J. Elsaessers neueste Artikeln ueber Kosovo

Quelle: junge Welt (Berlin) - http://www.jungewelt.de/

1) Ahtisaari präsentiert keine Lösung für Kosovo (22.02.2007)
2) Gespräch mit Wolf Oschlies (22.03.2007)
3) Zoff in der EU (31.03.2007)
4) Deutschlands Botschafter droht Serbien mit weiteren Abspaltungen
(30.04.2007)
5) Bush verspricht Kosovo-Staat (12.06.2007)
6) NATO umzingelt Serben (15.06.2007)
7) Uhr weg, Wodka her (19.06.2007)
8) Kosovo: historische Parallelen (30.07.2007)
9) SIEHE AUCH ...


=== 1 ===

junge Welt, 22.02.2007

Ahtisaari präsentiert keine Lösung für Kosovo

Endrunde der Statusgespräche in Wien. Bomben in Pristina. Zoff in der
UNMIK

Von Jürgen Elsässer

Am gestrigen Mittwoch begann in Wien die angeblich allerletzte Runde
des angeblich letzten Konferenzmarathons über die Zukunft der Provinz
Kosovo. UN-Vermittler Martti Ahtisaari stellte den Delegationen der
Kosovoalbaner und der serbischen Zentralregierung seinen
Lösungsvorschlag vor. Wie auf seiner anschließenden Pressekonferenz
deutlich wurde, konnte er ein weiteres Mal die Führung der Republik
Serbien nicht davon überzeugen, auf ein Fünftel des Staatsgebietes zu
verzichten. Die Belgrader Vertreter verwiesen auf die UN-Charta von
1948 und die KSZE-Schlußakte von 1976, die die territoriale
Integrität der Staaten garantieren.

Parallel wachsen in der Provinz die Spannungen. Nach gewalttätigen
Ausschreitungen albanischer Separatisten am 10. Februar, die zwei
Menschenleben kosteten, kam es am vergangenen Montag zu einer
Bombenexplosion in Pristina, bei der drei Fahrzeuge der UN-Verwaltung
UNMIK zerstört wurden. Die Verantwortung für den Gewaltakt übernahm
die »Kosovo-Befreiungsarmee« UCK. Diese war Ende 1999 formell
aufgelöst und ihre Mitglieder waren in das UN-mandatierte Kosovo-
Schutzkorps KPC integriert worden. Im Untergrund hatten die alten
Strukturen überdauert. Der UCK-Veteranenverband hat mehrfach die
radikale Separatistenorganisation Vetevendosje unterstützt, die die
sofortige Proklamation der Unabhängigkeit Kosovos fordert und nicht
nur die Serben, sondern auch die UN als Feind sieht. Vetevendosje war
Veranstalter der blutigen Demonstration vor zwölf Tagen.

Die Unterstützung des Ahtisaari-Plans durch die EU ist mittlerweile
fraglich geworden. Die Mitgliedsstaaten Slowakei, Rumänien, Schweden
und Spanien haben sich mehr oder weniger offen auf die Seite Belgrads
gestellt. Ausdruck der Differenzen ist auch der Machtkampf an der
UNMIK-Spitze: Vergangene Woche ersetzte UNMIK-Chef Joachim Rücker den
Briten Stephen Curtis als Chef der UN-Polizei durch den Deutschen Uwe
Marquardt. Doch auch dieser mußte jetzt seinen Hut nehmen. Seinen
Posten bekommt der Norweger Trygve Kallenberg. Dessen Bewährungsprobe
wird der 3. März sein- die nächste Großdemonstration von Vetevendosje.


=== 2 ===

junge Welt (Berlin)

22.03.2007 / Inland / Seite 2

»Der albanische Ku-Klux-Klan ist gefährlich«

Über die Zukunft des Kosovo im Falle einer Abspaltung von Serbien.
Ein Gespräch mit Wolf Oschlies

Jürgen Elsässer


Wolf Oschlies war 34 Jahre lang Mitarbeiter außenpolitischer
Think Tanks der Bundesregierung, zuletzt 2001/02 bei der
Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Gerade erschien sein
»Lehrbuch der makedonischen Sprache« mit einer profunden
Einführung auch in Kultur und Politik des Landes

Die Schlußrunde der Kosovo-Verhandlungen ist Mitte März in Wien
gescheitert. Warum gingen die Kosovo-Albaner nicht auf den serbischen
Vorschlag einer sehr weitgehenden Autonomie ein?

