Prof. Thomas Fleiner über Kosovo

1) Kein Frieden ohne Achtung des Völkerrechts

2) Eine blühende und lebendige Autonomie für Kosovo-Metohija oder eine leere Souveränität für Kosova?



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Kein Frieden ohne Achtung des Völkerrechts


Stellungnahme zu rechtlichen Fragen bezüglich Kosovo-Bericht der Unosek in Wien, 10. März 2007

von Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Fleiner, Direktor des Instituts für Föderalismus, LLM Yale; Ehrenpräsident der International Association of Constitutional Law


Dies ist die schriftliche Fassung meiner Stellungnahme anlässlich des Treffens der beiden Delegationen mit der Unosek (United Nations Office of the Special Envoy for Kosovo) und der Kontaktgruppe. Einige kürzere Passagen dieses Papiers waren im mündlichen Vortrag nicht enthalten.


Einführung

Ich wurde gebeten, Sie über rechtliche Fragen in bezug auf durch den Bericht der Unosek aufgeworfene Probleme zu informieren. Ich bin mir bewusst, dass rechtliche Fragen in politischen Debatten nicht sehr ernst genommen werden. Im Prinzip wird das Gesetz gewöhnlich nur dann ernst genommen, wenn es dazu verwendet werden kann, ohnehin unangefochtene starke Positionen zu verteidigen. Die Rechtsgrundsätze, die der Freund der machtlosen Staaten sind, haben immer eine schwierige Position gehabt. Langfristig werden jedoch nur Lösungen, die die Prinzipien der Rechtsgrundsätze respektieren, nachhaltige Lösungen zur Überwindung grösserer politischer Konflikte garantieren können. Deshalb würde ich gerne drei grössere ungelöste rechtliche Probleme vorstellen, die von politischen Führern auf der Suche nach einer nachhaltigen Lösung berücksichtigt werden müssen.


1. Die neue serbische Verfassung

Nicht einmal ein halbes Jahr ist vergangen, seit die Einwohner Serbiens eine neue Verfassung angenommen haben. Diese Verfassung hat Kosovo ein neues Konzept der autonomen Selbstverwaltung gebracht. Sie befindet sich daher in voller Übereinstimmung mit den Richtlinien der Resolution 1244 des Sicherheitsrates, die für eine neue Lösung für den Kosovo «substantielle Autonomie» und «bedeutungsvolle Selbstverwaltung» gefordert hat. Diese Verfassung ist von einer überwältigenden Mehrheit der Völker Serbiens angenommen worden.
Der Vorschlag der Unosek, der diese verfassungsmässige Regel in der Tat aufheben würde, erwähnt weder die Verfassung noch den demokratischen Volksentscheid der Bevölkerung. Beide werden einfach ignoriert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Uno-Dokument die gültige Verfassung eines Mitgliedsstaates, die erst kürzlich von den Menschen eines souveränen Staates angenommen wurde und die ganz mit den Richtlinien der Uno übereinstimmt, vollständig ignorieren sollte.
Ich kann mir vorstellen, dass man das verfassungsgebende Verfahren oder den Inhalt einer Verfassung kritisiert, aber sie einfach zu ignorieren bedeutet einen unverzeihlichen Mangel an Respekt gegenüber der Demokratie, dem Selbstbestimmungsrecht eines Mitgliedsstaates und der Souveränität der Völker.
Darüber hinaus kann ich nicht verstehen, wie man von der Regierung eines Mitgliedsstaates erwarten kann, Vorschläge zu unterzeichnen oder zu akzeptieren, die in direktem Widerspruch zum soeben erst demokratisch dokumentierten Willen des Volkes stehen.


2. Teilung des Territoriums eines Mitgliedsstaates

Serbien ist Mitglied der Vereinten Nationen. Wenn der Sicherheitsrat den Vorschlag der Unosek annimmt, würde er effektiv das Territorium eines Mitgliedsstaates aufteilen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen einem solchen Eingriff in die territoriale Integrität und Souveränität eines ihrer Mitglieder zustimmen würden. Jedes Mitglied könnte sich eines Tages solchen Forderungen gegenübersehen.
Letzte Woche war ich in Sri Lanka, um den politischen Eliten einige verfassungsrechtliche Anregungen für die Behandlung von Konflikten und für möglichen Verfahren zu geben, um den gegenwärtigen gewaltsamen Konflikt friedlich beizulegen. Alle diese Völker fürchten, dass ein unabhängiges Kosovo den Konflikt in Sri Lanka wieder anheizen würde. Bevor ich nach Sri Lanka kam, besuchte ich Indien, das eine weltweite Konferenz über den Föderalismus vorbereitet. Dort fürchtet man die Loslösung der Kaschmir-Region. Einer meiner Studenten, der jetzt für die sudanesische Regierung arbeitet, hat eine Doktorarbeit über Föderalismus im Sudan geschrieben, ein Doktorand forscht über den Föderalismus in der Elfenbeinküste, ein anderer über Äthiopien, Somalia und Eritrea, ein Freund des Instituts war für eine friedliche Regelung für die Abchasen in Georgien verantwortlich; schliesslich arbeitet unser Institut auch in Zypern, ganz zu schweigen von der auch den Irak bedrohenden möglichen Sezession der Kurden. In allen diesen Regionen, in denen unser Institut involviert ist – abgesehen natürlich von der bekannten bedrohten Balkanregion – fürchtet man eine vom Uno-Sicherheitsrat aufgezwungene Entscheidung zur Legitimierung einer einseitigen Ablösung Kosovos. In Wirklichkeit würde eine solche Entscheidung die Prinzipien des Völkerrechts, die vor 400 Jahren mit der Anerkennung der Souveränität im Westfälischen Frieden von 1648 errichtet wurden, radikal verändern. Die Konsequenzen sind unabsehbar. Sogar Terroristen könnten dann für sich beanspruchen, ihre Unabhängigkeitsbewegung habe ein gerechtes Ziel, da ihr gewaltsamer Konflikt international die Legitimität der Ablösung ihres Territoriums beweise, die zukünftig durch eine Entscheidung des Sicherheitsrates legitimiert werden könnte.
Die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen als internationaler Organisation von souveränen Mitgliedsstaaten würde in Frage gestellt. Würde in Zukunft irgendein Staat ohne Befürchtungen einer internationalen Organisation beitreten können, die nicht nur die Befugnis hat, Mitglieder auszuschliessen (wozu die Uno nicht befugt ist), sondern auch, sie  aufzuteilen? Kann man sich vorstellen, dass ein vernünftiger Mensch einem Klub beitreten würde, der die Macht hätte, ein beliebiges Mitglied auf Grund eines einfachen Vorstandsbeschlusses zu vernichten? Ich kenne keinen Selbstmörderklub.
Nach dem Völkerrecht kann jede Veränderung des Territoriums nur als endgültige und nachhaltige Lösung akzeptiert werden, wenn sie auf einem Friedensvertrag mit dem betreffenden Staat beruht. Das bedeutet, dass solche schwerwiegende Eingriffe nur auf der Basis eines Konsenses mit dem betreffenden souveränen Staat möglich und rechtlich akzeptabel sind.
Es ist allerdings wahr, dass Kosovo in gewisser Weise ein einzigartiger Fall ist: Ich kenne keinen anderen Fall, bei dem ein international bindendes Rechtsdokument eine klare Anerkennung der Souveränität von Jugoslawien und jetzt Serbien bezüglich Kosovos feststellt. In der Tat erwähnt die Uno-Resolution 1244 die Souveränität von Jugoslawien/Serbien nicht nur einmal, sondern sogar dreimal. Ausserdem erwähnt sie nicht nur die Souveränität, sondern sie appelliert an alle Staaten, einschliesslich natürlich der Mitglieder des Sicherheitsrates, sich für die Erhaltung und Wahrung dieser Souveränität einzusetzen. In welcher Weise ist das Dokument der Unosek der Souveränität Serbiens über Kosovo verpflichtet?
Eine solche Erklärung ist nicht ohne grundlegende Überlegungen entstanden. Die Mitglieder des Sicherheitsrates, die das Dokument 1999 verabschiedeten, wussten sehr wohl, dass der Frieden in Jugoslawien und in der gesamten Region nur dann möglich und nachhaltig sein wird, wenn die Souveränität des Territoriums anerkannt wird und alle Mitglieder der Uno dessen Unverletzlichkeit respektieren und sich für deren Verteidigung einsetzen.


