-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Dr. Peter Strutynski <strutype@...-kassel.de>
Datum: Donnerstag, 23. November 2000 11:42
Betreff: Friedensratschlag: Interview mit Heinz Loquai


>Kassel, den 24. November 2000
>
>Pressemitteilung
>Brigadegeneral a.D. Heinz Loquai bei Kongress der Friedensbewegung
>Sperrfrist: 24. November
>
>Dr. Heinz Loquai wird auf dem bundesweiten und internationalen
>"Friedenspolitischen Ratschlag", der am 2./3. Dezember 2000 in Kassel
>stattfindet, über das Thema "Kriege vermeiden - Friedenschancen
>nutzen -
>Friedensbedingungen Verbessern" sprechen.
>Heinz Loquai war bis Juni 2000 Mitglied der Deutschen OSZE-Delegation
>in
>Wien. In dieser Eigenschaft hatte er an den Verhandlungen über
>Rüstungskontrolle im Rahmen des Dayton-Abkommens teilgenommen und war
>unmittelbar mit dem Kosovo-Konflikt befasst. In seiner Studie ("Der
>Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg", erschienen im
>NOMOS-Verlag) hat er die Zeit von Ende November 1997 bis März 1999
>genau
>untersucht und dabei die Vorgeschichte des NATO-Angriffs auf
>Jugoslawien
>analysiert. Der Bundesregierung wirft er vor, den Krieg gegen
>Jugoslawien mit groben Manipulationen vorbereitet und gegenüber der
>Öffentlichkeit gerechtfertigt zu haben.
>Mit Dr. Heinz Loquai sprachen wir im Vorfeld des Friedensratschlags.
>Das
>dabei entstandene Interview stellen wir Ihnen gern zur
>Veröffentlichung
>zur Verfügung.
>
>Frage: In Ihrer Studie zeigen Sie auf, dass der Jugoslawien-Krieg die
>Folge einer Eskalation war, bei der die NATO und insbesondere die USA
>bewusst auf eine militärische Konfliktlösung zugesteuert sind. Eine
>alternative, zivile Konfliktlösung wäre durchaus möglich gewesen.
>
>Heinz Loquai: Der Kosovo-Konflikt hat sich lange Zeit im Schatten der
>anderen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien entwickelt. Trotz
>unterschiedlicher Appelle hat er nur gelegentlich die internationale
>Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Geäußert hat sich der Konflikt durch
>eine seit 1989 ausgeübte Repressionspolitik der Bundesrepublik
>Jugoslawien und Serbiens gegen die Kosovo-Albaner und deren Versuch,
>diese Unterdrückung durch eine zunächst gewaltlose Strategie zu
>unterlaufen und faktisch immer mehr staatliche Selbständigkeit zu
>etablieren. Der politische Konflikt bestand darin, dass das Ziel der
>Albaner, die staatliche Unabhängigkeit durchzusetzen, mit dem Ziel
>der
>Bundesrepublik Jugoslawien, das Kosovo als serbische Provinz im
>jugoslawischen Staatsgebiet zu halten, unvereinbar war. Die
>gewaltsame
>Austragung des Konflikts, der von ethnischen, sozialen, religiösen
>und
>wirtschaftlichen Konflikten umlagert wurde, war ein Bürgerkrieg.
>Allerdings wurde er nicht von allen als Bürgerkrieg begriffen und
>beurteilt. So sah z. B. die Belgrader Führung das Problem im Kosovo
>nur
>in der Bekämpfung einer kleinen Gruppe von Terroristen und reagierte
>dementsprechend. Dabei versäumte es die serbische Staatsautorität,
>eine
>Perspektive und praktische, konkrete Ziele für eine friedliche Lösung
>des Konflikts zu entwickeln.
>
>Frage: Auf der anderen Seite die UCK, die die Unabhängigkeit durch
>einen
>bewaffneten Kampf erreichen wollte.
>
>Heinz Loquai: Bei der UCK lassen Strategie und Taktik deutlich
>erkennen,
>dass sich deren Führung konsequent an die Prinzipien eines
>Bürgerkriegs
>gehalten hat. Nachdem sich die NATO in den Konflikt eingeschaltet,
>deutlich Partei gegen die Serben ergriffen und ein militärisches
>Drohpotential, das nur gegen die Serben gerichtet war, aufgebaut
>hatte,
>eröffnete sich für die UCK zum ersten Mal eine ganz konkrete
>Perspektive
>für einen raschen Sieg im Bürgerkrieg. Die UCK hatte damit die
>stärkste
>Militärallianz der Welt als Verbündeten; als Luftwaffe der UCK gewann
>schließlich die NATO den Bürgerkrieg für die UCK.
