Weder Sieger noch Besiegte 

19.02.2007


ZAGREB/ROM/BERLIN (Eigener Bericht) - Nach dem Scheitern einer Regressklage für die Opfer deutscher Kriegsverbrechen werden Regressverfahren für die Täter angekündigt. Man fordere "Schadensersatz" und die "Rückgabe" früheren Eigentums, heißt es in einem Aufruf, mit dem europaweite Ansprüche sogenannter Vertriebener angemeldet werden. Im Zweiten Weltkrieg gehörten sie zum Tross der NS-Besatzer und ihrer Verbündeten oder boten den Tätern das Handlungsumfeld, in dem Massenverbrechen begangen wurden. Die Nachfahren wollen Ende März eine "Europäische Union der Flüchtlinge und Vertriebenen" gründen. Der unter starkem deutschem Einfluss stehende Verband werde sich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte registrieren lassen, um auf "internationaler Ebene eingreifen" zu können, kündigen die Organisatoren an. Gefordert wird auch ein "Rückkehrrecht" in die "EU-Mitgliedsstaaten des ehemaligen Ostblocks". Die beginnende "Vertriebenen"-Kampagne, die Ende März zur vollen Entfaltung kommen soll, wird von der italienischen Regierung mit öffentlichen Attacken gegen Kroatien flankiert. Rom verlangt von der Nachfolgeregierung des ehemaligen Jugoslawien Geld und Buße. Jugoslawien war während des Zweiten Weltkriegs u.a. von italienischen Truppen besetzt worden. Für die Umstände der Abwehr des Überfalls sollen die Überfallenen zahlen - durch Verordnungen der EU.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wies vor wenigen Tagen eine Opferklage ab, mit der ein 1943 begangenes Wehrmachtsmassaker im besetzten Griechenland geahndet werden sollte.[1] Den Opfern und ihren Erben wurde jedes Recht abgesprochen, Ansprüche an die Bundesrepublik Deutschland zu stellen. Das Verbrechen von Kalavryta, bei dem mindestens 696 Menschen ermordet wurden, sei in Ausübung hoheitlicher Handlungen begangen worden und verpflichte den Täterstaat zu keinerlei Regresszahlungen an private Kläger. Damit folgt der EuGH den deutschen Rechtsauffassungen. Sämtliche deutsche Nachkriegsregierungen, die sich als Erben des NS-Reiches verstanden und dessen Eigentumstitel verteidigten, haben es stets abgelehnt, für die Massenverbrechen ihrer Erblasser an die unmittelbaren Opfer zu zahlen. Gegen solche Opferforderungen sei Berlin "immun", heißt es im Auswärtigen Amt stereotyp, da der Schadensausgleich nur zwischen Staaten vollzogen werden könne. Um auch den zwischenstaatlichen Verpflichtungen zu entgehen, haben Bonn und Berlin stets neue Winkelzüge verabredet, heißt es in Archivanalysen griechischer und deutscher Historiker.[2]

Eigentumsrechte

Die auf EU-Ebene vollzogene Zurückweisung der Opferverlangen erfolgt zeitgleich mit EU-weiten Forderungen aus dem Tätermilieu. Es wird von Organisationen bestimmt, zu deren Gründungsmitgliedern schwer belastete Funktionäre des Okkupationsregimes sowie dessen Nutznießer gehören. Auf deutscher Seite ist der "Bund der Vertriebenen" (BdV) vertreten, auf Seiten des ehemaligen italienischen Okkupationsgehilfen die "Unione degli Istriani". Der Verband beruft sich auf Eigentumsrechte italienischer Staatsbürger im ehemals italienischen Istrien und stellt die frühere Flagge der "Provinz Istrien" bei seinen öffentlichen Aufmärschen zur Schau. Beide Organisationen erfreuen sich massiver finanzieller Förderung durch ihre jeweiligen Staaten. Bereits 2005 hatte die BdV-Präsidentin Steinbach angekündigt, mit der italienischen Schwestervereinigung eng kooperieren zu wollen.[3] In der Berliner BdV-Ausstellung "Erzwungene Wege" wurde dem "Exodus der Istrier"[4] entsprechender Platz eingeräumt.

Immobilien

Die jetzt anlaufende und von außenpolitischen Spannungen begleitete Kampagne gilt dem "1. Internationalen Kongress der Vertriebenen und Flüchtlinge in Europa".[5] Die beteiligten Verbände wollen Ende März in Triest in unmittelbarer Grenznähe zu dem von Restitutionsforderungen betroffenen Kroatien zusammenkommen. Ihre "Hauptforderungen" richten sich sämtlich an die EU, die sie zu Empfängern hoher Schadenersatzbeträge und legitimen Mitgliedern einer Opfergemeinschaft des "Völkermordes" machen soll. Dieses Verbrechen sei an den "vertriebenen und ins Exil gezwungenen Völkern" begangen worden, heißt es in dem Aufruf, der die Nationalitäten der unerklärten Völker nicht nennt. Ein Anspruch auf "Rückkehrrecht" ergebe sich durch "illegale Deportation" und "die Auswirkungen der 'ethnischen Säuberungen' in den Herkunftsgebieten". Die "widerrechtlich beschlagnahmten und verstaatlichten Immobilien" müssten zurückgegeben oder durch den "Erwerb einer anderen Immobilie" ersetzt werden. Sämtliche dieser Forderungen gehören zum Standardrepertoire der deutschen "Vertriebenen"-Verbände sowie der faschistischen Nachfolgeorganisationen des früheren Achsen-Regimes unter Adolf Hitler und Benito Mussolini.

