»Wir sind mit der Zerstörung des Völkerrechts konfrontiert«
Gespräch mit Klaus Hartmann. Über die Rolle der Bundesrepublik bei der Zerstörung des jugoslawischen Bundesstaates, die völkerrechtliche Anerkennung Sloweniens und Kroatiens vor 20 Jahren und die damit ausgelöste Katastrophe
Klaus Hartmann ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes und in der Jugoslawien-Solidaritätsbewegung aktiv und ist Vorstandsvorsitzender des Internationalen Komitees »Slobodan Milosevic«.
Am 15. Januar vor 20 Jahren erkannten die Staaten der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) auf Drängen der Bundesregierung unter Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher die jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien als unabhängige Staaten völkerrechtlich an. Die Bundesregierung hatte das schon am 23. Dezember 1991 vollzogen. Kohl sprach von einem » großen Erfolg der deutschen Diplomatie«, was in Washington, London oder Paris mit »victory – Sieg« übersetzt wurde. Welche Rolle spielte die Bundesrepublik bei den Prozessen, die zum 15. Januar 1992 führten?
Selbst die USA hatten zumindest verbal wiederholt öffentlich erklärt, die Auflösung Jugoslawiens nicht zu akzeptieren. Frankreich und Großbritannien warnten davor zum Teil vehement bis in den Januar 1992 hinein. Die Bundesregierung nahm offiziell im Sommer 1991 ihren Kurswechsel unter dem Schlagwort »Selbstbestimmung« vor und bestimmte in der EG das Geschehen. Besonders engagierte sich FAZ-Herausgeber Johann Georg Reißmüller, der einen deutschen Alleingang forderte, den es mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens am 23. Dezember 1991 auch gab.
Auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Javier Peréz Cuellar, zeigte sich »tief beunruhigt«. Er warnte in einem Brief an Genscher, daß dies zu einer »Ausweitung des derzeitigen Konflikts führen« und eine »explosive Situation insbesonders in Bosnien-Herzegowina und auch in Mazedonien herbeiführen« würde.
Und der damalige US-Außenminister Warren Christopher machte die Bundesrepublik für die Katastrophe in Bosnien-Herzegowina verantwortlich: »Es wurden beim gesamten Anerkennungsprozeß und vor allem bei der zu schnellen Anerkennung schwere Fehler gemacht, und die Deutschen tragen eine besondere Verantwortung dafür.«
Innerhalb seiner Partei brüstete sich Genscher, schon seit Juli 1991 permanent für die Anerkennung der Sezession eingetreten zu sein. Otto Graf Lambsdorff lamentierte am 4.Juli 1991 in Bundestag, »die Spanier haben es mit den Basken zu tun, die Italiener mit den Sarden, die Franzosen mit den Korsen, die Briten mit den Iren«. Deshalb sei die Anerkennungsbereitschaft nicht riesengroß. »Es nutzt ja nichts, wenn der deutsche Außenminister alleine vormarschiert. Er muß die EG-Front schon um sich versammeln.« Und dem vorbestraften Lambsdorff war auch völlig klar, daß das Selbstbestimmungsrecht kein tragfähiges Argument für die Sezession war: »Die liberale Internationale vertritt nicht die legalistische Position, daß das Selbstbestimmungsrecht eines Staates nicht anerkannt werden kann.«
Die Kohl-Genscher-Regierung stand mit ihren völkerrechtswidrigen Umtrieben aber nicht allein. Die Grünen unter Josef Fischer forderten die Anerkennung der Sezessionisten seit August 1991, ebenso und besonders vehement die SPD-Politiker Karsten Voigt und Norbert Gansel.
Kurz nach diesem Datum begannen die Kriege, die zur völligen Auflösung des jugoslawischen Bundesstaates führten und etwa 200000 Menschen das Leben kosteten. Warum konnte sich die Bundesrepublik in einer weltpolitisch wichtigen Frage so durchsetzen – mit katastrophalen Folgen? Wer wollte und warum Jugoslawien spalten?
Im November 1991 besuchte Genscher den Vatikan als traditionelle Schutzmacht des »unabhängigen, katholischen« Kroatien und gewann die Erkenntnis: »Klarer als manche westliche Regierung erkannte die vatikanische Außenpolitik die Gefahr, die sich aus dem serbischen Vormachtsanspruch … ergeben mußte«. Und Prälat Paul Bocklet, im politischen Bonn eine wichtige Figur, äußerte gegenüber dem kroatischen Botschafter, Kroatien habe »außerordentliches Glück« gehabt, da sowohl der Papst als auch die deutsche Regierung und der liebe Gott auf ihrer Seite« gewesen seien.
