"Der Mörder ist immer der Serbe" - und weitere Beitraege
von Juergen Elsaesser

1. Öl ins Höllenfeuer (junge Welt, 20.03.2003)
Schwaben, Serben und Muslime: Ivo Andric und der Clash of
Civilizations auf dem Balkan

2. Der Mann mit der Rose (junge Welt, 24. und 25.03.2003)
Djindjics soll ermordet worden sein, weil er der Mafia zu gefährlich
wurde. Doch einige Fakten passen nicht in dieses Bild.

3. Serbenmörder vor Gericht (junge Welt, 16.und 17. 04.2003)
Seit Dienstag muß sich der muslimische Kommandant von Srebrenica
[Nasir Oric] vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten

4. Der Mörder ist immer der Serbe (eMail vom 21.04.2003)
Das Osterprogramm im deutschen Fernsehen ­ Volksverhetzung pur

http://www.juergen-elsaesser.de


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Öl ins Höllenfeuer

Schwaben, Serben und Muslime: Ivo Andric und der Clash
of Civilizations auf dem Balkan

Als nach dem 11. September die Bush-Administration von
der Notwendigkeit eines Kreuzzuges sprach, erinnerten
Historiker an die blutigen Vorstöße des christlichen Europa
in die islamische Welt. Apologeten wie Kritiker der
US-Administration übten sich in Koran-Exegesen, als ob
wirklich ein Religion- und Kulturkampf mit dem Orient
bevorstünde. Vergessen wurde, daß schon im Mittelalter die
ideologische Begleitmusik nicht zu den realen Kriegen
paßte. Jedenfalls dezimierten die Interventionen ins Heilige
Land on the long run nicht den Islam, sondern das
orthodoxe Christentum. Dessen Bastion, das Byzantinische
Reich, wurde bis zum 15. Jahrhundert vollständig von den
Habsburgern und vom Osmanische Reich usurpiert. Die
Scheidelinie zwischen beiden Imperien verlief quer über den
Balkan - etwa dort, wo am Ende des 4. Jahrhunderts das
Imperium Romanum zwischen Rom und Byzanz aufgeteilt
worden war. Zwischen die Mühlsteine von Okzident und
Orient gerieten die Reste der orthodoxen Bevölkerung in
der Region. Ivo Andric reflektiert ihr jahrhundertelanges
Leiden wie kein Zweiter.

Die Serben waren nach der Niederlage auf dem Amselfeld
1389 ein halbes Jahrtausend unter islamischer Herrschaft.
In Omer-Pascha Latas beschreibt Andric, daß diese
Herrschaft zum großen Teil keine Fremd-, sondern eine
Klassenherrschaft war. Was im Nato-Slang bis heute als
"moslemisches Volk" auf dem Balkan bezeichnet wird, ist
nichts anderes als die slawisch-orthodoxe Oberschicht, die
unter dem Druck der Eroberer den Glauben wechselte.
Zwar wurde niemand gezwungen, zum Islam zu
konvertieren. Wer aber nicht wollte, war künftig nur ein
Glied der Raja - der Herde der Ungläubigen. Das bedeutete
praktisch, neben den allmächtigen Moslems nichts zu sein,
weder Waffen führen noch Mohammedaner vor den
Richter laden zu können. Von den zahllosen Sondersteuern
für Christen war die Blutsteuer oder Knabenlese (türkisch
devsirme) die schlimmste. In jedem dritten, fünften oder
siebten Jahr wurden den Eltern ihre Knaben nach
bestimmten Kriterien weggenommen, islamisiert und
entweder zu Janitscharen-Elitesoldaten oder zu Höflingen
des Sultans ausgebildet. Vielen serbischen und bosnischen
Adeligen entschieden sich angesichts solcher Aussichten für
die neue Religion: Als Begs und Agas behielten sie ihre
feudalen Privilegien, im Dienste der neuen Macht konnten
sie die unteren Klassen sogar noch besser schinden als
zuvor.

Einer dieser Konvertiten ist Omer-Pascha, der eigentlich
als Mico Latas getauft worden ist. Der junge Streber
wechselt, als sein eigentliches Karriereziel, die
Offizierslaufbahn in Wien, gefährdet ist, kurzerhand den
Glauben und dient sich der Hohen Pforte an. Jahre später
kehrt er aus Istanbul in seine alte Heimat zurück - nun
aber als Serasker, als Oberbefehlshaber des Sultans, um
dessen Macht in der bosnischen Provinz zu befestigen.

