Tageszeitung junge Welt
http://www.jungewelt.de/
12.03.2007 / Feuilleton / Seite 13
Antiserbische Blaupause
Wollt ihr den globalen Krieg? Die »freien Medien« sind die
Wegbereiter. Das wurde anhand der Balkan-Kriege durchexerziert. Ein
Buch über die entsprechenden Verflechtungen
Sabine Schiffer
Mit »Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod« hat das Autorenduo
Jörg Becker und Mira Beham eine eminent wichtige Forschungsarbeit
vorgelegt. In konzisen 87 Seiten mit Anhang wird aufgezeigt, wie der
Krieg auf dem Balkan durch die Arbeit von PR-Agenturen wesentlich
beeinflußt, ja mitinitiiert wurde, wie mittels der Zuordnung von
Recht und Unrecht klare Feindbilder geschaffen und widersprechende
Fakten unterschlagen wurden. Die Untersuchung ist ein Lehrstück. Sie
unterstreicht, wie bedeutend es angesichts immer massiver werdender
Instrumentalisierungen ist, daß Medienmacher die Quellen ihrer
Informationen hinterfragen. Die Folgen der Entwicklung hin zu mehr PR-
Stellen, weg von gesicherten Arbeitsverhältnissen im Journalismus,
können für eine Demokratie, die auf öffentliche
Meinungsbildungsprozesse angewiesen ist, nicht unterschätzt werden.
Es braucht etwa deutlich mehr kritische Aufmerksamkeit für die nicht
sonderlich subtilen Sprachregelungen bestimmter Agenturen. Natürlich
ist es entscheidend, ob etwas als »Massaker« oder
»Verteidigungskampf« bezeichnet wird. So wird ein Empfinden von
Legitimität oder Illegitimität erzeugt. Es ist kein Zufallsprodukt,
sondern Ergebnis jahrelanger Propaganda, daß »die Serben« in der
öffentlichen Wahrnehmung in die Nähe der Nazis rückten. Durch die
geschickte Plazierung von Begriffen wie »KZ«, »Völkermord« und
»Auschwitz« wurden auch Pazifisten in die Pflicht für den Krieg auf
dem Balkan genommen.
Die Vernetzungen gehen weit über das Bekannte hinaus. Die
Zusammenarbeit von PR-Akteuren und US-Politikern ist kein Geheimnis.
In »Operation Balkan« geht es auch um die Symbiosen zwischen
hochangesehenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Amnesty
International oder UNICEF und den Spins -- der gelenkten
Kommunikation. Auch hier vermitteln nicht nur Agenturen wie die
bereits im Irak-Krieg von 1991 berühmt gewordene Hill & Knowlton,
sondern auch ethisch angeblich integere wie Ruder Finn und viele
mehr. Das Register am Ende des Buches bietet einen Überblick über
Verteilung der Aufgaben unter den Organisationen. Neben solchen
internen Verflechtungen werden Verflechtungen mit privaten
Militärunternehmen aufgeführt. Insgesamt wird eine Tendenz zur
Privatisierung von Information, Krieg und schließlich auch von
Diplomatie nachgewiesen. Es waren mit der Kriegspropaganda
beauftragte Agenturen, die z. B. die Unabhängigkeitserklärung des
Kosovo entwarfen.
Erfolgreich war der antiserbische Spin vor allem, weil die
Gegenpositionen zum Teil von denselben Agenturen formuliert wurden.
In Serbien gaben widerstreitende Parteien derweil ein uneinheitliches
Bild ab, was einer geschlossenen Meinungsbildung nicht dienlich war.
Die Autoren veranschaulichen den zirkulären Schluß der PR-Aktivitäten
mit einem Schema: Die Argumentationen werden gezielt plaziert, von
Intellektuellen aufgenommen und diskutiert, schließlich auch durch
das Bildmaterial von NGOs vor Ort verstärkt. Die international so
»freien« Medien erscheinen als sich selbst bestätigendes System, das
Kohärenz suggeriert. Wieder und wieder wird die Notwendigkeit des
»humanitären Eingriffs« herausgestellt. Am Ende kann sich der
einzelne Konsument der Kriegsrhetorik kaum noch entziehen. Diese
Techniken der Manipulation dürften in naher Zukunft verstärkt zum
Einsatz kommen. Darauf läßt auch das Weißbuch der Bundeswehr schließen.
»Operation Balkan« arbeitet die zwiespältige Rolle von Organisationen
wie der Schweizer Medienhilfe heraus. Einerseits kann man ihnen
Erfolge im Ausbau eines Mediensystems nicht absprechen, andererseits
ist dieses Mediensystem eben privaten Interessen unterworfen.
Überhaupt wird deutlich, wie gerade NGOs das System der
Privatisierung staatlicher Aufgaben stützen, indem sie die
Notwendigkeit ihrer Existenz und vor allem das Fundraising nur durch
reale und möglichst eskalierende Krisen sichern können.
