Junge Welt - http://www.jungewelt.de

---

30.10.2000
Kosovo wird für NATO gefährlich

Eine amerikanische Sicht auf das Protektorat nach der Wahl

»Der Fall Slobodan Milosevics ist ein Desaster - zumindest für die
Hoffnungen Kosovos auf Unabhängigkeit.« Mit diesen Worten begann ein
bemerkenswerter Artikel in der Sonntagausgabe der New York Times (NYT),
die der demokratischen Clinton-Regierung nahesteht. Die Wahl Vojislav
Kostunicas, eines »anscheinend vernünftigen, gesetzestreuen Serben«, zum
Präsidenten in Belgrad habe den Traum der Unabhängigkeit der
Kosovo-Albaner zerstört und »folglich die Lage im Kosovo viel
explosiver« gemacht, was einen »weiteren Test für die Soldaten und die
Diplomatie des Westens« bedeute.

Nach dem NATO-Krieg sei das Kosovo zu einem »Protektorat des Westens«
geworden, in dem von der NATO geführte Truppen »ohne sich groß Gedanken
zu machen zugeschaut haben, wie die Hälfte der serbischen Bevölkerung
der Provinz und fast alle Zigeuner vertrieben wurden oder geflüchtet
sind«. Unter Anspielung auf die Hunderte von ethnisch motivierten Morden
an unschuldigen Serben heißt es in der NYT, daß in den Augen des Westens
die albanische »Rache im Rahmen des Strebens nach Freiheit kein Unrecht«
gewesen sei.

Zwar habe es auf seiten des Westens viele Ermahnungen an die Adresse
jene Albaner gegeben, »die organisiert die Vertreibung der
nichtalbanischen Minorität« betrieben. Die NATO-Soldaten »wollten sich
nicht gegen die albanische Mehrheit stellen« und hätten »nur wenige
Verhaftungen« vorgenommen. Grund? Sie wollten »keine eigenen Opfer
riskieren«, also nicht zur Zielscheibe der UCK werden.

UNMIK-Chef Bernard Kouchner habe in der Vergangenheit gerne erklärt, er
sehe »seine Aufgabe darin, Kosovo für die Unabhängigkeit vorzubereiten«.
In der Resolution des UNO-Sicherheitsrates 1244 hätten sich aber alle
Nationen zur »Wahrung der Souveränität und der territorialen Integrität
Jugoslawiens verpflichtet ... wozu auch Kosovo gehört«. Und deshalb, so
kann man nun in der New York Times lesen, habe »Herr Kouchner seine
Kompetenzen weit überschritten«. Dem Kosovo sei lediglich »substantielle
Autonomie und Selbstverwaltung« versprochen worden, nach einer Periode
internationaler Überwachung.

Trotz Boykotts der Kosovo-Serben sieht die NYT in den Kommunalwahlen am
vergangenen Samstag im Kosovo einen »wichtigen ersten Schritt« zum
Aufbau der Institutionen der Selbstverwaltung. Aber 1244 besage auch,
daß diese Institutionen, ebenso wie der Status der serbischen Provinz,
erst in »einer endgültigen Regelung festgelegt« würden, und die Regelung
müsse unter internationalen Auspizien zwischen den »provisorischen,
demokratischen Institutionen der Selbstverwaltung« im Kosovo und Belgrad
ausgehandelt werden. Um diese Verhandlungen kämen die Albaner nicht
herum, und Kostunica dürfte sich dabei als »wahrer Alptraum« für die
nach Unabhängigkeit strebenden Kosovo-Albaner erweisen.

