Da: "Klaus von Raussendorff"
Data: Mer 18 Feb 2004 19:57:37 Europe/Rome
Oggetto: Anklage gegen Milosevic ohne Beweise

Liebe Leute,

in diesen Tagen wird die Anklage im Prozess gegen Präsident Milosevic
nach über zwei Jahren ihre Beweiserhebung beenden. Hierzu:

SCHREIBEN VON RAMSEY CLARK AN DIE VEREINTEN NATIONEN.
(12. Februar 2004)
Der ehemalige Justizminister der USA und internationale
Menschenrechtsanwalt fordert die Abschaffung aller ad hoc-Tribunale,
eine unabhängige Überprüfung des Verfahrens gegen Präsident Milosevic
und, unabhängig davon, die
Bereitstellung von Mitteln an ihn für eine angemessene Entgegnung auf
die Anklage um der historischen Wahrheit willen.
http://www.icdsm.org/more/rclarkUN1.htm
[ 1 ]

DER MILOSEVIC-PROZESS IST EINE TRAVESTIE
Die politische Notwendigkeit gebietet, dass der ehemalige jugoslawische
Führer für schuldig befunden wird - selbst wenn die Beweislage dies
nicht hergibt. Von Neil Clark
Aus: “The Guardian” (London) v. 12 February 2004
http://www.ask.co.uk/
kb.asp?q=Go+to+the+Guardian+Newspaper&p=0&s=0&ac=NEWS&x
x=0&qid=71442096120D2E438A31BCF2FD1E0B49&sp=kbtp&fn=kb&fo=1&r=2&io=1&pk=
1&fr
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3125039&a
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1=33
61615-3125039&qi.x=13&qi.y=2
[ 2 ]

NOCH IST SERBIEN NICHT VERLOREN
Von Werner Pirker
junge Welt v. 07.02.2004
http://www.jungewelt.de/2004/02-07/028.php
[ 3 ]

RÜCKKEHR DURCH DIE HINTERTÜR
Milosevics Sozialisten sind wieder zum politischen Faktor in Serbien
geworden. Von Michael Martens
FAZ v. 13.02.2004
http://www.faz.net/p/RubE92362663C6E4937AB14A07CB297CA09/
Doc~E3B60C4F299AB48
509756315B02FFEA02~ATpl~Ecommon~Scontent.html#top
[ 4 ]


Z u d e n T e x t e n :

1. Ramsey Clark, Ko-Präsident des Internationalen Komitees für die
Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM), zieht in seinem Schreiben
an die UN Bilanz: „Über 500.000 Seiten Dokumente und 5000
Videokassetten wurden als Beweismittel vorgelegt. Es gab etwa 300
Verhandlungstage. Über 200
Zeugen haben ausgesagt. Das Verfahrensprotokoll umfasst annähernd
33.000 Seiten. Es ist der Anklagevertretung nicht gelungen, erhebliche
oder zwingende Beweise für irgendeine strafbare Handlung oder Absicht
von Präsident Milosevic vorzulegen. Mangels belastender Beweise hoffte
die Anklagevertretung offenbar, einen so massiven Rekord aufzustellen,
dass es Jahre dauern würde, falls überhaupt jemand sich die Mühe machen
würde, bis Wissenschaftler das Beweismaterial prüfen und analysieren
können, um festzustellen, ob es eine Verurteilung trägt.“ Es gibt also,
wie aus dem Schreiben von Clark hervorgeht, eigentlich gar keine
Anklage. Es gibt nur ein vorgefasstes Bild des Westens von den
Ereignissen auf dem Balkan in den 90er Jahren. Das soll mit der
schieren Eindruck schindenden Masse des Haager
Prozessmaterials verteidigt werden. Für manchen Gehirngewaschenen -
auch in der Friedensbewegung - überraschend, bewertet Clark die Rolle
von Milosevic so: „Während des ganzen Krieges gab es keinen mehr zum
Kompromiss bereiten politischen Führer als Präsident Milosevic, der die
volle Entfesselung des Krieges verhinderte, als Slowenien, Kroatien,
Bosnien und Mazedonien sich von der Bundesrepublik lostrennten.
Hinsichtlich seiner späteren
Verteidigung des auf Serbien und Montenegro reduzierten Jugoslawiens
wird er in Erinnerung bleiben wegen der Kompromisse, die er in Dayton,
Ohio, einging und später, um die US-Bombardements von März bis Juni
1999 zu beenden. In seinem Verhalten lag die Absicht des Friedens und
des Überlebens einer Kernföderation von Südslawen, die eines besseren
Tages den Samen für eine größere Föderation von Balkan-Staaten legen
würde, die für den Frieden, die politische Unabhängigkeit und die
wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Region von entscheidender Bedeutung
ist. Die USA und andere beabsichtigten etwas anderes.“

2. Neil Clark ist Autor und Balkan-Spezialist. Bevor er ein eigenes
Transportunternehmen gründete, war er 30 Jahre lang Logistik-Offizier
der Armee, als solcher am Aufmarsch auf dem Balkan beteiligt und erster
Logistik Offizier in Bosnien. Zu Beginn des Milosevic-Prozesses schrieb
er in einem Artikel im „Guardian“ (v. 11.02.02) über seinen ersten
Besuch in Belgrad im Jahre 1998: „Als unrekonstruierter Sozialist,
völlig außer Tritt mit dem Zeitgeist, hatte ich in den 90er Jahren die
meiste Zeit mit dem Versuch zugebracht, mich, so gut ich konnte, nach
einem Ort davon zu stehlen, wo es immer noch 1948 war. Man stelle sich
also meine Freude vor, als ich in Belgrad ankam und eine Stadt vorfand,
die auf wundersame Weise all den
Schrecken der globalen Verschmutzung entgangen war. Buchläden,
Selbstbedienungsrestaurants, staatliche Apartmenthäuser in Fülle: Ein
Spaziergang entlang der städtischen Boulevards erinnerte einen an eine
britische Hauptstraße in den späten 60er Jahren. Meine Freude
verwandelte sich in Begeisterung, als ich beim Betreten eines
Buchladens in der Auslage an auffallender Stelle ein Exemplar des
klassischen Bandes “Argumente für den Sozialismus” von Tony Benn sah.
Welch ein wirklich wundervoller Ort Belgrad doch war! Und doch war ich
in der Hauptstadt eines Staates, der gewöhnlich als ‘Pariah’-Staat
Europas galt, und dessen Führer, ein gewisser Slobodan Milosevic, in
den westlichen Medien routinemäßig als der Saddam Hussein von Europa
abgetan wurde.“

Zur Charakterisierung des Politikers Milosevic schrieb Neil Clark vor
zwei Jahren, er sei, „ein sturer, verdammter ‚alter’ unrekonstruierter
Sozialist“. „Deshalb haben die neuen Parteien der Designer-‚Linken’
Europas ihn so gnadenlos bis nach Den Haag verfolgt. Slobo ist genau
die Art von
osteuropäischem Führer alten Stils, die viele von ihnen in ihren
Studententagen verteidigt haben würden. Ironischer Weise ist es in
politisch korrekten Kreisen immer noch hinnehmbar, Titos Jugoslawien zu
preisen, das wirklich ein Einparteienstaat war, aber Milosevics
Jugoslawien, wo mehr als 20 Parteien sich frei betätigen können, gilt
als gänzlich jenseits des Erlaubten. Hätte Milosevic sein Land an die
Multis verkauft, hätte er
ehrerbietig um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und in der
Nato angestanden und wäre ein westlicher Ja-Sager geworden, dann hätte
er freie Hand gehabt, seinen eignen ‚Krieg gegen den Terrorismus’ zu
führen.“