Der göttliche Beistand kam nicht von ungefähr – der Vatikan verstand sich schon 1941 bis 1945 als Schutzmacht der kroatischen Ustascha-Faschisten, und die brachten ihre geraubten Schätze vor der heranrückenden Roten Armee in Rom in Sicherheit. Nach US-Geheimdiensterkenntnissen soll der Vatikan damals Gold und Bargeld im Wert von Millionen Schweizer Franken erhalten haben, die kroatische Faschisten von Juden, Sinit und Roma und Serben erpreßt und geraubt hatten. Mit dem Geld wurde u.a. die »Rattenlinie« finanziert, auf der Tausende Nazi-Kriegsverbrecher nach Argentinien und in andere südamerikanische Staaten auswandern konnten. Auch der blutrünstige Faschistenführer Ante Pavelic gelangte mit kirchlicher Hilfe als »Pater Gomez« nach Argentinien und später nach Spanien, wo er 1959, vom Papst gesegnet, starb.
Das »Ustascha-Gold« hat aber noch weitere Zinsen getragen, wovon die kroatischen Separatisten 1991 30 Millionen DM als »Kredit« von »Heiligen Vater« erhielten. Und den kroatischen Schutzheiligen der Faschisten, Kardinal Alojzije Stepinac, sprach Papst Paul II. 1998 »selig«.
Seit dieser Zeit behauptet die deutsche Propaganda vehement, Auslöser der Jugoslawien-Kriege sei ausschließlich Serbien unter dem »Diktator« Slobodan Milosevic. Bis auf wenige Ausnahmen hat sich dieser Standpunkt in den deutschen Medien durchgesetzt und gilt als historisches Faktum. Welche Rolle spielte Serbien damals?
Und auf die bekannte Behauptung, der Staat sei nur die Fassade für serbische Dominanz gewesen: »Dieser Staat wurde zu diesem entscheidenden Zeitpunkt von einem aus der Teilrepublik Kroatien entsandten Mitglied des jugoslawischen Staatspräsidiums, Stjepan Mesi, geführt. Der damalige Premierminister des Landes Ante Markovi kam auch aus Kroatien, und auch der Außenminister Budimir Lonar war Kroate. Was die höchsten militärischen Ränge betrifft, so haben wir es hier schon (von Anklagezeugen – K. H.) gehört: unter den höchsten 16 Generalen waren nur zwei Serben. Die Mehrheit bestand aus Kroaten, Slowenen und Leuten anderer ethnischer Herkunft.«
Zur Entstehung der Auseinandersetzung muß man wissen – und die deutsche Außenpolitik wußte es –, daß schon im Januar 1991 der sogenannte Verteidigungsminister Kroatiens in einem TV-Interview von der »unumgänglichen Ausrottung der Serbenhochburg Knin« gesprochen hat. Er hatte dazu 36000 Maschinengewehre aus Ungarn besorgt. Die so Bedrohten widersetzten sich der Sezession, versuchten sich zu schützen, riegelten ihre Siedlungsgebiete ab und riefen ihrerseits die Autonomie aus. Die kroatischen Separatisten liquidierten nämlichen den Status der Serben als zweitem Staatsvolk neben den Kroaten und machten sie zu einer Minderheit mit eingeschränkten Rechten. Milosevic sagte seinerzeit: »Gleiche Methoden in den gleichen Gebieten, in denen 1941 der Völkermord am serbischen Volk durch die Ustascha-Verbände im so genannten Unabhängigen Staat Kroatien begann.«
Zwei Tage nach der Unabhängigkeitserklärung am 25. Juni 1991 begann die JNA mit der bewaffneten Verteidigung der jugoslawischen Grenzen. Dabei wurden die jugoslawischen Soldaten in ihren eigenen Kasernen von der neuen kroatischen Territorialarmee blockiert. Die ersten Toten des Krieges waren Serben.
Dazu Milosevic: »Am 10. Juli 1991 verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution, in der nicht die Rebellen, nicht die Separatisten verurteilt wurden, sondern die ordentlichen Streitkräfte, die JNA. Es wurden also die Rollen von Täter und Opfer verkehrt. …. Von Juli 1991 bis August 1992 wurden 193 serbische Dörfer ethnisch gesäubert.«
Das geschah nicht nur mit der deutschen und dann internationalen diplomatischen Unterstützung, sondern auch mit deutschen Waffen. Ehemalige NVA-Waffen, die angeblich verschrottet worden waren, wurden zur Aufrüstung der kroatischen Separatisten geliefert, auch MiG 21-Flugzeuge, die in der DDR mit NVA-Kennung geflogen waren.
