http://www.jungewelt.de

---

NATO-Reaktion auf Bushs Abzugsplan aus dem Balkan:

Trotz Sorgen vorerst gelassen.



(von Rainer Rupp)



Im NATO-Hauptquartier in Brüssel haben die Pläne des republikanischen
Präsidentschaftskandidaten George Bush Junior, die gegenwärtig 11.400
amerikanischen Soldaten aus dem Balkan abzuziehen und die
"Friedenssicherung" dort den Europäern zu überlassen, "prinzipielle
Sorgen geweckt". (AFP, BRUSSELS, Okt. 24)

Vorerst jedoch werden die Bush-Pläne lediglich als Wahlkampfrhetorik
angesehen, von denen man nicht glaubt, dass sie gegebenenfalls in die
Tat umgesetzt würden. Schließlich weiß man in Brüssel, was die
Wahlkampfversprechen bürgerlicher Demokraten wert sind.



Die führenden Sicherheitsberater aus dem Wahlkampfteam von George Bush
hatten letztes Wochenende erklärten, daß unter einem Präsidenten Bush
die Vereinigten Staaten sich hauptsächlich darauf konzentrieren würden,
in bestimmten Krisenherden, die von vitalem Interesse für die USA sind,
Kriege zu führen, statt die US-Streitkräfte durch Beteiligung an
friedenserhaltende Missionen überall in der Welt auszudünnen und ihre
Kampfbereitschaft zu schwächen. Die New York Times zitierte die
Chefsicherheitsberaterin von Bush, die Professorin Condoleezza Rice, wie
folgt: "Der Gouverneur (Bush) hat sich sehr deutlich ausgedrückt. Die
Rolle unserer Streitkräfte muß es sein Kriege zu führen und zu gewinnen
und nicht als Friedenshüter in der Welt aufzutreten. ... Der Gouverneur
wird auf jeden Fall bei der Beteiligung an Peacekeeping Missionen viel
wählerischer sein". ("Gore Assails Bush on Plan to Recall U.S. Balkan
Force", By STEVEN A. HOLMES, NYT- 22.00.00)



Nach Prof. Rice würde Bush als US-Präsident in der NATO "eine neue
Arbeitsteilung" anstreben. Demnach fielen Bosnien und Kosovo vollkommen
unter europäische Verantwortung, genau wie andere friedenserhaltende
Missionen bei zukünftigen Konflikten auf dem Balkan. Die USA würden
sich statt dessen darauf konzentrieren, vor Kriegen abzuschrecken oder
Kriege im Persischen Golf, in Asien und in anderen Krisenherden zu
führen. "Die Vereinigten Staaten sind die einzige Macht, die im Golf
einen Showdown meistern kann und über ausreichende Kräfte verfügt, um
(das ölreiche; Anm RR) Saudi Arabia zu beschützen oder um eine Krise in
der Straße vor Taiwan zu verhindern", meinte Prof. Rice und fügte
hinzu: "Ausgedehnte Missionen zur Friedenserhaltung lenken dagegen von
unterer Kampfbereitschaft und unseren globalen Missionen ab".



Bushs demokratischer Gegenspieler Al Gore warnte dagegen, daß "ohne
US-Beteiligung an Missionen zur Friedenserhaltung die USA nicht länger
in der Lage wären, die amerikanische Führerschaft (US-Leadership) in der
NATO aufrecht zu erhalten. Und ohne US-Leadership der NATO kann es nur
noch eine Frage der Zeit sein, bis die Allianz zusammen bricht und die
lange Zeit des Friedens in Europa womöglich zu Ende ist." Al Gore warf
Bush vor, dass dessen Abzugsplan "ein großes und fundamentales
Mißverständnis über die Rolle der USA in der Welt" offenbart.