3. Recht auf Selbstbestimmung

Häufig beruft man sich in diesen Fällen auf das Recht auf Selbstbestimmung, um eine einseitige Loslösung zu rechtfertigen. Es gibt im Völkerrecht oder im Völkergewohnheitsrecht kein universelles Rechtsprinzip, das Völkern (ausser solchen unter einem Kolonialregime), die nicht mit der Nation eines Mitgliedsstaates der Uno identisch sind, ganz allgemein ein einseitiges Recht zur Loslösung auf der Basis eines Rechts auf Selbstbestimmung zugestehen würde. Dies ist auch kürzlich vom kanadischen Obersten Gerichtshof festgestellt worden, der über die Legalität einer einseitigen Loslösung von Québec zu entscheiden hatte.
Das Recht auf Selbstbestimmung hat nur Wirkung in bezug auf die innere Gestaltung der Staaten. Auf der Grundlage dieses Rechts sind Staaten verpflichtet, Gemeinschaften, die Selbstbestimmung verlangen, Autonomie und Selbstverwaltung zu gewähren.
Bei Kosovo ist die Frage, die in bezug auf dieses Recht beantwortet werden muss: Welches sind die Völker, die das Recht auf Selbstbestimmung haben?
Erstens: Auf der Grundlage der Uno-Charta haben die Nation oder die Völker von Serbien als Mitgliedsland ein Recht auf Selbstbestimmung.
Zweitens: Alle Gemeinschaften in Serbien haben ein Recht auf Autonomie, also sowohl die Kosovo-Albaner, die Serben in Kosovo (einschliesslich der Flüchtlinge und Vertriebenen) als auch andere Gemeinschaften.
Drittens: Alle diese Rechte müssen ernst genommen werden, und keines kann Vorrang vor den anderen geniessen, etwa auf Grund der Zahl der Menschen, die einer bestimmten Gemeinschaft angehören. Dies bedeutet, dass im Falle eines Konflikts zwischen verschiedenen Vorstellungen von Selbstbestimmung nur ein Konsens zwischen den verschiedenen Gemeinschaften zu einer akzeptablen und nachhaltigen Lösung führen kann.
Der Vorschlag der Unosek gibt den Gemeinschaften in Kosovo die Möglichkeit, gegen Gesetze, die in ihre vitalen Interessen eingreifen, das Veto einzulegen. Aber es ist widersprüchlich, wenn ein solches Recht nur auf der Ebene der Gesetzgebung zugestanden wird, nicht aber beim viel wichtigeren Problem des Status. Die Statusfrage ist von vitaler Bedeutung für alle Gemeinschaften, einschliesslich der Serben. Deshalb sollte auch der Vorschlag der Unosek zum Schluss kommen, dass ein gemeinsamer Konsens aller betroffenen Völker, einschliesslich der Gemeinschaften in Kosovo und der serbischen Nation, die als Souverän das Recht auf Selbstbestimmung oder ein vitales Interesse geltend machen, in den Prozess der Konsensfindung einbezogen werden muss.


Schlussbemerkung

Heute morgen ist gesagt worden, der Vorschlag der Unosek sei von den hochkarätigsten Experten entworfen worden und stelle daher die bestmögliche Lösung dar. In Fragen der Verfassung wie in Fragen, die Konflikte zwischen Völkern betreffen, gibt es niemals eine Expertenlösung, die beanspruchen kann, die optimale zu sein. In diesen Fragen kann die optimale Lösung nur eine Lösung sein, die auf der Grundlage eines Konsenses zwischen allen betroffenen Gemeinschaften entwickelt worden ist. Es gibt Verfassungen, die niemals von den hochkarätigsten Experten entworfen worden wären, aber trotzdem die optimale Lösung darstellen, weil sie von allen Gemeinschaften akzeptiert worden sind und damit dem Staat erlaubt haben, darauf aufzubauen und die Verschiedenheiten zusammenzuhalten.    •


Übersetzung Zeit-Fragen



Ahtisaari-Plan ist nicht ehrlich

lj. Sanda Raskovic-Ivic, die Beauftragte für die Kosovo-Verhandlungen, sagte vor dem UN-Sicherheitsrat in New York, dass man die Resolution 1244 bewusst umgangen habe. Niemand hat auf ihre Frage antworten können, wie es möglich sein kann, der albanischen ethnischen Minderheit in einem souveränen Land noch einen albanischen Staat zuzugestehen. Jeder weiss, dass das ein Auslöser für einen Krieg sein kann, bei dem die Serben wieder vertrieben und serbische Kirchen, Klöster und Häuser verbrannt würden. Das habe es noch nie gegeben, dass einem Land mit Gewalt gedroht wird, wenn es die vorgeschlagenen Pläne nicht annimmt. Serbische Opfer würden bestraft, weil sie die Wünsche der albanischen Terroristen nicht erfüllen wollen.
Raskovic-Ivic betonte auch, dass Ahtisaaris Plan nicht aus den Gesprächen beider Bevölkerungsgruppen entstanden ist. Und dass in keinem einzigen Punkt dieses Plans eine Ansicht der Serben vertreten wäre. Belgrad habe mindestens 500 Vorschläge geschickt, und alle wurden ignoriert und abgeschoben. Mit anderen Worten: Ahtisaari hat der Republik Serbien, einem souveränen Staat, eine Lösung aufgezwungen, mit der man, ohne irgendwelche Völkerrechte zu beachten, einen Teil ihres Landes wegnimmt.
Auf die Frage Raskovic-Ivics, was ein Land – irgendeines – tun würde, wenn es so einen Plan aufgezwungen bekäme, schwiegen alle Parteien. Die Frage stellte sie allen anwesenden Parteien, speziell Ahtisaari. Niemand gab jedoch darauf eine Antwort.
Grossbritannien und die USA haben Rücker unterstützt, nur der russische Botschafter Tschurkin verliess die Sitzung und forderte eine Fortsetzung der Gespräche. 