>
>Frage: Welche weitergehenden Optionen hat die NATO dabei verfolgt?
>
>Heinz Loquai: Für die NATO selbst wurde das Kosovo immer mehr zu
>einer
>Arena, in der die Politik der NATO exemplarisch angewandt und auch
>getestet wurde. ... Die NATO war ja dabei, eine neue Strategie
>einzuführen, Einsätze außerhalb des Artikel 5 des NATO-Vertrages
>sollten
>in Zukunft ohne UN-Mandat möglich sein. Im Krieg gegen Jugoslawien
>setzte die NATO vorab ihre Strategie um. Bezeichnend hierzu ist, dass
>der amerikanische Präsident am 24. März 1999 in seiner Rede an das
>amerikanische Volk nicht die humanitäre Katastrophe, sondern die
>Glaubwürdigkeit des NATO-Bündnisses an die erste Stelle gestellt hat.
>Um
>jeden Preis sollte verhindert werden, dass die NATO - wie vorher die
>UN
>- als Papiertiger erschien.
>
>Frage: Die NATO hat Stellung zugunsten einer Partei bezogen. Hat sie
>sich damit nicht als Vermittler bei Konflikten eindeutig
>disqualifiziert
>?
>
>Heinz Loquai: Die NATO hat in diesem Konflikt einseitig Partei
>ergriffen
>und damit eine politische Lösung verhindert. Wer jedoch in einem
>Konflikt vermitteln will, muss das Vertrauen der Konfliktparteien
>haben
>und hier ist Voraussetzung, dass der Vermittler das Verhalten der
>Parteien mit gleichen Maßstäben bewertet und eventuelle Drohungen und
>Sanktionen gegen alle Vertragsbrüche und Gewalttäter auferlegt. Dies
>war
>im Kosovo nicht der Fall, hierzu ein Beispiel: In der Resolution 1203
>des UN-Sicherheitsrats vom 24.10.1998 wird von beiden Parteien das
>Ende
>der Gewalttaten und die Befolgung früherer Resolutionen verlangt. Die
>Jugoslawen kamen dieser Aufforderung nach, dennoch erhielt die NATO
>ihre
>Kriegsdrohung gegen sie aufrecht. Die UCK hielt sich nicht daran. Die
>internationale Gemeinschaft tat kaum etwas, um sie dazu zu zwingen
>...
>
>Frage: Zur Begründung für ein militärisches Eingreifen verweist die
>Bundesregierung immer wieder auf die Ereignisse von Racak.
>
>Heinz Loquai: Das sogenannte Massaker von Racak hat den Fortgang des
>Kosovo-Konflikts erheblich beeinflusst und den Weg zum Krieg gegen
>die
>Bundesrepublik Jugoslawien geebnet. Unstrittig ist wohl - dies gibt
>auch
>die serbische Führung zu -, dass die Toten in Racak auf das Konto der
>serbischen Sicherheitskräfte gingen. Unklar ist nach wie vor der
>Ablauf
>des Geschehens. Eine entscheidende Rolle spielte dabei der
>amerikanische
>Leiter der Kosovo-Verifikationsmission, Botschafter William Walker.
>Bei
>einer objektiven Betrachtung kommt man nicht umhin sein Verhalten als
>unangemessen und außerhalb aller normalen Regeln für eine Person mit
>diplomatischem Status zu bewerten. In Racak, am Ort des Geschehens,
>schien es ihm vor allem darum zu gehen, den von ihm mitgebrachten
>Journalisten freies Schalten und Walten zu ermöglichen. Walker machte
>keine Anstalten notwendigen Maßnahmen für eine kriminaltechnische
>Untersuchung einzuleiten, so z. B. das Gebiet abzusperren und den
>unerlaubten Zugang zu verhindern. Er beschuldigte aufgrund des
>Augenscheins und der Aussagen der Dorfbewohner die jugoslawischen
>Sicherheitskräfte und machte darüber hinaus falsche Angaben zu den
>Toten. Mit seinen vorschnellen Aussagen und Urteilen prägte er das
>Urteil anderer Organisationen und Regierungen, die ihrerseits seine
>"Feststellungen" mit fahrlässiger Leichtgläubigkeit ungeprüft
>übernahmen
>und zu einer Grundlage ihrer Politik machten. Mit seiner unbewiesenen
>Version von Racak zündete Walker die Lunte zum Krieg gegen
>Jugoslawien.