Zwei Jahre nach Prozessbeginn kommt Neil Clark zu demselben Ergebnis
wie Ramsey Clark: „Viele Zeugen der Anklage wurden als Lügner
bloßgestellt - so wie Bilall Avdiu, der behauptete, in Racak “etwa ein
halbes Dutzend
verstümmelte Leichen” gesehen zu haben, auf dem Schauplatz der
umstrittenen Tötungen, welche den US-geführten Kosovo-Krieg auslösten.
Gerichtsmedizinische Beweise bestätigten später, dass keine der Leichen
verstümmelt war. Insider, die, wie uns gesagt wurde, alles über
Milosevic ausplaudern würden, erwiesen sich als nichts dergleichen.
Rade Markovic, der ehemalige Leiter des jugoslawischen Geheimdienstes,
sagte am Ende zu Gunsten seines ehemaligen Chefs aus und sprach davon,
dass er anderthalb Jahren „des Drucks und der Folter“ unterworfen
worden war, um eine von dem Gericht präparierte Erklärung zu
unterzeichnen. Einem anderen „Insider“, Ratomir
Tanic, wurde nachgewiesen, im Sold des britischen Geheimdienstes
gestanden zu haben.“ „Im Falle des schlimmsten Massakers - von zwischen
2000 und 4000 Männern und Jungen in Srebrenica im Jahre 1995 - , für
das Milosevic wegen Mittäterschaft angeklagt worden ist, hat die
Mannschaft von Del Ponte nichts zutage gefördert, was das Urteil der
von der niederländischen Regierung in Auftrag gegebenen fünfjährigen
Untersuchung entkräftet hätte, die zu dem Ergebnis kam, es gebe,
„keinen Beweis, dass Befehle für das Gemetzel von serbischen
politischen Führern in Belgrad kamen“.

Es sei bemerkenswert, meint Clark, dass nur eine westliche
Menschenrechtsorganisation, die British Helsinki Group, Bedenken
geäußert habe. „Richard Dicker, der Prozessbeobachter von Human Rights
Watch, erklärte sich selbst ‚beeindruckt’ von der Sache der Anklage.
Zyniker könnten sagen, dass angesichts des Umstands, dass, George
Soros, der Förderer von Human Rights Watch, das Tribunal finanziert,
von Dicker nichts anderes zu erwarten ist. Judith Armatta, eine
US-amerikanische Rechtsanwältin und Beobachterin für die Coalition for
International Justice (eine andere Soros-finanzierte NGO) geht noch
weiter und freut sich hämisch, dass „wenn das Urteil ergeht, und er in
seiner Zelle verschwindet, niemand mehr von ihm hören wird. Er wird
aufgehört haben, zu existieren.“ So viel zu der schönen alten
Vorstellung, dass der Zweck eines Verfahrens darin bestehe, Schuld
festzustellen. Für Armatta, Dicker und ihre Hintermänner scheint es,
dass Milsovevic schon dadurch schuldig ist, dass er angeklagt wird.“

3. Werner Pirker beschreibt die Bedeutung von Milosevic in Den Haag für
die serbische Innenpolitik: „Die strategische Initiative in der
serbischen Politik liegt nun eindeutig bei Vojislav Kostunica.(…)
Verständlich, daß sich (seine Partei) die DSS eine Neuauflage des
»demokratischen Bündnisses« nicht mehr antun will und die Tolerierung
einer von ihr geführten Regierung durch die Sozialisten einer Koalition
mit den
Djindjic-Nachfolgern vorzieht. Zumal eine gewisse Einbindung der SPS in
das System diese noch zahmer machen würde, als sie es ohnehin schon
ist. Deren führenden Kadern steht der Sinn sowieso nicht nach einer
entschiedenen nationalen und sozialen Opposition gegen die neoliberale
Kapitalisierung.
Obwohl die Kostunica-Strategie auf eine Stabilisierung des Kapitalismus
in Serbien zielt, werden die internationalen Finanzorganisationen sowie
EU und USA dies nicht zu würdigen wissen. Denn selbst in dieser
Konstellation steckt eine Spur von Auflehnung gegen die
imperialistische Weltordnung, ein Element serbischer Eigenständigkeit.
»Mit Kostunicas Hilfe«, schreibt Rathfelder, werde die SPS »peu à peu
rehabilitiert. Genau wie Milosevic selbst«. Eben das darf nicht
passieren. Immerhin war es Slobodan Milosevic, der die Sozialisten als
ihr Spitzenkandidat aus der Ferne anführte. Auch wenn so mancher
Parteiführer die »Hypothek Milosevic« gerne loswerden würde:
Massenwirksamkeit erzielt die SPS alleine aus dem Charisma des Helden
von Den Haag. Die Parlamentswahlen haben gezeigt, daß es in Serbien eine
strukturelle Mehrheit aus (gemäßigten und radikalen) Nationalisten und
Linken gibt. Daß diese in der Regierungsbildung – als Koalition der DSS
mit Radikalen und Sozialisten – ihren Ausdruck fände, untersagen die
demokratiepolitischen Vorgaben der westlichen Führungsorgane. Allein
die Andeutung einer solchen Möglichkeit würde die NATO in höchste
Alarmbereitschaft versetzen“

4. Michael Martens von der FAZ spekuliert ganz im Interesse der
imperialistischen Machthaber auf dem Balkan über eine Spaltung von
Milosevics Sozialistischer Partei Serbiens: „Ivica Dacic, der als
Vorsitzender des Exekutivausschusses der Sozialisten die Partei in
Milosevics Abwesenheit führt, will offenbar die Gunst der Stunde zu
nutzen versuchen, indem er sich im kleinen Kreise als "Reformer" gibt,
der die Partei von ihrer sinistren Überfigur befreien will. Immerhin
befindet sie sich tatsächlich nicht mehr unter der völligen Kontrolle
ihres inhaftierten Chefs. Dessen Ansinnen, die besonders treuen
Genossen von der Gruppierung "Sloboda" (Freiheit) zu Abgeordneten zu
machen, ignorierte die Parteiführung um Dacic. Das Ziel der Aktivisten
von "Sloboda" ist die "Befreiung"
Milosevics aus Den Haag. Allerdings weiß auch Dacic, daß die
Sozialistische Partei ihren bescheidenen Erfolg nicht sich selbst,
sondern ihrem "Erfinder" Milosevic zu verdanken hat. Ihm galten die
fast 300 000 Stimmen serbischer Wähler im Dezember, nicht der Partei,
die zu Milosevics Herrschaftszeiten
nie mehr als ein Instrument im Werkzeugkasten seines Systems war.
Sollte es zu einer Parteispaltung kommen und sollte der über den
unbotmäßigen Dacic verärgerte Milosevic bei kommenden Wahlen seine
politischen Resozialisierungshelfer von "Sloboda" unterstützen,
versänke die Sozialistische Partei Serbiens wohl in der
Bedeutungslosigkeit.“

N o c h e i n H i n w e i s :

