SPURENSUCHE IM PANOPTIKUM DER
MEDIENBERICHTERSTATTUNG
ÜBER DEN MILOSEVIC-"PROZESS"

Von Klaus Hartmann und Klaus von
Raussendorff

Worum geht es beim "Prozess" gegen Slobodan
Milosevic, speziell der vierten
und fünften Sitzung im Vorverfahren am 11.
Dezember 2001 und 09. Januar
2002? Um das herauszufinden, gibt es zwei
Methoden. Die einfache und sichere
besteht, wie bei politischen Schauprozessen
meist, darin, einfach
nachzulesen, was der "Angeklagte" Milosevic
gesagt hat. Das ist dank
eingeschränkter Wahrnehmung und ebensolcher
Wiedergabepraxis der meisten
Medien aber nur sehr eingeschränkt möglich.
(Wir dokumentieren die volle
Mitschrift der 4. Anhörung im Anhang). Die
zweite Methode besteht in der
Spurensuche im Panoptikum der
Medienberichterstattung. Das ist mühsam, aber
nicht ohne Reiz, wenn man zuweilen auf einen
Reflex der Wirklichkeit trifft,
zum Beispiel zu folgenden Sachverhalten:

Die mit dem Fall betrauten Richter, die
Herren May, Robinson und Fihri
lehnen den Antrag der Anklägerin, Frau Del
Ponte, ab, die drei "Anklagen"
gegen Milosevic zu einem einzigen Prozess
zusammenzulegen.
Die Frage ist, mit welcher Begründung. Dazu
lesen wir: "Die Anklage im
Prozess gegen den früheren jugoslawischen
Präsidenten Milosevic ist am
Dienstag (bei der vierten Sitzung im
Vorverfahren am 11.12.01) mit ihrem
Antrag, sämtliche drei Anklageschriften in
einem einzigen Prozess zu
behandeln, auf den Widerstand der mit dem
Fall betrauten Richter gestoßen.

Richter Robinson erklärte, die große
Zeitdifferenz zwischen den
Geschehnissen in Kroatien und Kosovo machten
es schwierig, eine Kette von
Ereignissen auszumachen. Milosevic ist in 66
Punkten wegen Verbrechen gegen
die Menschlichkeit in Kroatien (1991), wegen
Völkermordes in Bosnien-Herzegowina (1992-1995)
und wegen Verbrechen gegen die
Menschlichkeit in Kosovo (1999) angeklagt.
Richter May hielt fest, die
Anklage spreche von der Absicht Milosevics,
ein Großserbien zu schaffen.
Dieser Vorwurf werde jedoch in der
Anklageschrift nicht explizit
erwähnt.(...)

Die Richter hielten fest, der Prozess werde
am 12. Februar mit der
Anklageschrift zu Kosovo beginnen. Die
Anklageschriften zu Kroatien und
Bosnien werden zusammengeführt; ein Termin
steht noch nicht fest, da die
Anklage ihre Vorarbeiten für die Behandlung
dieser beiden Dossiers noch
nicht abgeschlossen hat." ("vau", "Milosevic
schweigt zum Genozid-Vorwurf -
Auftritt des Ex-Präsidenten vor dem
Uno-Tribunal" in Neue Zürcher Zeitung,
Den Haag, 12.12.01)

Dies ist soweit korrekt. Doch angesichts der
prägnanten Darlegungen
Milosevics zum multinationalen Charakter
Jugoslawiens ist die Unterstellung
im Titel, Milosevic habe zum Genozid-Vorwurf
geschwiegen, eine dreiste Lüge.
Diese Lüge hält sich auch in der weiteren
Berichterstattung: "Auf die
Vorwürfe der Anklage ging er wie bei den
vorherigen Ankündigungen nicht
ein", schreibt die Neue Ruhr-Zeitung am
15.01.2002, wobei sie statt
Ankündigung wohl Anhörung schreiben wollte.