Omer Paschas Strafexpedition nach Sarajevo im Jahre 1851
legitimiert sich mit hehren Zielen: Neben einer modernen
Verwaltung soll er auch die Gleichberechtigung der Raja
durchsetzen - die ansatzweise Trennung von Moschee und
Staat ist das Kernstück der anlaufenden
Tanzimat-Reformen. Doch so fortschrittlich ihr Inhalt, so
reaktionär ihre Durchsetzung: Innerhalb weniger Monate
verwandelt sich der türkisch beherrschte Balkan in ein
einziges Zuchthaus. Eingesperrt werden nicht nur die
orthodox-muslimischen Gegner der Reformen, sondern alle
Mißliebigen, gerade auch Christen. "Man sagte ihnen, dies
alles geschehe, damit ihre Lage verbessert werde; doch sie
sahen, daß das Heer des Seraskers auch für sie keineswegs
leichter zu ertragen war als irgendein anderes türkisches
Heer, das früher Bosnien bedrückt hatte, und sie sahen, daß
Macht und Gewalt des Seraskers viel schlimmer auf ihnen
lasteten als die Macht der einheimischen Begs und Agas."
Die Durchsetzung der Tanzimut-Reformen scheitert
schließlich in Bosnien - trotz oder vielleicht sogar wegen
der drakonischen Methoden der Besatzer. Die
Unterdrückung der Raja wird stärker als zuvor - am
schlimmsten hausen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts
die albanischen Warlords. Man muß fürchten, daß der
aktuelle Versuch der USA, eine Art Tanzimut in
Afghanistan oder dem Irak durchzusetzen, nicht viel besser
enden wird.

Eine Detailstudie des osmanischen Verfalls ist Andrics neu
aufgelegte Erzählung Der verdammte Hof. Damit ist
Istanbuls berüchtigtes Untersuchungsgefängnis gemeint, in
dem ein manischer Direktor die Insassen mit absurden
Verhören in den Wahnsinn treibt, vorzugsweise gänzlich
unschuldige. Milo Dor sieht das in seinem Nachwort als
Parabel auf die "Lagerwelt unserer Zeit" - der
Antitotalitarismus läßt grüßen. Der näherliegende Impuls,
den kafkaesken Mikrokosmos der osmanischen Justiz im
Haager Tribunal wiederzuerkennen, ist dem Dissidenten
nicht gekommen.

Auch in einem anderen Punkt verfehlt Dor (gleich einer
Vielzahl weiterer Exegeten) den Schriftsteller: Wenn er
ihm die Ansicht zuschreibt, die blutigen Religionshändel
zwischen Drina und Adria seien ein "spezifisch bosnischer
Haß", den man "studieren und bekämpfen müßte wie eine
weitverbreitete Krankheit". Zwar finden sich diese
Formulierungen in Andrics "Brief aus dem Jahre 1920" -
aber sie stammen nicht von ihm, sondern von seinem
Freund Max. Der emigrierte vom Regen in die Traufe und
wurde schließlich im spanischen Bürgerkrieg von den
Faschisten getötet. Andric lakonisch: "So endete das Leben
des Menschen, der vor dem Haß geflohen war."

Nicht der "spezifisch bosnische Haß" ist für Andric das
Problem der Gegenwart und nicht der Islam, von dessen
Grausamkeit seine Bücher detailgenau berichten. Am
schlimmsten wird es, wenn die Großmächte aus politischen
und wirtschaftlichen Interessen Öl in das Höllenfeuer
gießen, das seit dem Mittelalter zwischen den Religionen
brennt. In seinem Meisterwerk Die Brücke über die Drina
schildert Andric antiserbische Pogrome bei Ausbruch des 1.
Weltkrieges. Aber längst nicht alle Moslems wollen die
Mordbrennerei der "Schwaben" - so nennt man auf dem
Balkan die nordischen Eroberer seit den Tagen von Prinz
Eugen - unterstützen. Einer warnt: "Man will uns einfach
ein paar Gewehre und schwäbische Uniformen geben,
damit wir für die Schwaben Zutreiber spielen. Sie wollen
uns die Ehre erweisen, daß wir für sie die Serben verfolgen,
damit sie sich nicht selbst in den Bergen herumschlagen
müssen."

Ivo Andrics Denkmal in Visegrad wurde von einem
muslimischen Fanatiker vor einigen Jahren gesprengt, in
Zagreb und Sarajevo hat man ihn aus den Schulbüchern
zensiert. Die Schwaben freilich schänden ihn am
perfidesten: Der Suhrkamp-Verlag stellt ihn neuerdings als
"bosnischen" Nobelpreisträger vor - ausgerechnet Andric,
der nie etwas anderes sein wollte als Jugoslawe und sich
dieser Leidenschaft sowohl in ihrer monarchistischen
Variante - als Botschafter unter König Aleksandar - wie
in ihrer sozialistischen Version - als Staatsschriftsteller
unter Tito - verschrieb. Doch der deutsche Haß auf
Jugoslawien bringt es fertig, auch noch Andric zu
ethnifizieren.

