junge Welt (Berlin)
31.07.2008 / Schwerpunkt / Seite 3
Kriegsgegner in Den Haag
Das Jugoslawien-Tribunal hat nichts mit Verbrechensaufarbeitung und Gerechtigkeit zu tun. Die NATO läßt dort ihren eigenen Krieg als »gerecht« absegnen
Klaus Hartmann
Mit der Überstellung von Radovan Karadzic an das Den Haager Sondertribunal hat die neue serbische Regierung einen Beweis ihrer Unterwürfigkeit gegenüber den USA, der EU und der NATO geliefert. Deren permanente Auslieferungsforderungen an Belgrad haben nichts mit dem heuchlerisch zur Schau gestellten Wunsch nach Verbrechensaufarbeitung und Gerechtigkeit zu tun. Sie sollen die Propaganda von der »serbischen Hauptschuld« im jugoslawischen Bürgerkrieg untermauern, mit der die westlichen Mächte ihren Zerstörungskrieg gegen Jugoslawien getarnt und gerechtfertigt haben.
Der westlichen Bevölkerung soll erneut eingetrichtert werden, diesen Krieg als einen Kampf von Gut gegen Böse aufzufassen. Wobei die Serben das Böse verkörpern, deren Ziel »Großserbien« gewesen sei, und deren Weg dorthin über »ethnische Säuberungen«, Massenvergewaltigungen, Folter, Konzentrationslager, Massaker und Völkermord führte. Dieses angebliche »Großserbien« ist bereits eine irreführende Propagandaformel, da es den Serben immer um die Erhaltung eines multinationalen und multikulturellen Jugoslawiens gegangen ist, in dem auch die Serben verschiedener Republiken in einem Staat zusammenleben können. Genau die Zerstörung dieses gemeinsamen Staates war das Kriegsziel der Westmächte, und daher waren die Serben als ihre entschiedenen Gegner »schuldig«.
Die Einrichtung des Den Haager Sondertribunals für Jugoslawien diente und dient genau diesem Propagandazweck der NATO, ihre Kriegsgegner zu kriminalisieren, und den eigenen Krieg als »gerecht« heiligsprechen zu lassen. Dabei soll vergessen gemacht werden, daß das Sondertribunal kein UN-Gericht, sondern illegal ist, da es unter Bruch der UN-Charta vom hierfür nicht zuständigen Sicherheitsrat ins Leben gerufen wurde, und weil sein Budget nicht ausschließlich aus UN-Mitteln, sondern überwiegend von westlichen Medienkonzernen finanziert wird.
Der seit dem Bosnien-Krieg hierzulande nur als »Serbenführer« apostrophierte Radovan Karadzic ist das Opfer der Dämonisierung der serbischen Rolle im gewaltsamen Auseinanderbrechen Jugoslawiens. In dieser Propaganda kommen serbische Opfer ebenso wenig vor wie jene Zehntausende bosnische Muslime, die während des Bürgerkrieges Zuflucht »ausgerechnet« in der Republik Serbien suchten und fanden.
Deshalb werden auch die Opfer von Srebrenica, »bis zu 8000«, ausschließlich als wehrlose bosnisch-muslimische Männer und Jungen bezeichnet, aber die darunter befindlichen über 1000 serbischen Opfer nicht wahrgenommen. Ignoriert wird ebenso, daß von den »bis zu 8000« Toten einige tausend später an anderen Orten wieder ihr Wahlrecht ausübten, was Ende 1995 zu einer Wahlbeteiligung von sage und schreibe 103 Prozent der bosnischen Muslime führte.
Die »Unvoreingenommenheit« des Haager Sondertribunals wurde mit der Weigerung deutlich, Ermittlungen gegen die NATO wegen ihres völkerrechtswidrigen Überfalls auf Jugoslawien 1999 einzuleiten, geschweige denn Anklage zu erheben. Was niemand verwundert, der aus dem Munde des damaligen NATO-Sprechers Jamie Shea hörte, die NATO sei »die Freundin des Gerichts«.