"Carla del Ponte argumentiert damit, die
Serien der in den Klageschriften
aufgezählten Kriegsverbrechen fußten alle
auf einem gemeinsamen Prinzip, es
sei in allen drei Fällen um die Wahrung oder
Herstellung eines
"Großserbiens" gegangen. Die Richter
bemängelten jedoch "Großserbien" trete
als Begriff in den einzelnen Klageschriften
kaum prominent hervor."
(Caroline Fetscher "Milosevic lehnt
Verantwortung für Bosnien-Krieg
ab -Haager Tribunal will drei Verfahren
gegen den Ex-Diktator bündeln" in
Tagesspiegel, 12.12.01)

"Demjenigen, der die Erhaltung Jugoslawiens
und gleiche Rechte für alle
Bürger verteidigte, der sich der
Zerstückelung eines multiethnischen
Bundesstaates in ethnische Kleinstaaten
widersetzte, wirft
ie »Anklage« wahrheitsverdrehend vor, ein
»Großserbien« angestrebt zu
haben." (Klaus Hartmann, "Das
Kriegsfemegericht tagt - Zum Prozess gegen
Slobodan Milosevic in Den Haag" in junge
Welt v. 13.12.2001)


Trostpreis für Del Ponte

Aber Frau del Ponte gibt so leicht nicht
auf: Sie will Anklagenhäufung. Auch
hier ist die Frage, warum. Die Version des
Tribunals lautet: "Die Anklage
will die drei Verfahren mit insgesamt 66
Anklagepunkten gegen Milosevic in
einem Prozess zusammenfassen, um Zeit zu
sparen. Ankläger Geoffrey Nice
kündigte vor Gericht an, dass bis zu 30
"ranghohe Insider" und insgesamt 400
Zeugen in dem Fall gehört werden sollten.
Der Prozessbeginn ist bislang auf
Februar 2002 angesetzt, im Falle einer
Zusammenlegung der Verfahren wird
sich dieser Termin jedoch vermutlich bis zum
Sommer verschieben. Die
Prozessdauer wird auf mehr als ein Jahr
geschätzt." (AP nach Rhein-Zeitung,
12.12.01 "UN-Tribunal beschäftigt sich mit
Bosnienkrieg -Milosevic direkt
des Völkermordes angeklagt").

Zwischen den Zeilen erfährt man so nebenbei,
dass Del Ponte mit ihrer
Anklagen wegen "Kroatien" und "Bosnien"
immer noch nicht fertig ist.

Aber den für die Anklagenhäufung
wahrscheinlich maßgeblichen Grund, der von
Milosevic genannt wurde, findet man nur in
zwei Blättern: Die Anklage, so
wird Milosevic zutreffend widergegeben,
wolle "den Fall Kosovo in den
Hintergrund drängen, um die Allianz zwischen
den Terroristen des 11.
September, der Regierung Clinton und anderen
zu vertuschen, die mit bin
Laden und der UCK im Kosovo gemeinsame Sache
gemacht hätten." (Caroline
Fetscher "Milosevic lehnt Verantwortung für
Bosnien-Krieg ab -Haager
Tribunal will drei Verfahren gegen den
Ex-Diktator bündeln" in Tagesspiegel,
12.12.01) "Der Schauprozess in Den Haag soll
auch vergessen lassen, daß
Truppen des CIA-Söldners Osama bin Laden und
andere islamistische
Terroristen seinerzeit in Bosnien mit
US-Unterstützung für die
Balkanisierung Jugoslawiens kämpften, um
einen islamistischen Staat mit
minderen Rechten für die
40-Prozent-»Minderheit« der Serben zu
erschaffen."
(Klaus Hartmann, "Das Kriegsfemegericht tagt
- Zum Prozess gegen Slobodan
Milosevic in Den Haag" in junge Welt v.
13.12.2001)