Ivo Andric, Omer-Pascha Latas, 360 Seiten, 11 Euro,
Frankfurt a.M. 2002 ders., Der verdammte Hof, 165 Seiten,
xy Euro, Frankfurt a.M. 2002

Autor: Jürgen Elsässer; in: junge Welt, 20.03.2003


=== 2 ===


Der Mann mit der Rose

Djindjics soll ermordet worden sein, weil er der Mafia zu
gefährlich wurde. Doch einige Fakten passen nicht in dieses
Bild.



Nachdem ein Heckenschütze den serbischen Premier Zoran
Djindjic am 12. März erschossen hatte, berichteten die
westlichen Medien nach der Devise "De mortuis nihil nisi
bene". In den ARD-Tagesthemen wurde er etwa am selben
Abend noch als derjenige gelobt, der "gegen alle
Widerstände dem organisierten Verbrechen den Kampf
ansagte."

Noch vor knapp zwei Jahren konnte man das Gegenteil
lesen, zuerst in der kroatischen Wochenzeitung "Nacional".
Die "Financial Times Deutschland" griff deren Recherchen
auf, nachdem am 3. August 2001 der ehemalige
Geheimdienstoffizier Momir Gavrilovic in Belgrad auf
offener Straße erschossen worden war. Er kam aus dem
Büro von Präsident Kostunica und hatte diesem Material
über Verbindungen zwischen der
Djindjic-Regierungsmannschaft und dem organisierten
Verbrechen übergeben.

Laut "Nacional" hatte Djindjic nicht nur zur Belgrader
Unterwelt gute Kontakte, sondern auch zu Stanko Subotic
Cane, dem "Kopf der gesamten Balkan-Mafia". Sein
Kapital kommt aus dem Verkauf unverzollter Zigaretten -
allein in Serbien soll ihm das jährlich eine Milliarde Euro
Profit bringen. Canes wichtigster Bündnispartner ist Milo
Djukanovic, der als Präsident von Montenegro eine
möglichst schnelle Abspaltung von Serbien favorisiert -
Kritiker bezeichnen das künftige Staatswesen als "Philipp
Morris-Republik". "Nacional" hat 300 Stunden
Telefongespräche zwischen Cane und Djukanovic abgehört
und berichtet über die Jetset-Aktivitäten der beiden - teure
Geschenke, wüste Parties, Mißbrauch Minderjähriger -, vor
allem aber über die Finanzierung der Wahlkämpfe
Djukanovics aus der Schmuggelkasse des Mafioso: 50
Millionen sollen dafür seit 1995 geflossen sein, weitere 130
Millionen seien auf Privatkonten unter anderem in Zypern
geparkt.

Djindjics Beziehungen mit dem "ehrenwerten
Geschäftsmann" (Djindjic über Cane) beginnen mit der
Niederschlagung eines Haftbefehls, den die serbische Polizei
im April 1997 erlassen und so Cane zur Flucht nach
Kroatien gezwungen hatte. Seit Djindjic Ende 2000 im Amt
war, konnte Cane wieder ungehindert in Serbien einreisen
- was auch für Djindjic Vorteile hatte: Im Jahr 2001 flog er
mit Canes Privatjet zum Staatsbesuch nach Moskau, die
Belgrader Tageszeitung "Politika" zeigte das Foto auf der
Titelseite. Noch wichtiger war die Kooperation der beiden
bei einer in Kragujevac geplanten Zigarettenfabrik. Deren
Hauptfinanzier soll British American Tobacco (BAT, u.a.
mit den Marken Lucky Strike, Dunhill, Rothmans) sein,
Cane stieg als Juniorpartner ein. Djindjic versprach, BAT
von allen Steuern und Abgaben zu befreien, und zwar nicht
nur für das Werk in Kragujevac - auch die
BAT-Zigaretten aus Westeuropa sollten zollfrei nach
Serbien eingeführt und verkauft werden können. Auf diese
Weise hätte sich die Investition von 150 Millionen Mark für
den Konzern in zwei Jahren rentiert. Für Cane als
Co-Finanzier war die Fabrik als Geldwaschanlage
interessant.