DEL PONTE IN DER KRITIK IHRER HINTERMÄNNER

Das Erstarken der serbischen Nationalisten und Sozialisten ist auch der
Hintergrund für eine Kritik am Arbeitsstil von Del Ponte aus dem
publizistischen Umfeld der Auftraggeber des Tribunals, jedenfalls
soweit diese europäische Kapitalinteressen auf dem Balkan vertreten.
„Die Chefanklägerin trübt die serbischen Gewässer“ betitelt Misha
Glenny seinen Artikel in International Herald Tribune v. 17. Feb. 04,
der hier nur kurz referiert wird. (Voller Text englisch siehe:
http://www.iht.com/articles/129800.html). Glenny war früher
BBC-Korrespondent in Wien und ist seit 2002 Direktor von SEE Change
2004, einer „gemeinnützigen“ Einrichtung in Großbritannien, die den
Balkan für Auslandsinvestitionen aus der EU öffnen und das
südosteuropäische Arbeitskräftepotential für westeuropäische
Unternehmen nutzbar machen will, wie Glenny, Mitglied des
Weltwirtschaftsforums, nach seiner Ernennung der griechischen Zeitung
Kathimerini anvertraute. Glenny macht seinen Artikel mit der
Information auf, dass Carla Del Ponte letzte Woche erklärt habe, dass
„Belgrad ein sicherer Zufluchtsort für Fahndungsflüchtlinge geworden
sei. Selbst Radovan Karadzic, der vom Tribunal angeklagte ehemalige
bosnische Serbenführer, habe nun Zuflucht in der serbischen Hauptstadt
gefunden.“ Für ihre dramatische Behauptung habe sie keinerlei Beweise
geliefert, außer dass sie aus einer vertraulichen Quelle stamme. In dem
Artikel beschwert sich ein “westlicher Geheimdienstoffizier”, dass Del
Ponte “mehrmals“ eine Operation zur Ergreifung von Karadzic ruiniert
habe, indem sie begann, „auf und ab zu springen und zu schreien: ‚Ich
sehe ihn! Ich sehe ihn!’” Und jedes Mal, wenn Del Ponte solche
Behauptungen aufstelle, warne die serbische Regierung, „dass dies das
Wiedererstarken der Radikalen
fördere.“ Großbritannien und die Vereinigten Staaten hätten bereits in
vertraulichen Gesprächen mit Del Ponte und „ihren Arbeitgebern bei den
Vereinten Nationen“ ihre Besorgnis geäußert. Es gebe jetzt Anzeichen,
dass auch andere Regierungsvertreter in der EU „über die Auswirkungen
von Del
Ponte auf die regionale Stabilität“ auf dem Balkan besorgt seien.
Natürlich fordere er nicht den Rücktritt der Chefanklägerin, erklärt
Glenny unterschwellig drohend, dass er als Vertreter europäischer
Kapitalinteressen auf dem Balkan dies sehr wohl tun könne. Natürlich
stelle er nicht „die
bedeutende Leistung des Tribunals“ in Frage. Nur möge Del Ponte mehr
auf „ihren Arbeitsstil und seine Auswirkungen auf Südosteuropa“ achten.


U n d s c h l i e ß l i c h :

DIE VERTEIDIGUNG VON SLOBODAN MILOSEVIC BRAUCHT DRINGEND SPENDEN

Da Milosevic sich weigert, das illegale Haager Tribunal anzuerkennen,
ist er der einzige Gefangene, der für seine Verteidigung keine
materielle Unterstützung vom Tribunal erhält. Die Dringlichkeit der
Spendenaktion wird noch einmal unterstrichen, indem Ramsey Clark von
den UN fordert, „Präsident Milosevic Haushaltsmittel zur Verfügung zu
stellen, um anwaltliche Beratung, Ermittler, Researcher,
Dokumentenanalysten und andere Experten zur Verfügung zu stellen, um
wirksam auf das gegen ihn vorgebrachte Beweismaterial zu antworten.“
Außerdem fordert er, Milosevic die „für die Bewältigung der Aufgabe
erforderliche Zeit einzuräumen, bevor irgendwelche Prozessverhandlungen
wieder aufgenommen werden.“ Dabei seien die Anstrengungen, um auf die
Anklage zu antworten, „selbst dann unverzichtbar sind, wenn das Gericht
abgeschafft oder die Anklage eingestellt wird, um zur Feststellung der
historischen Fakten um des künftigen Friedens willen beizutragen.“

Das Internationale Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic
(ICDSM) sammelt seit einiger Zeit Spenden für den Rechtshilfefond zur
Unterstützung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten. Doch das
Tribunal hat es nicht dabei Bewenden lassen, Präsident Milosevic massiv
in seinen
Rechten als Angeklagter und in seinen Menschenrechten zu
beeinträchtigen. Auch Bemühungen von einfachen rechtlich denken
Menschen, seine Verteidigung zu unterstützen, werden gezielt behindert.
Zu diesen Machenschaften erklärt
Klaus Hartmann, der Sprecher der Deutschen Sektion des ICDSM und
Vorsitzender der Vereinigung für Internationale Solidarität (VIS) e.V.,
folgendes:

„In offenkundigem Auftrag des Tribunals der Kriegsverbrecher sind
Geheimdienste aktiv, die unsere Bankverbindungen lahm legen sollen mit
dem Ziel, den Rechtshilfefonds für Slobodan Milosevic zu sabotieren und
ihn damit von den elementaren Voraussetzungen seiner Verteidigung
abzuschneiden, also ihm den Rechtsweg abzuschneiden. So wurde zuletzt
die Postbank veranlasst, aus Anlass der Einreichung eines Schecks aus
den USA das bisher angegebene Spendenkonto der Vereinigung für
Internationale Solidarität (VIS) e.V. ohne Angabe von Gründen zu
kündigen.

Damit ähneln die Formen der Auseinandersetzung immer mehr jenen von
Geheimdiensten an der ‚unsichtbaren Front’, die man je nach Geschmack
als Katz-und Maus-Spiel oder als Krieg bezeichnen kann.

Zugleich macht dies eine flexiblere Taktik und schnellere
Reaktionsweise unsererseits erforderlich. Dazu gehört an erster Stelle
der Aufbau eines Systems von Regionalkassierern, die wie in der ‚guten
alten Zeit’ persönlich
bei Spendenwilligen vorsprechen und kassieren. Sie erhalten ein
Legitimationsschreiben von der Vereinigung für Internationale
Solidarität e.V., um den potentiellen Spendern das erforderliche
Vertrauen abzunötigen sowie Namenslisten aus ihrer Region. Nachdem sich
Brigitte Dressel spontan
bereit erklärt hat, diese Aufgabe in Berlin zu übernehmen (großes
Lob!), suchen wir nun verschärft Freiwillige aus anderen Gebieten. Nur
keine falschen Hemmungen!

Ansonsten bieten wir natürlich sofort ein Ersatzkonto an - ohne Gewähr,
wie lange das hält. Wir werden uns auf häufigere Wechsel einstellen
müssen, was aber auch einen Vorteil hat: sowie wir ein neues Konto
bekannt machen, gilt es, sofort loszulaufen und zu spenden - man weiß
ja nie, wie lange es offen bleibt, und diesen Wettlauf mit dem Gegner
will ja sicher jeder gewinnen! Und hier können wir schon mal üben:

Wir bitten um Spenden auf das Konto
Monika Krotter Hartmann, Kennwort "Rechtshilfefonds"
Postbank Frankfurt
Kto.-Nr. 0 205 341 601
BLZ 500 100 60
Für Überweisungen aus dem Ausland bitte angeben:
IBAN DE87 5001 0060 0205 3416 01
BIC PBNKDEFF

Weitere Informationen auf der Webseite der Deutschen Sektion des
Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic:
www.free-slobo.de
Kontakt: redaktion@...

Mit internationalistischen Grüßen
Klaus von Raussendorff

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Informationsdienst der Vereinigung für Internationale Solidarität (VIS)
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Redaktion: Klaus von Raussendorff
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[ 1 ]

Quelle: http://www.icdsm.org/more/rclarkUN1.htm

SCHREIBEN VON RAMSEY CLARK AN DIE VEREINTEN NATIONEN.
Der ehemalige Justizminister der USA und internationale
Menschenrechtsanwalt fordert die Abschaffung aller ad hoc-Trib unale,
eine unhängig Überprüfung des Verfahrens gegen Präsident Milosevic und,
unabhängig davon, die Bereitstellung von Mitteln an ihn für eine
angemessene Entgegnung auf die
Anklage um der historischen Wahrheit willen.


12. Ferbruar 2004

Betreff: Verfahren gegen Slobodan Milosevic, den ehemaligen Präsidenten
der Bundesrepublik Jugoslawien, vor dem Internationalen Straftribunal
für das ehemalige Jugoslawien

Sehr geehrter Herr Generalsekretär Annan,

Die Anklagevertretung im Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten der
Bundesrepublik Jugoslawien wird nach dem vorgesehen Terminplan ihre
Beweiserhebung vor dem Internationalen Straftribunal für das ehemalige
Jugoslawien am 19. Februar 2004 beenden, mehr als zwei Jahre, nachdem
der erste Zeuge aussagte.

Über 500.000 Seiten Dokumente und 5000 Videokassetten wurden als
Beweismittel vorgelegt. Es gab etwa 300 Verhandlungstage. Über 200
Zeugen haben ausgesagt. Das Verfahrensprotokoll umfasst annähernd
33.000 Seiten.