Dass das "Tribunal" dem Antrag auf
Anklagebündelung nicht folgen will, wird
ausweislich der Überschrift in der Welt vom
10.01.2002 als "Niederlage für
Chefanklägerin Del Ponte in
Milosevic-Prozess" empfunden und von Katja
Ridderbusch kommentiert: "Die Trennung der
drei Anklagen ist eine Niederlage
für Carla Del Ponte. Sie wollte im
Kosovo-Prozess auch insgesamt 110 Zeugen
vorladen und 1471 Beweismittel vorlegen.
Doch May reduzierte die Zahl der
Zeugen auf 90 und zweifelte die Legalität
einiger der vorgelegten
Beweisstücke an. Er drängte die Anklage,
ihre Beweisführung bis August
abzuschließen. Ein Trost für Del Ponte mag
ihre tadellose Reputation als
Hüterin des Gerechten sein: Im Juni erhält
sie den mit 25.000 Euro dotierten
Westfälischen Friedenspreis der Stadt
Münster." Die Warnung "Vorsicht,
Satire!" hatte Die Welt bei diesem Beitrag
leider vergessen. Aber noch haben
Del Ponte und die sie anfeuernden Medien
nicht alle Hoffnung aufgegeben: "
'Balkan-Prozess' gegen Milosevic noch immer
möglich" verheißt APA/dpa v.
10.1.02 mit der Meldung, dass "das Tribunal
am Donnerstag Chefanklägerin
Carla Del Ponte grünes Licht für ihre
Berufung gegen diese Entscheidung"
gab. Aber der "planmäßige Beginn des
'Kosovo-Prozesses' am 12. Februar sei
durch die Genehmigung der Berufung nicht
gefährdet, betonte das Gericht."

Und noch eine Kuriosität. Auch bei der FAZ
wittert man natürlich, dass die
Komplizenschaft zwischen NATO und UCK nach
der Ausrufung des "Krieges gegen
den Terrorismus" eine besondere Peinlichkeit
ist, die von dem gewieften
Milosevic sofort aufgespießt wird. Aber wie
vermittelt man das der eigenen
Leserschaft in den Chefetagen? In einem
Artikel mit dem Untertitel "Der
frühere jugoslawische Präsident hat seine
Verteidigungsstrategie geändert"
schreibt der Balkan-Kriegsberichterstatter
der FAZ, Matthias Rüb aus
Budapest, selbst diese Überschrift sogleich
widerlegend: "Es bleibt ihm
(Milosevic) nichts anderes übrig, als bei
seiner bisherigen
Verteidigungslinie zu bleiben."

Worin besteht nun eine Änderung der
Verteidigungsstrategie, bei der man bei
seiner bisherigen Verteidigungslinie bleibt?
Um das herauszufinden, bedarf
es des klugen Kopfes, der laut Eigenwerbung
hinter diesem Blatte vermutet
werden soll.

Milosevic hatte am 30 August einen
fundierten Schriftsatz zur Illegalität
des Tribunals vorgelegt, der in junge Welt
vom 25. und 26. Oktober 2001
dokumentiert wurde und in der "Übersetzung"
der drei "Freunde des Gerichts"
bei der Sitzung vom 29./30 Oktober breiten
Raum einnahm. Darauf macht nun
auch die FAZ aufmerksam, spät aber immerhin.
Aber nun die Schlussfolgerungen, die Rüb zieht:
"Das Tribunal ist für ihn (Milosevic)
eine illegale und damit gleichsam
inexistente (!) Institution." Offenbar
verwechselt Rüb hier Milosevic mit einem
gewissen Palmström, für den nach
Christian Morgenstern nicht sein kann, was
nicht sein darf. Und deshalb
schließt nun Rüb messerscharf, dass "zu
deren 'absurden Vorwürfen' - wie
etwa dem der Anklage vom Dienstag, in
Bosnien im Rahmen einer 'koordinierten
verbrecherischen Unternehmung' Völkermord an
Kroaten und Muslimen angeordnet
zu haben - Milosevic nicht Stellung nimmt."

Dies allerdings ist eine dreiste Lüge, die
uns schon in der Überschrift der
NZZ begegnet ist. Milosevic hat tatsächlich
Ausführungen zur
Nationalitätenpolitik Jugoslawiens gemacht
und mit dieser Argumentation den
Vorwurf des Völkermords als "Gipfel der
Absurdität" erscheinen lassen. Und
nun gibt Rüb der Sache mit dem 11. September
2001 einen solchen Dreh, dass
die Versuche der Madame Del Ponte, den
NATO/UCK-Terror im Kosovo aus dem
Milosevic-Prozess auszublenden, wiederum
hinter einer angeblichen Änderung
der Strategie des Angeklagten verschwinden
sollen.