>
>Frage: Eine andere Inszenierung war wohl der sogenannte Hufeisenplan,
>den der Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping präsentierte.
>
>Heinz Loquai: Scharping behauptete zweierlei. Er sagte, er habe
>Beweise
>für einen militärischen Operationsplan der serbisch-jugoslawischen
>Führung, der die Vertreibung aller Albaner aus dem Kosovo zum Ziel
>habe.
>Hierzu ist zu sagen: Das, was der Minister als Beweise bisher
>vorgelegt
>hat, ist in sich äußerst widersprüchlich und fragwürdig und daher
>auch
>nicht beweiskräftig. Die Offenlegung der Dokumente verweigert der
>Minister mit fadenscheinigen Argumenten. Außerdem behauptet
>Scharping,
>dass dieser Plan bereits seit Ende 1998 ausgeführt wurde. Hierzu ist
>festzustellen: Sogar die Analysen der Nachrichtenexperten des
>Verteidigungsministeriums widersprechen praktisch dieser Behauptung
>des
>Ministers. Nach allem, was bisher in der Öffentlichkeit bekannt
>geworden
>ist, kann man schließen, dass der Hufeisenplan ein geschickt
>inszenierter Propagandacoup war, mit dem die aufkommende Kritik am
>Krieg
>gegen Jugoslawien erstickt wurde.
>
>Frage: Nach der Sprachregelung der Regierung wurde mit den
>Verhandlungen
>von Rambouillet ein letzter Versuch unternommen zu einer friedlichen
>Lösung zu gelangen.
>
>Heinz Loquai: Mit dem Beginn der Verhandlungen über ein
>Interimsabkommen
>im Februar 1999 auf Schloss Rambouillet waren die Kosovo-Albaner
>endlich
>dort, wohin sie politisch schon immer strebten, der Kosovo-Konflikt
>war
>nun wirklich internationalisiert. Damit war für sie ein wichtiger
>Zwischenschritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit erreicht. Die
>Belgrader
>Führung hingegen musste eine wichtige Position aufgeben, der
>Kosovo-Konflikt war spätestens ab diesem Zeitpunkt keine innere
>Angelegenheit Serbiens mehr. Bei einer genaueren Analyse der
>Verhandlungen und vor allem bei der Betrachtung der
>Verhandlungsoptionen
>der einzelnen Parteien wird deutlich, dass die Verhandlungen im
>Prinzip
>als eine Fortsetzung des Bürgerkrieges mit anderen Mitteln und auf
>einem
>anderen Terrain verstanden werden können. Durch die Kontaktgruppe
>wurden
>bereits vor den Verhandlungen Prinzipien aufgestellt, die als nicht
>verhandelbar galten. ... Das Implementierungspapier sollte so wie es
>war, von den Parteien akzeptiert werden. Dies entsprach genau dem
>Verhandlungskonzept der Kontaktgruppe, wonach es eigentlich nur wenig
>zu
>verhandeln gab, verhandelbar war lediglich die technische
>Ausgestaltung
>der Prinzipien.
>
>Frage: Wer waren die Gewinner und wer die Verlierer dieser
>Verhandlungen?
>
>Heinz Loquai: Die großen Gewinner waren die Kosovo-Albaner,
>insbesondere
>die UCK. Sie wurde zur bestimmenden Kraft im Kosovo und auch am
>Verhandlungstisch. Durch eine ungemein geschickte
>Verhandlungsstrategie,
>durch flexible Taktiken und den Beistand und die Unterstützung vor
>allem
>der USA, war die UCK erfolgreich. Die UCK hat durch die Verhandlungen
>einen mächtigen Bündnispartner gewonnen, der durch seine
>Kriegsbeteiligung die militärischen Kräfteverhältnisse radikal zu
>ihren
>Gunsten verändert hat. Die Bundesrepublik Jugoslawien war objektiv
>gesehen der eigentliche Verlierer von Rambouillet. Letztendlich
>musste
>die serbische Führung zwischen Krieg und freiwilliger Kapitulation
>entscheiden.