Im Zusammenhang mit der Fahndung nach den Mördern
von Djindjic liest man immer wieder, der kriminelle
Untergrund sei eine Hinterlassenschaft der Milosevic-Ära
und keineswegs ein Produkt der neuen Zeit. Das ist
denunziatorisch gemeint, aber nicht ganz falsch: Die
serbische Mafia, die aufgrund der ökonomischen Krise des
Selbstverwaltungs-Sozialismus schon einige Zeit vor
Milosevic entstanden war, wurde von diesem
instrumentalisiert, um das Wirtschaftsembargo nach 1991
zu unterlaufen. Leute wie Arkan und Cane (manchmal
wird auch Milosevics Sohn Marko genannt) schmuggelten
all das ins Land, was die Nato-Blockade nicht durchlassen
wollte. Das war für die Nationalökonomie wichtig - und
für die Schmuggler einträglich. Der Philosoph Mihailo
Markovic, bei einer Säuberung 1995 aus dem Vorstand der
Sozialistischen Partei (SPS) entfernt, behauptet, Milosevic
habe eigens die neue Linkspartei JUL als Auffangbecken
für die Mafia gegründet.

Milosevic Neue Ökonomische Politik scheiterte, der Pakt
mit dem Teufel wurde aus der Hölle aufgekündigt: Nach
dem Vertrag von Dayton ließ Cane auf seinen bisherigen
Kontaktmann, den damaligen SPS-Präsidenten Milorad
Vucelic, ein Attentat verüben, im April 1997 wurde der
frühere Vize-Polizeiminister Stojicic Badze mitten in
Belgrad ermordet. Der blutige Show-Down markiert den
Übergang des Zigaretten-Königs von Milosevic zu
Djukanovic. Der erschien der Mafia nach seiner Trennung
von den pro-jugoslawischen Sozialisten attraktiver, weil er
sich nicht nur zum Protagonisten der Eigenstaatlichkeit
Montenegros, sondern auch des freien Unternehmertums
gemausert hatte. Zügig erarbeitete Djukanovic ein Konzept
zur vollständigen Privatisierung der Staatsindustrie -
während in Serbien nur Minderheitsbeteiligungen möglich
waren und die Belegschaften selbst dabei eine Art
Veto-Recht hatten. Mit anderen Worten: Unter Milosevic
konnten die Mafiosi zwar reich werden, aber sie kamen nie
aus der Schmuggel-Schmuddelecke heraus und blieben so
von ihm abhängig; unter Djukanovic konnten sie dagegen
Eigentum an Produktionsmitteln erwerben und so zu
veritablen Kapitalisten werden - zur herrschenden Klasse.
Mit Djindjic wurde das auch in Serbien möglich.

Deshalb erscheint plausibel, was der Rechtspopulist
Vojislav Seselj seit langem behauptet und was ihm - unter
anderem - bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember
letzten Jahres über ein Drittel der Stimmen gebracht hat:
Daß die Mafia schon in der Milosevic-Zeit auch mit
Djindjic angebandelt hat. Unter anderem geht es in dieser
Hypothese um das Attentat auf den Royalisten Vuk
Draskovic. Am 3. Oktober 1999 rammte ein
Mercedes-LKW auf der Ibar-Magistrale südlich von
Belgrad den Wagen von Draskovic, Chef der zur damaligen
Zeit wichtigsten Oppositionspartei SPO. Vier Begleiter
Draskovics starben, er hatte nur leichte Blessuren. Da die
Ermittlungen nicht vorankamen, stellte die SPO eigene
Recherchen an. Als diese nach kurzer Zeit ergaben, daß der
LKW der Staatssicherheit gehörte, wurde der Stasi-Mann,
der dies bezeugt hatte, ebenfalls bei einem Autounfall
getötet. Im weiteren meldeten sich zwei Verkehrspolizisten,
die in der Nähe des Tatortes einen Mann mit einem
auffälligen Tattoo gesehen hatten - eine Rose an der
rechten Halsseite. Dieselbe Tätowierung an derselben Stelle
trägt der Stasi-Offizier Milorad Lukovic, genannt Legija.
Er war zur damaligen Zeit Leiter der sogenannten Roten
Barette, einer schwerbewaffneten Polizeiabteilung für
Sonderoperationen, etwa vergleichbar mit der
bundesdeutschen GSG 9. Draskovic vermutete lange, daß
Milosevic den "Mann mit der Rose" schützt und die
Aufklärung des Verbrechens verhindert. Aber
seltsamerweise hat Legija auch hat den Regimewechsel
unbeschadet überstanden. Nach dem Sturz Milosevics am 5.
Oktober 2000 hat die Justiz zwar zwei Angehörige von
Legijas Einheit wegen der Morde auf der Ibar Magistrale
angeklagt, aber nicht ihren Kommandeur. Noch seltsamer:
Im Mai 2001 sagte Djindjic rückblickend, er wisse seit
Oktober 2000, wer den Killer-LKW gesteuert habe.
Trotzdem wurde der Premier nicht als Zeuge geladen, um
Auskunft darüber zu geben, von wem er so intime
Kenntnisse über den Attentäter erhalten hatte.