Die US-Präsidentschaftswahlen finden am 7. Nov. statt. George Bush
führt weiterhin knapp in den Meinungsumfragen vor Al Gore und etwas
nervös ist man im Hauptquartier der NATO in Brüssel schon. AFP zitierte
einen namentlich nicht genannten hohen Diplomaten eines kleineren
Mitgliedslandes mit den Worten: "Da machen wir und schon einige
Sorgen. Aber wir müssen auch bedenken, daß sie (die Erklärungen) mitten
im Wahlkampf gemacht wurden. …Wenn er (Bush) als gewählter
Präsident der USA immer noch vom Truppenabzug redet, dann ist das eine
ganz andere Geschichte." Besorgter gab sich die New York Times, die der
demokratischen Clinton-Regierung nahe steht. Gestern (Mittwoch den
25.10.) erschien ein Leitartikel, wonach die Bush Pläne die "NATO
spalten könnten". ("Europeans Say Bush's Pledge to Pull Out of Balkans
Could Split NATO", By STEVEN ERLANGER, NYT, 25.10. 00)

Saarburg den 25.10.00

---

Junge Welt 30.10.2000

»Eine Reihe von Unwahrheiten«
Schattenboxen um CBS-Interview mit dem jugoslawischen Präsidenten
Kostunica


Hat man sich im Westen zu früh gefreut? Ein an den Chef des großen
amerikanischen Nachrichtensenders CBS gerichtetes Schreiben aus dem Büro
des neuen jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica wirft dem
Nachrichtensender vor, bei der Ausstrahlung eines Interviews mit
Kostunica »unprofessionell und unethisch« vorgegangen zu sein.

Am vergangenen Dienstag waren Auszüge des Interviews um die Welt
gegangen. Sie enthielten eine Passage, auf die die Regierungen der
NATO-Länder zum Zwecke ihrer eigenen Rechtfertigung für den Bombenkrieg
gegen Jugoslawien sehnlichst gewartet hatten. Vojislav Kostunica, so
hieß es, habe eingestanden, daß die Serben unter der Präsidentschaft
seines Vorgängers Slobodan Milosevic im Kosovo Greueltaten verübt
hätten. Wörtlich wurde Kostunicas Antwort auf die Schuldfrage der Serben
von CBS wie folgt wiedergegeben: »Ich bin bereit, die Schuld für all die
Leute, die getötet worden sind, auf mich zu nehmen. Für das, was
Milosevic getan hat, und als Serbe will ich die Verantwortung für viele
dieser, ... dieser Verbrechen übernehmen.«

In den NATO-Hauptstädten war man noch aus einem anderen Grund mit dieser
Stellungnahme zufrieden, bedeutete sie doch, daß sich Kostunica schon
bald handzahm der neuen Weltordnung unterwerfen würde. Entsprechend
wurde der neue jugoslawische Präsident für sein »mutiges« Interview in
der Westpresse gepriesen. Denn sein Vorgänger Milosevic hatte stets auf
der Rechtmäßigkeit der Operationen der jugoslawischen Sicherheitskräfte
im Kosovo beharrt. Im Vergleich zu dem derzeitigen Vorgehen der
israelischen Armee, die bei der Bekämpfung von steinewerfenden
Palästinensern Panzergranaten und Raketen auf bewohnte Dörfer feuert,
war der Einsatz der Mittel der serbischen Sicherheitskräfte im Kosovo
gegen die teils schwerbewaffneten UCK-Terroristen ganz bestimmt nicht -
wie vom Westen vorgeworfen - unverhältnismäßig. Die israelische Armee
darf allerdings auf das volle Verständnis der westlichen
Wertegemeinschaft zählen, während die westlichen Medien aus den Serben
die Inkarnation des Bösen gemacht haben.

Nun scheint sich Kostunica doch noch nicht ganz so folgsam zu geben, wie
man ihn gerne haben möchte. Die Beschwerde aus seinem Büro wegen des
CBS-Interviews beklagt hauptsächlich, daß die CBS-Journalisten etwa 100
Minuten des Interviews aufgezeichnet hätten, davon jedoch nur »einige
wenige Minuten seiner Antwort auf eine einzige Frage« gezeigt und dies
außerdem »noch aus dem Zusammenhang gerissen hätten«. Die Wiedergabe
enthielt darüber hinaus »eine Reihe von Unwahrheiten und Wörter, die der
Präsident nie benutzt hat«, heißt es in dem Schreiben. Welches die
»unwahren Worte« waren, darüber schweigt sich Kostunicas Büro bisher
aus.