>
>Frage: Sie haben unter anderem die Debatten des Deutschen Bundestages
>zum Thema Kosovo analysiert. Dabei fällt auf, dass in fast allen
>Reden
>das Wort "Krieg" vermieden wurde.
>
>Heinz Loquai: Vom Verteidigungsministerium wurde die argumentative
>Marschroute ausgegeben, dass es sich bei den Luftschlägen der NATO
>nicht
>um Kriegshandlungen handeln würde, schließlich habe es ja keine
>Kriegserklärung gegeben. Wenn man dieses Argument gelten lässt, dann
>waren Hitlers Überfälle auf Polen und auf die Sowjetunion auch keine
>Kriege. Daran zeigt sich die ganze Fragwürdigkeit dieses Arguments.
>Wenn
>jedoch allgemeine und militärwissenschaftliche Literatur herangezogen
>wird und die dortigen Definitionen betrachtet werden, so kann
>überhaupt
>nicht bestritten werden, dass die NATO als internationale
>Organisation
>und einzelne NATO-Staaten gegen die Bundesrepublik Jugoslawien einen
>Krieg geplant, begonnen und geführt haben.
>
>Frage: In ihren Äußerungen weisen Sie immer wieder auf Defizite in
>der
>Informationspolitik hin und wie im Bundestag damit umgegangen wurde.
>
>Heinz Loquai: ... Die Information der Parlamentarier war unpräzise,
>lückenhaft, ja sogar objektiv falsch. Insbesondere Scharping hat das
>Parlament über die tatsächliche Lage im Kosovo falsch informiert. Im
>Grunde genommen konnte das Parlament gar nicht wirklich beurteilen,
>ob
>sich eine humanitäre Katastrophe anbahnte, die es abzuwenden galt.
>Für
>eine sachgerechte Entscheidung über Krieg und Frieden fehlten ebenso
>zutreffende Informationen wie für die Ausübung einer
>Kontrollfunktion.
>Genauso wie der Großteil der Medien hat das Parlament
>regierungsamtliche
>Positionen völlig unkritisch übernommen. Wenn man sich darüber hinaus
>den Umgang mit Kritikern anschaut, dann muss der Regierung
>undemokratisches Verhalten attestiert werden. Demokratie zeigt sich
>im
>Umgang mit Andersdenkenden, mit den Kritikern, mit der Opposition.
>Und
>hier haben Regierungsvertreter versagt.
>
>Frage: Sie selbst sind schließlich durch Ihre Kritik zu einem "Opfer"
>geworden. Ihre Karriere bei der OSZE wurde durch das
>Bundesverteidigungsministerium beendet.
>
>Heinz Loquai: Als "Opfer" möchte ich mich nicht bezeichnen lassen.
>Man
>hat gegen mich einen kleinkarierten Racheakt verübt. Doch zu den
>Fakten.
>Scharping hatte ja diejenigen, die seine Version des Hufeisenplans
>anzweifelten, als naiv, ahnungslos, dumm und böswillig bezeichnet.
>Auch
>ich fühlte mich von diesen Anwürfen betroffen. Deshalb legte ich in
>einem Fernseh-Interview dar, was mir in einem offiziellen Gespräch
>die
>Experten des Ministers über den angeblichen Hufeisenplan gesagt
>hatten.
>Dies stand in krassem Gegensatz zu dem, was Scharping vor der
>Öffentlichkeit und im Parlament behauptet hatte. Die Reaktion hierauf
>war bezeichnend. In Berlin, Bonn und Wien wurde eine üble Posse gegen
>mich inszeniert, und ich musste meine Tätigkeit bei der OSZE auf
>Betreiben des Verteidigungsministeriums aufgeben, obwohl das
>Auswärtige
>Amt und die OSZE mich dort behalten wollten. Es war schon ein
>absurdes
>Theater: Weil ich die Wahrheit gesagt hatte, wurde ich abgestraft.
>__________________________________________________________
>Das vollständige Interview erscheint in der Ausgabe 3/2000
>(November/Dezember) der "Friedenspolitischen Korrespondenz", die vom
>Bundesausschuss Friedensratschlag herausgegeben wird. Es ist auch im
>Internet zu haben: www.friedensratschlag.de (unter der Rubrik "Themen" -
>"NATO-Krieg").
>
>Bei Rückfragen zum "Friedensratschlag" am 2./3. Dezember 2000:
>Peter Strutynski Tel. 0561/804-2314, FAX 0561/804-3738;
>e-mail: strutype@...-kassel.de