Zur weiteren Entwicklung erinnerte Milosevic: »Am 21. Dezember 1991 sagte (der damalige Präsident Bosnien-Herzegowinas – K. H.) Izetbegovi im Parlament von Bosnien-Herzegowina, daß er bereit sei, für die Souveränität Bosnien-Herzegowinas den Frieden zu opfern.« Seinen Erfolg bei der Slowenien- und Bosnien-Anerkennung wollte Deutschland wiederholen: Bundeskanzler Kohl forderte, mit Erfolg, von den westlichen Verbündeten die Anerkennung Bosnien-Herzegowinas bis spätestens 6.April 1992. Historiker Kohl war sich sicher bewußt, daß dies exakt der Jahrestag von Hitlers Angriff auf Jugoslawien 1941 war.
Welche Strategie verfolgten BND und Bonner Außenamt in den 80er Jahren und nach dem Anschluß der DDR 1990?
Dem gingen aber geheimdienstliche Aktivitäten seit den 1980er Jahren voraus. Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom schreibt in seinem Buch »Der Schattenkrieger« über die BND-Aktivitäten des späteren Außenministers und damaligen BND-Chefs Klaus Kinkel, daß schon »unmittelbar vor dem Tode (des früheren Präsidenten Jugoslawiens – K. H.) Titos« in Zagreb »alle Entscheidungen in strategischen Fragen nur noch in Absprache … mit BND-Instanzen und Ustascha-Repräsentanten getroffen wurden«. Das war zu Beginn der 80er Jahre.
Der ehemalige Geheimdienstchef Titos, Antun Duhacek berichtete, daß der BND Ende der 1980er Jahre die direkte operative Führung des kroatischen Auslandsgeheimdienstes zur Zerstörung Jugoslawiens übernahm. Bei einem persönlichen Treffen zwischen Bundesaußenminister Genscher und dem kroatischen Geheimdienstchef Josip Manolic im Februar 1990 hat Genscher 800 Millionen Mark versprochen, die im März 1990 von BND-Leuten in Zagreb übergeben wurden.
Es war der Lohn für ein Geheimabkommen über die Zusammenarbeit des kroatischen Dienstes mit dem BND im Vorgehen gegen Jugoslawien und Serbien. Dafür stellt der BND alle Aufklärungsergebnisse zur Verfügung, die er und befreundete NATO-Dienste in und über Jugoslawien sammelten, zum Beispiel über die Situation in der Jugoslawischen Armee, ihre Truppenbewegungen und anderes. Schließlich unterstellte Manolic einen Teil seiner Informanten und informellen Mitarbeiter, zum Beispiel in Belgrad, direkt dem BND.
Soweit einige Beispiele der Praxis. Was die Strategie betrifft, muß an folgenden Satz erinnert werden: »Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und sollte diese ausweiten«. Das ist keine kommunistische Propaganda, sondern Kohls Regierungserklärung vom 30. Januar 1991.
Klaus Kinkel erklärte 1993: »Zwei Aufgaben gilt es parallel zu meistern: Nach innen müssen wir wieder zu einem Volk werden, nach außen gilt es, etwas zu vollbringen, woran wir zweimal gescheitert sind: Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht. Wir sind aufgrund unserer Mittellage, unserer Größe und unserer traditionellen Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa dazu prädestiniert, den Hauptvorteil aus der Rückkehr dieser Staaten nach Europa zu ziehen. »
Seit 1990 erleben wir den Kampf der – sich ungleichmäßig entwickelnden – imperialistischen Hauptmächte um Einflußzonen und die Neuaufteilung der Erde. Diese gesetzmäßige Entwicklung faßte der damalige deutsche Kriegsminister Volker Rühe in die Worte: »Unsere wirtschaftliche, technologische und finanzielle Leistungsfähigkeit lassen eine Selbstbeschränkung deutscher Außenpolitik nach dem alten Muster nicht mehr zu.«
Die USA waren aber damals über den deutschen Alleingang überhaupt nicht erfreut.