Für Deutschland werden die Aktivitäten von Moritz Hunzinger
exemplarisch erläutert. Da es in Deutschland keine Meldepflicht für
PR-Aktivitäten entsprechend dem FARA-Register in den USA gibt,
bleiben entsprechende Aktivitäten ausgeblendet, was nicht bedeutet,
daß es sie nicht gibt. Hier wäre etwa die intellektuelle Begleitung
diverser Regime-Change-Aktivitäten durch die Bertelsmann-Stiftung
untersuchenswert. Man kann sich keineswegs mit der Erkenntnis
zufrieden geben, daß wir vor allem von US-Seite aus in die Balkan-
Kriege der 90er Jahre manipuliert wurden. Auch ist der Mythos des
reinen NATO-Interesses so nicht haltbar. Hierzu müßten ergänzend
Schriften wie die des Internationalen Vorbereitungskomitees für ein
europäisches Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien
herangezogen werden, die von massiven Interessen Deutschlands in Ex-
Jugoslawien ausgehen.
Die Aufarbeitung dessen, was auf dem Balkan und darum herum wirklich
geschah, ist die Pflicht eines jeden Staatsbürgers, der Demokratie,
Menschen- und Völkerrecht etwas abzugewinnen vermag. Die Entwicklung
seither zeigt deutlich, in welche Richtung es gehen soll. Der
Vollständigkeit halber sei sie hier angerissen, auch wenn der
Zusammenhang mit der rezensierten Publikation nur indirekt ist: die
NATO-Doktrin von 1999 nennt drei legitime Gründe für sogenannte
Friedensmissionen: 1. Humanitäre Gründe, 2. Ressourcensicherung und
3. Migrationsbewegungen. Im EU-Verfassungsentwurf ist die Aufrüstung
aller Mitgliedsstaaten Programm und das besagte Weißbuch ist bislang
der Gipfel der Dreistigkeit: Grundrechte werden ausgehebelt und durch
Marktstrategien und das gute alte Konzept des »White-Man's-Burden«
ersetzt. Durch diese Entwicklungen seit den Balkan-Kriegen hat das
Buch von Becker und Beham an Bedeutung gewonnen. Es sollte zur
Pflichtlektüre an Journalistenschulen gemacht werden. Wir werden noch
ganz anders und viel genauer hinschauen müssen, damit wir nicht nach
Jahren der Gewöhnung an Orwellsches »Neusprech« bereit sind, der
rhetorischen Frage zuzustimmen: »Wollt ihr den globalen Krieg?« Wenn
man uns dann überhaupt noch fragt.
Becker, Jörg und Beham, Mira:
Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod.
Nomos Verlag, Baden-Baden, Dezember 2006, 130 Seiten, 17,90 Euro
http://www.jungewelt.de/
12.03.2007 / Feuilleton / Seite 13
Antiserbische Blaupause
Wollt ihr den globalen Krieg? Die »freien Medien« sind die
Wegbereiter. Das wurde anhand der Balkan-Kriege durchexerziert. Ein
Buch über die entsprechenden Verflechtungen
Sabine Schiffer
Mit »Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod« hat das Autorenduo
Jörg Becker und Mira Beham eine eminent wichtige Forschungsarbeit
vorgelegt. In konzisen 87 Seiten mit Anhang wird aufgezeigt, wie der
Krieg auf dem Balkan durch die Arbeit von PR-Agenturen wesentlich
beeinflußt, ja mitinitiiert wurde, wie mittels der Zuordnung von
Recht und Unrecht klare Feindbilder geschaffen und widersprechende
Fakten unterschlagen wurden. Die Untersuchung ist ein Lehrstück. Sie
unterstreicht, wie bedeutend es angesichts immer massiver werdender
Instrumentalisierungen ist, daß Medienmacher die Quellen ihrer
Informationen hinterfragen. Die Folgen der Entwicklung hin zu mehr PR-
Stellen, weg von gesicherten Arbeitsverhältnissen im Journalismus,
können für eine Demokratie, die auf öffentliche
Meinungsbildungsprozesse angewiesen ist, nicht unterschätzt werden.
Es braucht etwa deutlich mehr kritische Aufmerksamkeit für die nicht
sonderlich subtilen Sprachregelungen bestimmter Agenturen. Natürlich
ist es entscheidend, ob etwas als »Massaker« oder
»Verteidigungskampf« bezeichnet wird. So wird ein Empfinden von
Legitimität oder Illegitimität erzeugt. Es ist kein Zufallsprodukt,
sondern Ergebnis jahrelanger Propaganda, daß »die Serben« in der
öffentlichen Wahrnehmung in die Nähe der Nazis rückten. Durch die
geschickte Plazierung von Begriffen wie »KZ«, »Völkermord« und
»Auschwitz« wurden auch Pazifisten in die Pflicht für den Krieg auf
dem Balkan genommen.
Die Vernetzungen gehen weit über das Bekannte hinaus. Die
Zusammenarbeit von PR-Akteuren und US-Politikern ist kein Geheimnis.