Ermutigt von der montenegrinischen Sezession aus dem »Staatenbund
Serbien-Montenegro« im Mai/Juni 2006 hat das politkriminelle
Establishment der Kosovo-Albaner endgültig aufgehört, sich um einen
Kompromiß zu bemühen. Man ist überzeugt, die »volle Souveränität«
ohnehin zu bekommen und macht sich einen »schönen Tag« -- auf Kosten der
internationalen Gemeinschaft.
Zu Jahresbeginn rügte der Internationale Währungsfonds (IWF) das
Finanzgebaren der Kosovo-Regierung, die für Luxuswagen und
»Repräsentation« 8,3 Millionen Dollar aus dem Fenster wirft -- so viel
wie der gesamte Jahresetat des Ministeriums für die Rückkehr von
Flüchtlingen. Das Kosovo ist mit 1,3 Milliarden US-Dollar im Ausland
verschuldet, wofür Serbien den Schuldendienst tragen muß. Allein hierbei
wird die serbische Hoheit über das Kosovo stillschweigend anerkannt,
solange Belgrad zahlt -- von 2002 bis 2006 waren das 217,69 Millionen
US-Dollar.

Die Regierung in der Provinz wird von der Demokratischen Liga des
Kosovo (LDK) angeführt, die nicht aus der Terrororganisation UCK
hervorgegangen ist. Müßten die Serben mit dieser LDK nicht einen Modus
vivendi finden können?

Die LDK hat sich gespalten. Ihr letzter Parteitag endete am 9. November
2006 wie eine primitive Wirtshausschlägerei. Um die Nachfolge des
verstorbenen Parteichefs Ibrahim Rugova hatten sich »Präsident« Fatmir
Sejdiu und Exparlamentspräsident Nexhat Daci beworben. Bereits bei
Bekanntgabe der Kandidaturen gingen deren Anhänger mit Fäusten und
Stuhlbeinen aufeinander los, und als Sejdiu mit 189 zu 160 Stimmen
siegte, wurden Pistolen gezogen.

Es hat sich mittlerweile mit Vetevendosje (Selbstbestimmung) eine neue
außerparlamentarische Bewegung im Kosovo gebildet. Ein
Hoffnungsschimmer?

Bestimmt nicht. Die Ziele dieses Kosovo-Ku-Klux-Klans, der sehr
gefährlich ist, kann man aus seinem »Manifesto« entnehmen. Zum einen
sind für diese Radikalen alle Serben ein riesiges Übel -- je mehr
Schaden man ihnen zufügt, desto besser für die Kosovo-Albaner. Zum
zweiten ist die UN-Verwaltung UNMIK nach ihren Worten »undemokratisch«,
»kolonialistisch«, »unerträglich« -- die Kosovaren würden erst aufatmen,
wenn sie und alle internationalen »Pseudo-Institutionen« das Kosovo
verlassen. Zum dritten brauche das Kosovo weder »Standards« noch
internationale »Status-Verhandlungen«, sondern allein ein »Referendum
des Volkes von Kosovo«, das der Rest der Welt gefälligst zu respektieren
habe. Was dann geschieht, wird nicht erwähnt, liegt aber auf der Hand:
Kurs auf Großalbanien.

Alle Parlamentsparteien des Kosovo distanzieren sich vom Ziel
Großalbanien.

Nur äußerlich. Der albanische Außenminister Besnik Mustafaj warnte
Mitte März 2006 in Skopje vor kosovarischer Aggression: »Albanien kann
keine Unveränderlichkeit seiner Grenzen garantieren, sobald das Kosovo
unabhängig wird.«

Was würde passieren, wenn das Kosovo ein souveräner Staat wird?

Die Zukunft des Kosovo steht im Zeichen von vier Kriegen -- Kriegen! --,
von denen drei bereits geführt werden: Albaner gegen Albaner -- siehe
die Gegnerschaft der Kosovo-Parteien; Albaner gegen Serben -- siehe das
Pogrom vom März 2004, laut damaligem Kosovo-Ombudsmann der Vereinten
Nationen Nowicki, der reagierungsamtliche »Versuch einer ethnischen
Totalsäuberung des Kosovo von Serben«; Albaner gegen UNMIK -- siehe die
von Vetevendosje geschürten Unruhen, die im Februar 2007 zwei Tote und
Dutzende Verletzte forderten. Vermutlich sehr bald nach dem etwaigen
Abzug der internationalen Gemeinschaft aus dem Kosovo wird der Balkan
zudem eine Neuauflage der Balkan-Kriege von 1912 erleben, nur daß
diesmal die vereinten Balkan-Völker nicht gegen die Türken als
gemeinsamen Feind antreten, sondern gegen die Bedrohung aus dem Kosovo.


