1. The Good, the Bad and the Ugly

Bei den serbischen Präsidentschaftswahlen gab es keinen
Gewinner - aber neue Erkenntnisse über die Verwicklung
von Premier Djindjic in das organisierte Verbrechen

(Vorbemerkung: Da ich fristgemäß zu Ende Februar von
KONKRET gekündigt wurde, muß ich bis zu diesem
Zeitpunkt noch Artikel für die Zeitschrift schreiben -
allerdings nicht zum Thema Irak bzw. Nahost-Politik der
USA, das wurde mir untersagt.)

Die gängige westliche Analyse der politischen Landschaft
in Belgrad lautet ungefähr so: Der serbische Premier Zoran
Djindjic ist der Gute, er will das Land zu Demokratie und
Marktwirtschaft führen; der jugoslawische Präsident
Vojislav Kostunica ist der Böse, er will diesen Prozeß
bremsen oder sogar stoppen; ganz und gar häßlich ist
Vojislav Seselj, ein Faschist.

Die serbischen Präsidentschaftswahl bot die Möglichkeit,
diese Einschätzungen zu überprüfen. Auffällig ist zunächst,
daß sich die Bevölkerung offensichtlich nicht so recht
entscheiden mochte: Es gab sage und schreibe drei
Wahlgänge, und in keinem einzigen hat einer der
Kandidaten die erforderliche Stimmenzahl erreicht. Großer
Gewinner dieser Patt-Situation ist Djindjic: Nach dem
Scheitern der Wahl übernimmt Natasa Micic, eine
Abgeordnete des von ihm geführten Parteienbündnisses
DOS, interimistisch das höchste Amt im Staat.

Kostunica hat in der Stichwahl der ersten Runde (Mitte
Oktober) den Djindjic-Kandidaten Miroljub Labus im
Verhältnis 2:1 deklassiert, in der zweiten Runde (Anfang
Dezember) ließ er Seselj beinahe im selben Verhältnis
hinter sich. Trotzdem hat es ihm nicht gereicht, da in
beiden Fällen die vorgeschriebene Wahlbeteiligung von
mindestens 50 Prozent um jeweils etwa fünf Prozent
unterschritten wurde. Nun strengt er eine Verfassungsklage
wegen Wahlfälschung an: Die Djindjic-Regierung habe
835.000 Geisterwähler - verstorbene oder nicht-existente
Personen, zum Teil ohne Namen und Vornamen - in die
Statistiken aufgenommen; würde man diese aus der
Gesamtzahl der Wahlberechtigten (6,5 Millionen)
herausrechnen, sei das erforderliche Quorum erreicht
worden.

Der lautstarke Krach um diese Frage ist wohl, wie
überhaupt der Showdown Djindjic-Kostunica, eine
Inszenierung. Würde Kostunica wirklich seinen
Konkurrenten entmachten wollen, dürfte er nicht
langwierig herumprozessieren, sondern müßte den Notstand
ausrufen und Wahlen auf allen Ebenen ansetzen.
Höchstwahrscheinlich geht es bei dem Zweikampf nicht um
eine pro-westliche versus einer nationalistischen
Orientierung, sondern lediglich um zwei unterschiedlich
akzentuierte Westausrichtungen. Im großen Fernsehduell
vor dem ersten Wahlgang sagte Kostunica: "Das A und O
unserer Stabilität sind gute und ausgewogene Beziehungen
zu den USA." Dem gegenüber erklärte sein Kontrahent
Labus aus dem Djindjic-Lager: "Ziel unserer Außenpolitik
ist die Integration in die Europäische Union."

Seselj hingegen steht tatsächlich für Nationalismus. Sein
Erfolg bei den Wählern - im Oktober erzielte er 23 Prozent,
im Dezember sogar 36 Prozent - dürfte allerdings nicht auf
seine rechtsradikalen und rassistischen Sprüche
zurückgehen (die er in den letzten Jahren übrigens weniger
lautstark hinausposaunt), sondern auf eine Reihe von
Skandalen und Verbrechen, bei deren Aufdeckung er sich
Verdienste erworben hat.