Quelle: Kompanija Novosti – D. SAVI, 19.3.07 


Zeit-Fragen Nr.12 vom 26.3.2007 © 2006 Genossenschaft Zeit-Fragen


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Eine blühende und lebendige Autonomie für Kosovo-Metohija oder eine leere Souveränität für Kosova?

Der serbische Vorschlag einer Verfassung für eine substantielle Autonomie von Kosovo und Metohija

von Prof. Thomas Fleiner, Institut für Föderalismus, Fribourg

 

Einführung

Verantwortlichkeiten und Kompetenzen gemäss Resolution 1244 des Uno-Sicherheitsrats von 1999


Seit 1999 wird die serbische Provinz Kosovo entsprechend Resolution 1244 des Uno-Sicherheitsrates durch die Vereinten Nationen verwaltet. Diese Resolution beschliesst, in Kosovo «unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen internationale zivile und Sicherheitspräsenzen zu errichten, die über die notwendige Ausrüstung und das erforderliche Personal verfügen», und wie es gemäss Kapitel VII der Uno-Charta bestimmt werden kann, unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen «die Stationierung von wirksamen internationalen zivilen und Sicherheitspräsenzen in Kosovo [...], die in der Lage sind, das Erreichen der gemeinsamen Ziele zu gewährleisten» [...] «Die Mitgliedstaaten und relevanten internationalen Organisationen etablieren eine internationale Sicherheitspräsenz in Kosovo, mit allen notwendigen Mitteln, um ihre Verantwortlichkeiten wahrnehmen zu können.» Ein von den Vereinten Nationen ernannter Sonderbeauftragter hat die Implementierung der internationalen zivilen Präsenz zu kontrollieren.
«Zu den Verantwortlichkeiten der in Kosovo zu errichtenden und tätigen internationalen Sicherheitspräsenz gehören
a)    Abschreckung von der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten, Aufrechterhaltung und nötigenfalls Durchsetzung einer Waffenruhe, Gewährleistung des Abzugs der militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Bundes- und Republikkräfte aus Kosovo sowie Verhinderung ihrer Rückkehr, [...]
b)    Demilitarisierung der Kosovo-Befreiungsarmee KLA und anderer bewaffneter kosovo­albanischer Gruppen, [...]
c)    Schaffung eines sicheren Umfelds, in dem Flüchtlinge und Vertriebene sicher in ihre Heimat zurückkehren können, [...]
h)    Gewährleistung des Schutzes und der Bewegungsfreiheit ihrer selbst sowie der internationalen zivilen Präsenz und der anderen internationalen Organisationen [...]»
Die internationale zivile Präsenz wird [gemäss Resolution 1244] unter anderem folgende Hauptaufgaben haben: bis zu einer endgültigen Regelung soll sie den Aufbau substantieller Autonomie und Selbstverwaltung in Kosovo fördern; grundlegende zivile Verwaltungsaufgaben wahrnehmen; wo und solange dies erforderlich ist und bis zu einer politischen Regelung die Entwicklung vorläufiger Institutionen für eine demokratische und autonome Selbstverwaltung organisieren und überwachen, wozu auch das Durchführen von Wahlen gehört; nach der Schaffung dieser Institutionen soll sie ihre Verwaltungsaufgaben auf diese Institutionen übertragen bei gleichzeitiger Überwachung und Unterstützung der Konsolidierung der örtlichen vorläufigen Institutionen Kosovos und anderer friedenskonsolidierender Tätigkeiten; sie soll einen politischen Prozess erleichtern, der dazu angetan ist, den künftigen Status Kosovos unter Berücksichtigung des Rambouillet-Abkommens (S. 1999/648) zu bestimmen; den Wiederaufbau der grundlegenden Infrastruktur und den sonstigen wirtschaftlichen Wiederaufbau unterstützen; die zivile öffentliche Ordnung aufrechterhalten, namentlich durch die Schaffung örtlicher Polizeikräfte; die Menschenrechte schützen und fördern; die sichere und ungehinderte Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Heimstätten in Kosovo gewährleisten.
Gemäss dieser Resolution soll der endgültige Status durch das Rambouillet-Abkommen bestimmt werden. Entsprechend Artikel 1, Absatz 3 ihrer Verfassung, die im Rambouillet-Abkommen vorgeschlagen worden war, erstreckt sich die Zuständigkeit der Bundesrepublik Jugoslawien, heute repräsentiert durch Serbien, in Kosovo auf folgende Gebiete: territoriale Integrität, Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Marktes, Währungspolitik, Verteidigung, Aussenpolitik, Zollwesen, Bundessteuern, Wahlen auf Bundesebene und auf weitere in diesem Abkommen spezifizierte Bereiche.
Resolution 1244 verpflichtet die internationale Gemeinschaft somit eindeutig dazu, Recht und Gesetz zu garantieren und die Menschenrechte in Kosovo durchzusetzen. Hinsichtlich des endgültigen Status verweist die Resolution auf das Rambouillet-Abkommen, das auf einer substantiellen Autonomie Kosovos basiert und in keiner Art und Weise auf die Schaffung eines neuen souveränen oder quasisouveränen Staates verweist.

 

Vollzug und endgültiger Status Kosovos, wie sie Resolution 1244 vorsieht


Umsetzung und Menschenrechtsstandards
Seit 1999 wurde keines dieser Ziele erreicht. Die verschiedenen Berichte zur Lage der Menschenrechte wie auch die Angst der vertriebenen Menschen, in ihre Häuser zurückzukehren, sind ein klarer Beleg dafür, dass Kosovo und seine internationale Präsenz vorläufig nicht in der Lage sein werden, diese Forderungen von Resolution 1244 des Sicherheitsrates demnächst zu erfüllen. Es wird einer grossen Anstrengung aller Parteien, die in Kosovo die Macht ausüben, bedürfen, um nur die Minimalstandards zu erreichen, die die Resolution 1244 vorgegeben hat.