=== 3 ===

http://www.jungewelt.de/2007/03-31/047.php

31.03.2007 / Schwerpunkt / Seite 3
Zoff in der EU

Kosovo-Debatte in der Außenministerrunde in Bremen offenbart
Differenzen. Mindestens sechs Regierungen lehnen Abspaltung der
südserbischen Provinz ab

Von Jürgen Elsässer


Wenige Stunden vor dem Treffen der Außenminister der EU-
Mitgliedsländer am Freitag in Bremen kam es im Kosovo erneut zu einem
Bombenanschlag: Um ein Uhr nachts erschütterte eine schwere Explosion
das orthodoxe Kloster Visoki Decani. Nach Auskunft der Mönche war vom
nahegelegenen Hügel eine Granate abgefeuert worden. Die serbischen
Heiligtümer in der Provinz, viele von ihnen unersetzliche
Kulturdenkmäler aus dem frühen Mittelalter, sind den albanischen
Separatisten ein besonderer Dorn im Auge, weil sie die historischen
Ansprüche der christlichen Slawen auf die Region illustrieren.
Bereits Mitte dieser und in der vergangenen Woche waren Sprengsätze
in oder bei serbischen Häusern in der Stadt Mitrovica im Norden der
Proinvz explodiert. Obwohl niemand verletzt wurde, sind die
Zwischenfälle Ausdruck der steigenden Spannungen in der Region.

Diese Spannungen lagen auch über dem Treffen in Bremen. Der deutsche
Außenminister Frank-Walter Steinmeier beschwor seine Amtskollegen, an
einer gemeinsamen Linie in der Kosovo-Frage festzuhalten und den
Vorschlag des UN-Sondergesandten Martti Ahtisaari weiter zu
unterstützen, der eine von der EU kontrollierte Abspaltung der
Provinz von Serbien vorsieht. Die EU plant die Entsendung von rund
1500 Polizisten und Beamten in das Kosovo – zusätzlich zu den dort
bereits stationierten 16000 NATO-Soldaten der sogenannten
Schutztruppe KFOR, die nicht abgezogen werden sollen. Nach
Schätzungen von EU-Haushaltsexperten dürfte ein Protektorat Kosovo
die Europäische Union bis zum Jahre 2011 »sage und schreibe 500
Milliarden Euro« kosten, war am Freitag der Märkischen Allgemeinen zu
entnehmen. Es liege im »unmittelbaren europäischen
Sicherheitsinteresse«, daß der UN-Sicherheitsrat in einer
»vertretbaren Frist« eine Entscheidung treffe, betonte Steinmeier. EU-
Erweiterungskommissar Olli Rehn mahnte, daß Einigkeit in der EU über
dieses Thema »der Schlüssel für eine UN-Resolution im Sicherheitsrat«
sei.

Trotz dieses Drucks der EU-Spitzen hielten unter anderem
Griechenland, Zypern, Spanien und Italien auch auf der Bremer
Konferenz an ihren Vorbehalten fest, meldete die Nachrichtenagentur
AP. Selbiges trifft auch auf Rumänien zu, wie Staatspräsident Trajan
Basesku noch am Vorabend des Treffens deutlich machte: Jede Lösung
müsse von den Prinzipien der völkerrechtlichen Souveränität und der
Unantastbarkeit der Grenzen ausgehen.

Powerplay

Der offene Widerstand einiger Mitgliedsländer bei der Bremer
Zusammenkunft war nur der vorläufige Schlußpunkt einer turbulenten
Woche für die Befürworter einer Unabhängigkeit des Kosovo. Am Montag
hatte der UN-Sonderbeauftragte Ahtisaari seinen Abspaltungsplan, der
bisher nur den Konfliktparteien und dem UN-Generalsekretär übergeben
worden war, der internationalen Öffentlichkeit vorgestellt. Am
Dienstag hatte sich die NATO hinter seine Vorschläge gestellt.
Bereits am Mittwoch aber hatte der russische Präsident Wladimir Putin
höchstpersönlich zum Telefon gegriffen und seinem US-Amtskollegen
George W. Bush ein weiteres Mal verdeutlicht, daß Moskau keine Lösung
mittragen werde, die nicht auch von Belgrad unterstützt wird. Als
sich dann am Donnerstag die Balkan-Kontaktgruppe – also Emissäre aus
Rußland, den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien
– trafen, verlief die Debatte wegen des russischen Njets ergebnislos.