Insbesondere handelt es sich dabei um mehrere
spektakuläre Mordfälle, für die man bisher den
Oberschurken Milosevic verantwortlich gemacht hat,
während der Verdacht nach neueren Erkenntnissen auf
Djindjic und seine Clique fällt - etwa das Attentat auf den
Royalisten Vuk Draskovic im Oktober 1999. Diese Bluttat
wird sei einiger Zeit vor einem Belgrader Gericht
verhandelt, spektakuläre Zeugenvernehmungen boten Seselj
im Wahlkampf immer neuen Stoff für Attacken gegen das
DOS-Lager.

Am 3. Oktober 1999 rammte ein Mercedes-LKW auf der
Ibar-Schnellstraße südlich von Belgrad den Wagen von
Draskovic, Chef der zur damaligen Zeit wichtigsten
Oppositionspartei SPO. Vier Begleiter Draskovics starben.
Da die Ermittlungen nicht vorankamen, stellte die SPO
eigene Recherchen an. Als diese nach kurzer Zeit ergaben,
daß der LKW der Staatssicherheit gehörte, wurde der
Stasi-Mann, der dies bezeugt hatte, ebenfalls bei einem
Autounfall getötet. Im weiteren meldeten sich zwei
Verkehrspolizisten, die am 3. Oktober in der Nähe des
Tatortes einen Mann mit einem auffälligen Tattoo gesehen
hatten - eine Rose an der rechten Halsseite. Dieselbe
Tätowierung an derselben Stelle trägt der Stasi-Offizier
Milorad Lukovic, genannt Legija. Er war zur damaligen
Zeit Leiter der sogenannten Roten Barette, einer
schwerbewaffneten Polizeiabteilung für Sonderoperationen,
etwa vergleichbar mit der bundesdeutschen GSG 9 - und
übt diese Funktion seltsamerweise auch heute noch aus.

Denn "der Mann mit der Rose" hat den Regimewechsel
unbeschadet überstanden. Nach dem Sturz Milosevics am 5.
Oktober 2000 hat die Justiz zwar zwei Angehörige von
Legijas Einheit wegen der Morde auf der Ibar-Magistrale
angeklagt, aber nicht ihren Kommandeur. Noch
rätselhafter: Im Mai 2001 sagte Djindjic, er wisse seit
Oktober 2000, daß einer der beiden Angeklagten den
Killer-LKW gesteuert habe. Trotzdem wurde der Premier
nicht als Zeuge vor Gericht geladen, um Auskunft darüber
zu geben, wer ihm die Identität des Attentäters enthüllt
hatte.

Man muß vermuten: Djindjic hat sein Wissen von Legija
selbst. Er bezeichnet ihn heute als Freund - kein Wunder,
denn er verdankt ihm die Macht. Fakt ist jedenfalls, daß er
sich mit Legija, damals noch der wichtigste Mann in
Milosevics "Prätorianergarde", persönlich am Morgen des
5. Oktober 2000 getroffen und das Stillhalten der Rote
Barette vereinbart hatte. Als im Verlaufe des Tages die
Anhänger des DOS-Bündnisses in Belgrad
zusammenströmten, konnten sie, obwohl kaum bewaffnet,
das Parlament und den Staatssender RTS besetzen und
brandschatzen - die Antiterror-Einheiten griffen nicht ein
und verbrüderten sich am Abend gar mit den
Aufständischen. Verlangte Legija für diese Hilfestellung im
Gegenzug Immunität und Kündigungsschutz? Jedenfalls
blieb der Haudegen auf seinem Posten - und rechtfertigte
Djindjics Vertrauen auch in der Folgezeit: Bei der
Erstürmung der Villa Milosevics und dessen Verhaftung in
der Nacht auf den 1. April 2001 soll er wiederum eine
wichtige Rolle gespielt haben.