Milosevic hatte gesagt: "Es ist für mich
vollkommen klar, warum diese
falsche Anklagevertretung auf
"Klagenhäufung" (Kosovo und Bosnien)
besteht.
Der Grund ist der 11. September. Man will
die Aufmerksamkeit von den wegen
Kosovo gegen mich erhobenen Beschuldigungen
ablenken, da diese
Beschuldigungen unweigerlich die Frage nach
der Zusammenarbeit der
Clinton-Administration mit den Terroristen
im Kosovo aufwerfen,
einschließlich der Organisation Bin Ladens."
Carla del Ponte wolle, so
Milosevic, "Kosovo" nach dem 11. September
in der Versenkung veschwinden zu
lassen. Dass Milosevic auf diesen
Zusammenhang hinweist, wird dem Leser der
FAZ als eine Änderung der Strategie von
Milosevic präsentiert. Daher der
absurde Untertitel, dem der Autor im Text
selbst widerspricht. (Matthias Rüb
<aus Budapest>, "Der Kämpfer gegen den
Terrorismus - Der frühere
jugoslawische Präsident hat seine
Verteidigungsstrategie geändert" in
Frankfurter Allgemeine Zeitung v.
12.12.2001)


Publizistische Ehrenrettung des "Tribunals"

Doch auch bei der FAZ scheint man allmählich
zu erkennen, dass der Charakter
des Tribunals und seine sonderbaren Methoden
das eigentliche Problem des
Milosevic-"Prozesses" sind.
Kriegsberichterstatter Rüb hat vorerst zu
schweigen. Stattdessen schildert ein "E.L."
aus Den Haag, wie Richter May
"dafür zu sorgen (habe), dass der Angeklagte
einen 'fairen Prozess'
bekomme." So habe "das Gericht einen Antrag
der Anklage abgelehnt,
Sanktionen gegen den Angeklagten in Erwägung
zu ziehen, da dieser das
Gericht nicht anerkenne. So hatte die
Vertretung der Anklage empfohlen, dem
Angeklagten die Identität von Zeugen, für
die besonderer Schutz beantragt
wurde, vorzuenthalten. Der vorsitzende
Richter May fragte den Staatsanwalt
daraufhin, wie der Angeklagte Zeugen ins
Kreuzverhör nehmen könne, wenn er
deren Identität nicht kenne. Ein anderer
Richter der Zweiten Strafkammer
verwies darauf, daß es für das Gericht
gleichgültig sei, ob der Angeklagte
es anerkenne oder nicht; auch solle dieser
Umstand für den Angeklagten keine
Folgen haben.(...) Richter May setzte
daraufhin die Frist, innerhalb der der
Angeklagte die Identität von besonders
geschützten Zeugen mitgeteilt
bekommen soll, auf zehn Tage vor deren
Erscheinen vor Gericht fest." Aber
der Versuch einer Ehrenrettung des
"Tribunals" geht dennoch daneben. "E.L."
bezeichnet die drei von der Kammer ernannten
"Amici curae", mit denen
Milosevic nicht das Geringste zu tun haben
will, als die "Vertreter
Milosevics". Denen werde die Identität der
Zeugen der Anklage immerhin
"schon 30 Tage vor deren Erscheinen vor
Gericht enthüllt. Die Amici curiae
wurden von May auch gebeten, sich um
mögliches Beweismaterial zur
Verteidigung Milosevic zu bemühen, und auch
im Verfahren darauf hinzuweisen,
ob und wann eventuell Material im
Zusammenhang mit der Nato-Kampagne (sic!)
im Kosovo für den Prozeß von Bedeutung sei."
Die Versuche von Richter May,
die drei "Freunde des Gerichts" in die Rolle
von Zwangsverteidigern de luxe
zu drängen, die Milosevic als "das Haager
Fair Play" bezeichnet, sprechen
nun keineswegs für Fairnes des Tribunals
sondern sind nur eine weiteres
Beispiel seiner eigentümlichen
Gepflogenheiten. (E.L., DEN HAAG,
"Sanktionen gegen Milosevic abgelehnt",
in Frankfurter Allgemeine Zeitung v.
10.01.02, S. 5)