Ebenfalls am Mittwoch verabschiedete das slowakische Parlament eine
Entschließung mit den Stimmen der Regierungsparteien und der meisten
Oppositionsabgeordneten, in der eine Unabhängigkeit des Kosovo
abgelehnt wird. Allerdings war der Text auf Druck aus Brüssel und
Washington abgeschwächt worden. Während die Regierungsparteien Smer
(Sozialdemokraten) und SNS (Nationalisten) ursprünglich kategorisch
jede Separation als völkerrechtlich verworfen hatten, ist jetzt nur
noch von der Ablehnung »voller und uneingeschränkter Unabhängigkeit«
die Rede, was streng genommen nicht gegen die »kontrollierte
Unabhängigkeit« unter EU-Kuratel spricht.

Vorteil Pflüger

Verwässerung machte aber auch den Freunden des albanischen
Separatismus einen Strich durch die Rechnung. Eigentlich wollte das
Europäische Parlament am Donnerstag einen Entschließungsantrag
verabschieden, der sich voll hinter den Ahtisaari-Plan stellt (siehe
jW vom 30.März). Doch dem unermüdlichen Tobias Pflüger von der
Linkspartei war es gelungen, bei den vorbereitenden Sitzungen im
zuständigen Ausschuß die Formulierung in dem Antrag unterzubringen,
daß »alle Regelungen hinsichtlich des künftigen Status des Kosovo im
Einklang mit dem Völkerrecht stehen müssen«. Diese Passage ist nun
Teil der verabschiedeten Resolution – sie zu streichen hatte sich die
Mehrheit der Strasbourger Deputierten nicht getraut. Doch die
Enthaltung der meisten Sozialdemokraten an diesem Punkt spricht
Bände. Jedenfalls: Nimmt man den Text wörtlich, ist er durch diesen
Einschub als Rückhalt für die separatistische Position wertlos geworden.

Nächste Woche wird der Ahtisaari-Plan voraussichtlich erstmals im
Sicherheitsrat debattiert werden. Rußland hat allerdings bisher für
eine Verschiebung des Tagesordnungspunktes plädiert und ersatzweise
vorgeschlagen, die Mitglieder des höchsten UN-Gremiums sollten sich
zuerst im Kosovo persönlich über die Lage informieren. Sollte es
dennoch zu einer Debatte in New York kommen, hat der serbische
Premier Vojislav Kostunica sein Kommen angekündigt.



=== 4 ===

30.04.2007 / Ausland / Seite 7


Ein Wolf im Zobelpelz


Vertreter der Sicherheitsratsmitglieder haben das Kosovo besucht.
Deutschlands Botschafter droht Serbien mit weiteren Abspaltungen

Jürgen Elsässer

Am Freitag und Sonnabend haben Vertreter der 15 Staaten, die derzeit im
UN-Sicherheitsrat vertreten sind, sich einen persönlichen Eindruck von
der Situation im Kosovo gemacht. Der ungewöhnliche Besuch war auf
russische Initiative im höchsten Gremium der internationalen
Staatengemeinschaft beschlossen worden, um den Diplomaten eine
Entscheidungshilfe bei der Beschlußfassung über den Plan des
Kosovo-Beauftragten Martti Ahtisaari zu geben. Dessen Memorandum sieht
die Abspaltung der Provinz von Serbien und ihre Eigenstaatlichkeit unter
EU-Aufsicht vor.

Zu den aus der Provinz vertriebenen Serben bekamen die Besucher jedoch
keinen Kontakt, obwohl diese mit einer spektakulären Aktion auf sich
aufmerksam gemacht hatten: Etwa 15000 hatten sich, aus Zentralserbien
kommend, an der internen Grenze zum Kosovo in einer kilometerlangen
Marschkolonne eingefunden, durften jedoch nicht weiterziehen. Immerhin
trafen sich die Diplomaten mit Bischof Artemije im Kloster Gracanica.
Der höchste serbische Geistliche in der Provinz machte deutlich, daß
eine Unabhängigkeit Kosovos nicht akzeptabel ist und übergab eine
Aufstellung der 156 Kirchen und Klöster, die Albaner seit dem Einmarsch
der NATO-Truppen im Sommer 1999 zerstört haben.