Nach Seseljs Einschätzung sind Legija und andere
Top-Leute aus Milosevics Sondereinheiten nicht erst
unmittelbar vor der "Oktoberrevolution" gekauft worden,
sondern bereits viel früher. Für diese Theorie spricht, daß
die Anklageschrift des Haager Tribunals vom 28. Mai 1999
neben Milosevic alle möglichen und unmöglichen
serbischen Politiker und Militärs auflistet - aber
ausgerechnet die Anführer der Roten Barette, die auch im
Kosovo die Schmutzarbeit gemacht haben, nicht. Mit
welcher Gegenleistung haben sie sich diesen Persilschein
erkauft? Hat Legija bestimmte Verbrechen schon während
der Amtszeit Milosevics nicht in dessen Auftrag begangen,
sondern auf Anregung der Milosevic-Gegner - um den
Staatschef zu diskreditieren? Seselj erinnert in diesem
Zusammenhang daran, daß das Attentat auf Draskovic
nicht Milosevic nutzte, sondern der Opposition: Diese hatte
sich nämlich bereits sechs Wochen zuvor heillos zerstritten.
Der Anschlag verschaffte ihr einen Mitleidsbonus und
stachelte die Empörung über Milosevic wieder an.

Wahlen sind im heutigen Belgrad so demokratisch wie im
Chicago der dreißiger Jahre - egal wer gewinnt, Al Capone
herrscht. Attentatsopfer Draskovic meint jedenfalls:
"Unsere Öffentlichkeit muß wissen, daß die Kriminellen
und Staatsterroristen in Serbien nach dem 5. Oktober keine
neuen Bosse bekamen, sondern daß sie selbst die Bosse
wurden."

Jürgen Elsässer interviewte in KONKRET 12/02 Felipe
Turover über die Mafiaverbindungen von Carla del Ponte

Aus: Konkret, Januar 2003


2. Präsident in Handschellen

Mit Milan Milutinovic wird in Kürze ein zweiter
ehemaliger serbischer Staatschef in der Zelle des
UN-Tribunals sitzen

Wieder ein trauriges Weihnachtsfest in Belgrad:
Unmittelbar nach dem morgigen orthodoxen Feiertag ist
mit der Auslieferung des bisherigen serbischen Präsident
Milan Milutinovic nach Den Haag zu rechnen. Der
Politiker war bereits Ende Mai 1999, noch während der
Nato-Aggression, vom dortigen UN-Tribunal zusammen
mit dem damaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan
Milosevic wegen schwerer Kriegsverbrechen im Kosovo
angeklagt worden. Im Unterschied zu Milosevic, der nach
dem 5. Oktober 2000 zum Rücktritt gezwungen und am 28.
Juni 2001 unter Bruch der Verfassung ausgeliefert worden
war, konnte Milutinovic seine gesamte Amtszeit
absolvieren. Sie ging am vorletzten Sonntag zu Ende - und
damit erlosch auch Milutinovics Schutz vor
Strafverfolgung. Bei einem Auftritt im serbischen
Fernsehen kündigte er vorgestern an, einer Verhaftung
keinen Widerstand entgegensetzen zu wollen.