Schon 1984 hatte die Administration von US-Präsident Ronald Reagan die jugoslawische Wirtschaft in der Geheimdirektive NSDD 133 ins Visier genommen. Ihr Titel lautete schlicht: »Die Politik der USA in Bezug auf Jugoslawien«. Sie forderte unter anderem fortgesetzte Anstrengungen zur Entfachung von »stillen Revolutionen«, mit dem Ziel der Überwindung kommunistischer Regierungen und Parteien, während die Länder Osteuropas wieder dem Wirkungskreis des Weltmarktes unterworfen werden sollten.
Die USA beeilten sich, die Deutschen auf dem Balkan auszubremsen, und sandten »Militärberater« und Waffen nach Kroatien und an die bosnischen Muslime, sie erzwangen 1994 den Zusammenschluß der »Kroatisch-bosnischen Föderation« als antiserbische Militärformation.
Harilaos Florakis, damals Vorsitzender der Kommunistischen Partei Griechenlands KKE, kommentierte das mit den Worten: » Dieser Krieg ist ein Ergebnis der imperialistischen Strategie des Teilens und Herrschens. Er hat auch mit Widersprüchen zwischen den USA und Deutschland zu tun, Widersprüchen, die jetzt aufgebrochen sind, weil der gemeinsame Gegner von der Weltbühne verschwunden ist.«
Was folgt daraus für die Einschätzung der Gefährlichkeit des deutschen und des US-Imperialismus? Ist die Losung »Der Hauptfeind steht im eigenen Land!« heute noch richtig? Und schließlich: Die Ereignisse liegen zehn bis 20 Jahre zurück. Sind sie heute noch von Bedeutung?
Das Tragische ist, daß die Bedeutung der Zerstörung Jugoslawiens damals von vielen Linken nicht erkannt wurde, und heute auch nicht in den Kontext der Kriege eingeordnet wird, die danach und aktuell geführt werden. Wir haben damals gewarnt, daß die Aggression gegen Jugoslawien einen »Türöffnerkrieg« für folgende Feldzüge darstellt.
Fünf Tage nach der Kroatien-Anerkennung legte die Bundesregierung dem Verteidigungsausschuß erstmals die neue Marschrichtung der Bundeswehr vor: »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zugangs zu strategischen Rohstoffen«.
Noch während des Bombenkrieges 1999 verabschiedete die NATO neue Richtlinien, in denen sie sich auf Kriege festlegt, die gegen ihren Gründungsvertrag verstoßen, nämlich auf Kriege außerhalb des Bündnisgebiets. Genau dies konnten wir in Afghanistan 2001, im Irak 2003 und in Libyen 2011 erleben.
Und mit der Aggression gegen Jugoslawien wurde massiv gegen das Völkerrecht verstoßen, völkerrechtswidrige Angriffskriege sind seitdem auf der Tagesordnung. Wir sind mit einer fortschreitenden Zerstörung des Völkerrechts konfrontiert, das mit Propagandaformeln wie der »humanitären Intervention« oder neuerdings der »Schutzpflicht« aus den Angeln gehoben werden soll. Manche Völkerrechtler schrecken nicht davor zurück, sich zu prostituieren, indem sie dabei von einer »Fortentwicklung des Völkerrechts« phantasieren. Das ist gerade so, als wenn Sie und ich beschließen, ab sofort wöchentlich Banken zu überfallen und darauf zu setzen, daß mit der Zeit Bankraub als Straftatbestand gestrichen wird. Der Völkerrechtsnihilismus kennzeichnet die zunehmende Faschisierung der Außenpolitik und ist Teil der grundsätzlichen Tendenz der Barbarisierung des imperialistischen Systems.
Schließlich wurden im Falle Jugoslawiens die Mechanismen der Meinungsmanipulation eingeübt, die inzwischen ständig angewandt werden. Die Behauptung, für unterdrückte Minderheiten und Völker in den Krieg zu ziehen, benutzte zwar schon Adolf Hitler. Inzwischen wurde die Methode perfektioniert, das zum Angriff ausersehene Land zu delegitimieren. Es wird als »gescheiterter« oder »Schurkenstaat« bezeichnet, die politischen Repräsentanten werden als »Diktatoren«, »Machthaber« und »Schlächter« dämonisiert, außerhalb des Rechts gestellt und zum Abschuß freigegeben. Genau das geschieht ja gerade im Moment wieder in den Reaktionen einiger Politiker und Medien auf den Aufruf zur Solidarität mit den Völkern Syriens und Irans (siehe Randspalte), der sich gegen die westliche Kriegsvorbereitung wendet.
E' nata indoona : chiama, videochiama e messaggia Gratis.
Scarica indoona per iPhone, Android e PC