Außerdem besuchten die UN-Vertreter das Dorf Svinjare bei Mitrovica, das
bei den antiserbischen Pogromen im März 2004 komplett zerstört worden
war, sowie die Stadt Orahovac. Von deren 5000 serbischen Bürgern waren
unter den Augen der NATO-Soldaten in den letzten acht Jahren 3800
vertrieben und 14 getötet worden. 250 ihrer Häuser und sechs Kirchen
hatten Albaner gebrandschatzt, 50 Häuser oder Wohnungen illegal
konfisziert. Die meisten der übriggebliebenen Serben leben nun im Ghetto
Velika Hoca, das vor kurzem von einer Künstlerdelegation, der auch der
österreichische Schriftsteller Peter Handke angehörte, besucht worden
war (vgl. jW vom 10. April). Ljubisa Djuricic, der stellvertretende
Bürgermeister Orahovacs, sagte den Vertretern der Sicherheitsratsmächte,
daß die Serben wie in einem »Reservat« eingesperrt seien, ihr Dasein sei
eine »Imitation von Leben« geworden.

Vorher hatten sich die hohen Besucher bereits mit Agim Ceku getroffen,
dem Ministerpräsidenten der Provinz, der zu bis Sommer 1999
Oberbefehlshaber der albanischen Untergrundarmee UCK gewesen war. Ihm
werden zahlreiche Kriegsverbrechen zur Last gelegt. Im Gegensatz zu
seinem Amtskollegen Vojislav Kostunica in Belgrad, der der UN-Delegation
am Donnerstag penible Listen über Vertreibungs- und Tötungsdelikte in
der Provinz vorgelegt hatte, verzichtete Ceku auf Dokumente und
vertraute allein auf die Macht des gesprochenen Wortes -- und die guten
Beziehungen zu den NATO-Mächten. Damit lag er nicht falsch. US-Vertreter
Zalmay Khalilzad, Botschafter in Kabul und Bagdad und Neocon-Hardliner,
sagte hinterher: »Ich glaube, hier gab es eine Menge Fortschritte. Wir
haben den Verantwortlichen (in Pristina) gratuliert.« Es sei »wichtig,
den Kosovo-Status-Prozeß zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen.«
Der französische Abgesandte Jean Marc de La Sablier zeigte sich
»beeindruckt über (...) Pristinas Engagement, (...) besonders in Bezug
auf die Minderheiten«.

Da Deutschland derzeit keinen Sitz im Sicherheitsrat hat, war es in der
Delegation nicht vertreten. Trotzdem schoß ein deutscher Diplomat den
Vogel ab -- und zwar der BRD-Botschafter in Belgrad, Andreas Zobel. Der
hatte bereits Mitte April öffentlich geunkt, die Entsendung der
UN-Mission ins Kosovo werde nichts bringen, höchstens zur Verzögerung
einer Lösung für das Kosovo »um zwei weitere Monate führen«. Überdies,
so wußte der Diplomat im voraus, könnten die UN-Emissäre nur
herausfinden, daß »Serben und Albaner nicht zusammenleben können«. Das
sagt ein Mann, der seit Jahresanfang 2005 in Belgrad amtiert -- wo
immerhin 100000 Albaner friedlich mit den Serben zusammenleben.

Besonderes Mißfallen erregte, daß Zobel die serbische Regierung
aufforderte, dem Ahtisaari-Plan zuzustimmen, also der Abspaltung des
Kosovo -- ansonsten werde »auch die Frage der Vojvodina und des
Sandschak« thematisiert werden. In beiden serbischen Landesteilen gibt
es separatistische Bestrebungen, in einem Fall seitens der ungarischen
Minderheit, im anderen seitens der muslimischen Bosnjiaken. Die
serbischen Parteien reagierten mit einhelliger Empörung, die Regierung
sprach von einer »ungeheuren Einmischung« in die inneren
Angelegenheiten. Zobel redete sich später heraus, er sei mißverstanden
worden und habe überdies nur seine persönlichen Meinung vertreten -- was
einem Botschafter verboten, also eigentlich Grund zur Abberufung ist.
Wie mißverständlich er war, zeigte das Statement der ungarischen
Regierung: Die verwahrte sich gegen Zobels Unterstellung, sie habe
territoriale Ansprüche an Serbien.


