs zählte vor allem, ihre Amtszeit erfolgreich hinter sich zu bringen. Keiner wollte so enden wie jener traurige Finne, in dessen Mandatsperiode die Märzunruhen 2004 fielen, als ein albanischer Mob zwei Dutzend serbischer Kirchen und Klöster im Kosovo niederbrannte. Langfristige Probleme ignorieren und Erfolgsmeldungen zur Zentrale nach New York schicken, war für die eigene Karriere stets das klügste. Dazu passt ein erpressbarer Politiker wie Ramush Haradinaj perfekt, der alle Wünsche der UN erfüllte und die Lage ruhig hielt - wie, war weitgehend egal. Nur Joachim Rückers Vize, der amerikanische Ex-General Steven Schook, ging kürzlich etwas zu weit.
"Ich bin schuldig, meinen Job zu lieben"
Am 17. Dezember 2007 wurde er geschasst. Schon im September waren Ermittlungen gegen ihn aufgenommen worden. Auf einer denkwürdigen Pressekonferenz - "Ich bin schuldig, meinen Job zu lieben" - erzählte Schook zwar freimütig von den Gründen seiner Demissionierung (zuviel Lobbyarbeit für US-Firmen, zu viele junge Frauen, die ihm Ramushs Männer bei heiteren Gelagen zugeführt hatten), vergaß aber irgendwie den Hauptgrund: Bei einem abendlichen Treffen mit dem Jugend- und Kulturminister Astrit Haraqia aus Ramushs Koalition hatte Schook Namen und Aufenthaltsort des im Rahmen des Ramush-Zeugenschutzprogrammes nach Norwegen evakuierten Belastungszeugen Rama Bayu weitergereicht.
Nachdem Bayu selbst im vermeintlich sicheren Oslo bedroht worden war, hatte er sich angstvoll an seine Betreuer vom Zeugenschutzprogramm gewandt. Die verständigten ihrerseits das UN-Hauptquartier in New York, das unverzüglich ein Ermittlerteam nach Pristina schickte, dort pikanterweise auch die Festplatte von UNMIK-Chef Rücker beschlagnahmte und Schooks Wirken ein rasches Ende bereiteten. Sehr zum Bedauern der örtlichen Mafiosi, die sich mit Schook darin einig sein konnten, dass Zeugenschutzprogramme doch geradezu unverhältnismäßig kostspielig seien.
Nun grüßt Ramush von Dutzenden Plakaten die Feiernden in Pristina - aber keiner will sie bezahlt haben, weder seine Partei, noch sein "Verteidigungsfond", gegen den wegen Geldwäsche kurzzeitig ermittelt und der Direktor der örtlichen Kassa-Bank verhaftet wurde, bis das Verfahren im Sande verlief.
Ramush Haradinaj ist der prominenteste, aber nicht der einzige Fall. Die internationalen Polizeichefs wie der hocherfahrene Stu Kellock aus Toronto haben die Erfahrung gemacht, dass die Gesetze im Kosovo nicht für alle gelten. Immer wieder blockten die UNMIK-Oberen, sobald ehemalige UCK-Kommandeure und Clanführer ins Fadenkreuz der Ermittlungen gerieten. "Die Ermittlungen wurden von oben gestoppt, von KFOR und UNMIK", erinnert sich auch Christer Karphammer, Schwede und erster internationaler Richter in Pristina: "Einige der früheren UCK-Führer genossen regelrechte Immunität."
Lushtaqi entging zweimal einer Festnahme
So entging auch der frühere UCK-Obere Sami Lushtaqi mindestens zweimal einer Festnahme. Er war verdächtig, einer der Hintermänner eines Bombenanschlags auf einen Bus serbischer Friedhofsbesucher im Februar 2001 zu sein. Während und kurz nach dem Krieg soll er in privaten Folterlagern der UCK albanische wie serbische Zivilisten getötet haben. Der US-Diplomat und damalige UNMIK-Vize Jock Covey verhinderte laut einem Bericht der Sunday Times persönlich Lushtaquis Verhaftung. Die, so Covey, würde das Kosovo destabilisieren.
Lushtaqi machte ungestört weiter Karriere und ließ sich in seinem Heimatort Skenderaj im Dezember 2007 zum Bürgermeister wählen. Ende Januar 2008 kam er als einer der ersten neu gewählten Bürgermeister in die Gunst eines Besuchs von UN-Missionschef Joachim Rücker persönlich. Rücker war des Lobes voll für Lushtaqi, der sich richtlinientreu an die UNMIK-Vorgaben halte und nun sogar albanisch-serbische Gemeinde-Kommittees einrichten wolle: "Skenderaj kann der Welt zeigen, dass der Kosovo nicht nur eine demokratische, sondern auch eine multi-ethnische Zukunft hat."