Der endgültige Status und die Vertriebenen
Im Hinblick auf den endgültigen Status wird in Resolution 1244 ein souveränes oder unabhängiges Kosovo nicht einmal erwähnt. Die Resolution verweist vielmehr auf das Rambouillet-Abkommen, das eindeutig auf einem Konzept eines Kosovo mit substantieller Autonomie aber innerhalb des serbischen Staates basiert, so wie es in der neuen serbischen Verfassung vorgesehen ist, die im Herbst 2006 angenommen wurde.
Seit mehr als zwei Jahren währen Gespräche zwischen Pristina und Belgrad. Die Vereinten Nationen haben unter der Leitung des Chef-Unterhändlers und Sondergesandten Martti Ahtisaari erste Gespräche zwischen Belgrad und Pristina initiiert, um eine Lösung für den endgültigen Status von Kosovo zu finden. Ursprünglich war geplant, dass diese Gespräche erst beginnen sollten, wenn die Minimalbedingungen – das heisst die Einhaltung der Menschenrechtsstandards und der Schutz der Minderheiten, welche Resolution 1244 vorsieht – erfüllt worden sind. Doch diese Standards sind, wie bereits erwähnt, nach mehr als 5 Jahren internationaler Präsenz und Verwaltung noch immer nicht erreicht. Im Gegenteil ist die serbische Minderheit, namentlich nach all der Gewalt, den Plünderungen und der Zerstörung orthodoxer Kirchen und Klöster, voller Angst, was ihre Zukunftsperspektiven und das Zusammenleben mit der albanischen Mehrheit betrifft. Darüber hinaus gibt es immer noch ungefähr 300 000 Heimatvertriebene, die ausserhalb Kosovos leben und die gemäss Resolution 1244 Bedingungen vorfinden sollten, die ihnen eine Rückkehr ohne jede Angst ermöglichen würden.1


Veränderte Strategie der Internationalen Gemeinschaft
Dessen ungeachtet hat die internationale Gemeinschaft, vertreten durch die sogenannte Kontaktgruppe,2 ihre Strategie geändert und forderte den Beginn von Gesprächen, um zu einer endgültigen Lösung bezüglich zukünftiger Sicherheit, Menschenrechten und sozialer Wohlfahrt für alle Bevölkerungsgruppen, die im Gebiet Kosovos leben, zu gelangen. Allerdings hatte vor allem die serbische Minderheit kein Vertrauen in die von Pristina versprochenen Garantien von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Sie waren gezeichnet von ihren neuerlichen bedrohlichen Erfahrungen. Es war Pristina daher nie möglich, hinsichtlich dieser Minderheit die notwendige Glaubwürdigkeit und das Vertrauen zu gewinnen. Der Aufbau von Vertrauen und Glaubwürdigkeit ist jedoch der erste und wichtigste Schritt für jeden Friedensplan, der zu Frieden und irgendeiner endgültigen Regelung führen könnte.
Jeder Vorschlag für eine endgültige Lösung hat nur dann eine Chance, von der Bevölkerung akzeptiert zu werden, wenn die Menschen jenen vertrauen, die die Legitimität für eine gesetzlich geregelte Regierung beanspruchen. Kein Gesetz, keine Verfassung und kein internationaler Vertrag können Frieden und friedliche Werkzeuge der Konfliktlösung schaffen, wenn diese grundlegenden Voraussetzungen fehlen. Wie soll die serbische Minderheit auf eine faire Umsetzung irgendeiner Regelung vertrauen, wenn die tatsächliche Situation in klarem Gegensatz zu den mündlichen Versicherungen und Versprechen steht, die am Verhandlungstisch abgegeben wurden? Diese Gespräche endeten daher ohne irgendeine Einigung. Die Serben für diesen Misserfolg verantwortlich zu machen heisst, die internationale Öffentlichkeit in die Irre zu führen und einmal mehr die Tatsachen zu vernebeln.
Martti Ahtisaari war offensichtlich der Meinung, er habe die Macht, dem Sicherheitsrat eine Lösung vorzuschlagen, die einzig von seinen Experten ausgearbeitet wurde. Er nahm an, er könne Serbien gegen dessen klaren Willen und entgegen seiner Verfassung einseitig die Unabhängigkeit Kosovos unter internationaler Schirmherrschaft, hauptsächlich durch die Nato und die EU gestellt, aufzwingen. Dies war eine weitere gefährliche und falsche Einschätzung der Realität. Die Überschätzung seiner Macht und seiner Möglichkeiten hat die gesamte Unosek (United Nations Office of the Special Envoy for Kosovo) während der gesamten Dauer der Gespräche irregeführt. Aus diesem Grund haben sie nie ernsthaft versucht, den Gesprächen die Funktion wirklicher Verhandlungen zu geben, welche allein eine Art von endgültigem Konsens und einer Vereinbarung zwischen den Parteien am Verhandlungstisch erreichen könnten. Offenbar glaubte auch das Team aus Pristina, dass Serbien jedwede endgültige Lösung aufgezwungen werde. Genau aus diesem Grund sind sie nie bereit, auf echte gemeinsame Verhandlungen einzutreten.


Pattsituation im Sicherheitsrat
Allerdings konnte der Sicherheitsrat vor allem deswegen nicht zu einer Einigung kommen, weil die russische Delegation eine Lösung forderte, die die Rechtsgrundsätze der Vereinten Nationen respektiert und dementsprechend auf einem Konsens der Parteien gründet. In der Tat kann eine Aufteilung des Staatsgebietes eines Mitgliedstaates der Vereinten Nationen nur durch einen bilateralen Vertrag zwischen den Vereinten Nationen und diesem Mitgliedsstaat erfolgen.
Diejenigen Länder, die in der Öffentlichkeit immer den Respekt der Rechtsgrundsätze predigen, schwiegen bei dieser Gelegenheit; sie verbargen ihre Sorge um die Rechtsgrundsätze und missachteten und ignorierten beunruhigenderweise einige der Grundlagen des Völkerrechts, die bei anderen Gelegenheiten von den gleichen Mitgliedern als einzige Richtlinien zur friedlichen Beilegung von Konflikten propagiert werden. So war der Sicherheitsrat durch eine Pattsituation blockiert. Es bestand keine andere Möglichkeit, als die Parteien, einschliesslich der Kontaktgruppe, darum zu bitten, die Verhandlungen unter der Führung einer Troika wiederaufzunehmen, die sich aus je einem Delegierten der USA, Russlands und der EU zusammensetzte und der seit langem etablierten Kontaktgruppe gegenüber rechenschaftspflichtig war.
Die meisten Partner der internationalen Gemeinschaft scheinen offenbar zu glauben, dass die Unabhängigkeit Kosovos auf längere Sicht etwas Unvermeidliches sei und man deshalb sehr schnell darüber entscheiden müsse. Aus diesem Grund schlugen sie unter dem Druck von Pristina, das die Unabhängigkeitserklärung gar nicht abwarten kann, vor, dass die Verhandlungen nach 120 Tagen abgeschlossen sein sollten. Allerdings existiert kein bekanntes historisches Beispiel für diese Art von Verhandlungen, das als Präzedenzfall für eine solche absolute Deadline dienen könnte. Im Gegenteil, Verhandlungen, die zu einer friedlichen Lösung führen sollen, werden immer mit offenem Ende geführt, wie wir in Zypern, Israel und vielen anderen Gebieten sehen. Wird Verhandlungspartnern eine Deadline gesetzt, kann ein wirklicher Konsens, der sich auf Kompromisse gründet, niemals erreicht werden. Die Partei, die im Falle der Nichtbeachtung der Deadline als Gewinner gilt, wird so nie bereit sein, um des Kompromisses willen einige ihrer Hauptziele aufzugeben. Sie wird im Gegenteil alles tun, um einen Konsens zu verhindern, damit die Deadline ohne Lösung verstreicht, denn nach diesem Zeitpunkt werden ihre Wünsche der Gegenpartei in irgendeiner Form aufgezwungen werden.