Del Pontes "schwierige" Anklage wegen
Völkermord

Hier stellt sich die Frage, warum gerade der
ehemalige Führer des einzigen
auf dem Balkan noch verbliebenen
multinationalen Staat, in dem es keine
Diskriminierung aus ethnischen, religiösen
oder rassischen Gründen gibt, in
Bosnien Völkermord betrieben haben soll.
Hierzu lesen wir: "Die Anklage
wirft Milosevic vor, Drahtzieher von
Hunderten Verbrechen zu sein, die
serbische Extremisten in seiner
Regierungszeit im Nachbarland Bosnien
verübten. (...) Er bestritt die von der
Anklage verlesenen Vorwürfe jedoch
vehement. 'Dieser miserable Text ist die
ultimative Absurdität. Man sollte
mir den Frieden in Bosnien anrechnen, nicht
den Krieg', erklärte der
60-Jährige. 'Die Verantwortung für den Krieg
in Bosnien liegt bei den
(West-)Mächten und ihren Agenten, nicht in
Bosnien und nicht bei Serben, dem
serbischen Volk oder der serbischen
Politik', sagte er, bevor ihn Richter
Richard May unterbrach." (AP nach
Rhein-Zeitung, 12.12.01"UN-Tribunal
beschäftigt sich mit Bosnienkrieg -Milosevic
direkt des Völkermordes angeklagt")

Wie aber fingiert man den Vorwurf des
Völkermords? "Da der Nachweis des
Völkermordes ein äußerst schwieriges
Unterfangen ist, legt die von Carla Del
Ponte angeführte Anklage den Schwerpunkt
ihrer Arbeit unter anderem auf die
Machtposition, die Milosevic während des
Bosnien- Krieges innegehabt hatte.
Er habe nicht nur auf die politische Führung
der bosnischen Serben großen
Einfluss gehabt, sondern auch die Einheiten
der jugoslawischen Volksarmee
und der später daraus entstandenen
jugoslawischen Armee kontrolliert, denen
Greueltaten in Bosnien zur Last gelegt
würden." (NZZ, 12.12.01)

Als eine Art Sprachrohr von Frau Del Ponte
fungiert in Den Haag die an allen
Fronten US-imperialer Einmischung
anzutreffende Organisation Human Rights
Watch. Ihr Direktor Dicker (so sein Name)
sieht "für die Anklage die
schwierigste Herausforderung darin, beweisen
zu können, dass das Regime
Milosevic mit Absicht eine Politik des
Genozids verfolgt habe.
Völkerrechtsexperten haben darauf
hingewiesen, im Unterschied zu Rwanda sei
die Frage, ob in Bosnien-Herzegowina
tatsächlich und in grossem Umfang ein
Genozid begangen worden sei, noch nicht
schlüssig beantwortet." (NZZ,
12.12.01) Noch nicht, meint dieser Herr !

Aber schließlich gibt es ja Geheimdienste,
die die nötigen "Beweise" liefern
können, wie taz exklusiv zu berichten weiß:
"Das Tribunal hat sich mit der
Anklage weit vorgewagt. Es wird nicht
einfach werden, Milosevic
nachzuweisen, dass er es war, der einen
Genozid in Bosnien plante und nicht
nur von jedem militärischen Schritt seines
ehemaligen Statthalters Radovan
Karadzic und dessen General Ratko Mladic in
Kenntnis gesetzt wurde. Das
Tribunal geht davon aus, dass in Belgrad
alle Verbrechen an Kroaten,
Bosniern und Kosovo-Albanern ausgeheckt und
umgesetzt wurden - aufgrund von
bislang geheim gehaltenen Aufzeichnungen
westlicher Geheimdienste." (Roland
Hofwiler, "Den Haag: Anklage wegen
Völkermordes - Das UN-Tribunal will
Slobodan Milosevic für alle Kriege in
Exjugoslawien zur Verantwortung
ziehen. Jugoslawiens früherer Präsident
quittiert das Geschehen mit
Beschimpfungen und demonstrativ zur Schau
gestellter Langeweile" in taz v.
12.12.2001)

