Kroatien wird NATO-tauglich
Benjamin Schett
Ossietzky 22, 3. 11. 07
Nach dem Überfall der Wehrmacht am 6. April 1941 wurde das damalige
Königreich Jugoslawien zerschlagen. Der größte Teil des heutigen
Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Teile Serbiens unterstanden dann der
Kontrolle der kroatischen faschistischen Ustascha, deren Anführer Ante
Pavelic war. Die kroatische Sezession vom sozialistischen Jugoslawien 50
Jahre später wurde von einer Ustascha-Nostalgie begleitet, die
inzwischen zurückgegangen, aber nach wie vor weit verbreitet ist.
"Sehen Sie, den Zweiten Weltkrieg haben die Kroaten zweimal gewonnen,
und wir haben keinen Grund, uns bei irgendjemandem zu entschuldigen, wie
es von uns die ganze Zeit verlangt wird: ,Gehet und kniet in Jasenovac
nieder. Kniet hier nieder...' Wir haben vor niemandem für irgendetwas
niederzuknien! Wir haben zweimal gewonnen und alle anderen nur einmal.
Wir haben am 10. April [1941; /B.Sch./] gewonnen, als die Achsen-Mächte
Kroatien als Staat anerkannten, und wir haben gewonnen, als wir nach dem
Krieg am Tisch der Gewinner saßen." Diese Worte, gesprochen vom heutigen
Präsidenten der Republik Kroatien, Stipe Mesic, vor australischen
Diaspora-Kroaten im Jahr 1991, sind beispielhaft für die Tradition, in
welcher viele Kroaten ihren Staat sehen. Sowohl das faschistische
Kroatien von Hitlers Gnaden als auch das heutige Kroatien werden oft in
eine Tradition gestellt, weil in beiden Fällen das "natürliche Streben
des kroatischen Volkes nach Unabhängigkeit" verwirklicht worden sei, wie
es Kroatiens verstorbener Separatistenpräsident Franjo Tudjman einmal
formulierte. Und so zieht Kroatien heute rechtsextreme Wallfahrer an.
Erster Halt ist in Bleiburg, schon vor dem Überqueren der
österreichisch/slowenischen Grenze. Dort lieferten britische Soldaten
kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges zehntausende kroatische
Ustascha-Soldaten, slowenische Weißgardisten, muslimische SS-Angehörige
an die aus dem antifaschistischen Widerstand hervorgegangene
jugoslawische Volksarmee aus. Verbrecher wurden hingerichtet oder zu
Zwangsarbeit verurteilt, andere freigelassen.. Rund 15.000 kroatische
und muslimische Alt- und Neonazis treffen sich hier jedes Jahr am 11.
Mai (Muttertag), gedenken ihrer Helden, singen Ustascha-Lieder und
schwören Rache. Ein Denkmal erinnert an die "unschuldigen Opfer der
Bleiburger Tragödie". Das Erstaunlichste an dem alljährlichen Treiben
ist, daß nicht darüber berichtet wird. Aus schierem Desinteresse? Oder
vielleicht deswegen, weil solche Bilder nicht mit der gängigen
öffentlichen Meinung übereinstimmen, nach der die Serben die
Hauptbösewichte des Balkans zu sein haben?
Nach der relativ kurzen Fahrt durch Slowenien ist auch schon die
kroatische Kapitale Zagreb nicht mehr weit. Enttäuscht muß der rechte
Tourist feststellen, daß die nach dem Verfasser der Ustascha-Version der
Nürnberger Gesetze benannte Mile-Budak-Straße, welche ihren Namen in der
Ära Tudjman erhalten hatte, mittlerweile nicht mehr existiert. Abhilfe
kann dafür jede beliebige Buchhandlung schaffen. Das Angebot reicht von
Büchern über "Kommunistische Verbrechen an Kroaten während des zweiten
Weltkriegs" bis zu Werken über die kroatischen Heldentaten während des
"Domovinski Rat", des "Heimatkrieges", wie der Sezessionskrieg der
1990er Jahre hier offiziell heißt. Und wer des Serbokroatischen, pardon
des Kroatischen, nicht mächtig ist, sollte die freundliche Frau an der
Theke einmal nach "Mein Kampf" befragen, den gibt es nämlich auch auf
Deutsch. Keinesfalls sollte eines der zahlreichen Musikgeschäfte
ausgelassen werden, außer man möchte den Erwerb einer Thompson-CD
versäumen. Dieser beliebteste kroatische Rockstar hat seinen
Künstlernamen von der Knarre, die er im Krieg besaß. In seinen Songs
feuert er die kroatische Armee an, über die Drina nach Serbien zu
marschieren, und hetzt gegen "Antichristen und Kommunisten".