Es ist der Anklagevertretung nicht gelungen, erhebliche oder zwingende
Beweise für irgendeine strafbare Handlung oder Absicht von Präsident
Milosevic vorzulegen. Mangels belastender Beweise hoffte die
Anklagevertretung offenbar, einen so massiven Rekord aufzustellen, dass
es Jahre dauern würde, falls überhaupt jemand sich die Mühe machen
würde, bis Wissenschaftler das Beweismaterial prüfen und analysieren
können, um festzustellen, ob es eine Verurteilung trägt.

Das Schauspiel dieses Generalangriffs eines gewaltigen Teams mit
umfangreichen Mitteln zur Unterstützung der Anklage gegen einen
einzelnen Mann, der sich selbst verteidigt, abgeschnitten von aller
effektiven Hilfe, dessen Unterstützer überall angegriffen werden, und
dessen Gesundheit wegen der dauernden Anstrengung im Schwinden ist,
vermittelt ein den Kern der Sache treffendes Bild der Unfairness und
der Verfolgung.

Dazu im Kontrast begann beim “ersten Prozess der Geschichte wegen
Verbrechen gegen den Frieden der Welt” in Nürnberg die Anklage gegen 19
Angeklagte am 20. November 1945 und endete etwas über drei Monate
später am 4. März 1946,
nachdem vier Staaten das Beweismaterial beigebracht hatten. In seiner
Eröffnung sagte der Chefankläger Robert H. Jackson

„Es gibt hier ein dramatisches Missverhältnis zwischen den Bedingungen
für die Ankläger und die Angeklagten, das unsere Arbeit in Verruf
bringen könnte, wenn wir schwanken sollten in dem Bemühen, selbst bei
untergeordneten Sachverhalten, fair und maßvoll zu sein....Wir dürfen
nie
vergessen, dass das Beweisaufnahmeprotokoll, auf dessen Grundlage wir
über diese Angeklagten richten, das Beweisaufnahmeprotokoll ist, auf
dessen Grundlage die Geschichte morgen über uns richten wird. Diesen
Angeklagten
einen vergifteten Kelch zu reichen, bedeutet, ihn auch an unsere Lippen
zu setzen.“

Die Anklage begann ihre Ermittlungen gegen Präsident Milosevic unter
Richard Goldstone aus Südafrika im Oktober 1994. Als er 1996 aus dem
Amt schied, hatte er keine Beweise für eine Anklage gefunden. Seine
Nachfolgerin, Louise Arbour aus Canada, setzte die Ermittlungen ohne
förmliche Verfahrensmaßnahme bis Ende Mai 1999 fort, als Präsident
Milosevic erstmals für angeblich Anfang 1999 begangene Taten angeklagt
wurde.

Die Anklage erfolgte während der schweren Bombardierungen ganz
Serbiens, einschließlich des Kosovo, durch USA und NATO, d.h. während
eines Angriffskrieges. Dieser hatte Zivilisten in ganz Serbien getötet
und Vermögen zerstört, deren Ersatz Milliarden Dollar kosten würde. Er
hatte am 22. April 1999 bei einem Mordversuch die Wohnung von Präsident
Milosevic in Belgrad zerstört. Die chinesische Botschaft wurde am 7.
Mai 1999 bombardiert. Abgereichertes Uran, Streubomben und Superbomben
hatten Zivilisten und zivile Infrastruktur gezielt angegriffen.
Hunderte von zivilen Einrichtungen waren zerstört und Zivilisten von
Novo Sad bis Nic und Pristina getötet worden.

Die ursprüngliche Anklage behauptete keine Verbrechen in Kroatien oder
Bosnien. Sie behandelte ausschließlich Handlungen von serbischen
Kräften im Kosovo im Jahre 1999. Ganz Serbien, einschließlich Kosovo,
befand sich zur Zeit der Anklageerhebung unter schwerem Bombenhagel der
USA und der NATO. Im Kosovo gab es keine US- oder NATO-Truppen und
keine ICTY-Ermittler.
Ermittlungen waren unmöglich. Die Anklage war ein rein politischer Akt,
um Präsident Milosevic und Serbien zu dämonisieren und die
Bombardierungen Serbiens durch die USA und die NATO zu rechtfertigen,
die in sich selbst verbrecherisch waren und gegen die Charta der UN und
der NATO verstießen.

Als US-Botschafterin bei den UN leitete Madeleine Albright die
Bemühungen der USA, den Sicherheitsrat dazu zu bringen, das ICTY zu
schaffen. Später schrieb sie in ihren Memoiren, dass sie als
US-Außenministerin mehrer Jahre die Vertreibung von Präsident Milosevic
aus dem Amt angestrebt hatte:

„Mit Kollegen, Joschka Fischer und anderen, drängte ich die serbischen
Oppositionsführer, eine wirkliche politische Organisation aufzubauen
und sich darauf zu konzentrieren, Milosevic rauszuschmeißen...
Öffentlich sagte ich wiederholt, die Vereinten Nationen wünschten
Milosevic ‚von der Macht
weg, aus Serbien raus und im Gewahrsam des Kriegsverbrechertribunals.’ “

Präsident Milosevic wurde angeklagt und steht vor Gericht, weil er
bestrebt war und entsprechend handelte, Jugoslawien zu schützen und zu
erhalten, einen Bundesstaat, der für den Frieden auf dem Balkan von
entscheidender Bedeutung war. Mächtige fremde Interessen, die
nationalistische und ethnische Gruppen und Geschäftsinteressen
innerhalb der einzelnen Republiken Jugoslawiens unterstützten, waren
aus den verschiedensten Gründen entschlossen, Jugoslawien zu
zerschlagen. Darunter an erster Stelle die USA.
Deutschland spielte eine Hauptrolle. Später gab die NATO dem
Unterfangen ihren Namen, unter Verstoß gegen die eigene Charta. Die
daraus folgende Gewalt war vorhersehbar und tragisch.

Während des ganzen Krieges gab es keinen mehr zum Kompromiss bereiten
politischen Führer als Präsident Milosevic, der die volle Entfesselung
des Krieges verhinderte, als Slowenien, Kroatien, Bosnien und
Mazedonien sich von der Bundesrepublik lostrennten. Hinsichtlich seiner
späteren
Verteidigung des auf Serbien und Montenegro reduzierten Jugoslawiens
wird er in Erinnerung bleiben wegen der Kompromisse, die er in Dayton,
Ohio, einging und später, um die US-Bombardements von März bis Juni
1999 zu beenden. In seinem Verhalten lag die Absicht des Friedens und
des Überlebens einer Kernföderation von Südslawen, die eines besseren
Tages den Samen für eine größere Föderation von Balkan-Staaten legen
würde, die für den Frieden, die
politische Unabhängigkeit und die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der
Region von entscheidender Bedeutung ist. Die USA und andere
beabsichtigten etwas anderes.

Die Folgen waren für jeden der ehemaligen Staaten der Bundesrepublik
katastrophal. Heute gibt es im ehemaligen Jugoslawien wirtschaftliche
Einmischung von außen und Stagnation, politische Unruhe, öffentliche
Unzufriedenheit und zunehmende Bedrohung durch Gewalt. Die USA umwerben
Kroatien wegen seiner Mitgliedschaft in der NATO als Basis für
europäische Truppen zur Kontrolle der Region und zur Aufrechterhaltung
ihrer Spaltung.
Kroatien hat eine kleine militärische Einheit entsandt, um die NATO in
Afghanistan zu unterstützen und steht unter Druck, Truppen nach Irak zu
entsenden und damit seine Konfrontation gegen die muslimische
Bevölkerung in Kroatien und Bosnien fortzusetzen.
US-Verteidigungsminister Rumsfeld traf am 8. Februar 2004 mit der
nationalistischen Führung von Kroatien, darunter dem Präsidenten und
dem Premierminister, zusammen. Er erklärte: „Ich sehe dem Tag entgegen,
da Kroatien ein Teil (der NATO) wird.“

Gegen den ehemaligen Präsidenten von Jugoslawien wird wegen der
Verteidigung von Jugoslawien vor einem Gericht verhandelt, zu dessen
Einrichtung der Sicherheitsrat keine Befugnis hatte. Der Präsident der
Vereinigten Staaten aber, der offen und, wie nur allzu bekannt ist,
einen Angriffskrieg, „das höchste internationale Verbrechen“, gegen den
wehrlosen Irak begangen hat, der Zehntausende von Menschen tötete und
dort und anderswo Gewalt verbreitete, hat sich keiner Anklage zu
stellen. Präsident Bush droht weiter
mit unilateralen Angriffskriegen und drängt in den USA auf die
Entwicklung einer neuen Generation von Atomwaffen, taktischen
Atombomben, und dies nach der Invasion im Irak aufgrund der fingierten
Behauptung, dass das Land eine
Bedrohung für die USA ist und Massenvernichtungswaffen besitzt. Dies
kann nur geschehen, weil Macht vor Recht geht.