Auch aus seiner Feindbildfixiertheit auf die Serben machte dieses saubere Gericht nie einen Hehl. Nachdem es Anklagen gegen die Separatisten-Chefs Alija Izetbegovic und Hashim Thaci nie in Erwägung zog, wurden nach Jahren zumindest Kriminelle aus der zweiten Reihe angeklagt: Naser Oric, Kommandant und Schlächter von Srebrenica, hat nachgewiesenerweise 1300 getötete Serben und 192 niedergebrannte Dörfer auf seinem Schuldkonto. Obwohl er ausländischen Reportern stolz seine »Kriegstrophäen« zeigte, Videos mit abgeschnittenen Köpfen, verbrannte und erschossene Serben, abgebrannte Häuser und Leichenberge, sprach ihn das Haager »Gericht« vor vier Wochen frei.
Die Haager Anklagebehörde versuchte, den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic mangels anderer substantieller Vorwürfe für Verbrechen in Bosnien verantwortlich zu machen: Die Führung der bosnischen Serben hätte unter seiner Kontrolle gestanden. Milosevic, dessen Anliegen nicht seine persönliche Verteidigung war, sondern die Verteidigung des serbischen Volkes gegen die NATO-Lügen, verwandte nicht viel Zeit auf die leichte Widerlegung dieser These, der sogar Zeugen der »Anklage« widersprachen. Er trat der Dämonisierung der bosnischen Serben und Karadzics entgegen, ungeachtet der erheblichen politischen Differenzen, die er bekanntlich mit diesem erklärten Antikommunisten gehabt hatte.
Mit der Auslieferung Karadzics an die NATO-gesteuerte Haager Kolonialbehörde hat die Belgrader Regierung ihre Bereitschaft erklärt, unter Preisgabe der nationalen Würde und Souveränität den NATO-Feinden Gehorsam zu leisten. Die Zustimmung des neuen serbischen Innenministers Ivica Dacic, Vorsitzender der Sozialistischen Partei Serbiens, zum Auslieferungsbeschluß besiegelt den Verrat am Völkerrecht, den Interessen der jugoslawischen Völker und am Vermächtnis von Slobodan Milosevic.
Der Autor ist Vorsitzender des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic und Sprecher der deutschen Sektion
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junge Welt (Berlin)
31.07.2008 / Schwerpunkt / Seite 3
Hintergrund. Hauptanklagepunkte gegen Karadzic
Der erste Präsident der bosnischen Republika Srpska, Radovan Karadzic, wird vor dem UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Das Ad-hoc-Gericht wirft ihm vor, während des Bürgerkrieges in Bosnien-Herzegowina zwischen 1992 und 1995 zusammen mit dem bosnisch-serbischen Armeechef Ratko Mladic einen Plan zur »ethnischen Säuberung« bestimmter Gebiete der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik erarbeitet zu haben. Zur Verwirklichung ihres Ziels eines »Großserbiens« hätten sie einen Aktionsplan in Gang gesetzt, der mit »Verfolgungen und Terrortaktiken« verbunden gewesen sei.
Die bisherige Anklagepraxis in Den Haag trägt den antiserbischen Ressentiments im Westen während der Bürgerkriege auf dem Balkan Rechnung. Von serbischer Seite sind bisher drei frühere Staatsoberhäupter in Haager Zellen gelandet – die bosnisch-serbische Präsidentin Biljana Plavsic, der serbische Präsident Milan Milutinovic und der im März 2006 verstorbene jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic. Das Sondertribunal hat weder kroatische noch bosnisch-muslimische Spitzenpolitiker, etwa die Präsidenten Franjo Tudjman und Alija Izetbegovic, jemals angeklagt.
Die Deutsche Sektion des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM) verurteilte am Mittwoch die Auslieferung Karadzics an das Sondertribunal und erklärte sich solidarisch mit allen seinen politischen Gefangenen. »Sie sind Opfer des Krieges gegen Jugoslawien und der Dämonisierung des serbischen Volkes, mit deren Hilfe die wahren Schuldigen an der jugoslawischen Tragödie unerkannt bleiben sollen«, hieß es in der Stellungnahme. Das ICDSM fordert die »unverzügliche Auflösung des völkerrechtswidrigen Tribunals« und die »Freilassung aller seiner politischen und Kriegsgefangenen«.
(jW)