Das Argument der Unvermeidlichkeit der Unabhängigkeit Kosovos
Es ist schwierig herauszufinden, warum einige wichtige Staaten der internationalen Gemeinschaft nach ihrer Annahme von Resolution 1244 ihre Position so schnell geändert und die Unabhängigkeit Kosovos sogar gegen die Resolution 1244 vorangetrieben haben. Sie scheinen dem Druck aus Pristina zu folgen, das nicht aufhört, die Unvermeidlichkeit eines Kosovo zu fordern. Es ist jedoch überhaupt nicht überzeugend, dass die Unabhängigkeit Kosovos unvermeidlich sein soll. Wohlstand für die Menschen in der Region, wirtschaftliche Entwicklung, Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit sind sicherlich die Ziele, die in der Region unbedingt erreicht werden müssen. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum die Schaffung eines zusätzlichen souveränen Staates eher zu Frieden, Sicherheit und Wohlstand beitragen würde als die bescheidene Integration als autonomer Provinz in den Staat, in die sie schon integriert ist.
Die Geschichte lehrt uns, dass unabhängige souveräne Staaten eine eher grössere Gefährdung des Friedens darstellen als in einen Staat integrierte Regionen. Die erste und wichtigste Garantie für den Frieden sind die innerstaatliche Geltung der Rechtsstaatlichkeit und die Verfassungsmässigkeit. Deutschland und Frankreich waren über lange Zeit Feinde; sie wandelten sich erst zu friedlichen Gegenspielern, als ihre Militärindustrie als Kohle- und Stahlproduktion in den ersten Vereinigungen [der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EGKS, oft auch Montanunion genannt] zusammengefasst wurde. Es ist eine Illusion zu glauben, die Souveränität kleiner Staaten sei eher eine Garantie für den Frieden als vitale und gut durchdachte innerstaatliche Lösungen mit Autonomie und innerstaatlicher Unabhängigkeit. Insbesondere eine von externen Akteuren aufgenötigte Lösung, die unrechtmässig und anfechtbar oder strittig ist, kann deshalb nie eine nachhaltige Lösung für Frieden und Sicherheit sein und/oder werden.
Aus diesem Grund folgt hier zunächst eine kurze Analyse der Rechtmässigkeit des Ahtisaari-Plans, der durch die Unosek nach den Verhandlungen zwischen Pristina und Belgrad etabliert wurde; dann soll sich das Augenmerk auf die neue serbische Verfassung richten, um zu untersuchen, inwieweit sich dieses Konzept einer weitgehenden Autonomie mit der Resolution 1244 vereinbaren lässt und als Werkzeug für das Lösen von Konflikten dienen kann.

 

Die Unrechtmässigkeit des Ahtisaari-Plans der Unosek

Rechtsfragen werden in politischen Debatten oft nicht sehr ernst genommen. Grundsätzlich wird das Recht in der Regel nur dann ernst genommen, wenn es dazu benutzt werden kann, bereits unstrittige, machtvolle Posi­tionen zu verteidigen. Die Rechtsstaatlichkeit, die ein Freund der machtlosen Staaten ist, hat immer einen schwierigen Stand. Auf lange Sicht jedoch werden nur Lösungen, die wirklich die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit respektieren, in der Lage sein, nachhaltige Lösungen für die Beilegung grösserer politischer Konflikte zu garantieren. Meiner Ansicht nach erfüllt der Ahtisaari-Plan diese Erfordernisse aus mehreren Gründen nicht und kann deshalb nicht als praktikables Konzept für die Lösung des Konfliktes unter Beachtung der Resolution 1244 angesehen werden. Ich würde gerne drei grössere Rechtsfragen ansprechen, die die Illegalität dieses Planes im Hinblick auf die serbische Verfassung, aber auch im Hinblick auf die Charta der Vereinten Nationen und auf das Selbstbestimmungsrecht deutlich machen.


Die neue Verfassung Serbiens

Keine sechs Monate nach Verabschiedung der neuen serbischen Verfassung wurde den beiden Parteien, welche die Regelung eines neuen Status Kosovos verhandelten, der Ahtisaari-Plan zur Zustimmung vorgelegt. Diese Verfassung sieht ein neues autonomes Selbstverwaltungskonzept für Kosovo vor. Sie erfüllt damit die Richtlinien der Resolution 1244 des Sicherheitsrates vollauf, die für eine neue Lösung Kosovos eine «substantielle Autonomie» und «tatsächliche Selbstverwaltung» verlangt. Diese Verfassung ist von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung Serbiens angenommen worden.
Der Vorschlag der Unosek (United Nations Office of the Special Envoy for Kosovo), der in Tat und Wahrheit diese Verfassungsbestimmung annullieren würde, erwähnt weder die Verfassung noch das demokratische Referendum des Volkes. Es ignoriert einfach beides. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Dokument der Vereinten Nationen die geltende Verfassung eines Mitgliedstaates, die vor kurzer Zeit von den Völkern eines souveränen Staates angenommen worden ist und die völlig mit den Richtlinien der Vereinten Nationen übereinstimmt, vollständig ignorieren würde.
Ich könnte mir vorstellen, dass man vielleicht die Prozedur oder den Inhalt einer Verfassung kritisieren könnte, aber sie einfach zu ignorieren ist eine unentschuldbare Missachtung der Demokratie, des Rechts der Selbstbestimmung eines Mitgliedstaates und der Souveränität des Volkes.
Ich kann auch nicht verstehen, wie man von einer Regierung eines Mitgliedstaates erwarten kann, Vorschläge zu unterschreiben oder zu akzeptieren, die im völligen Gegensatz zum kürzlich auf demokratischem Wege ausgedrückten Willen des Volkes stehen.