Eine Passage in dem Brief an CBS deutet allerdings an, daß das Dementi
lediglich ein taktische Manöver sein könnte. Dort heißt es, wegen der
ungeheuren Publizität, die die CBS- Sendung erhalten habe, »hätte dies
dem Präsidenten und den Kräften der Demokratisierung in Jugoslawien
großen politischen Schaden zufügen können«. Mit Blick auf die serbischen
Parlamentswahlen am 23. Dezember wollen sich die jugoslawischen
Quislinge der Neuen Weltordnung scheinbar keine Blöße geben und
weiterhin eine betont patriotische Fassade aufrechterhalten.

CBS-News-Korrespondent Scott Pelley, der das Interview mit Kostunica
geführt hatte, zeigte am vergangenen Freitag gegenüber der Zeitung New
York Times Verständnis für den Protest aus Kostunicas Büro: »Er
(Kostunica) versucht, seine Regierung zu stabilisieren, wenn um ihn
herum überall Feinde konspirieren. Als er den mutigen Schritt unternahm,
in unserem Interview offen zu sein, wußte er, daß die Wahrheit ihm Ärger
bringen würde«.

Rainer Rupp

---

junge Welt v. 16.11.2000

HYÄNEN IM WUNDERLAND
STABILITÄTSPAKT FÜR SÜDOSTEUROPA SETZTE BEI KONFERENZ IN BELGRAD ZUR
ÜBERNAHME JUGOSLAWIENS AN
Von Matthias Küntzel

Rund 400 Millionen Dollar (466 Millionen Euro) »Winterhilfe« stellten
die Europäische Union und die USA dieser Tage bei einer Sitzung des
Stabilitätspakt für Südosteuropa Jugoslawien in Aussicht. »Diese Gelder
sollen vor allem für die Energieversorgung, für Heizöl, Strom, das
Gesundheitssystem, Bildung und Verkehr aufgewendet werden«, hieß es in
einer Erklärung, die am Dienstag zum Abschluß der zweitägigen Konferenz
in Belgrad verbreitet wurde. Doch was als hochtrabende Hilfe und
Unterstützung für Jugoslawien daherkommt, entpuppt sich bei genauerer
Betrachtung als neuerlicher Angriff auf das Balkanland.

Am 26. Oktober 2000, keine drei Wochen nach dem Sturz Milosevics, war
Jugoslawien dem Balkan-Stabilitätspakt beigetreten. »Dies ist ein
historischer Moment«, begeisterte sich damals der Deutsche Bodo Hombach,
der den Stabilitätspakt im Auftrag der Europäischen Union koordiniert.
»Jetzt hat Jugoslawien die Chance, sich zum Wirtschaftswunder des
Balkans zu entwickeln.«

Wunder könnte Jugoslawien in der Tat gebrauchen. Der 78tägige Luftkrieg
der NATO-Mächte gegen ein Land, das während der ganzen Zeit keinen Schuß
auf fremdes Territorium abgab, hat nicht nur verstümmelte und
traumatisierte Menschen, sondern auch ökonomische Verheerungen
hinterlassen. Auf 30 Milliarden Dollar bemißt die neue jugoslawische
Regierung den wirtschaftlichen Gesamtverlust infolge des Kriegs. Die
Aufbauarbeiten der letzten zwölf Monate konnten lediglich fünf Prozent
der Bombenschäden notdürftig beseitigen. Ohne Hilfe von außen bräuchte
Jugoslawien 40 Jahre, um die Folgen der NATO-Angriffe zu kompensieren.