»Zehn Jahre lang erlaubten wir (auf dem Balkan) allen, sich schlecht zu
benehmen, denn sie konnten immer auf Milosevic verweisen, der sich noch
schlechter benahm. Aber die Wahl Kostunicas stellt einen Schlag gegen
Extremisten aller Art in der Region dar, sowohl für Albaner als auch
Serben«, zitiert die NYT einen hohen US-Diplomaten und folgert: »Das
bedeutet, daß jetzt Schluß ist mit dem heimlichen Abgleiten des Kosovo
in die Unabhängigkeit, was ebenso für Montenegro, die Schwesterrepublik
Serbiens, gilt, dessen Präsident Milo Djukanovic zur Erringung der
Unabhängigkeit darauf gebaut hatte, daß Milosevic an der Macht bleiben
würde.«

Die nächste Krise im Kosovo erwartet die Zeitung, wenn die ersten
serbischen Flüchtlinge zurückkehren. Präsident Kostunica hat bereits
wiederholt auf eine sichere Rückkehr gedrängt. Der amerikanische
Gesandte James C. O'Brien hat laut NYT Kostunica »die Unterstützung
Washingtons zur Erreichung dieses Ziels zugesichert«.

Dann wird es jedoch nicht lange dauern, bis die albanischen Extremisten
sich von den USA und der NATO bei ihrem Streben nach Unabhängigkeit
verraten fühlen. Das sieht auch die NYT so. »Deshalb dürfte die Lage im
Kosovo eher explosiver als entspannter werden. Der Grund? Die
Unabhängigkeit wird nicht zum Traum, der erst später verwirklicht wird,
sondern sie wird schlichtweg verweigert. In dem Maße, wie der
Widerspruch zwischen den westlichen verbalen Ermutigungen für eine
kosovo-albanische Selbstverwaltung und Verweigerung der Unabhängigkeit
deutlich wird, wird das Potential der Gewalt gegen NATO- Truppen
zunehmen«, meint die New Yorker Zeitung.

Rainer Rupp

---

Neues amerikanische Doppelspiel im Kosovo.

Um-Interpretation der UNO-Resolution soll Unabhängigkeit des Kosovo
ermöglichen.
(von Rainer Rupp)

Getrieben von dem Bedürfnis, die Gefahren für die eigenen Truppen im
zunehmend gefährlichen Kosovo möglichst gering zu halten, produzieren
die Strategen der US-Außenpolitik derzeit allerlei Pläne. Von den
Überlegungen aus dem Kosovo eine dritte Teilrepublik Jugoslawiens zu
machen, die sich dann völkerrechtlich korrekt von Serbien trennen und
seine Unabhängigkeit erreichen könnte, hat j.W. bereits berichtet. Der
Plan hat allerdings den Makel, dass Jugoslawien dabei mitspielen müsste,
wozu jedoch auch die neuen Kräfte in Belgrad nicht bereit zu sein
scheinen.



Wenn jedoch Washington die Resolution 1244 des UNO-Sicherheitsrates
durchsetzen will, dann riskiert es, dass US-Truppen im Kosovo zur
Zielscheibe albanischer Terroristen werden, wodurch die gesamte
Balkanpolitik der Clinton- Regierung in Amerika diskreditiert würde.
Denn die Resolution 1244 betont die ungebrochene Souveränität
Jugoslawiens über das Kosovo, die die albanischen Separatisten
überwinden wollen.



Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen, hat sich nun Washington an
einen alten Trick erinnert. Wenn Dir etwas nicht gefällt, interpretiere
es einfach um. Wenn Dein Anwalt sagt, das geht nicht, dann suche Dir
einen anderen Anwalt. Bis es geht. Mit Hilfe einer einseitigen
Um-Interpretation der UNO-Resolution 1244 würden in der Tat viele
Probleme Washingtons gelöst werden, denn trotz aller Proteste könnte
dann das Kosovo "völkerrechtlich korrekt" seine staatliche
Unabhängigkeit erhalten, die UCK-Verbündeten befriedigt und die Gefahr
von US-Truppen abgewendet werden.



Mit einseitigen Interpretationen von UNO-Beschlüssen haben die
Vereinigten Staaten schließlich große Erfahrung. Die Rechtfertigung des
anhaltende Bombenkriegs gegen den Irak begründet Washington mit Hilfe
einer sehr eigenwilligen und einseitigen Auslegung einer UNO-Klausel in
Hinsicht auf den Irak. Die Tatsache, dass das alle anderen Länder - mit
Ausnahme von Großbritannien, das mitbombt - anders sehen, hindert die
USA nicht daran, den Kleinkrieg gegen Bagdad fortzusetzen.