Teilung des Hoheitsgebietes eines Mitgliedstaates

Serbien ist ein Mitglied der Vereinten Nationen. Würde der Sicherheitsrat den Vorschlag der Unosek übernehmen, würde er tatsächlich das Gebiet eines Mitgliedstaates teilen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mitglieder der Vereinten Nationen einem solchen Eingriff in die territoriale Integrität und Souveränität eines ihrer Mitglieder zustimmen würden. Jedes Mitglied könnte sich eines Tages solchen Konsequenzen gegenübersehen.
Kürzlich war ich in Sri Lanka, um dortigen politischen Eliten einige verfassungsbezogene Anregungen für ein Konfliktmanagement und für mögliche Verfahren vorzustellen, die dazu dienen könnten, den aktuellen gewaltsamen Konflikt friedlich beizulegen. All diese Völker befürchten, dass ein unabhängiges Kosovo den Konflikt in Sri Lanka wieder anfachen würde. Vor meinem Aufenthalt in Sri Lanka war ich in Indien, das eine Weltkonferenz über Föderalismus vorbereitet. Dort befürchtet man die Abspaltung Kaschmirs. Einer meiner Studenten, der mittlerweile für die sudanesische Regierung arbeitet, hat eine Doktorarbeit zum Thema Föderalismus im Sudan geschrieben mit der These, dass der Föderalismus die Aufspaltung des Landes in einen nördlichen und einen südlichen Teil verhindern könnte. Ein anderer Doktorand forscht über Föderalismus für die Elfenbeinküste, ein weiterer arbeitet am Thema Föderalismus mit Blick auf Äthiopien, Somalia und Eritrea, ein Freund des Instituts war in Georgien zuständig für eine Friedensvereinbarung mit Abchasien, und schliesslich arbeitet unser Institut auf Zypern. Wir forschen auch zum Irak, dem eine mögliche Sezession der Kurden droht. In all diesen Gebieten, wo unser Institut – neben unserer bekannten Tätigkeit in der bedrohten Balkanregion –, engagiert ist, fürchtet man eine zwangsweise herbeiführte Entscheidung, mit der eine einseitige Sezession Kosovos durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen legitimiert werden soll.
In der Tat würde eine solche Entscheidung die Grundsätze des Völkerrechts, die vor 400 Jahren mit der Anerkennung der Souveränität der Staaten im Westfälischen Frieden im Jahr 1648 etabliert worden sind, radikal verändern. Die Folgen sind unabsehbar. Selbst Terroristen könnten in Zukunft geltend machen, ihre Sezessionsbewegung sei eine gerechte Sache, denn ihr gewaltsamer Konflikt beweise international die Rechtmässigkeit der Abspaltung ihres Territoriums, die in Zukunft durch eine Entscheidung des Sicherheitsrates legitimiert werden könnte.
Die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen als internationaler Organisation von souveränen Mitgliedern wäre in Frage gestellt. Würde irgendein Staat es in Zukunft wagen, ohne Furcht einer internationalen Organisation beizutreten, die nicht nur die Macht hat, ihre Mitglieder auszuschliessen (eine Macht, die sogar die Vereinten Nationen nicht haben), sondern darüber hinaus auch die Macht, gegen den klaren Willen ihrer souveränen Mitglieder deren Territorium aufzulösen und zwei Mitgliedstaaten aus einem zu machen? Kann man sich irgendein vernünftiges menschliches Wesen vorstellen, das einem Verein beitreten würde, der die Macht hat, jedes seiner Mitglieder zu zerstören allein auf Grund einer einfachen Entscheidung des Vorstandes? Ich kenne keinen solchen Selbstmord-Klub.
Im Völkerrecht kann jegliche Veränderung des Territoriums eines Staates legal nur als letzte und nachhaltige Lösung auf Grund eines Friedensvertrages mit dem beteiligten Staat akzeptiert werden. Das bedeutet, dass derart schwerwiegende Interventionen nur auf Grund eines Konsenses mit dem betreffenden souveränen Mitgliedstaat möglich und rechtlich akzeptabel sind.
Es ist allerdings wahr, dass Kosovo in gewisser Hinsicht ein ganz besonderer Fall ist: Mir ist kein anderer Fall bekannt, bei dem ein international bindendes Rechtsdokument eine klare Anerkennung der Souveränität von Jugoslawien und jetzt von Serbien auf dem Gebiet Kosovos vorsieht. Tatsächlich erwähnt Resolution 1244 die Souveränität von Jugoslawien/Serbien nicht nur einmal, sondern sogar dreimal. Darüber hinaus erwähnt sie die Souveränität nicht nur, sondern sagt explizit, dass alle Staaten, einschliesslich natürlich der Mitglieder des Sicherheitsrates der Souveränität Serbiens, «verpflichtet» [committed] sind. Wie kann man das Dokument der Unosek, das im Auftrag der Vereinten Nationen und ihres Sicherheitsrates ausgearbeitet wurde, als der Souveränität Serbiens in Kosovo verpflichtet ansehen?
Eine solche Verpflichtung für die Souveränität Serbiens ist nicht ohne grundlegende Überlegungen übernommen worden. Die Mitglieder des Sicherheitsrates, die dieses Dokument 1999 verabschiedeten, wuss­ten sehr genau, dass Frieden in Jugoslawien und in der gesamten Region nur möglich und nachhaltig sein wird, wenn die Souveränität des Staatsgebietes anerkannt wird und wenn alle Mitglieder der Vereinten Nationen die Integrität dieses Gebietes respektieren und sich zu deren Verteidigung verpflichten.