An diesem Punkt setzt der Stabilitätspakt für Südosteuropa an. Auf
Initiative Joseph Fischers wurde er unmittelbar nach Kriegsende, im Juni
1999, mit dem Ziel gegründet, die »Staaten in Südosteuropa bei ihren
Bemühungen um die Förderung des Friedens, der Demokratie, der Achtung
der Menschenrechte sowie des wirtschaftlichen Wohlstands zu stärken, um
Stabilität in der gesamten Region zu erreichen.« Neben den
Mitgliedstaaten der EU, den weiteren Mitgliedern der G-8- Gruppe (Japan,
USA, Kanada, Rußland) und den Staaten der südosteuropäischen Region
gehören dem Pakt auch internationale Institutionen wie der
Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Europäische
Investitionsbank an. Im März dieses Jahres faßte eine Geber- Konferenz
des Stabilitätspakts den Beschluß, 1,1 Milliarden Euro im Rahmen eines
»Schnellstart-Progamms« in Infrastrukturprojekte des westlichen Balkans
zu investieren. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission soll bis 2006
eine Summe von 5,5 Milliarden Euro in den Stabilitätspakt eingebracht
werden, davon 2,6 Milliarden Euro allein für Serbien.

Man könnte beinahe glauben, die EU wolle den Balkan für die Verbrechen
des Krieges nachträglich entschädigen. Doch dieser Eindruck täuscht.
Mehr noch: Er ist grundverkehrt. Nicht wie solidarische Helfer, sondern
eher wie beutegierige Hyänen sammeln sich derzeit die Vollstrecker
europäischer Kapitalinteressen rings um das zusammengebombte
Jugoslawien, um dessen Wirtschaft und Infrastrukur zum Nulltarif zu
übernehmen. Denn sämtliche Gelder für den Aufbau der Brücken, der
Straßen, der Elektrizitätsversorgung usw. werden den Balkanstaaten nur
als Kredit gewährt. In grausamer Ironie wird somit nicht der Angreifer,
sondern das angegriffene Land dazu genötigt, die kostspieligen
Reparaturen der Bombenschäden mit eigenen - vom Stabilitätspakt
lediglich geborgten - Geldmitteln zu finanzieren.

Die Frage der Kreditwürdigkeit ist wiederum der Gegenstand eines
erpresserischen Diktats. Länder, die den Vorgaben der Kapital- und
Finanzmärkte Folge leisten, werden belohnt und dürfen sich verschulden.
Länder, die weiterhin unabhängig Entscheidungen treffen und
beispielweise auch mit Osteuropa Wirtschaftsbeziehungen unterhalten
wollen, gehen leer aus. Für Jugoslawien beinhaltet die empfohlene
Schocktherapie die Privatisierung aller öffentlichen Betriebe, das Ende
der staatlichen Subventionierung von Bedarfsgütern und die Übergabe der
Zentralbank an den Internationalen Währungsfonds. Nur wenn diese
Bedingungen erfüllt sind, werden die Donaubrücken wieder errichtet, über
die dann internationale Investoren in die Region strömen, um die
Restbestände der vorhandenen Volkswirtschaften zu demontieren, lokale
Industriebetriebe, die nicht völlig zerstört sind, in den Konkurs zu
treiben und die profitabelsten Teile des Staatsvermögens zu übernehmen.

Zynisch, jedoch zutreffend erklärten Anfang dieses Jahres die deutschen
Grünen, daß dieser Pakt »in vielen Fällen schmerzhafte Umorientierungen«
verlange und den Regierungen der Balkan-Staaten »bestimmt nicht immer
populäre Entscheidungen« abzwinge. (Bundestagsdrucksache 14/2569) Für
die Bundesrepublik ist der Stabilitätspakt ein maßgebliches Instrument,
um nach dem NATO-Krieg, den Deutschland als UCK-Schutzmacht maßgeblich
anstachelte, auf dem Balkan eine Pax Germanica durchzusetzen. »Wir
werden dort das Sagen haben«, hatte Bundeskanzler Schröder schon im Juni
1999 großspurig verkündet. In der Tat wird in Montenegro und dem Kosovo
inzwischen mit der D-Mark bezahlt, wobei die deutsche Commerzbank das
gesamte Banksystem des Kosovo kontrolliert.