Und tatsächlich scheint das US-Außenministerium seit einiger Zeit recht
intensiv an einer solchen Um-Interpretation der UNO-Resolution 1244
gearbeitet zu haben. Das berichtete am Montag (30.10.00) die liberalen
britischen Tageszeitung "The Independent", wobei sie sich auf die jüngst
getroffenen Aussagen eines hohen Beamten des US-Außenministeriums in
Pristina berief. Diese Richtung sei eingeschlagen worden, nachdem der
amerikanische Botschafter zur UNO, Richard Holbrooke, letzte Woche das
Kosovo besucht hatte, wo er mit seinen alten Freunden aus der UCK zu
Geheimgesprächen zusammen getroffen war.



Die neue Position des US-Außenministeriums scheint jetzt zu sein, dass
die UNO-Resolution 1244 zwar ausdrücklich die territoriale Integrität
Jugoslawiens garantiert, dass aber das nicht bedeutet, dass das Kosovo
nicht unabhängig werden kann. "De facto ist die Unabhängigkeit bereits
Realität", zitierte <The Independent> den hohen US-Diplomaten.
("Albanians rejoice in their march to freedom", By Kim Sengupta in
Pristina, The Independent, 30 October 2000) Ein anwesender UNO-Beamter
habe sich dagegen voller Unverständnis über diese neue Interpretation
von Resolution 1244 geäußert: "Ein hohes Maß an Autonomie? Ja.
Verhandlungen für eine begrenzte Form der Selbstverwaltung? Ja. Aber
ich sehe nirgendwo, dass 1244 dem Kosovo die Unabhängigkeit ermöglicht."
(Quelle, The Independent, ebenda)



Sollte Washington trotzdem die Um-Interpretation von 1244 weiter
verfolgen, dann bricht es nicht nur mit Jugoslawien, bevor sich die
Beziehungen zu den neuen Kräften in Belgrad wieder richtig entwickeln
konnten, sondern auch mit der Europäischen Union. Der EU-Kommissar für
auswärtige Angelegenheiten, der Brite Chris Patten hatte kürzlich in
Belgrad kategorisch die Unabhängigkeit des Kosovo ausgeschlossen.
("L'UE rejette la possibilité d'une indépendance du Kosovo", BELGRADE,
24 Oct 00, AFP). Wörtlich sagte er: "Die Position der EU zum Kosovo
basiert auf der Resolution 1244 des Sicherheitsrates der UNO, die eine
<substantielle Autonomie> dieser Provinz innerhalb der Bundesrepublik
Jugoslawien vorsieht. Wir werden uns keinen Zentimeter von dieser
Resolution weg bewegen. Das ist unsere Politik heute und das wird
unsere Politik in der Zukunft sein." (Quelle, AFP, ebenda)



"The Guardian", eine andere große britische Tageszeitung schrieb
ebenfalls am Montag, daß die USA bereit seien, sich in der Frage der
Unabhängigkeit des Kosovo "mit ihren NATO-Partnern zu überwerfen
Allerdings - so <The Guardian> dürften sich die USA in nächster Zukunft
zurückhalten, ihre politische Kehrtwende offiziell bekannt zu machen,
allein schon deshalb, weil den neuen Kräften um Vojislav Kostunica bei
den bevorstehenden Parlamentswahlen nicht geschadet werden soll.



