Loyalitätsverweigerung
Berlin erhöht seinen Druck zur Anerkennung der kosovarischen Sezession. Wie Außenminister Westerwelle anlässlich einer Reise nach Zagreb, Belgrad und Priština Ende vergangener Woche erklärte, müsse nicht nur Serbien endlich den Verlust seiner Südprovinz akzeptieren. Auch die fünf EU-Staaten, die sich bislang einer Anerkennung der Sezession verweigern, hätten ihren Widerstand nun aufzugeben. Die von Priština reklamierte Eigenstaatlichkeit sei eine "Realität", der man sich zu fügen habe, äußerte Westerwelle. Spanien, Griechenland, die Slowakei, Rumänien und Zypern sind nicht bereit, den willkürlichen Bruch der UN-Resolution 1244 durch die kosovarische Sezession anzuerkennen, zumal zu ihrer Bevölkerung Sprachminderheiten gehören, die den Vorgang schon jetzt zum Präzedenzfall für eigene Abspaltungsvorhaben deklarieren. In Berlin nimmt der Unmut über diese Loyalitätsverweigerung zu, auch weil sie Abkommen der EU mit dem Sezessionsgebilde in Priština unmöglich macht.[1]
Das Recht des Stärkeren
Deutschland stützt sich bei seinen Forderungen inzwischen auch auf ein am 22. Juli veröffentlichtes Gutachten des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag. Der Gerichtshof hatte in dem Gutachten erklärt, mit seiner Sezessionserklärung aus dem Jahr 2008 habe Priština internationalem Recht nicht zuwidergehandelt. Diese Behauptung stößt bis heute auf Unverständnis und Protest. Kritiker weisen darauf hin, dass die Entscheidung von zehn Richtern gebilligt wurde, die sämtlich aus die Sezession befürwortenden oder von diesen abhängigen Staaten stammen (USA, Deutschland, Japan, Somalia etc.), während Richter aus anderen Ländern - aus Russland, der Slowakei, Marokko sowie Sierra Leone - in Sondervoten zum Teil heftig gegen das Gutachten protestierten. Zudem stellen Juristen erstaunt fest, dass das Gericht nur die Sezessionserklärung selbst als gesetzeskonform einstuft. Über den tatsächlichen Vollzug der Sezession, der rechtlich womöglich anders zu beurteilen sei, treffe es keine Aussage.[2]
Irritierend
Exemplarische Kritik an dem Gutachten äußert etwa Urs Saxer, Titularprofessor für Völkerrecht und Internationale Beziehungen an der Universität Zürich. Saxer zufolge "irritiert das Gutachten" nicht nur "mit seiner überformalistischen Analyse und seiner inhaltlichen Enge". Es schaffe zudem "statt Rechtssicherheit Unklarheiten", da es nur die Sezessionserklärung beurteile, nicht jedoch den Status des Kosovo. Exemplarisch erinnert Saxer daran, dass die Abspaltung der serbischen Provinz "kaum mit den einschlägigen Sicherheitsratsbeschlüssen zu vereinbaren" ist.[3] Das Gericht in Den Haag habe dazu "völlig weltfremd" behauptet, das Gremium, das die Sezession verkündet habe - "bestehend aus dem Präsidenten und dem kosovarischen Parlament" -, sei "nicht an die Beschlüsse des Sicherheitsrats gebunden". Außerdem habe der UN-Sicherheitsrat "bei der Statusfestlegung für Kosovo nicht mitentscheiden wollen". Nur so habe der Internationale Gerichtshof in Den Haag den Schluss ziehen können, "dass die Unabhängigkeitserklärung die Anordnungen des Sicherheitsrats nicht verletzt hat". "Diese Argumentation", schreibt Saxer, "überzeugt bei einer internationalen Statusfrage überhaupt nicht."
Der beste Markt in der Region
Während die Bundesregierung immer noch damit beschäftigt ist, die Zerschlagung Serbiens unumkehrbar zu machen, setzen deutsche Unternehmen die Ausplünderung des stark geschwächten Landes fort. Vergangene Woche tagte in Berlin unter dem Vorsitz eines Staatssekretärs aus dem deutschen Wirtschaftsministerium der "deutsch-serbische Kooperationsrat". Dabei wurden laut dem Ministerium "auch bestehende Schwierigkeiten für deutsche Unternehmen in Serbien" diskutiert.[4] Gemeint sind Konflikte zwischen dem Essener Medienkonzern WAZ und der Belgrader Regierung, die sich an dem gescheiterten Versuch der WAZ entzündeten, sich mit dem Kauf von Zeitungen ein Meinungsmonopol in Serbien zu verschaffen (
german-foreign-policy.com berichtete [5]). Wie es in der Wirtschaftspresse nach der Sitzung des "Kooperationsrates" hieß, widerspreche die tatsächliche Entwicklung den wütenden Protesten der WAZ gegen die Belgrader Politik: Serbien sei dem Urteil des Vorsitzenden der Deutschen Wirtschaftsvereinigung in Belgrad zufolge "der beste Markt in der ganzen Region inklusive der Türkei".[6]
Niedriglöhne, Konzernsubventionen
Tatsächlich nennt der serbische Wirtschaftsminister den Staat mittlerweile "attraktiver als EU-Länder wie Bulgarien": Die Körperschaftssteuer betrage zehn Prozent (Deutschland: 15 Prozent), die Löhne seien niedrig, Investitionen würden mit umfangreichen Staatssubventionen belohnt.[7] Derzeit verhandele er mit zehn deutschen Unternehmen über eine Aufnahme oder die Ausweitung von Firmenaktivitäten in Serbien. RWE prüfe den Bau eines Wasserkraftwerks, der Metro-Konzern errichte einen sechsten Cash-and-Carry-Markt, die staatliche serbische Fluglinie JAT wolle Airbus-Flugzeuge kaufen, die Deutsche Telekom plane die Übernahme der Telekom Srbija. Die Regierung in Belgrad kooperiere zudem mit der Deutschen Bahn AG bei der Modernisierung des Transportkorridors aus Deutschland in die Türkei. Der Ausbau dieses Transportkorridors führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu schweren internationalen Auseinandersetzungen, die im Vorlauf zum Ersten Weltkrieg eine bedeutende Rolle spielten.
Elf Jahre nach dem Krieg
Um das für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen benötigte Personal heranzuziehen, vergibt der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft gemeinsam mit dem deutschen Entwicklungsministerium seit 2004 ein "Zoran-Djindjić-Stipendium" an mehrere Dutzend Nachwuchskräfte aus Serbien und weiteren Staaten Südosteuropas. Die Stipendiaten absolvieren Praktika in deutschen Unternehmen und kehren mit recht engen Bindungen an die deutsche Wirtschaft in ihr Herkunftsland zurück. Bei seiner aktuellen Südosteuropareise hielt der deutsche Außenminister vergangene Woche auch eine Rede vor Djindjić-Stipendiaten und Studenten in Belgrad. Nicht wenige von diesen hatten sich vor rund elf Jahren mutmaßlich vor deutschen Kriegsfliegern in Sicherheit bringen müssen, als diese 1999 im Rahmen des NATO-Überfalls Serbien attackierten, weil Belgrad nicht zu bedingungsloser Unterordnung unter deutsche Ordnungskonzepte bereit war. Wie das Auswärtige Amt jetzt mitteilt, sei es dem deutschen Außenminister bei seiner Rede vor den Stipendiaten "wichtig" gewesen, "die europäische Idee von 'Kooperation statt Konfrontation' besonders auch der jungen Generation in Serbien nahe zu legen".[8]