Das Recht auf Selbstbestimmung

Am 13. September hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Erklärung über die Rechte der indigenen Völker verabschiedet. Diese historische Entscheidung wird nicht nur Auswirkungen auf die Situation indigener Völker haben, sie kann auch all jenen als Richtlinie dienen, die Lösungen suchen für Konfliktsituationen mit ihren eigenen Völkern, die historisch in ihrem Territorium verwurzelt sind.3 Die folgenden Grundsätze stehen daher in voller Übereinstimmung mit diesen grundlegenden Prinzipien.
Oft wird in diesen Fällen das Recht auf Selbstbestimmung angeführt, um eine einseitige Sezession zu verteidigen. Nach dem Völkerrecht und dem Völkergewohnheitsrecht gibt es keinen universellen Rechtsgrundsatz, der (mit Ausnahme der Völker unter Kolonialherrschaft) für Völker, die nicht mit der Nation eines Uno-Mitgliedstaates identisch sind, auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes ein einseitiges Recht auf Abspaltung vorsieht. Das ist kürzlich auch vom Obersten Gerichtshof Kanadas (Supreme Court of Canada) anerkannt worden, als er über die Rechtmässigkeit einer unilateralen Abspaltung von Québec zu entscheiden hatte. Zudem sieht die Erklärung über die Unabhängigkeit der indigenen Völker auch für diese Völker kein Recht auf einen internationalen unabhängigen Status vor, sondern das autonome Recht auf Selbstverwaltung (Artikel 3 und 4).
Das Recht auf Selbstbestimmung entfaltet seine Wirkung nur im Hinblick auf die innere Struktur der Staaten. Gestützt auf die Grundsätze dieses Rechts sind die Staaten verpflichtet, den Gemeinschaften, die Selbstbestimmung wünschen, Autonomie und Selbstverwaltung zu garantieren.
Mit Blick auf Kosovo ist die Frage, die in bezug auf dieses Selbstbestimmungsrecht beantwortet werden muss: Wer sind die Völker, die das Recht auf innenpolitische Selbstbestimmung haben?
1.    Gemäss Uno-Charta haben die Nation oder die Völker Serbiens als Mitgliedstaat das Recht auf Selbstbestimmung gestützt auf die anerkannte Souveränität Serbiens als völkerrechtlichem Subjekt.
2.    Alle Gemeinschaften innerhalb Serbiens haben ein Recht auf innenpolitische Autonomie – das sind die Kosovo-Albaner, die Serben in Kosovo (einschliesslich der Flüchtlinge und Vertriebenen) und andere Gemeinschaften wie die Ungarn, die Rumänen, die Kroaten, Gorani usw.
3.    Alle diese Rechte müssen ernst genommen werden, und keines darf vor dem andern Vorrang haben, zum Beispiel auf Grund der Zahl von Menschen, die einer bestimmten Gemeinschaft angehören. Das bedeutet, dass im Konfliktfall eine Lösung zwischen widerstreitenden Konzepten von Selbstbestimmung nur ein Konsens unter den verschiedenen Gemeinschaften zu einer nachhaltigen und akzeptablen Lösung führen kann.
Der Vorschlag des Unosek sieht für Gemeinschaften innerhalb Kosovos die Möglichkeit vor, gegen Gesetzgebungen, die ihre vitalen Interessen betreffen, das Veto einlegen zu können. Wird dieses Recht nur auf der Ebene der Gesetzgebung gewährt, aber nicht im Hinblick auf die viel wichtigere Frage des Status, ist das ein Widerspruch. Die Erklärung über die Rechte der indigenen Völker gibt diesen Völkern eindeutig das Recht, ihren Status innerhalb des Territoriums des souveränen Staates zu bestimmen. Daher muss auch die serbische Minderheit das Recht haben, ihren Status innerhalb Serbiens zu bestimmen. Die Statusfrage ist für alle Gemeinschaften, einschliesslich der Serben, von vitalem Interesse. Daher sollte selbst der Unosek-Vorschlag zum Schluss kommen, dass es einen gemeinsamen Konsens braucht und dass Völker, – einschliesslich der Gemeinschaften in Kosovo und der serbischen Nation, die den Souverän repräsentiert –, die sich auf das Recht auf Selbstbestimmung oder ein vitales Interesse berufen, in den Konsensfindungsprozess einbezogen werden müssen.
Im Prozess über die Sezession Québecs hat der kanadische Supreme Court eindeutig entschieden, dass eine Zustimmung zu einem entsprechenden Referendum von der Mehrheit der Stimmberechtigten dieser Provinz nicht automatisch zu einer Sezession führen würde. Eine solche Abstimmung müsste ernst genommen werden, darüber hinaus wäre eine Sezession aber nur möglich, wenn auf dem Verhandlungsweg mit dem Rest von Kanada ein Konsens erreicht werden könnte und wenn diese Verhandlungen auch die Minderheiteninteressen der ersten Nation [hier Kanadas] einerseits und die Interessen der englischsprachigen Minderheit innerhalb Québecs berücksichtigen würde. Bis heute war Québec Teil der Föderation, und daher hat jeder Teil des Staates vom andern profitiert. Im Falle einer Sezession stehen daher nicht nur die Interessen Québecs auf dem Spiel, sondern auch die Gesamtinteressen der Völker Kanadas. Ein einseitiges Recht auf Sezession Québecs würde den Schluss nahelegen, es gäbe keine Interessen von Kanada als Ganzem, das in Betracht zu ziehen wäre, sondern nur das Interesse Québecs.

 

Die substantielle Autonomie Kosovos gemäss serbischer Verfassung

Grundlegende Prinzipien, um unterschiedliche Gesellschaften zusammenzuhalten


Frieden und Freiheit als Verfassungsziele
Multikulturelle Staaten, die verschiedene Gemeinschaften zusammenhalten wollen, müssen die folgenden Prinzipien befolgen. Das erste Ziel solcher Staaten muss Frieden und Freiheit sein. Menschenrechte und grundlegende Freiheiten müssen immer im Zusammenhang mit einer friedlichen und harmonischen Entwicklung der Gesellschaft gesehen werden. Namentlich kollektive Rechte müssen garantiert werden, um Frieden und Harmonie unter den verschiedenen Gemeinschaften aufzubauen.4


Legitimität
Staaten als Heimatland für verschiedene Gemeinschaften müssen zudem ihre Legitimität in bezug auf alle Gemeinschaften und Organe erhalten, und sie müssen Heimat oder ein Vater-/Mutterland für grosse und kleinere Gemeinschaften werden. Wenn diese Gemeinschaften wichtige Minderheiten in der Mehrheitsgemeinschaft des Gesamtstaates sind, so kann dieser Staat der Anforderung der Legitimität nur genügen, indem er seinen Minderheiten weitgehende Autonomie gewährt, so dass sie die ihrer Gemeinschaft eigenen Werte entsprechend ihrer eigenen Kultur, Sprache und Religion entwickeln können.


Autonomie
Die kleineren Gemeinschaften müssen die Gelegenheit haben, durch Selbstverwaltung und Autonomie für die Völker ihrer Gemeinschaften ihre eigne Legitimierung aufzubauen. Wenn Völker kleinerer Gemeinschaften über ihre Amtssprache, Erziehung und ihre eigene Justiz entscheiden können, können sie das Gefühl von Heimat und Sicherheit entwickeln. Mit der von der serbischen Regierung vorgeschlagenen substantiellen Autonomie können die verschiedenen Gemeinschaften in Kosovo genau diese Legitimierung aufbauen, ohne die Legitimität Serbiens in Frage zu stellen. Kosovo kann sich mit seiner eigenen Verfassung selbst organisieren. Es kann ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung bilden. Ausserdem kann es über seine Dezentralisierung entscheiden, und seine Gemeinden erhalten eine angemessene Autonomie. Es kann seine eigene Justiz einrichten und auf diese Weise seine eigenen Werte in der Gemeinschaft umsetzen. Was seine wirtschaftliche und soziale Entwicklung anbetrifft, wird die Regierung alle Möglichkeiten haben, die Entwicklung der Provinz zu begünstigen und auch mit direkter Auslandhilfe anzubahnen.