Die Widersprüche in der amerikanischen Politik dürfte jedoch auch
Belgrad nicht übersehen, hatte doch der amerikanische Gesandte James C.
O'Brien bei seinem ersten Treffen mit Kostunica dem neuen jugoslawischen
Präsidenten die volle Unterstützung der USA zugesichert, ihn bei dessen
erklärtem Ziel zu helfen, die serbischen Flüchtlinge sobald wie möglich
zurück ins Kosovo zu bringen. Dies lässt sich jedoch mit Holbrooks
Um-Interpretation von 1244 nicht vereinbaren. Denn in einem
unabhängigen Kosovo, in dem der albanische Rassismus vollkommen zügellos
wüten könnte, hätten die Serben überhaupt keine Zukunftschancen. Aber
wie schon so oft in der Vergangenheit, so scheint Washington auch
diesmal ein Doppelspiel zu betreiben und auf verschiedenen Schultern zu
tragen.

Saarburg den 31.10. 00

---

Nach Wahlniederlage bangt UCK um ihre Pfründe.

Albanische Terroristen wenden sich gegen Rugova.
(von Rainer Rupp)


Trotz ihrer demokratischen Fragwürdigkeit machten die Wahlen im Kosovo
deutlich, dass die verschiedenen Gruppierungen und Parteien der zu
Politikern mutierten UCK-Terroristen und Drogengangster kaum Rückhalt in
der albanischen Bevölkerung des Kosovo haben. Trotz vielfacher
Einschüchterungsversuche der Bevölkerung durch die ehem.
UCK-Kommandeure, ist dem glühenden albanischen Nationalisten und
überzeugten Separatisten Ibrahim Rugova ein überzeugendes Comeback
gelungen. Er hat stets versucht sein Ziel auf friedlichem Weg zu
verwirklichen und ist deshalb von der UCK zum "Verräter" abgestempelt
worden.



Nach Angaben der OSZE-Mission für das ganze Kosovo hatte nach Auszählung
von 90 Prozent der Stimmen die LDK Rugovas 58% und die Nachfolgeparteien
der UCK etwa 27% der Stimmen bekommen. ("OSZE bestätigt absolute
Mehrheit für Rugova-Partei", Pristina (dpa) Meldung vom 30.10.2000
21:47). Nur in den Kommunen im Mittelkosovo, die seit eh als Hochburgen
der Terroristenbewegung gelten, hat es scheinbar die Partei des
politischen Chefs der UCK und des in Serbien wegen achtfachen Mordes
gesuchten Hashim Thaci geschafft, die Führung zu übernehmen.



Damit hat Ibrahim Rugova den ins politische Geschäft gewechselten
Kommandeuren der UCK eine schmerzhafte Niederlage beigebracht. Weil zu
erwarten ist, dass die im terroristischen Kampf erprobten
UCK-"Politiker" ihre Pfründe und Machtpositionen, die sie sich
unmittelbar nach dem Krieg in den meisten Kommunen des Kosovo erobert
hatten¸ nach der verlorenen Wahl nicht ohne Widerstand abgeben werden,
um das Feld dem "Verräter" Rugova und seinen Anhängern zu überlassen,
hat sich die die NATO-geführte KFOR nach einem Bericht der britischen
Tageszeitung "The Independent" bereits auf den Ausbruch von
Gewalttätigkeiten vorbereitet.



Vor diesem Hintergrund musste die Tatsache, dass die PDK des Hashim
Thaci bereits unmittelbar nach der Wahl wegen des angeblich von Rugova
«gestohlenen Sieges» protestierte, besonders bedenklich stimmen.
("UCK-Nachfolgepartei protestiert nach Kosovo-Wahl", Pristina, dpa,
Meldung vom 30.10.2000 16:48) In vielen Gemeinden der Provinz sei die
Kommunalwahl manipuliert worden, sagte der PDK-Wahlkampfleiter Bilal
Sherifi am Montag in Pristina. "In Prizren und sechs anderen Kommunen
wurde der PDK der Sieg gestohlen".



Vor der Pressekonferenz der PDK in Pristina hatte jedoch der umstrittene
UNMIK-Chef Bernard Kouchner unterstützt von US-Diplomaten Gespräche mit
Thaci in dessen Hauptquartier geführt. Wohl um diesen zu beschwichtigen
und vor übereilten Reaktionen abzuhalten. Nach außen ist Thaci
scheinbar darauf eingegangen, denn trotz aller Klagen über den
"gestohlenen Wahlsieg", erklärte Thaci in einer totalen Wende, dass die
PDK das "endgültige Ergebnis" der Wahl akzeptieren aber dazu nochmals
eine Erklärung abgeben würde.