Die Vereinigten Staaten können nicht hoffen, die Geisel des Krieges
abzuschaffen, bis sie nicht willens sind, der Macht zu trotzen und
vereint für das Prinzip des Friedens einzutreten. Bedarf es noch eines
schlagenderen Beweises für die Absicht der USA, über dem Recht zu
stehen und mit Gewalt zu herrschen, als der umfassende Versuch der USA,
den Internationalen Strafgerichtshof zu zerstören und bilaterale
Verträge durchzusetzen, in denen Staaten zustimmen, US-Staatsbürger
nicht an den ISGH auszuliefern. Man betrachte diese Verhinderung von
Recht im Zusammenhang mit der Erklärung des Ständigen Vertreters der
USA bei den UN, Botschafter John Negroponte, vom 30. Juni 2002, worin
er Immunität der USA vor ausländischer Strafverfolgung verlangte, ein
Verlangen, dem sich der Sicherheitsrat unterwarf. Negroponte drohte mit
einem Veto der USA gegen eine anhängige Resolution des Sicherheitsrates
zur Verlängerung der friedenserhaltenden Mission der UN in
Bosnien-Herzegowina, wenn der Sicherheitsrat für Personal, das für von
ihm angeordnete friedenserhaltenden Missionen bereitgestellt wird,
nicht Immunität, das heißt Straflosigkeit, gewährleisten würde. Der
Zweck bestand darin, US-Personal und US-Hilfswillige über das Recht zu
stellen, während die Feinde der USA Opfer diskriminierender Verfolgung
vor
völkerrechtswidrigen Gerichten sind.

Das ICTY und andere ad hoc Straftribunale, die vom Sicherheitsrat
geschaffen wurden sind illegal, weil die Charta der Vereinten Nationen
den Sicherheitsrat nicht ermächtigt, irgendein Strafgericht zu
schaffen. Der Wortlaut der Charta ist eindeutig. Wäre eine solche
Befugnis 1945 in die Charta aufgenommen worden, gäbe es keine UN. Keine
der fünf Mächte, die späteren Ständigen Mitgliedern des
Sicherheitsrats, wäre einverstanden gewesen, sich einer
strafrechtlichen Befugnis der UN zu unterwerfen.

Der ISGH wurde durch Vertrag geschaffen, womit anerkannt wurde, dass
die UN ohne Änderung ihrer Charta keine Befugnis hatten, einen solchen
Gerichtshof zu schaffen. Die Gründung des ISGH sollte die Einrichtung
irgendwelcher
zusätzlicher Straftribunale ausschließen und erfordert die Abschaffung
derjenigen, die noch bestehen. Sie wurden geschaffen, um den
geopolitischen Bestrebungen der USA zu dienen. Die Angelegenheit ist
von höchster Wichtigkeit. Es geht um die Entscheidung, ob der
Sicherheitsrat selbst über
der Charta und der Geltung von Recht und Gesetz steht.

Die ad hoc-Straftribunale sind ihrem Wesen nach diskriminierend, indem
sie sich dem Grundsatz der Gleichheit in der Ausübung der
Rechtsprechung entziehen. Die Diskriminierung ist beabsichtigt, um
Feinde zu zerstören. Das
Internationale Straftribunal für Ruanda hat in neun Jahren keinen
einzigen Tutsi angeklagt, obgleich Faustin Twagirimungu, der erste
Premierminister unter der Tutsi-RPF-Regierung 1994 und 1995 vor
demselben aussagte, dass er
glaube, mehr Hutus als Tutsis seien in Ruanda während der tragischen
Gewalt des Jahres 1994 getötet worden. Hunderttausende von Hutus wurden
später in Zaire, heute Demokratische Republik Kongo, abgeschlachtet und
sind bis heute gefährdet. Das ICTR ist ein Instrument der
US-amerikanischen Unterstützung für die Tutsi-Kontrolle über Uganda,
Ruanda, Burundi und zeitweilig und vielleicht erneut die Demokratische
Republik Kongo.

Die Strafverfolgung des ICTY richtet sich in der großen Mehrzahl gegen
Serben und ausschließlich serbische Führer sind vor ihm angeklagt
worden, darunter nicht nur Präsident Milosevic und die serbische
Führung sondern serbische Führer der Republika Serbska, des
abgesonderten serbischen Teils von Bosnien.

Da nun die Anklage gegen den ehemaligen Präsidenten von Jugoslawien
ihrem Ende zugeht, ist sein Gesundheitszustand schwer beeinträchtigt
und lebensbedrohlich geworden. Die Verhandlungen wurden letzte Woche
unterbrochen, weil er zu krank war, um teilzunehmen, aber das Tribunal
verfügte zusätzlich weitere beschwerliche Verhandlungsstunden für die
beiden letzten Wochen der Beweiserhebung der Anklage. Gestern erst war
das Tribunal gezwungen, die Verhandlungen auf halbe Tage zu reduzieren,
und zwar aufgrund eines medizinischen Berichts, den Ärzte, die vom
Tribunal bestellten worden waren, über Präsident Milosevic erstattet
hatten. Präsident Milosevic ist Monate lang, während er die
Kandidatenliste der Sozialistischen Partei Serbiens bei den
Parlamentswahlen anführte, und als seine Partei sich der neuen
Koalition anschloss, die letzte Woche den neuen Parlamentspräsidenten
wählte, in totaler Isolierung gehalten worden. Anfang der Woche
verlängerte das Tribunal seine Isolation um einen weiteren Monat wegen
politischer Ereignisse in Serbien.

Präsident Milosevic, der sich, aus der Haft heraus und bei bedrohlichem
Gesundheitszustand, selbst vor Gericht verteidigt, wurden weniger als
drei Monate Zeit gegeben, um nach mehr als zwei Jahren Beweiserhebung
seine Verteidigung vorzubereiten, bis im Mai der Vortrag der
Verteidigung beginnen soll. Diese jüngste Handlungsweise des Tribunals
ist bezeichnend für die konsequent grobe Unfairness der Verhandlungen
während der Jahre der Inhaftierung von Präsident Milosevic und der
Beweiserhebung der Anklage.

Um die Verteidigung angemessen vorzubereiten, ist es erforderlich die
Zehntausende von Dokumenten zu erfassen und durchzusehen, Hunderte von
potentiellen Zeugen zu finden und zu befragen und das Beweismaterial in
einer zusammenhängenden und wirkungsvollen Darstellung zusammen zu
fassen.