Die Serben in Kosovo
Serbien trägt natürlich nicht nur Verantwortung in Hinblick auf das Gebiet Kosovos und die Mehrheit der Kosovaren mit albanischer Herkunft. Es hat auch für seine eigene serbische Gemeinschaft Sorge zu tragen, die wirklich kein Vertrauen in ein mögliches, zukünftig autonomes Kosovo hat. Solches Vertrauen kann sich nur bilden, wenn die serbische Gemeinschaft genauso wie andere Minderheiten in Kosovo ihre eigene autonome Lebensweise und Entwicklung ausgestalten können. Die grundlegende Voraussetzung für jede zukünftige friedliche Kooperation und Integration ist die Garantie friedlicher Koexistenz beider Gemeinschaften. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn nicht nur Kosovo, sondern auch die Gemeinden mit serbischer Mehrheit substantielle Autonomie erhalten.
Auch auf der Ebene eines autonomen Kosovo müssen diese Gemeinden, was ihre Kompetenzen anbelangt, die Möglichkeit haben, mit den Nachbargemeinden und mit der Regierung in Belgrad zu kooperieren. Nur wenn diese Gemeinden sich innerhalb Serbiens geschützt und heimisch fühlen, können sie das Gefühl entwickeln, auch in Kosovo beheimatet zu sein. Die Legitimität der autonomen Regierung in Kosovo in bezug auf seine serbische Minderheit hängt in der Tat sehr stark von der Möglichkeit der letzteren zur eigenen Selbstentfaltung und Selbstbestimmung innerhalb des grösseren Gebietes Kosovos ab.


Grundsätze der Konfliktbewältigung
Wer je Erfahrungen mit interethnischen Beziehungen gemacht hat, weiss, dass es keine endgültigen Lösungen gibt. Es wird immer Probleme interethnischer Beziehungen geben, die sich aus den allgemeinen Entwicklungen einer Gesellschaft ergeben (Kommunikation, Wirtschaft, religiöse Überzeugungen, Fragen der Sprache usw.). Daher ist es ausserordentlich wichtig, dass jede Lösung hinsichtlich möglicher interethnischer Konflikte auch gesetzlich legitimierte Institutionen und Verfahren im Hinblick auf friedliche Lösungen solcher Konflikte bereitstellt. Angemessene und friedliche Lösungen der Konfliktbewältigung sind der Schlüssel für jede nachhaltige Lösung zur friedlichen Beilegung interethnischer Konflikte.

Demokratie


Zu solchen Verfahren gehören demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten, Gerichtsentscheide, gesetzlich legitimierte Einrichtungen der Mediation usw. Was die Serben innerhalb Kosovos betrifft, hat schon das Abkommen von Rambouillet ein Verfahren vorgesehen, welches die serbische Minderheit hinsichtlich ihrer vitalen Interessen schützen könnte. Im Rahmen eines parlamentarischen Prozedere ist daher ein solches Verfahren hinsichtlich vitaler Interessen der Minderheiten, das ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Rechte bezüglich Sprache, Religion und Erziehung zu verteidigen, von elementarer Bedeutung. Solche besonderen Verfahren für die vitalen Interessen würden es erforderlich machen, dass die Mehrheit in diesen Fragen nach Kompromissen sucht, die für beide Gemeinschaften akzeptabel sind. In jeder multi-ethnischen Gesellschaft ist der Kompromiss der einzig mögliche Weg, um den Frieden in der ganzen Gemeinschaft zu garantieren. In der Schweiz war es mit Sicherheit das Verfahren der direkten Demokratie, welches die politische Elite veranlasste, Kompromisse zu finden.
Ausserdem haben grössere Minderheiten in der Regel in direktdemokratischen Entscheidungen die bessere Aussicht, ihre Interessen zu wahren, weil interethnische Konflikte oft vorwiegend durch die politische Elite aufgestachelt werden und auf der Ebene der gewöhnlichen Menschen weit weniger heftig sind. Grössere Minderheiten haben gewöhnlich in direkt-demokratischen Entscheidungen die bessere Aussicht, ihre Interessen zu wahren, weil interethnische Konflikte oft vorwiegend durch die politische Elite aufgestachelt werden und auf der Ebene der gewöhnlichen Menschen weit weniger heftig sind. Und da sich im allgemeinen nur eine kleinere Anzahl [der Stimmberechtigten] an der Abstimmung beteiligen und die am meisten betroffenen Minderheiten ihre Möglichkeit zur Stimmabgabe nutzen, haben sie so gute Chancen, einer Tyrannei der Mehrheit vorzubeugen.


Verfassungsmässige Garantien
Auf der Ebene der serbischen Republik muss man wissen, dass die Autonomie Kosovos verfassungsmässige Garantie geniesst. Solch verfassungsmässige Garantie muss vom Verfassungsgericht Serbiens geschützt werden. Für den Fall, dass die Verfassung geändert werden müsste, nimmt die Bevölkerung Kosovos an der Abstimmung teil und ist bezüglich der Fragen, die Kosovo betreffen, im Parlament vertreten. Ausserdem könnte man sich vorstellen, dass der Sicherheitsrat spätestens dann, wenn die internationale Präsenz in Kosovo endet, die Resolution 1244 wird ergänzen wollen und dass Kosovo in diesem Fall eine zusätzliche internationale Garantie für seine Autonomie erhalten würde, wie zum Beispiel Süd-Tirol hinsichtlich des Gruber-DeGasperi-Abkommens von Paris im Jahre 1946.
Einzig in bezug auf die internationale Zusammenarbeit muss die Regierung von Kosovo das Einverständnis der serbischen Regierung einholen. Die Kernfragen der Aussenpolitik bleiben in der ausschliesslichen Kompetenz der serbischen Regierung. Aber diese Bereiche, wie Stellungnahmen im Rahmen der Vereinten Nationen, Botschafter in anderen Ländern und Reden im Europarat mögen für das internationale Prestige des Landes und für gewisse Diplomaten von Bedeutung sein. Für die Bevölkerung im allgemeinen sind solche Kompetenzen überhaupt nicht wichtig oder nützlich oder von Bedeutung für eine echte Legitimität. Die Provinz erhält alle Kompetenzen, welche die Regierung braucht, um das Recht auf ihrem Gebiet zu verbessern und zu entwickeln.


Vitale Interessen
Im Hinblick auf die Minderheiten und im besondern auf die serbische Minderheit in Kosovo würde diese Minderheit – ähnlich wie es schon im Rambouillet-Abkommen vorgeschlagen worden ist – in bezug auf ihre vitalen Interessen vor der möglichen Tyrannei durch die Mehrheit geschützt.5 Was Angelegenheiten betrifft, die in ihre vitalen Interessen eingreifen, können Entscheidungen nur mit Zustimmung der Mehrheit der serbischen Gemeinschaft getroffen werden. Ausserdem wäre diese Gemeinschaft auch hinsichtlich ihrer Menschenrechte geschützt, da die serbische Justiz die letzte Instanz im Hinblick auf Menschenrechtskonflikte bleiben würde. Wie in den meisten dieser Konflikte bliebe in jedem Fall der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die endgültige Instanz, die abschliessend über Angelegenheiten entscheiden würde, die auch die Behörden der Kosovaren in Kosovo betreffen.
In Wirklichkeit kann man nicht erwarten, dass zum Beispiel Kosovo als souveräner und unabhängiger Staat zur Heimat für die serbische Gemeinschaft werden könnte, die in Kosovo lebt, da die serbische Gemeinsch

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