Und schon wird eine ständige Präsenz der Bundeswehr als Besatzungsmacht
auf dem Balkan propagiert: Da Deutschland »eine besondere Verantwortung«
trage, erklärte Außenminister Fischer nach dem Sturz Milosevics vor dem
Bundestag, »wird es notwendig sein, daß wir ... dauerhaft mit der
Bundeswehr, aber auch mit zivilen Kräften in der Region präsent sind.«
Als Begleitmusik ließ der einflußreiche CDU-Außenpolitiker Karl Lamers
in unverhohlener Hegemonialattitüde öffentlich die Peitsche knallen: Der
Stabilitätspakt müsse »zu einer Euregio besonderer Art« führen, erklärte
der CDU-Politiker vor dem Bundestag, bei der die EU die Balkanstaaten
»dazu veranlassen und nötigenfalls auch zwingen kann, mitzuarbeiten«
(Bundestagsdebatte vom 11. Oktober 2000). »Nötigenfalls auch zwingen« -
hinter dieser Drohung steckt nicht nur eine ökonomische, sondern auch
eine geostrategisches Ambition: Auflösung der - potentiell
widerstandsfähigen - Nationalstaaten des Balkan in ein Euregio-Gebilde,
welches nach Volksgruppen und »Ethnien« sortiert die bestehenden
Territorialgrenzen entweder verändert oder relativiert.

Mit welchen Worten hatte der Stabilitätspaktkoordinator Bodo Hombach den
Sturz von Milosevic und damit die Beseitigung des wichtigsten
Hindernisses zur Durchsetzung dieser Ambitionen gefeiert? »Jetzt«,
erklärte Hombach, »hat Jugoslawien die Chance, sich zum
Wirtschaftswunder des Balkans zu entwickeln!« Doch während Kostunicas
Sieg in den europäischen Hauptstädten noch gefeiert wurde, erlebten man
in Belgrad ein Wirtschaftswunder ganz besonderer Art: Nur wenige Tage
nach dem Amtsantritt der neuen Regierung schnellte der Preis für Öl von
15 auf 51, der Preis für Brot von 6 auf 14 und der Preis für Zucker von
6 auf 45 Dinar. Weitere »Wunder« werden mit Gewißheit folgen. So wie das
schöne Wort von der »NATO-Friedensmission« in Wirklichkeit Krieg
bedeutet, so steht auch die Floskel vom »Stabilitätspakt« für das
Gegenteil: Destabilisierung der gesamten Region.

---

“Constant Harmony” Rezept für den weiträumigen NATO-Krieg



(von Rainer Rupp)



Ende November berichtete der Sprecher des amerikanischen
Verteidigungsministeriums, Kenneth Bacon, von Plänen der russischen
Luftwaffe, schon in den nächsten Tagen wieder strategische Atombomber
auf Basen in Nordsibirien zu verlegen, um von dort aus wieder
regelmäßige Einsätze hin in unmittelbare Nähe des amerikanischen
Luftraums über Alaska zu fliegen. Allerdings – so Pentagonsprecher
Bacon – würde die Regierung in Washington in dieser Entwicklung keine
Bedrohung sehen. Wahrscheinlich weil es sich bei den Flugzeugen um
veraltete Langstreckenbomber des Typs Tupolew Tu-95 (NATO-Kodename
"Bär") handelt, die im Ernstfall wie flügellahme Enten abgeschossen
werden könnten.



Sprecher Bacon warf den Russen jedoch vor, „trotz des Zusammenbruchs des
Kommunismus und des Endes der nuklearen Wettrüstens“ noch immer in
Kategorien des Kalten Krieges zu denken. Das zumindest könnte man aus
den Abläufen der jüngsten militärischen Übungen der russischen
Streitkräfte ersehen. (“Pentagon Says Russian Bombers are Expected Off
Alaskan Coast”, AP, WASHINGTON, Nov. 30, 2000) Für den Westen dagegen,
sei der Kalte Krieg vorbei, betonte Pentagonsprecher Bacon, obwohl in
der ersten Novemberhälfte eine groß angelegte Stabsrahmenübung der NATO
mit dem Kodenamen „Constant Harmony“ nicht minder an das alt bekannte
Szenario des Kalten Krieges erinnerte.