Das Stichwort Geheimdienste taucht auch in
der Berichterstattung von der 5.
Vorverhandlung wieder auf, so in der
Frankfurter Rundschau vom 10.02.2002: "
Das Verfahren bezeichnete Milosevic als ein
britisches Komplott: ‚Die
Anklage stützt sich auf Material vom
britischen Geheimdienst, der Richter
ist ein Brite, und der Ankläger ist ein
Brite.' Einer der Ankläger ist der
Brite Geoffrey Nice."

Ein "gemeinsames kriminelles Unternehmen"
soll Milosevic angeführt haben,
dem die Verantwortung für die Zerschlagung
Jugoslawiens und "vier Kriege"
auf dem Balkan zukomme. Hier erwähnt der
Tagesspiegel als einzige Zeitung
die in den meisten Medien längst verdrängte
Verantwortung des früheren
deutschen Außenministers Hans-Dietrich
Genscher, die von Milosevic
angesprochen wurde. "Er habe Jugoslawien vor
der Desintegration bewahren
wollen. Doch am 6. April 1991 habe
Deutschlands Außenminister Genscher
Kroatiens Unabhängigkeit anerkannt, "genau
am Jahrestag der deutschen
Bombardierung Belgrads 1941." (Caroline
Fetscher "Milosevic lehnt
Verantwortung für Bosnien-Krieg ab - Haager
Tribunal will drei Verfahren
gegen den Ex-Diktator bündeln" in
Tagesspiegel, 12.12.01)


Der renitente "Angeklagte"

In der 5. Vorverhandlung ging es in erster
Linie um die Fragen der
Prozessdauer und damit die Anzahl der zu
ladenden Zeugen und der
Beweismittel. Als neuerliche Ohrfeige für
Carla del Ponte kann gewertet
werden: "Der britische Richter May drang auf
ein zügiges Verfahren. Er will
die Zahl der Zeugen auf 90 reduzieren, die
Anklage will 110 Zeugen
vorladen." (Frankfurter Rundschau,
10.02.2002)

Von deren Korrespondenten Klaus
Bachmann, der auch für die Badische Zeitung
und die Basler Zeitung berichtet, erfahren
wir, was dem "Tribunal" an
Milosevic's Weigerung, einen Verteidiger zu
benennen, eigentlich stört: "Mit
seiner Weigerung, das UN-Gericht
anzuerkennen, hat Milosevic auch die
Anklage in Schwierigkeiten gebracht. Die bat
das Tribunal am Mittwoch in Den
Haag um zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen
für geschützte Zeugen, um zu
verhindern, dass der angeklagte Ex-Präsident
deren Identität nach außen
weitergibt. Da dieser sich selbst
verteidigt, kann er telefonieren."

Allmählich geht die Geduld der
Berichterstatter und Agenturen aber zu Ende,
da sie immer noch keinen "gebrochenen"
Milosevic vor sich sehen. Man erkennt
es an Überschriften wie "Milosevic stellt
sich weiter stur" (Neue
Ruhr-Zeitung), "Verbalattacke von Milosevic"
(taz), "Milosevic greift erneut
UN-Tribunal scharf an" (Mannheimer Morgen
und Kölnische Rundschau),
"Milosevic schilt UNO-Richter" (Basler
Zeitung), "Milosevic schimpfte wie eh
und je", "neue Schimpftiraden gegen die Nato
(Oberöstereichische Zeitung),
"Milosevic gibt sich empört" , "Wütende
Proteste" (Badische Zeitung), "Neue
Milosevic-Tirade vor dem UN-Tribunal"
(Süddeutsche Zeitung), "Milosevic
bleibt renitent" (20 Minuten.ch), "Milosevic
weist Anklage wütend zurück"
(Märkische Allgemeine), und schließlich
"Ex-Diktator blockiert erneut die
Anhörung" (Nordwest Zeitung) - alle vom
10.01.2002.