Man muß vermuten: Djindjic hatte sein Wissen von Legija
selbst. Fakt ist jedenfalls, daß Legijas Rote Barette,
angeblich die Prätorianergarde von Milosevic, am 5.
Oktober 2000 dessen Befehle zur Verteidigung der
Hauptstadt nicht befolgten. Ihre Obstruktion machte es
möglich, daß eine nur wenig bewaffnete Menschenmenge
das Parlament und den Staatssender RTS besetzten und
brandschatzten. Djindjic hat zugegeben, daß er sich mit
Legija persönlich am Morgen des 5. Oktober getroffen und
das Stillhalten vereinbart hatte. Verlangte Legija im
Gegenzug vom neuen starken Mann Immunität, gar eine
Garantie seiner Position? Jedenfalls blieb Legija auf seinem
Posten - und rechtfertigte Djindjics Vertrauen auch in der
Folgezeit: Beim Sturm vermummter Zivilpolizisten auf die
Villa Milosevics und dessen Verhaftung in der Nacht auf
den 1. April 2001 soll er eine wichtige Rolle gespielt haben.
Attentatsopfer Draskovic urteilte resigniert: "Unsere
Öffentlichkeit muß wissen, daß die Kriminellen und
Staatsterroristen in Serbien nach dem 5. Oktober keine
neuen Bosse bekamen, sondern daß sie selbst die Bosse
wurden."

Seselj geht noch weiter: Demnach sind Legija und andere
Top-Leute aus Milosevics Sondereinheiten nicht erst
unmittelbar vor dem 5. Oktober gekauft worden, sondern
bereits viel früher. Für diese Theorie spricht, daß die
Anklageschrift des Haager Tribunals vom 28. Mai 1999
neben Milosevic alle möglichen und unmöglichen
serbischen Politiker und Militärs auflistet - aber
ausgerechnet die Anführer der berüchtigten Roten Barrette,
die auch im Kosovo die Schmutzarbeit gemacht haben,
nicht. Demnach könnte Legija bestimmte Verbrechen
schon während der Amtszeit Milosevics nicht in dessen
Auftrag begangen, sondern auf Anregung seiner Gegner -
um den Staatschef zu diskreditieren. Seselj erinnert in
diesem Zusammenhang daran, daß das Attentat auf
Draskovic nicht Milosevic nutzte, sondern der Opposition:
Diese hatte sich nämlich bereits Ende August 1999 heillos
zerstritten, besonders Draskovic und Djindjic lagen in
Fehde. Das Attentat verschaffte ihr einen Mitleidsbonus
und stachelte die Empörung über Milosevic wieder an.

Einer der bekanntesten serbischen Mafiosi hat vor zwei
Monaten diesen Verdacht erhärtet. "Cume" Buha, Chef des
im Drogenschmuggel aktiven Surcin-Clans, meldetete sich
per offenem Brief bei der Justiz und bot sich als Zeuge
gegen Legija an. Seither müssen die Dinge außer Kontrolle
geraten sein. Djindjic kündigte ein hartes Vorgehen gegen
die Mafia an, Legija schimpfte zurück - aber nicht wegen
der durchgeführten bzw. angekündigten Razzien, sondern
weil der Premier zu willfährig mit dem Haager Tribunal
zusammenarbeitete. Plante Djindjic, Leute aus den
Sondereinheiten oder vielleicht sogar Legija selbst an
Chefermittlerin Carla del Ponte auszuliefern? Ein
Bauernopfer, um selbst aus der Schußlinie zu kommen?

Dann wäre ihm genau das zum Verhängnis geworden.
Jedenfalls wird nach Legija mittlerweile gefahndet, er gilt
als einer der Hauptverdächtigen beim Djindjic-Mord.

Autor: Jürgen Elsässer; in: junge Welt, 24. und 25.03.2003


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Serbenmörder vor Gericht

Seit Dienstag muß sich der muslimische Kommandant von
Srebrenica vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag
verantworten

Seit dem gestrigen Dienstag kann auch der Konsument
bürgerlicher Nachrichtensendungen wissen, daß im
bosnischen Srebrenica die Serben nicht nur Täter, sondern
auch Opfer waren. Mit Naser Oric wurde nämlich zum
ersten Mal ein muslimischer Kommandant den Richtern
des UN-Tribunals in Den Haag vorgeführt, dem schwere
Kriegsverbrechen an der serbischen Zivilbevölkerung zur
Last gelegt werden.