Die Vereinten Nationen müssen im Interesse der einfachen Gerechtigkeit,
und um frühere Ungerechtigkeiten zu korrigieren, die Legalität und
Fairness eines von ihnen geschaffenen Gerichts zu bewerten und die
Glaubwürdigkeit
der Vereinten Nationen in den Augen der Völker zu erhalten folgendes
veranlassen:

Verkündigung eines Moratoriums für alle Verfahren vor allen UN ad
hoc-Tribunalen für eine Frist von mindestens sechs Monaten und für
weitere Fristen, sofern diese sich für die Vereinten Nationen als
notwendig erweisen, um

A. eine Kommission von wissenschaftlichen Experten für internationales
öffentliches Recht und Historikern einzuberufen, um die
Entstehungsgeschichte, die Erarbeitung, Sprache und Absichten der
Charta der Vereinten Nationen zu prüfen und festzustellen, ob die
Charta den Sicherheitsrat ermächtigt, irgendein Straftribunal zu
schaffen und, gegebenenfalls, die Grundlage, die Rechtsverbindlichkeit
und den Umfang einer solchen Befugnis festzustellen, oder die
Angelegenheit dem Internationalen Gerichtshof zur Entscheidung
vorzulegen;

B. eine Kommission von wissenschaftlichen Experten für internationales
Strafrecht einzuberufen, um den Gang des Verfahrens im Fall von
Präsident Slobodan Milosevic zu überprüfen, um festzustellen, ob
Rechtsirrtümer, Verstöße gegen die Grundsätze eines ordentlichen
Verfahren und Unfairness in der Verhandlungsführung eine
Verfahrenseinstellung dringend erforderlich machen, und, bevor
irgendeine Stellungnahme der Verteidigung erfolgt, ob das
Beweismaterial, das von der Anklage gegen den ehemaligen Präsidenten
Milosevic vorgelegt wurde, nach internationalem Recht hinreichend ist,
um die Fortsetzung des Verfahrens zu stützen und zu rechtfertigen;

C. Präsident Milosevic Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen, um
anwaltliche Beratung, Ermittler, Researcher, Dokumentenanalysten und
andere Experten zur Verfügung zu stellen, um wirksam auf das gegen ihn
vorgebrachte Beweismaterial zu antworten, und die für die Bewältigung
der Aufgabe erforderliche Zeit einzuräumen, bevor irgendwelche
Prozessverhandlungen wieder aufgenommen werden, wobei diese
Anstrengungen selbst dann unverzichtbar sind, wenn das Gericht
abgeschafft oder die Anklage eingestellt wird, um zur Feststellung der
historischen Fakten um des künftigen Friedens willen beizutragen;

D. Haushaltsmittel für unabhängige medizinische Untersuchung,
Behandlung und Pflege des ehemaligen Präsidenten Milosevic in
Einrichtungen in Serbien zu
Verfügung zu stellen.

Hochachtungsvoll
Ramsey Clark

Gleichlautende Breife wurden gesandt an:
die Mitglieder des Sicherheitsrates
den Präsidenten der UN-Generalversammlung
den Generalsekretär der Vereinten Nationen
den Präsidenten der Vereinigten Staaten
das Internationale Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien


Übersetzung aus dem Englischen: Klaus von Raussendorff


********************************************************************
[ 2 ]

Quelle des Originals:
http://www.ask.co.uk/
kb.asp?q=Go+to+the+Guardian+Newspaper&p=0&s=0&ac=NEWS&x
x=0&qid=71442096120D2E438A31BCF2FD1E0B49&sp=kbtp&fn=kb&fo=1&r=2&io=1&pk=
1&fr
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3125039&a
j_logid=71442096120D2E438A31BCF2FD1E0B49&aj_rank=1&aj_score=1.35&aj_list
1=33
61615-3125039&qi.x=13&qi.y=2

Aus: “The Guardian” (London) v. 12 February 2004


DER MILOSEVIC-PROZESS IST EINE TRAVESTIE

Die politische Notwendigkeit gebietet, dass der ehemalige jugoslawische
Führer für schuldig befunden wird - selbst wenn die Beweislage dies
nicht hergibt.

Von Neil Clark

Heute vor zwei Jahren begann in Den Haag der Prozess gegen Slobodan
Milosevic. Die Hauptanklägerin Carla Del Ponte triumphierte, als sie
die 66 Anklagepunkte wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschheit und
Völkermord verkündete, die dem ehemaligen jugoslawischen Präsidenten
vorgeworfen werden. CNN gehörte zu jenen, die dies „den bedeutendsten
Prozess seit Nürnberg“ nannten, während die Anklage die „Verbrechen von
mittelalterlicher Grausamkeit“ darstellte, die angeblich von dem
„Schlächter von Belgrad“ begangen worden waren.

Aber seit jenen Tagen der Begeisterung sind die Dinge für Frau Del
Ponte schrecklich schlecht gelaufen. Die Anklagen im Bezug auf Kosovo
galten als der stärkste Teil ihrer Anklageerhebung. Aber nicht allein
erlitt die Anklage einen bemerkenswerten Fehlschlag bei der
Beweisführung für
Milosevics persönliche Verantwortung für die vor Ort begangenen
Gräueltaten, auch die Natur und der Umfang der Gräueltaten wurden in
Frage gestellt.

Viele Zeugen der Anklage wurden als Lügner bloßgestellt - so wie Bilall
Avdiu, der behauptete, in Racak “etwa ein halbes Dutzend verstümmelte
Leichen” gesehen zu haben, auf dem Schauplatz der umstrittenen
Tötungen, welche den US-geführten Kosovo-Krieg auslösten.
Gerichtsmedizinische Beweise bestätigten später, dass keine der Leichen
verstümmelt war. Insider, die, wie uns gesagt wurde, alles über
Milosevic ausplaudern würden, erwiesen sich als nichts dergleichen.
Rade Markovic, der ehemalige Leiter des
jugoslawischen Geheimdienstes, sagte am Ende zu Gunsten seines
ehemaligen Chefs aus und sprach davon, dass er anderthalb Jahren „des
Drucks und der Folter“ unterworfen worden war, um eine von dem Gericht
präparierte Erklärung zu unterzeichnen. Einem anderen „Insider“,
Ratomir Tanic, wurde
nachgewiesen, im Sold des britischen Geheimdienstes gestanden zu haben.

Als es zur Anklage im Bezug auf die Kriege in Bosnien und Kroatien kam,
erging es der Anklage wenig besser. Im Falle des schlimmsten Massakers
- von zwischen 2000 und 4000 Männern und Jungen in Srebrenica im Jahre
1995 - , für das Milosevic wegen Mittäterschaft angeklagt worden ist,
hat die
Mannschaft von Del Ponte nichts zutage gefördert, was das Urteil der
von der niederländischen Regierung in Auftrag gegebenen fünfjährigen
Untersuchung die zu dem Ergebnis kam, es gebe, „keinen Beweis, dass
Befehle für das Gemetzel von serbischen politischen Führern in Belgrad
kamen“. entkräftet hätte.

Um der erlahmenden Anklage unter die Arme zu helfen, sind der Reihe
nach profilierte politische Zeugen in den Gerichtssaal gekarrt worden.
Zuletzt der Bewerber um das Präsidentenamt der USA und ehemalige
NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark, dem unter Verletzung des Prinzips
der Verfahrensöffentlichkeit gestattet wurde, in geschlossener Sitzung
auszusagen, wobei Washington die Möglichkeit hatte, zu beantragen,
einzelne nach seiner Meinung gegen US-Interessen verstoßende Teile
seiner Aussage aus dem öffentlichen Protokoll zu entfernen.

Jedem unvoreingenommenen Beobachter dürfte es schwer fallen, sich der
Schlussfolgerung zu entziehen, dass Del Ponte rückwärts gearbeitet hat
- erst anklagen und dann versuchen, Beweise zu finden. Es ist schon
bemerkenswert, dass im Lichte eines solchen Bruchs mit einem geordneten
Verfahrens nur eine westliche Menschenrechtsorganisation, die British
Helsinki Group, Bedenken geäußert hat. Richard Dicker, der
Prozessbeobachter von Human Rights Watch, erklärte sich selbst
„beeindruckt“ von der Sache der Anklage. Zyniker könnten sagen, dass
angesichts des Umstands, dass, George
Soros, der Förderer von Human Rights Watch, das Tribunal finanziert,
von Dicker nichts anderes zu erwarten ist.

Judith Armatta, eine US-amerikanische Rechtsanwältin und Beobachterin
für die Coalition for International Justice (eine andere
Soros-finanzierte NGO) geht noch weiter und freut sich hämisch, dass
„wenn das Urteil ergeht, und er in seiner Zelle verschwindet, niemand
mehr von ihm hören wird. Er wird aufgehört haben, zu existieren.“ So
viel zu der schönen alten Vorstellung, der Zweck eines Verfahrens
bestehe darin, Schuld festzustellen. Für Armatta, Dicker und ihre
Hintermänner scheint es, dass Milosevic schon dadurch schuldig ist,
dass er angeklagt wird.