Offiziell hat Thaci schon oft den Anschein der Kooperation mit UNMIK und
KFOR erweckt, während er insgeheim die Tagesordnung der UCK verfolgte.
So hatten er sich z.B. gegen die organisierten Mord- und
Vertreibungsaktionen gegen Serben und nicht-albanische Minderheiten
ausgesprochen und so getan, als ob die UCK und ihre
Nachfolgeorganisation, das von Deutschland und den USA bezahlte
"Kosovo-Schutz-Korps" nichts, aber auch gar nichts mit diesen
Terroraktionen zu tun hätten. Offiziell wurden diese stets als
unkontrollierbare Einzelaktionen dargestellt, auf die die UCK und Hashim
Thaci keinen Einfluss hatten, obwohl sie praktisch das ganze Kosovo mit
Hilfe ihres brutalen Geheimdienstes so gut wie uneingeschränkt
kontrollierten. Und die NATO akzeptierte diese offizielle Version und
verbreitete sie.



Hashim Thaci hatte angekündigt, dass seine Partei, die PDK, nach Vorlage
der endgültigen Wahlergebnisse nochmals eine Erklärung abgeben würde.
Am Dienstag nach der Wahl der siegreichen Partei des Ibrahim Rugova ist
der 45-Jährige Hazir Raci in der Stadt Klina im Westen des Kosovo von
Unbekannten erschossen worden. ("Politiker von Rugovas LDK
erschossen",AP, Pristina, Meldung vom 31.10.2000 20:31)

Saarburg den 1. 11. 00

---

Serben spielen der NATO den Schwarzen Peter zu.

(von Rainer Rupp)


In seiner Rede beim OSZE-Treffen in Wien kritisierte Präsident Kostunica
scharf die Rolle der NATO und der Vereinten Nationen im Kosovo. Es sei
offensichtlich, dass die NATO-geführte KFOR ihrer Aufgabe, militanten
Kosovo-Albanern Einhalt zu gebieten, nicht ordnungsgemäß nachgekommen
sei. Albanische Terroristen versuchten, Serben und Albaner gleichermaßen
einzuschüchtern. Kostunica warnte vor einer Ausweitung der Krise auf die
gesamte Region.



Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) sind in den
vergangenen Tagen 2.000 Menschen aus dem Presevo-Tal geflohen. Die
albanische Minderheit in Südserbien, die im Presevo-Tal jedoch die
Mehrheit stellt, fürchtet nach Aussage von UNHCR-Sprecher Peter Deck
angeblich eine serbische Offensive. Bis zu 20.000 Menschen könnten in
diesem Fall das Gebiet verlassen. Die Vereinten Nationen bereiten laut
Deck Notunterkünfte in Sporthallen und anderen öffentlichen Gebäuden
vor, um die Flüchtlinge aufzunehmen. Déja vue? Die Strategie kommt
einem bekannt vor. Ob die UCK diesmal wieder Erfolg damit haben wird,
darf allerdings bezweifelt werden.



Sogar der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon drückte am Montag
sein Verständnis für die Reaktion von Präsident Kostunica aus: "Ich
erkenne seine legitimen Sorgen wegen der Sicherheit der serbischen
Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze an. Es ist deshalb wichtig,
dass wir niemandem erlauben, weder die Grenze noch das Gefühl der
Sicherheit der Menschen auf beiden Seiten der Grenze zu verletzen."
("UK sees cause for Kostunica's concern over Kosovo ", Reuters, by Paul
Majendie, ZAGREB, Nov 27)



Als Reaktion auf die Offensive der UCK im Presevo-Tal, der Krisenregion
in Südserbien hatte die Regierung in Belgrad Panzer und
Infanterieeinheiten entlang der 5 Kilometer breiten Pufferzone zwischen
Südserbien und dem Kosovo verlegt. Diese demilitarisierte Zone benutzen
die die Terroristen - von der KFOR weitgehend unbehelligt - als
Ausgangspunkt für ihre Überfälle auf serbische Polizisten und
Zivilisten. Deshalb hatte Belgrad der KFOR am Freitag ein Ultimatum
gestellt, das ursprünglich am Montag um 19.00 Uhr ablaufen sollte. Wenn
die NATO unfähig sei, für Sicherheit zu sorgen, dann müssten
jugoslawische Soldaten das selbst tun, hieß es aus Belgrad.