Tatsächlich hat Skenderaj vor allem eine Gegenwart der Furcht. Niemand traut sich, gegen Sami Lushtaqi und seine Männer das Wort zu erheben, nicht einmal in Pristina. Als Lushtaqi vor Monaten durch eine KFOR-Straßensperre preschte und ein Verfahren gegen ihn eröffnet wurde, "wagte keiner der einheimischen Richter, die Akte auch nur anzufassen", erinnert sich einer ihrer internationalen Kollegen: "Wir haben Familie, sagten sie, wir wollen nicht sterben."
Dunkle Geschäfte laufen längst dezent
Dabei ist es nicht so, dass im Kosovo Männer mit Sonnenbrillen und tiefergelegten BMWs die Straßen kontrollieren und illegale Prostituierte zu hunderten von hier nach Mitteleuropa geschleust werden. Die Geschäfte laufen längst dezenter. Kosovo-albanische Clans kontrollieren das Rotlichtgewerbe in vielen Städten Europas. Und wo ließe sich das dort schwarz verdiente Geld besser waschen als im Kosovo? Etwa mit vorgetäuschter Geschäftstätigkeit an den Tankstellen, von denen knapp 1000 über den kleinen Landstrich verteilt stehen, oft kundenleer, ebenso oft um ein mehrstöckiges Motel ergänzt, das meist weder Fenster noch Kundschaft hat. Desweiteren existieren 30 Privatuniversitäten im Kosovo, die für viel Geld bunte Zertifikate bieten und große Studentenzahlen melden - selbst, wenn sie nur einmal die Woche Unterricht anbieten.
Keiner ihrer Abschlüsse ist in der EU anerkannt, aber darum geht es ja auch gar nicht. Sondern darum, die Herkunft schwarz verdienter Gelder zu verschleiern. Die Lizenzen zum Betrieb einer Privatuniversität vergab der letzte Erziehungsminister ohne jede Prüfung aber gegen eine Aufwandsentschädigung von 50.000 Euro. Innerhalb der UNMIK ist dies nicht unbekannt, und eigentlich sollte auch gegen den Ex-Minister deswegen bereits Anklage erhoben worden sein. Ein hochrangiger albanischer Jurist hebt nur die Hände und rollt stumm mit den Augen. Der Ex-Minister habe einflussreiche Freunde. Als die UNMIK vor Wochen daran ging, alle Privatunis zu zertifizieren, Lehrtätigkeit und Qualifikationen ihres Personals zu untersuchen, antworteten zehn der 30 nicht einmal aufs Anschreiben.
Kriminalität? Welche Kriminalität
"SRSG" Joachim Rücker versteht die ganze Kritik nicht: "Wenn jemand Beweise hat, dass es hier organisierte Kriminalität gibt, dann bitten wir herzlich dann, dass dies mit Polizei und Staatsanwaltschaft geteilt wird." Ein Hinweis, bei dem Hasan Preteni nur einmal kurz auflacht, fröhlich klingt er dabei nicht. Der stämmige Ex-Offizier und Jurist ist seit 2006 Chef der ersten Anti-Korruptionsbehörde im Kosovo. Nun sei es mitnichten so, dass Korruption kultureller Bestandteil des Kosovo sei, "die Menschen sind wütend! Wir bekommen viele und detaillierte Hinweise!" Etwa über zwei Ärzte im Staatlichen Krankenhaus, die gespendete Geräte für 200.000 Euro privat verhökerten. Oder den Beamten, der für eine Unterschrift 50 Euro haben wollte. "Aber wissen Sie, wer als erster aus dem Gefängnis wieder draußen war? Die Ärzte. Sie haben einfach die Gefängnis-Wärter bestochen." Je größer der Fall, je mächtiger der Bestochene, desto weniger geschehe: "Wir arbeiten an 120 Fällen, haben viele bereits an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Die müssten nun weiterermitteln, denn wir sind nicht die Polizei, nicht das Gericht. Aber was geschieht? Fast nichts. Und die Menschen trauen sich nicht, irgendetwas gegen die Paten zu unternehmen, sagen, es habe doch sowieso keinen Zweck, wenn die auch noch von der UN beschützt werden!"
Nach den Wahlen vergangenen Dezember hat die neue Regierung unter Ex-UCK-Chef Hashim Thaci versprochen, die Stellenzahl in Petrenis Minibehörde zu verdoppeln und hat auch sonst der Korruption den Kampf angesagt. Hasan Petreni bleibt skeptisch. Tha
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