Schreckliche Verbrechen sind auf dem Balkan währen der 90er Jahr
begangen worden, und es ist richtig, dass jene, die dafür
verantwortlich sind, vor ein ordentliches Gericht gestellt werden. Aber
das Haager Tribunal, ein ausgesprochen politisches Gremium, das von den
NATO-Mächten eingesetzt und finanziert worden ist, die vor vier Jahren
einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen das Jugoslawien von Milosevic
geführt haben - und das die Prüfung unmittelbar einsichtiger Beweise
dafür abgelehnt hat, dass sich westliche
Führer in diesem Konflikt offensichtlicher Kriegsverbrechen schuldig
gemacht haben, - ist eindeutig nicht das Vehikel dafür.

Weit davon entfernt, eine Instanz unparteiischer Rechtsprechung zu
sein, wie viele Fortschrittliche immer noch glauben, hat das Tribunal
seine Voreingenommenheit für die wirtschaftlichen und militärischen
Interessen der mächtigsten Nationen des Planeten bewiesen. Milosevic
sitzt auf der
Anklagebank wegen Behinderung dieser Interessen und, ungeachtet dessen,
was im Gerichtssaal vor sich gegangen ist, gebietet die politische
Notwendigkeit, dass er für schuldig befunden wird, wenn nicht für
alles, dessen er angeklagt ist, so doch für genug, um lebenslänglich
eingekerkert zu werden. Dieser Affront gegen die Rechtsprechung in Den
Haag während der letzten zwei Jahre liefert allen eine ernüchternde
Lektion, die so viel Hoffnung auf den neu geschaffenen Internationalen
Strafgerichtshof setzen.

Die USA haben bereits dafür gesorgt, dass sie nicht der Rechtsprechung
dieses Gerichts unterworfen sind. Mitglieder des Sicherheitsrats haben
die Befugnis, seine Ermittlungen zu erschweren oder auszusetzen. Das
Ziel eines internationalen Gerichtssystem, unter dem das Recht auf alle
gleichermaßen
angewandt werden würde, ist sehr schön. Aber in einer Welt, in der
einige Staaten offenkundig gleicher sind als andere, scheint seine
Verwirklichung ferner den je.

Übersetzung aus dem Englischen: Klaus von Raussendorff

Neil Clark ist Autor und Spezialist für Osteuropa und den Balkan
NeilClark6@...


********************************************************************
[ 3 ]

http://www.jungewelt.de/2004/02-07/028.php

junge Welt v. 07.02.2004

NOCH IST SERBIEN NICHT VERLOREN
Der schwarze Kanal

Von Werner Pirker

Nun hat Serbien wenigstens einen Parlamentspräsidenten. Der Posten des
Staatspräsidenten bleibt weiter unbesetzt, und auch die Bildung einer
Regierung wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Um die
Verfassungskrise wenigstens in Grenzen zu halten, mußte ein Tabubruch
vollzogen werden. Bei der Kür des Kostunica-Mannes Dragan Marsicanin
zum Parlamentspräsidenten wurde der Sozialistischen Partei Serbiens
(SPS) die Rolle des Züngleins an der Waage zuteil. Die vom westlichen
Hegemonialkartell geforderte »Einheit der demokratischen Kräfte« gehört
somit endgültig der Vergangenheit an. Es hat sie außer während der
Wahlkampagne 2000, die zur Ablöse Milosevics durch Kostunica führte,
ohnehin nie gegeben. Es gab sie vor allem deshalb nicht, weil die
Kräfte, die sie hätten tragen sollen, nicht demokratisch waren.

Die strategische Initiative in der serbischen Politik liegt nun
eindeutig bei Vojislav Kostunica. Die Mehrheit, die er bei der Wahl des
Parlamentsvorsitzenden organisierte, wird wohl auch die Basis der
künftigen Regierung bilden. Damit wäre der Bruch mit der Djindjic-Ära
endgültig vollzogen. taz -Mann Werner Rathfelder kommentiert das
wehmütig als Posthum-Sieg Kostunicas über den ermordeten Premier Zoran
Djindjic.
Dessen »Demokraten« hätten es zwar mit der Verfassung nicht so genau
genommen, dafür aber glaubwürdig das Ziel vertreten, »die serbische
Gesellschaft zu modernisieren und sie irgendwann nach Europa zu
führen«. Das läßt sich auch so lesen, daß »Modernisierung« und
bürgerlich-demokratischer
Rechtsstaat nicht als Einheit, sondern als Antipoden in Erscheinung
traten.

Djindjic ließ erst gar keine Illusionen darüber aufkommen, daß die
Modernisierung, lies: die überfallartige Privatisierung irgend etwas
mit Demokratie zu tun hätte. Es war ein Eigentumsputsch, bei dem die
verfassungsmäßig garantierten Rechte der Arbeitskollektive quasi über
Nacht aufgehoben wurden. Kostunica dagegen versuchte, die Gesellschaft
einigermaßen in Gleichgewicht zu halten, was ihm als Reformblockade
angelastet wurde. Dieser Konflikt führte zu dem demokratiepolitisch
einmaligen Vorgang, daß Kostunicas Demokratische Partei Serbiens (DSS)
aus dem Regierungsbündnis ausgeschlossen und über ihre
Parlamentsabgeordneten ein Hausverbot verhängt wurde.

Verständlich, daß sich die DSS eine Neuauflage des »demokratischen
Bündnisses« nicht mehr antun will und die Tolerierung einer von ihr
geführten Regierung durch die Sozialisten einer Koalition mit den
Djindjic-Nachfolgern vorzieht. Zumal eine gewisse Einbindung der SPS in
das System diese noch zahmer machen würde, als sie es ohnehins schon
ist. Deren führenden Kadern steht der Sinn sowieso nicht nach einer
entschiedenen nationalen und sozialen Opposition gegen die neoliberale
Kapitalisierung.
Obwohl die Kostunica-Strategie auf eine Stabilisierung des Kapitalismus
in Serbien zielt, werden die internationalen Finanzorganisationen sowie
EU und USA dies nicht zu würdigen wissen. Denn selbst in dieser
Konstellation steckt eine Spur von Auflehnung gegen die
imperialistische Weltordnung, ein Element serbischer Eigenständigkeit.

»Mit Kostunicas Hilfe«, schreibt Rathfelder, werde die SPS »peu à peu
rehabilitiert. Genau wie Milosevic selbst«. Eben das darf nicht
passieren. Immerhin war es Slobodan Milosevic, der die Sozialisten als
ihr Spitzenkandidat aus der Ferne anführte. Auch wenn so mancher
Parteiführer die »Hypothek Milosevic« gerne loswerden würde:
Massenwirksamkeit erzielt
die SPS alleine aus dem Charisma des Helden von Den Haag. Die
Parlamentswahlen haben gezeigt, daß es in Serbien eine strukturelle
Mehrheit aus (gemäßigten und radikalen) Nationalisten und Linken gibt.
Daß diese in der Regierungsbildung – als Koalition der DSS mit
Radikalen und
Sozialisten – ihren Ausdruck fände, untersagen die
demokratiepolitischen Vorgaben der westlichen Führungsorgane. Allein
die Andeutung einer solchen
Möglichkeit würde die NATO in höchste Alarmbereitschaft versetzen.