An allen Schulen

Die materiellen Ansprüche werden von historischen Diktaten begleitet, mit denen das Gedenken an die "Vertriebenen" zu einem europaweiten Hochamt stilisiert und gesetzlich festgeschrieben werden soll. Demnach müsse eine "EU-Richtlinie" die "Einrichtung eines jährlich feierlich zu begehenden Gedenktages im Angedenken an die 18 Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen auf dem europäischen Kontinent im 20. Jahrhundert verkünden." Die Regierungen aller EU-Mitgliedsstaaten sollen verpflichtet werden, diese Richtlinie national umzusetzen und gesetzlich festzuschreiben. Damit nicht genug. "Die Verbreitung des Wissens über die von den kommunistischen Regimes im ehemaligen Ostblock und in der Türkei verursachten Fluchten und Vertreibungen" habe durch "EU-Vorschriften" sichergestellt zu werden - "an allen Schulen". Bereits der geschichtliche Kern der verlangten "EU-Vorschriften" erweist sich als lügenhaft. Keine der angesprochenen Bevölkerungsverschiebungen wurde von den Nachkriegsregierungen im befreiten Europa verursacht, sondern von den alliierten Siegermächten.[6]

Slawisch

Gegenwärtiges Zugpferd der Kampagne, die auf den völligen Umsturz der europäischen Nachkriegsordnung zielt, ist die italienische Mitte-Links-Regierung, der mehrere Mitglieder der früheren Kommunistischen Partei angehören. Anläßlich des 60. Jahrestages der Friedensregelung von Paris (10. Februar 1947), die Italien zu Zahlungen an das überfallene und besetzte Jugoslawien verpflichtete, überzog der italienische Staatspräsident die jugoslawischen Kriegsopfer mit zahlreichen Schmähungen. Wegen ihrer "blutdürstigen Wut" [7] sei es zu einer Art "ethnischer Säuberung" gekommen, der ein "slawischer Plan" zugrunde gelegen habe, sagte Giorgio Napolitano, früher im mittelitalienischen Zentralkomitee der Kommunistischen Partei tätig. Die aufreizenden Äußerungen des italienischen Staatsoberhaupts spielen auf Ungesetzlichkeiten und Racheakte der jugoslawischen Partisanen an, die in dieser oder ähnlicher Weise an sämtlichen Fronten der NS-Niederlage begangen wurden. Den maßlosen römischen Attacken, die von den Nachfolgeorganisationen der italienischen Faschisten begeistert aufgenommen wurden, begegnete der kroatische Präsident Mesic mit dem Vorwurf, Italiens Staatsführung betreibe "offenen Rassismus, historischen Revisionismus und politischen Revanchismus".

Lob

Diese Charakterisierung sei "unangemessen", verurteilte eine EU-Sprecherin den kroatischen Präsidenten, ohne auf die italienischen Angriffe einzugehen. Die offizielle EU-Stellungnahme erlaubt Rückschlüsse auf den zu erwartenden Widerhall, den das "Vertriebenen"-Treffen von Triest in Brüssel finden wird. Die deutsche Presse nimmt den Konflikt zum Anlaß, um eine gesamteuropäische Empfehlung auszusprechen. Unter dem Titel "Ein Lob dem Revisionismus" [8] schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung: "62 Jahre nach Kriegsende (...) ist es höchste Zeit, ein Geschichtsbild zu ändern, das Europa in Sieger und Besiegte aufteilt."


[1] Pressemitteilung: Zum Urteil des EuGH vom 15. Februar 2007. Deutschland wird Immunität für Nazi-Verbrechen gewährt; Hamburg 15.02.2007
[2] Vgl. u. a. Hagen Fleischer: Das griechische Memorandum zur "Washington Conference on Holocaust-era assets"
[4] Unione degli Istriani: Erzwungenen Wege: l'esedo istriano a Berlino. No.10, Luglio-Agusto 2006
[5] Unione degli Istriani. Libera Provinvcia dell'Istria in Esilo: 1. Internationaler Kongress der Vertriebenen und Flüchtlinge in Europa
[7] Mesic weist EU-Kritik zurück. Euro News, 18.02.2007
[8] Karl-Peter Schwarz: Ein Lob dem Revisionismus; Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.02.2007