In »Operation Balkan« geht es auch um die Symbiosen zwischen
hochangesehenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Amnesty
International oder UNICEF und den Spins -- der gelenkten
Kommunikation. Auch hier vermitteln nicht nur Agenturen wie die
bereits im Irak-Krieg von 1991 berühmt gewordene Hill & Knowlton,
sondern auch ethisch angeblich integere wie Ruder Finn und viele
mehr. Das Register am Ende des Buches bietet einen Überblick über
Verteilung der Aufgaben unter den Organisationen. Neben solchen
internen Verflechtungen werden Verflechtungen mit privaten
Militärunternehmen aufgeführt. Insgesamt wird eine Tendenz zur
Privatisierung von Information, Krieg und schließlich auch von
Diplomatie nachgewiesen. Es waren mit der Kriegspropaganda
beauftragte Agenturen, die z. B. die Unabhängigkeitserklärung des
Kosovo entwarfen.
Erfolgreich war der antiserbische Spin vor allem, weil die
Gegenpositionen zum Teil von denselben Agenturen formuliert wurden.
In Serbien gaben widerstreitende Parteien derweil ein uneinheitliches
Bild ab, was einer geschlossenen Meinungsbildung nicht dienlich war.
Die Autoren veranschaulichen den zirkulären Schluß der PR-Aktivitäten
mit einem Schema: Die Argumentationen werden gezielt plaziert, von
Intellektuellen aufgenommen und diskutiert, schließlich auch durch
das Bildmaterial von NGOs vor Ort verstärkt. Die international so
»freien« Medien erscheinen als sich selbst bestätigendes System, das
Kohärenz suggeriert. Wieder und wieder wird die Notwendigkeit des
»humanitären Eingriffs« herausgestellt. Am Ende kann sich der
einzelne Konsument der Kriegsrhetorik kaum noch entziehen. Diese
Techniken der Manipulation dürften in naher Zukunft verstärkt zum
Einsatz kommen. Darauf läßt auch das Weißbuch der Bundeswehr schließen.
»Operation Balkan« arbeitet die zwiespältige Rolle von Organisationen
wie der Schweizer Medienhilfe heraus. Einerseits kann man ihnen
Erfolge im Ausbau eines Mediensystems nicht absprechen, andererseits
ist dieses Mediensystem eben privaten Interessen unterworfen.
Überhaupt wird deutlich, wie gerade NGOs das System der
Privatisierung staatlicher Aufgaben stützen, indem sie die
Notwendigkeit ihrer Existenz und vor allem das Fundraising nur durch
reale und möglichst eskalierende Krisen sichern können.
Für Deutschland werden die Aktivitäten von Moritz Hunzinger
exemplarisch erläutert. Da es in Deutschland keine Meldepflicht für
PR-Aktivitäten entsprechend dem FARA-Register in den USA gibt,
bleiben entsprechende Aktivitäten ausgeblendet, was nicht bedeutet,
daß es sie nicht gibt. Hier wäre etwa die intellektuelle Begleitung
diverser Regime-Change-Aktivitäten durch die Bertelsmann-Stiftung
untersuchenswert. Man kann sich keineswegs mit der Erkenntnis
zufrieden geben, daß wir vor allem von US-Seite aus in die Balkan-
Kriege der 90er Jahre manipuliert wurden. Auch ist der Mythos des
reinen NATO-Interesses so nicht haltbar. Hierzu müßten ergänzend
Schriften wie die des Internationalen Vorbereitungskomitees für ein
europäisches Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien
herangezogen werden, die von massiven Interessen Deutschlands in Ex-
Jugoslawien ausgehen.
Die Aufarbeitung dessen, was auf dem Balkan und darum herum wirklich
geschah, ist die Pflicht eines jeden Staatsbürgers, der Demokratie,
Menschen- und Völkerrecht etwas abzugewinnen vermag. Die Entwicklung
seither zeigt deutlich, in welche Richtung es gehen soll. Der
Vollständigkeit halber sei sie hier angerissen, auch wenn der
Zusammenhang mit der rezensierten Publikation nur indirekt ist: die
NATO-Doktrin von 1999 nennt drei legitime Gründe für sogenannte
Friedensmissionen: 1. Humanitäre Gründe, 2. Ressourcensicherung und
3. Migrationsbewegungen. Im EU-Verfassungsentwurf ist die Aufrüstung
aller Mitgliedsstaaten Programm und das besagte Weißbuch ist bislang
der Gipfel der Dreistigkeit: Grundrechte werden ausgehebelt und durch
Marktstrategien und das gute alte Konzept des »White-Man's-Burden«
ersetzt. Durch diese Entwicklungen seit den Balkan-Kriegen hat das
Buch von Becker und Beham an Bedeutung gewonnen. Es sollte zur
Pflichtlektüre an Journalistenschulen gemacht werden. Wir werden noch
ganz anders und viel genauer hinschauen müssen, damit wir nicht nach
Jahren der Gewöhnung an Orwellsches »Neusprech« bereit sind, der
rhetorischen Frage zuzustimmen: »Wollt ihr den globalen Krieg?« Wenn
man uns dann überhaupt noch fragt.
Becker, Jörg und Beham, Mira:
Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod.
Nomos Verlag, Baden-Baden, Dezember 2006, 130 Seiten, 17,90 Euro