Nun hat die serbische Regierung das Ultimatum jedoch auf unbestimmte
Zeit verlängert. Der Diplomatie solle eine Chance gegeben werden, sagte
der stellvertretende Ministerpräsident Nebosja Covic während eines
Besuchs in der Krisenregion. Die NATO-Truppen im Kosovo seien einzig und
allein dafür verantwortlich, den Rückzug der militanten Albaner aus dem
Gebiet sicher zu stellen, betonte Covic. Ein taktisch kluger Zug. Denn
wenn die NATO nichts tut, dann wird ihr Ruf als sogenannte
Friedenstruppe nur noch mehr diskreditiert. Kommt sie dagegen ihrer
Verpflichtung nach und geht gegen die UCK-Terroristen vor, dann läuft
die NATO Gefahr in den Augen der albanischen Terroristen vom "Befreier"
zum "Besatzern" zu mutieren, und ebenso wie die Serben zu Zielscheiben
der verschiedenen UCK-Gruppen zu werden.



Geschickt hatte Präsident Kostunica am Montag die neue Krise in
Südserbien ausgenutzt, um in Wien eine gefährliche diplomatische Klippe
zu umschiffen. Seit Wochen hat nämlich die amerikanische
Außenministerin Madeleine Albright über verschiedene Kanäle dem neuen
jugoslawischen Präsidenten ihr Interesse an einem Zusammentreffen mit
ihm signalisiert. Der eher EU-orientierte Kostunica hatte bisher aber
kein Interesse an Frau Albright gezeigt, die als Hauptverantwortliche
für den Angriff gegen Jugoslawien gilt. In Washington wurde der Krieg
nach ihr benannt und heißt "Madeine´s War". Mit Spannung wurde daher
das OSZE-Treffen in Wien erwartet, wo auch Frau Albright zugegen sein
würde. Allerdings kamen es in Wien lediglich zu einem formellen
Händeschütteln und einem kurzen Austausch von Höflichkeiten zwischen
Präsident Kostunica und Frau Albright als man zur Aufnahme des bei
solchen Konferenzen üblichen "Familienbildes" der teilnehmenden
MinisterInnen schritt. Auf dem Foto steht Frau Albright ganz rechts
außen, während Präsident Kostunica mit der gastgebenden österreichischen
Ministerin im Zentrum zu sehen ist.



Auf eine amerikanische Einladung hin erklärte Kostunica, daß er keine
Zeit hätte, weil er vorzeitig ins Krisengebiet nach Südserbien
zurückeilen müßte. Allerdings beschwerten sich amerikanische Beobachter
sofort über Kostunicas "Affront" gegenüber der einzigen Supermacht, weil
er trotzdem Zeit gefunden habe, an einem Essen mit dem österreichischen
Präsidenten Thomas Klestil und Jörg Haider teilzunehmen. Die Botschaft
war deutlich: Eine Wiederaufnahme der Beziehungen kann warten, bis in
Washington die neue Bush-Regierung an der Macht ist, von der sich
Kostunica sich aus guten Gründen eine erhebliche Verbesserung der
bilateralen Beziehungen verspricht.