Weiter empfiehlt sich die Fahrt nach Gospic, der größten Stadt der
Region Lika-Senj, nahe der sogenannten Krajina, wo 1995 rund 200.000
Serben durch die kroatische Armee vertrieben und Hunderte ermordet
wurden. Unterwegs kann man beispielsweise im Petrova-Gora-Gebirge halt
machen, wo sich während des zweiten Weltkriegs Titos Partisanen
versteckt hatten. Später wurde dort ein Museum errichtet, an welchem
sich heute jeder nach Herzenslust austoben kann. Zwar hat die kroatische
Armee 1995 einige Vorarbeit geleistet, aber es liegen immer noch
zahlreiche Partisanen-Porträts verstreut auf dem Boden herum, nebst
Büchern über den Partisanenkampf und anderen ehemaligen Museumsgegenständen.
In Gospic angekommen, wird man von der einheimischen Bevölkerung erst
einmal argwöhnisch beäugt. Man sollte seine rechte Gesinnung möglichst
schnell kundtun. Sonst wird man noch den Mitarbeiter einer
Menschenrechtsorganisation zugerechnet, die in Gospic rasch mal
vermöbelt werden, sollten sie auf die Idee kommen, Nachforschungen über
Serben zu machen, welche hier einmal gelebt haben. Im nahegelegenen
Jadovno befinden sich nämlich die berüchtigten 40 Meter tiefen
Karsthöhlen, in die zur Ustascha-Zeit an Stacheldraht gekettete Menschen
geworfen wurden. Das dortige Mahnmal ist erwartungsgemäß zerstört worden.
In Jasenovac, wo sich das größte Vernichtungslager auf dem Balkan
befand, wurden vor allem Serben, aber auch zahlreiche Juden, Roma und
kroatische Antifaschisten ermordet. Das Lager bestand aus fünf Teilen.
Teil 4 war Stara Gradiska, wovon noch Überreste zu sehen sind. Hier
befindet sich sogar eine Gedenktafel. Es wird der Opfer "serbischer
Konzentrationslager" gedacht, weil hier während des letzten Krieges
serbische Paramilitärs Gefangene hielten.
Doch der kroatische Staat scheint, wie schon so oft, langsam von
Deutschland zu lernen, dessen Regierung sich heutzutage viel weniger
erlauben könnte, wenn dort nichts zur Aufarbeitung der
Nazi-Vergangenheit geschehen wäre. So gibt es mittlerweile eine
Gedenkausstellung in Jasenovac, deren Mitarbeiter die an sich rühmliche
Aufgabe übernommen haben, jedes einzelne Opfer mit Namen und Hintergrund
zu erfassen. Das Ganze hat aber einen Schönheitsfehler: Im Gegensatz zu
den säuberlichen deutschen Tätern hatten deren kroatische Waffenbrüder
ihre Verbrechen nicht ansatzweise so minutiös dokumentiert. Daher kann
nur ein kleiner Teil der Opfer publik gemacht werden. Man erfährt von
59.589 Jasenovac-Opfern, und es wird zugegeben, daß dies vielleicht
nicht die Gesamtzahl ist. Aber die 600.000 bis 700.000 Toten, welche zu
jugoslawischen Zeiten beklagt wurden (auch Simon Wiesenthal schätzte die
Gesamtzahl so hoch), sind mit keiner Silbe erwähnt.
Trotzdem: Eine Abkehr von der bisher betriebenen Ustascha-Verherrlichung
zeichnet sich ab. So bezeichnet sich Präsident Mesic mittlerweile als
gestandenen Antifaschisten. Und selbst der Vorsitzende der offen
faschistischen Kroatischen Partei des Rechts (HSP), Anto Dapic, ist
unlängst nach Israel gereist und hat für die Vernichtung der
jugoslawischen Juden durch die Ustascha um Vergebung gebeten. Weshalb
dieser Gesinnungswandel? Eine mögliche Antwort könnte die Zeitschrift
der kroatischen Armee, /Hrvatski Vojnik/, geben. Sie lobt in ihrer
aktuellen Ausgabe die Kooperation mit der NATO in höchsten Tönen und
preist die angeblichen Vorteile eines Beitrittes an. Aber eine
Organisation, welche Auschwitz als Vorwand für das Führen von Kriegen
benötigt, will wohl kein Mitglied haben, das sich aufführt, als wäre vor
1945 nichts geschehen. Ähnlich dürfte man das auch in Brüssel sehen.
Mesic und Co. haben das verstanden. Nachdem sie ihr Ziel, einen
serbenfreien unabhängigen Staat Kroatien zu schaffen, nahezu erreicht
haben, können sie ruhig ein bißchen großzügig sein. Wenn die kroatischen
Politiker ähnlich wie die deutschen bei passenden Gelegenheiten
historische Schuld eingestehen, dann werden ihre Soldaten sicher bald
Seite an Seite mit ihren alten Kampfgenossen aus dem aufgeklärten
Deutschland auf Afghanen und andere schießen dürfen, welche es
zivilgesellschaftlich noch nicht so weit gebracht haben.