Gleichzeitig erklärte sich der Politiker für unschuldig. Im
Gegensatz zu den Behauptungen der Anklageschrift habe
er niemals Kriegsverbrechen im Kosovo befohlen. Im
fraglichen Zeitraum 1998/99 habe er keinen Einfluß auf die
Operationen von Armee und Polizei in der Unruheprovinz
gehabt. Die Streitkräfte seien Milosevic unterstellt gewesen,
das Kommando über die Polizei habe bei der serbischen
Regierung gelegen. Tatsächlich hat der serbische Präsident,
vergleichbar dem bundesdeutschen, vor allem
repräsentative und diplomatische Aufgaben. Den
westlichen Staatsführern mag Milutinovic verhaßt sein,
weil er sich als serbischer Chefunterhändler bei der
Kosovo-Konferenz in Rambouillet im Februar/März 1999
nicht dem Diktat der Nato beugen wollte - die Fotos, auf
denen Joseph Fischer in einer Verhandlungspause die
Fäuste gegen den Serben schüttelt, gingen damals um die
Welt. Milutinovic: "Ich habe US-Außenministerin
Madelaine Albright Abkommen über zehn, zwanzig, dreißig
oder fünfzig Jahre für die Einrichtung dieser Basen (im
Kosovo) angeboten. Unsere Vorschläge hatten nur eine
Bedingung: Die Amerikaner sollten sich nicht frei in ganz
Jugoslawien bewegen können..." Albright und Fischer aber
wollten genau das: Die Stationierung einer
Nato-Streitmacht nicht nur im Kosovo, sondern in ganz
Jugoslawien - das jedenfalls geht aus dem berüchtigten
Annex B ihres Vertragsentwurfes von Rambouillet hervor.
Weil Milutinovic ein solches Besatzungsstatut nicht
unterschreiben wollte, wurde der Krieg entfesselt. Und weil
Milutinovic zu viel über solche Vorgänge weiß, soll er jetzt
mundtot gemacht werden. Wenn er auspackt, droht ihm,
wie Milosevic, ein Verfahren ohne Ende, das langsame
Sterben in der Zelle - der Sechzigjährige ist herzkrank und
hat schon drei Bypässe. Behält er sein Wissen über die
Verbrechen der Nato aber für sich und zeigt Reue, so darf
er mit großzügiger Haftverschonung rechnen - wie die
ehemalige Präsidentin der bosnischen Serben, Biljana
Plavsic, gegen die das Urteil im Januar erwartet wird.

Das Vorgehen der Haager Chefanklägerin Carla del Ponte
stößt mittlerweile selbst in der pro-westlichen serbischen
Regierung auf Kritik. So hat Justizminister Vladan Batic
am Jahresende del Ponte in einem Offenen Brief zum
Rücktritt aufgefordert, weil sie einseitig fast nur gegen
Serben ermittle. Sie müsse "dieselben Standards auf alle
Tatverdächtigen anwenden, unabhängig von ihrer
ethnischen Herkunft". Tatsächlich wurden von Den Haag
gleich vier serbische Präsidenten angeklagt - Milosevic und
Milutinov (Jugoslawien/Serbien) bzw. Karadzic und Plavsic
(Bosnien/Republika Srpska) -, aber keine hochrangigen
Vertreter anderer Volksgruppen, weder der
bosnisch-moslemische Präsident Alija Izetbegovic noch
dessen kroatischer Amtskollege Franjo Tudjman. Nach
dessen Tod vor zwei Jahren hat Nachfolger Stipe Mesic
zwar Kooperation mit dem UN-Tribunal zugesagt - aber
den Haager Haftbefehl gegen den früheren kroatischen
General Janko Bobetko läßt er nicht vollstrecken. Obwohl
Bobetko nicht untergetaucht ist und sich Mesic mit ihm
noch im Dezember traf, hat die US-Regierung Kroatien
nicht mit Konsequenzen gedroht. Gegen Jugoslawien aber
will Washington erneut Sanktionen verhängen, falls die
Regierung bis zum 31. März keine weiteren Auslieferungen
vornimmt.

Besonders erzürnt ist man in Serbien, weil in Den Haag
kein einziger Kosovo-Albaner angeklagt ist. Bei ihrem
Belgrad-Besuch im März hatte del Ponte zugesagt,
wenigstens die offensichtlichsten Tatverdächtigen auf ihre
Fahndungsliste zu nehmen: den UCK-Chef Hashim Thaci,
den UCK-Oberkommandierenden Agim Ceku und den
UCK-Feldhauptmann Ramush Haradinaj. Doch nichts ist
seither passiert - Ceku etwa ist weiterhin Chef des
Kosovo-Schutzkorps, einer Art Hilfspolizei mit Mandat der
UN-Verwaltung.

Autor: Jürgen Elsässer
aus: junge Welt, 6. Januar 2003


(Aus: http://www.juergen-elsaesser.de/ )