Allerdings ist auch mit der Eröffnung dieses Prozesses noch
längst keine Ausgewogenheit bei der Behandlung der
verschiedenen Volksgruppen hergestellt: Von serbischer
Seite sind gleich drei frühere Staatsoberhäupter in Haager
Zellen gelandet - die bosnisch-serbische Präsidentin
Biljana Plavsic, der serbische Präsident Milan Milutinovic
und der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic. Nach
Plavsics Vorgänger Radovan Karadzic und dem
Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Armee Ratko
Mladic fahnden seit 1995 schwerbewaffnete
Fahndungskommandos auf dem ganzen Balkan. Oric
hingegen mußte sich nie verbergen und betrieb bis vor
kurzem ein Fitneßstudio im bosnischen Tuzla.Dabei war
schon seit Jahren bekannt, daß Oric in schwerste
Gewaltstraftaten im Raum Srebrenica verwickelt war.

In der ehemaligen Silberstadt lebten bei Kriegsausbruch im
Frühjahr 1992 etwa ein Drittel Serben. Innerhalb weniger
Monate wurde die Stadt und das Umland von den Truppen
Orics vollständig serbenfrei gemacht. Zur Schätzung der
Zahl der Opfer von Orics Feldzügen sind wir auf serbische
Quellen angewiesen. Die bosnisch-serbische
Wochenzeitung "Javnost" berichtete am 23. Dezember
1995, "daß in ganz Podrinje - das Gebiet auf der bosnischen
Seite der Drna zwischen Zvornik im Norden und Visegrad
im Süden - 192 Dörfer verbrannt, 2800 Serben getötet und
sechs tausend verletzt worden waren." Die Zahl der
verbrannten Dörfer wird vom holländischen General
Karremans, dem Kommandeur der UN-Blauhelme in
Srebrenica, bestätigt. Der serbische Pathologe Zoran
Stankovic berichtet: "Wir haben seinerzeit auf ebendiesem
Gebiet 1.000 ermordete Serben identifiziert, wovon wir
((den damaligen Chefankläger in Den Haag)) Richard
Goldstone in Kenntnis gesetzt haben, aber für diese
Erkenntnisse hat sich niemand interessiert." Vorsitzender
einer UN-Expertenkommission zu den Ereignissen in
Srebrenica 1992/93 war Professor Cherif Bassiouni aus
Chicago. In seinem Abschlußbericht an den
Generalsekretär vom 27. Mai 1994 unterschlug er die von
den Serben vorgelegten Beweise für den moslemischen
Terror. Oric fühlte sich damals so sicher, daß er westliche
Pressevertreter in sein Haus einlud. Die "Washington Post"
berichtete im Februar 1994:"Naser Orics Kriegstrophäen
hängen nicht an der Wand seines komfortablen
Appartements, sie sind auf Videocassetten: Verbrannte
Häuser, serbische Männer ohne Kopf, ihre Körper zu einem
bemitleidenswerten Haufen aufgeschichtet." Und weiter:
"Die nächste Ladung Tote ging auf Sprengstoff zurück.
'Wir jagten sie zum Mond hinauf', brach es aus ihm heraus.
Als Bilder einer Geisterstadt mit vielen Einschußlöchern
erschienen, aber keine Leichen zu sehen waren, beeilte sich
Oric zu sagen: 'Wir töteten dort 114 Serben.' Später wurde
gefeiert, Sänger mit öliger Stimme sangen von seinem
Ruhm."

Im Januar 1993 hatte sich aus den Resten der abgezogenen
jugoslawischen eine bosnisch-serbische Armee in der
Region konstituiert, es begann die Gegenoffensive. Im April
1993 erklärte der UN-Sicherheitsrat Srebrenica zur
Schutzzone, doch die in der UN-Resolution zugesagte
Demilitarisierung wurde nicht durchgeführt. In der wurden
noch einmal mehr als 500 Serben von Orics Truppen
ermordet, berichtet Stankovic, der die Autopsien vornahm
und davon Fotos gemacht hat.