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[ 4 ]

Aus: Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.02.2004, Nr. 37 / Seite
12

http://www.faz.net/p/RubE92362663C6E4937AB14A07CB297CA09/
Doc~E3B60C4F299AB48
509756315B02FFEA02~ATpl~Ecommon~Scontent.html#top

RÜCKKEHR DURCH DIE HINTERTÜR
Milosevics Sozialisten sind wieder zum politischen Faktor in Serbien
geworden / Von Michael Martens

BELGRAD, 12. Februar

Wie ignoriert man 1,3 Millionen Serben? Die Staatengemeinschaft ist
sich unsicher und offenbar auch uneins darin, wie sie auf die
schwierige Lage reagieren soll, die der Wille serbischer Wähler und
Nichtwähler bei den
Parlamentswahlen am 28. Dezember geschaffen hat. Denn mehr als 1,3
Millionen von 6,5 Millionen Wahlberechtigten stimmten vor knapp sieben
Wochen für Parteien, die schwerlich demokratisch zu nennen sind: Die
Serbische Radikale Partei von Vojislav Seselj hat als deutlich stärkste
Kraft im neuen Parlament 82 Abgeordnete, die Sozialistische Partei
Serbiens unter ihrem Ehrenvorsitzenden Slobodan Milosevic erhielt 22
Sitze. Seselj und Milosevic sind vom UN-Kriegsverbrechertribunal für
das ehemalige Jugoslawien
angeklagt. Ihre Parteien stehen bis heute für jene Politik, für die
sich ihre Führer im Haag verantworten müssen. Noch im Wahlkampf waren
sich die Führer der dem demokratischen Lager Serbiens zugerechneten
Parteien deshalb ungewohnt einig: Mit Sozialisten und Radikalen werde
es eine Zusammenarbeit nicht geben.

Doch von dieser Zusicherung ist die Demokratische Partei Serbiens (DSS)
von Vojislav Kostunica längst abgewichen. Sie verfügt nach den
Radikalen über die größte Fraktion in der neuen Skupstina (53 Sitze),
und ihr Vorsitzender will Regierungschef werden. "Politisch korrekt"
ginge das nur, wenn alle fünf in das Parlament gewählten Parteien des
sogenannten demokratischen Lagers an einem Strang ziehen, doch will
Kostunica mit der Demokratischen Partei, die einst sein ihm offenbar
über das Grab hinaus verhaßter Erzfeind Zoran Djindjic geführt hatte,
nichts zu tun haben. Erfolglos forderte er die Djindjic-Nachfolger auf,
eine von ihm geführte Minderheitsregierung zu tolerieren. Schon die
Wahl eines Parlamentspräsidenten drohte an dieser Konstellation zu
scheitern. Um den toten Punkt zu überwinden und Neuwahlen
zu vermeiden, bat Kostunica nach einem Monat erfolgloser Verhandlungen
schließlich die Sozialisten um Unterstützung bei der Kandidatur seines
Stellvertreters Dragan Marsicanin. Dieser wurde auch tatsächlich mit
den Stimmen der Sozialisten Parlamentspräsident. So kehrte der im
Oktober 2000 gestürzte Milosevic sozusagen durch den Dienstboteneingang
wieder auf die politische Bühne Belgrads zurück. Seit Kostunica sich
gewillt zeigt, sogar seine Regierung von den Sozialisten dulden zu
lassen, verschärfen sich jedoch die zuvor maßvollen Proteste der
Staatengemeinschaft gegen diese Art der innerserbischen Zusammenarbeit.
In seiner Partei versucht man sich zu rechtfertigen: Funktionierende
Institutionen und eine handlungsfähige Regierung seien wichtiger als
kleinlicher Parteienstreit, der freilich durch die starre Haltung der
DSS nach den Wahlen erst ausweglos wurde. Außerdem
bedeute die Duldung einer Minderheitsregierung schließlich nicht, daß
die Sozialisten an der Regierung beteiligt seien.

Doch um sich das parlamentarisch unumgängliche Wohlwollen der
Sozialistischen Partei zu erhalten, müßte Kostunica Positionen
vertreten, die sein Land international isolieren würden. Die
Sozialisten fordern unter anderem, der Staat müsse den serbischen
Angeklagten vor dem
Kriegsverbrechertribunal finanzielle und juristische Unterstützung
gewähren. Außerdem sei die Zusammenarbeit mit dem Gericht, insbesondere
die Auslieferung weiterer Angeklagter, einzustellen. Auch die
Privatisierungspolitik müsse beendet und in einigen Fällen sogar
rückgängig
gemacht werden. Zu Entlassungen in den maroden staatlichen Betrieben
dürfe es nicht kommen.

Westliche Diplomaten versuchen den Verantwortlichen in Belgrad seit
Wochen deutlich zu machen, daß eine solche Regierung nicht mit dem
Wohlwollen des Westens rechnen könnte. Erste Wirkung haben die
internationalen Einwände
offenbar bei Vuk Draskovic gezeigt, der gern Außenminister von Serbien
und Montenegro werden würde. Nach seiner Rückkehr von einer Reise in
die Vereinigten Staaten sprach er sich, anders als zuvor, eindeutig
gegen eine von den Sozialisten geduldete Minderheitsregierung aus.
Solange sich die Partei nicht von Milosevic distanziere, könne sie kein
Partner des demokratischen Lagers sein, befand er. Beharren er und
Kostunica auf ihren Standpunkten, wird es Neuwahlen geben müssen.
Kostunica hinterläßt bei europäischen Diplomaten offenbar den Eindruck,
er werde die langfristig
ungleiche Kraftprobe Serbiens gegen den Rest der Welt nicht scheuen. Er
vertraue darauf, daß Europa es nicht wagen werde, Serbien auszugrenzen
und den Kräften des alten Regimes dadurch noch mehr inländische
Unterstützung zu
verschaffen, heißt es. Sollte dies wirklich Kostunicas Gedanke sein,
kann er sich dabei auf das Beispiel der neunziger Jahre berufen, als
Milosevic jahrelang ungestraft westliche Drohungen ignorieren konnte.

Unterdessen versuchen die meisten EU-Botschaften in Belgrad weiterhin,
die "Schmuddelkinder" der serbischen Politik zu ignorieren: Zu
Radikalen und Sozialisten pflegt man keinen Kontakt, weshalb man auch
kaum etwas über sie weiß. Beide Parteien haben sich aber im stockenden
Mahlwerk der serbischen Politik festgesetzt. Schon jetzt haben
Abgeordnete der Radikalen in einigen der nach Proporz besetzten
Parlamentsausschüssen den Vorsitz inne. Auch das Parlament des auf
Druck Brüssels gebildeten Gesamtstaates Serbien und
Montenegro, dessen Abgeordnete aus den beiden Landesparlamenten
entsandt werden, dürfte künftig "radikaler" sein als zuvor.

Was in den Parteien der Radikalen und der Sozialisten vorgeht, deren
Vertreter den Kontakt zu westlichen Journalisten meiden, ist von außen
kaum zu erkennen. Ivica Dacic, der als Vorsitzender des
Exekutivausschusses der Sozialisten die Partei in Milosevics
Abwesenheit führt, will offenbar die Gunst der Stunde zu nutzen
versuchen, indem er sich im kleinen Kreise als "Reformer" gibt, der die
Partei von ihrer sinistren Überfigur befreien will.
Immerhin befindet sie sich tatsächlich nicht mehr unter der völligen
Kontrolle ihres inhaftierten Chefs. Dessen Ansinnen, die besonders
treuen Genossen von der Gruppierung "Sloboda" (Freiheit) zu
Abgeordneten zu machen, ignorierte die Parteiführung um Dacic. Das Ziel
der Aktivisten von "Sloboda" ist die "Befreiung" Milosevics aus Den
Haag. Allerdings weiß auch Dacic, daß die Sozialistische Partei ihren
bescheidenen Erfolg nicht sich selbst, sondern ihrem "Erfinder"
Milosevic zu verdanken hat. Ihm galten die fast 300000 Stimmen
serbischer Wähler im Dezember, nicht der Partei, die zu Milosevics
Herrschaftszeiten nie mehr als ein Instrument im Werkzeugkasten seines
Systems war. Sollte es zu einer Parteispaltung kommen und sollte der
über den unbotmäßigen Dacic verärgerte Milosevic bei kommenden Wahlen
seine
politischen Resozialisierungshelfer von "Sloboda" unterstützen,
versänke die Sozialistische Partei Serbiens wohl in der
Bedeutungslosigkeit.


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E N D E