Unter dem Kommando des deutschen Viersternegenerals Joachim Spiering
ging es diesmal um so genannte kollektive Verteidigungsoperationen, wie
sie in Artikel 5 des Nordatlantikvertrages vorgesehen sind. Dabei ging
das vertraute militärische Übungsszenario wie zu Zeiten des Kalten
Krieges von weiträumig angelegten militärischen Auseinandersetzungen
zwischen einer feindlichen Koalition und der NATO aus. Vom Konflikt
betroffen war nicht nur das europäische Festland, sondern auch der Kanal
und Großbritannien. Nur so könnten die Stäbe der subregionalen
NATO-Kommandos Nord in Stavanger und Mitte in Heidelberg sowie das
Luftstreitkräfte-Kommando in Ramstein und das Seestreitkräfte-Kommando
in Northwood (England) in ihrem Zusammenwirken optimal trainiert
werden.



Warum diese großräumigen Übungen heute noch nötig sind, wo wir doch nur
noch von Freunden umzingelt sind, wie uns die NATO in ihren
Sonntagsreden stets versichert, das verrät uns der deutsche NATO-General
Spiering und gibt dabei tiefen Einblick in die Gedankenwelt der
NATO-Interventionisten. Das Übungskonzept von "Constant Harmony" geht
nämlich von der Überlegung aus, dass Friedensoperationen an der
Peripherie der NATO sich unter Umständen rasch zu einem
mehrdimensionalen Krieg ausweiten können. Dabei ist nach Ansicht von
General Spiering realistischerweise damit zu rechnen, dass auch
Territorien von NATO-Mitgliedern unverzüglich in solche
Auseinandersetzungen mit einbezogen werden können. Falls dieNato im
Kosovokrieg tatsächlich auch Bodenoperationen ins Auge gefasst hätte,
wäre mit kriegerischen Ausweitungen, wie sie dem Übungsszenario zugrunde
liegen, zu rechnen gewesen.



Hier hat der Herr General die Katze aus dem Sack gelassen und die
bereits seit langem vorhandenen Befürchtungen der Friedensbewegung
bestätigt: dass nämlich die sogenannten bombenden Friedensmissionen der
NATO nichts anderes als das Zündeln mit einem größeren Krieg bedeutet.
Der wird von General Spiering jedoch nicht mehr großer Krieg genannt,
sondern nur noch "high intensity conflict". Deshalb seien - so der
deutsche General - klare Trennlinien zwischen "Friedensoperationen" von
"niedriger Intensität" (NATO-Angriff auf Jugoslawien) und einem
"mehrdimensionalen Krieg" von "hoher Intensität" zuweilen kaum zu ziehen
sind, wenn die Nato prinzipiell Soldaten einsetzen will, die das gesamte
Spektrum von Konfliktmöglichkeiten abdecken können. Auch deshalb
müssten im Rahmen der neuen Aufgaben der NATO auch die während der
Kriege im Golf und auf dem Balkan gewonnenen Erfahrungen in solche
militärische Übungen einfließen. („Kampf in Konflikten von hoher
Intensität“, NZZ, 2.12.00)



Für diese Aufklärungsarbeit über die zukünftigen „Friedens“-Missionen
der NATO und die Beherrschung der davon ausgehenden Gefahr weitläufiger
multidimensionaler Kriege können wir NATO-General Spiering dankbar
sein. Auch die Russen scheinen diese Entwicklung aufmerksam zu
verfolgen, wobei - nicht ganz unverständlich - wieder alte Reflexe
aktiviert werden. Letzten Oktober wurde über dem Japanischen Meer vor
der Ostküste Rußlands der Kalte Krieg zwischen den USA und Rußland zum
Leben erweckt. Wiederholt hatten russische Piloten erfolgreich
Scheinangriffe auf den amerikanischen Flugzeugträger Kitty Hawk und
seine Begleitschiffe geflogen. Nachdem es den russischen Piloten in den
Wochen zuvor öfters gelungen war, die Radarsysteme der amerikanischen
Schlachtflotte zu umgehen, waren die Aufklärer und Bomber vom Typ Su-24
und Su-27 im Tiefflug über die Kitty Hawk gedüst. Stolz kommentierte die
russische Tageszeitung Isvestia den Vorfall: "Im Kriegsfall hätten diese
Flugzeuge den Träger versenkt.“



Sulzbach den 4.12.00