Srebrenica hat im Westen traurige Berühmtheit erlangt,
weil die Serben nach dem Einmarsch am 11. Juli 1995
angeblich 7000 - 8000 Muslime ermordet haben sollen.
Diese Zahl wird durch Leichenfunde nicht bestätigt und
muß als um ein mehrfaches überhöht gelten (vgl. Jürgen
Elsässer, Kriegsverbrechen, Hamburg 2000, S. 14 ff). Vor
allem wird bei der Diskussion um die damaligen Ereignisse
kaum berücksichtigt, daß es auch eine blutige Abrechnung
zwischen den Moslems der Stadt gegeben haben muß.
Dabei spielte der mit der örtlichen Mafia eng verbundene
Stadtkommandant Oric eine wichtige Rolle. "Zeugen
behaupten, daß die Leute von Naser Oric hinter 19
Attentaten stehen", hieß es 1996 in der muslimischen
Wochenzeitung "Ljiljan" aus Sarajevo. Diese Gruppe habe
auch gemordet, als die Moslems nach dem serbischen
Einmarsch aus der Stadt geflohen seien: "Über die Morde
darf man auch heute noch nicht sprechen. Einige radikalere
Kenner der militärischen und politischen Verhältnisse in
Srebrenica wagen es zu behaupten, daß `Zeugen' sogar
liquidiert worden sind, als sich das Hauptkontingent aus
Srebrenica herausgekämpft hat. Während dieses
Durchbruchs auf freies Territorium wurde auf dem Gebiet
von Baljkovici Azem Bajramovic, ein Präsidiumsmitglied
der (regierenden Moslempartei) SDA, getötet. Sein Tod
wird als Beispiel angeführt, wie man Zeugen aus
Srebrenica zum Schweigen bringt," schrieb "Ljiljan"
weiter. Dies deckt sich mit den Aussagen von Flüchtlingen
aus Srebrenica, die in der muslimischen Tageszeitung
Zeitung "Oslobodjenje" wiedergegeben wurden: "Deshalb
beschuldigen die Vertriebenen die Führung für das
Verschwinden oder den Tod vieler verantwortlich zu sein,
die sich mit den Kämpfern auf freies Territorium
zurückgezogen haben." Die präzisesten Angaben kommen
von Ibran Mustafic, dem Vorsitzenden der regierenden
SDA-Partei in Srebrenica. In einem Interview mit dem
muslimischen Polizeikreisen nahestehenden Magazin
"Slobodna Bosna" berichtete er von seiner Flucht aus der
Stadt und der Gefangennnahme durch die Serben.
"Persönlich glaube ich, daß die Mehrzahl der Menschen, die
sich (den Serben) ergeben haben, am Leben ist", meinte
Mustafic. Im selben Interview präzisierte er: "Ich habe von
Leuten, die der kroatischen Staatssicherheit nahe stehen
und Kontakte zu den Serben haben, gehört, daß sich an
verschiedenen Orten noch 5600 Überlebende aus Srebrenica
befinden." Mustafic hält die gängige These von der
tausendfachen Mordlust der serbischen Eroberer für nicht
plausibel, weil diese sogar ihn, den prominentesten
Aktivisten der Moslempartei in der Enklave, wieder
freigelassen hatten.

Scharf ging Mustafic mit einer "privilegierten Mannschaft"
unter den Moslems ins Gericht ("einer hartgesottenen
Gruppe von Mafiosi"), die für die Opfer beim Abzug einer
Flüchtlingskolonne nach dem Fall der Enklave
verantwortlich sei. Sie wollte "die Menschen, die ihnen
folgen wollten, möglichst stark verwirren. Die Kolonne
wurde unterbrochen, und die Menschen haben den Kopf
verloren. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die
gesund aus Srebrenica herausgekommen sind und nicht
dieser Mannschaft angehört haben, und als die mir
erzählten, was sich alles auf diesem Weg ereignet hat, war
ich fassungslos. Ich darf gar nicht daran denken und kann
erst recht nicht darüber sprechen. Das sind furchtbare
Dinge."

Es wäre erfreulich, wenn diese viele Jahre von der
westlichen Öffentlichkeit ignorierten Fakten durch den
Prozeß in Den Haag wieder thematisiert würden. Es muß
allerdings befürchtet werden, daß die Festnahme Orics Teil
eines größeren Deals zwischen den Nato-Spitzen und der
neuen Führung in Belgrad ist: Demnach müßten die Serben
die Anklage gegen Oric mit der Auslieferung von Radovan
Karadzic und Ratko Mladic honorieren, die an der Spitze
der Haager Fahndungsliste stehen. In diesem Fall hätten die
westlichen Medien eine neue Gelegenheit, um die Lüge von
der Alleinschuld der Serben zu verbreiten.

Autor: Jürgen Elsässer; in: junge Welt, 16.und 17. 04.2003


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Der Mörder ist immer der Serbe

Das Osterprogramm im deutschen Fernsehen ­ Volksverhetzung pur

Ostern ist das Fest der Liebe und Toleranz. Alle freuen sich an
Pillen-Paule, der mit zittriger Stimme den Segen Urbo und Orbi
verteilt ­ die katholische Kirche ist der Freund der Menschheit.
Selbst die irakischen Schiiten können auf Verständnis rechnen: Die
Tagesschau zeigte wiederholt die traditionelle Pilgerfahrt in Kerbela
­ nach der Befreiung des Landes dürfen sich die Gläubigen endlich
wieder mit Ketten geißeln. Der blutrünstige Saddam hatte ihnen diese
schöne Tradition verboten ­ Zivilisationsbringer Uncle Sam läßt sie
wieder zu.