Mitte November hatte in den USA eine Konferenz der führenden Mitglieder
der republikanischen Denkfabriken unter Beteiligung ranghoher
Mitarbeiter von repubikanischen Senatoren und Abgeordneten
stattgefunden, bei der über die zukünftige Balkanpolitik der
Bush-Regierung debattiert wurde. Dabei kam es zu im Konsens
getroffenen, geradezu sensationellen Empfehlungen an die neue Regierung
Kostunica in Belgrad. So forderten die Republikaner z.B. Belgrad auf,
unter keinen Umständen von dem Prinzip abzugehen, dass "das Kosovo
sowohl Teil des souveränen Serbiens als auch Teil des jugoslawischen
Territoriums ist". Eine weitere Empfehlung an Kostunica lautete:
"absolut keine Person an das Internationale Tribunal für
Kriegsverbrechen in Jugoslawien (nach Den Haag) ausliefern".



Bei der Konferenz wurde auch per Video eine Grußbotschaft des
jugoslawischen Präsidenten Kostunica an die Konferenzteilnehmer gezeigt,
die auf lebhaften Zuspruch stieß. Auf weiten Bereichen waren die
Positionen der führenden außenpolitischen Berater der Republikaner
deckungsgleich mit denen Kostunicas. Das deutet auf eine gute
zukünftige amerikanisch-serbische Zusammenarbeit hin. Auch gaben die
Republikaner Kostunica einen guten Rat zum weiteren Umgang mit der
Clinton-Regierung, die den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien
entfacht hatte: auf gar keinen Fall die Beziehungen verbessern - und
wenn diplomatisch nicht anders möglich, dann auf höflicher aber kühler
Distanz bleiben! In Wien scheint sich Präsident Kostunica beim Umgang
mit Frau Albright diesen Rat zu Herzen genommen zu haben.



Saarburg den 28.11.00

---

NATO nennt albanische Terroristen wieder "Terroristen"

(von Rainer Rupp)


"Die NATO schlägt sich auf die Seite der Serben gegen die albanische
Bedrohung", hieß gestern der Titel einer Depesche der britischen
Nachrichtenagentur Reuters aus Brüssel. Berichtet wird, dass "die NATO
in einer bemerkenswerten Kehrtwende vom gewohnten Rollenspiel auf dem
Balkan die serbische Zurückhaltung gelobt und sich zugleich verpflichtet
hat, mit Belgrad bei der Bekämpfung der albanischen terroristischen
Aktivitäten zusammenzuarbeiten. In der Tat geht dies aus einer zwei
Seiten langen offiziellen Erklärung des NATO-Generalsekretärs Lord
George Robertson vom Mittwoch hervor. Darin versprach er Maßnahmen, um
die Lage in der entmilitarisierten Pufferzone entlang der
Verwaltungsgrenze zwischen Kosovo und Südserbien zu entspannen. Die
Pufferzone wird von Mitgliedern des UCK-Ablegers UCBMP als Ausgangsbasis
für Überfälle und Anschläge in Südserbien benutzt, die das Ziel haben,
das von 70.000 Albanern bewohnte Presevo-Tal vom "serbischen Joch zu
befreien" um es dann mit dem "unabhängigen, rein albanischen Kosovo zu
vereinen".



Die Tatsache, dass der NATO-Generalsekretär in seiner Erklärung die
Aktivitäten der UCBMP als "terroristisch" bezeichnete, stellt eine
kleine Sensation dar, und zeigt, wie weit bereits die politische
Kertwende im NATO-Denken zum Kosovo gediehen ist. Zuletzt hatte im
Frühling 1998 der US-Balkangesandte, Botschafter Gelbart, die UCK als
"Terroristen" bezeichnet. Als nützliche Handlanger und Waffenbrüder der
USA und NATO beim Angriffskrieg gegen Jugoslawien mutierten die
Kosovo-albanischen Terroristen jedoch plötzlich zu gefeierten
Freiheitskämpfern.



Beim neuen Schmusekurs der NATO-Länder mit Serbien, dem für die
kapitalistische Neuordnung des Balkans eine Schlüsselbedeutung zukommt,
verlieren sowohl das Kosovo als auch die UCK-Terroristen als Druckmittel
gegen Serbien an Bedeutung. Mit wachsendem Ärger mussten die
albanischen Extremisten im Kosovo feststellen, dass sie nun als
Hindernis bei der Annäherung zwischen Belgrad und der NATO angesehen
werden. So ist es nicht verwunderlich, wenn die NATO urplötzlich
UCK-Terroristen wieder als "Terroristen" bezeichnet und bei deren
Bekämpfung mit den Serben zusammenarbeiten will.