Das erkennbare Leitmotiv: Wenn man
dem Publikum schon keinen geschlagenen
Selbstmordgefährdeten vorführen kann, soll
man sich doch wenigstens ob
dessen Renitenz ereifern. Deshalb muss der
viermal in freien Wahlen Gewählte
auch mal wieder Diktator genannt werden. Und
auch an die Herren "Richter"
ist es der Hinweis, dass man eine andere
Vorstellung wünscht.
Dabei gab sich auch diesmal der Richter May
alle Mühe, dem Angeklagten das
Grundrecht auf mündliche Verteidigung zu
nehmen. Die Blockade der Anhörung,
von der die Nordwest-Zeitung berichtet,
entpuppt sich also als pure Lüge, es
sei denn, sie wollte den Vorsitzenden
"Richter" May als Ex-Diktatot
brandmarken. In der Berliner Zeitung vom
10.01.2002 steht nämlich, wer der
Blockierer war: "Nachdem Milosevic mehrfach
die Aufforderung des
Vorsitzenden Richters Richard May ignoriert
hatte, zu Verfahrensfragen
Stellung zu nehmen, entzog ihm der Richter
das Mikrofon. Er werde im Prozess
noch Gelegenheit erhalten, seine Meinung
darzulegen, sagte May." Dieser
Zeitung verdanken wir auch die
Ausnahme-Überschrift: "Milosevic sieht sich
als Verteidiger der Heimat".

Was Slobodan Milosevic tatsächlich sagte,
muss man wieder zusammensuchen, so
findet man in der Neuen Zürcher Zeitung vom
10.01.2002: "Milosevic sagte bei
der Anhörung, es werde der Versuch gemacht,
die Geschichte zu verdrehen."
Süddeutsche und Berliner Zeitung bringen
übereinstimmend das Zitat:"Das ist
nur eine fabrizierte Rechtfertigung für die
Verbrechen, die bei der
Nato-Aggression gegen mein Land und meine
Nation begangen wurden". Und der
schon erwähnte Klaus Bachmann ergänzt:
"Selbst die Anklageschrift gegen ihn
bestätige die Verbrechen der Nato gegen
Serbien, hob Milosevic am Mittwoch
an, ‚denn alle Vorwürfe gegen mich
liegen in der Zeit der Nato-Luftangriffe.
Die Verteidiger ihres Heimatlandes sollen zu
Verbrechern gestempelt werden,
diejenigen, die nachts kamen und tausende
Kilometer zurücklegten, um
serbische Krankenhäuser und Brücken zu
bombardieren, sollen als die guten
Jungs dastehen.'" (Frankfurter Rundschau,
10.02.2002). Zum Vergleich die
Fassung der Süddeutschen Zeitung: In einer
Tirade wies Milosevic darauf hin,
dass die ihm zur Last gelegten Verbrechen im
Kosovo 1999 in der Zeit
geschehen sein sollen, in der die Nato den
Kosovo bombardiert habe. "Man
versucht es so darzustellen, dass jene, die
damals ihre Familien, ihre
Kinder und ihre Heimat verteidigten,
Kriminelle und üble Existenzen gewesen
seien", rief er in serbischer Sprache. Jene
aber, die mit Unterstützung
"albanischer Terroristen" für die Tötung
vieler Menschen und enormen
materiellen Schaden verantwortlich seien,
würden international als die
"guten Jungs" gefeiert.

Man darf gespannt sein, welche Anstrengungen
zur Geschichtsverdrehung die
Mannschaft um Del Ponte uns noch zumuten
Wird. Ein Vorgeschmack darauf gab
es vor einigen Tagen, als schon mal
durchsickerte, dass auch ein gewisser
William Walker als Zeuge der Anklage
aufgeboten werden soll: der langjährige
CIA-Agent, Erfinder des "Massakers" von
Racak und Chef diverser
lateinamerikanischer
Contra-Terroristenbanden.


c/o Klaus Hartmann
Sprecher der deutschen Sektion des ICDSM
Schillstraße 7
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T/F: -69 - 83 58 50
e-mail: vorstand@...
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