Auf keine Toleranz dürfen hingegen die orthodoxen Serben rechnen, auch
nach ihrer Unterwerfung nicht. Gleich mit zwei medialen Kampfeinsätzen
machte das Fernsehen über Ostern klar, wo Multikulti seine Grenzen
hat. In der Nacht auf Karfreitag berichtete Arte über "Das Kreuz der
Serben". Der europäische Bildungskanal stellte klar, daß der
Völkermord im Kosovo keineswegs nur die Sache eines gewissen Milosevic
war, sondern mit Billigung, geradezu im Auftrag der
serbisch-orthodoxen Kirche erfolgte. Sie habe das ganze Volk seit dem
Mittelalter dazu erzogen, nach dem Blut unschuldiger Muslime zu
lechzen. Eigentlich, so kann der TV-Glotzer nur schlußfolgern, müßten
die Nato-Fahndungskommandos nicht Karadzic jagen, sondern den
Patriarchen Pavle.

Da die breite Masse Arte eher boykottiert, wurde am Ostermontag auf
dem besten Sendeplatz nachgelegt. Im ARD-Tatort ließ der Bayrische
Rundfunk die Münchner Kripo den Mord an einem Kosovo-Albaner
aufklären. Eigentlich hätte man von Anfang an mißtrauisch sein müssen:
Der CSU-Sender war es schließlich gewesen, der gegen die WDR-Reportage
"Es begann mit einer Lüge", die im Frühjahr 2001 wenigstens einen
kleinen Gegenakzent gegen die Satanisierung der Serben durch die
NATO-Propaganda gesetzt hatte, im ARD-Rundfunkrat Sturm gelaufen war.
Doch die Story war gut gestrickt und zerstreute den Anfangsverdacht.
Kommissar Ivo Batic hatte Besuch von seiner serbischen Verwandtschaft
aus dem Kosovo bekommen, sein Schwager berichtete von Greueln der UCK
in Mitrovica. "Du wirst ja immer jugoslawischer", blaffte Kollege
Franz Leitmayr den ansonsten als Kroaten firmierenden Batic an.
Gleichzeitig machte sich Aushilfs-Kriminalist Wolfgang Hackl
verdächtig, ein früherer Verfassungsschutzmann. Durfte man vielleicht
sogar erwarten, daß die Verbindungen der deutschen Geheimdienste zur
UCK thematisiert würden? Es kam, wie es kommen mußte: Der Serbe war
der Mörder. Er hatte seinen arglosen Verwandten Ivo getäuscht und am
Schluß beinahe ihn selbst noch umgebracht.
Die letzte Einstellung zeigt, wie auch seine Frau Branka als Komplizin
abgeführt wird. Sie hatte zuvor in der orthodoxen Kirche brav gebetet,
trug demonstrativ ein Kreuz an der Halskette. Der Arte-Bildungsbürger
wußte Bescheid.

Besonders perfide ist, daß der Krimi auf einer wahren Gegebenheit
beruht und sie ins Gegenteil verkehrt. Der Mord wird als Teil eines
serbischen Rachefeldzuges gegen UCK-Terroristen dargestellt, deren
Sprengstoffanschlag auf einen Bus elf Serben in Stücke gerissen hatte.
Die fünf albanischen Tatverdächtigen seien der Reihe nach liquidiert
worden, obwohl ein Gericht ihre Unschuld festgestellt hatte, hieß es
im Film. Dieses Bombenattentat hat tatsächlich stattgefunden, und zwar
am 16. Februar 2001 in der Nähe von Podujevo. Vier Kosovo-Albaner
wurden festgenommen und kamen in Pristina in U-Haft. Nach kurzer Zeit
wurden sie, ohne Erlaubnis der zuständigen UN-Polizei, in den
US-Stützpunkt Bondsteel verlegt. Der Hauptverdächtige Florim Ejupi
konnte von dort auf wundersame Weise entkommen. UN-Berichten zufolge
hatte Ejupi längere Zeit für die CIA gearbeitet. Die übrigen drei
wurden im Dezember 2001 freigelassen ­ aus Mangel an Beweisen. Am
Tatort war zwar eine Zigarettenkippe gefunden worden. Die DNA-Spuren
verwiesen aber lediglich auf Ejupi ­ der war leider nicht mehr zu
greifen. Gottseidank hat der Bayrische Rundfunk den Fall endlich
aufgeklärt: Freispruch für die Terroristen.

Jürgen Elsässer

(eMail vom 21.04.2003)