Ergänzend konnte Reuters Atmosphärisches aus Brüssel berichten, dass
nämlich die NATO wegen des albanischen Nationalismus "extrem
frustriert" und "wegen der fortdauernden Angriffe gegen Serben, wegen
der internen politischen Gewalt im Kosovo und wegen unerfüllbarer
Forderungen nach Unabhängigkeit mit ihrer Geduld am Ende" sei. Deshalb
hat die NATO es auch mit den allgemeinen Wahlen nicht mehr besonders
eilig, von denen sich die Kosovo-Albaner einen weiteren entscheidenden
Schritt in die Unabhängigkeit von Serbien erhofften. Auch der
umstrittene UNO-Chef im Kosovo, der serbo-phobe Bernard Kouchner, hat
den Wink seiner NATO-Meister bereits verstanden. Letzte Woche erklärte
er in Zagreb, dass die Pläne für eine baldige Wahl immer
unwahrscheinlicher würden. ("West must act to contain Kosovo violence",
ZAGREB, Nov 28 Reuters) Obwohl Kouchners Position als Chef der
UNO-Mission im Kosovo strikte Neutralität verlangt, hat er aus seiner
Sympathie für die UCK und ein unabhängiges Kosovo nie ein Hehl gemacht.
Jetzt, da seine Pläne nicht länger durchzusetzen sind, hat er
angekündigt, dass er seinen Posten zum 15. Dezember verlassen will.
Wohin die Kosovo-albanischen Separatisten blicken, überall sehen sie nun
ihre Felle davonschwimmen. Am meisten dürfte ihnen aber die neue
Zusammenarbeit zwischen der NATO und den Serben zu schaffen machen.



Diese Zusammenarbeit soll sich (vorerst) lediglich gegen die UCBMP
entlang der Pufferzone zwischen Südserbien und den Kosovo richten. Ob
jedoch die im Kosovo vielfach unter sich vernetzten unterschiedlichen
UCK-Terror- und Gangstergruppierungen sich politische so fein säuberlich
trennen lassen, wie das der NATO vorschwebt, darf bezweifelt werden.
Für Fall, dass die NATO "robust gegen die albanischen Separatisten
vorgeht, könnte das zu einer gefährlichen Konfrontation zwischen der
NATO und der UCK überall im Kosovo führen", warnte deshalb das
amerikanische Time Magazin in seiner jüngsten Ausgabe. ("Serb Threat
Raises NATO Dilemma", By Tony Karon, Time.com , Nov 27)



Um dies zu verhindern, wollte am Donnerstag der NATO Lord Robertson
gemeinsam mit dem Oberbefehlshaber der NATO-Europa, dem U.S. General
Joseph W. Ralston ins Kosovo reisen, um dort mit den zu "Politikern"
mutierten UCK-Kommandanten zu sprechen, damit diese einen "mäßigenden
Einfluß" auf ihre Terrorgefährten von der UCBMP ausüben. Als Teil der
anderen vom NATO-Generalsekretär angekündigten Maßnahmen hat die KFOR
entlang der entmilitarisierten Grenze ihre Überwachung und Kontrolle
verstärkt. So gelang es der KFOR jetzt innerhalb weniger Tage den
zweiten Versuch der UCBMP zu verhindern, größere Mengen schwerer Waffen
in die demilitarisierte Zone zu schmuggeln. Dies scheint den Vorwurf
Belgrads zu bestätigen, dass die NATO-Truppen entlang der Grenzzone zu
Südserbien (es ist übrigens die amerikanische Zone) in der Vergangenheit
bei UCBMP-Aktivitäten stets weggeschaut haben.



Saarburg den 30.11.00