=== 5 ===

http://www.jungewelt.de/2007/06-12/index.php

jungeWelt, 12.06.2007

Flucht nach vorn

Bush verspricht Kosovo-Staat

Von Jürgen Elsässer

Der russische Bär verblüfft die Weltöffentlichkeit derzeit mit
überraschenden Finten, während der amerikanische Elefant schwer durch
den Porzellanladen stampft. Man vergleiche: Da macht Präsident
Wladimir Putin in Heiligendamm den USA das Angebot, zum Schutz vor
hypothetischen iranischen Raketen eine Radaranlage in Aserbaidschan
gemeinsam zu betreiben. Das Plazet aus Baku haben seine Emissäre
zuvor in mehr oder weniger klandestinen Gesprächen eingeholt. Der
Clou dabei: Aserbaidschan, so dachte man, gehört längst zur US-
Einflußzone, da durch lukrative Verträge der Ölkonzerne bestochen.

Wäre Präsident George Bush ähnlich clever, hätte er seine Ankündigung
vom Sonntag, das Kosovo müsse jetzt endlich unabhängig und es dürfe
in der UNO nicht endlos weiterverhandelt werden, ebenfalls mit
ungewöhnlicher Rückendeckung präsentiert. Die islamischen Regime
haben eigentlich sehr viel Sympathie für einen neuen Moslemstaat in
Europa. Deswegen unterstützten Saudi-Arabien, Iran, Pakistan und
Indonesien die Sezession ihrer bosnischen Glaubensbrüder aus
Jugoslawien Anfang der neunziger Jahre mit Geld und Waffen. Doch für
einen neuen Staat Kosovo macht keines der genannten Länder einen
Finger krumm, solange die Albaner die US-Okkupation im Irak und in
Afghanistan mit eigenen Truppen unterstützen. Aber originell wäre
gewesen, wenn der Texaner wenigstens mit einem der gekauften Scheichs
aus den kleinen Emiraten vor seine trunkenen Fans in Tirana getreten
wäre. Doch nicht einmal das hat er fertiggebracht.

So wirkt sein provokanter Vorstoß wie schlechte Improvisation. Sein
Problem ist nicht nur, daß Rußland fest an der Seite Serbiens steht:
Putin hat Premier Vojislav Kostunica am vergangenen Sonnabend in
Petersburg ein weiteres Mal versichert, daß er im Sicherheitsrat sein
Njet gegen ein unabhängiges Kosovo sprechen werde. Viel mehr macht
Bush zu schaffen, daß es auch innerhalb der NATO keine Einigkeit
gibt. Sein Frust in Heiligendamm muß groß gewesen sein, als ihm
ausgerechnet der neue französische Präsident Nicolas Sarkozy, den man
bisher mit guten Gründen für den ersten Yankee im Elyseepalast halten
konnte, in der Kosovo-Frage widersprochen hat. Er verlangte ein
halbjähriges Moratorium und sprach sogar, ein weiterer Tabubruch, von
der Möglichkeit einer anderen Lösung als der des serbenfeindlichen
Vermittlers Marti Ahtisaari.

Viel wird jetzt davon abhängen, ob sich die Bundesregierung, die
derzeit das Kommando der Kosovo-Besatzungstruppe KFOR innehat, den US-
Hardlinern anschließt oder den französischen Zauderern. Klar ist das
nicht: Gegen Kanzlerin Angela Merkel steht Frank-Walter Steinmeier,
der relativ bedächtige Außenminister.

=== 6 ===

http://www.jungewelt.de/2007/06-15/057.php

JungeWelt, 15.06.2007

15.06.2007 / Titel / Seite 1
NATO umzingelt Serben

Von Jürgen Elsässer


Einiges deutet darauf hin, daß die NATO in Kürze die Abspaltung des
Kosovo von Serbien auch ohne UN-Beschluß durchsetzen wird. Milan
Milanovic, der Vorsitzende des Serbischen Nationalrates in der
mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz, berichtet in serbischen
Medien am Mittwoch von Truppenbewegungen der Kosovo-Besatzungstruppe
KFOR. »KFOR und Kosovo-Polizei KPS haben den Nordteil des Kosovo
umzingelt, während unsere Volksgruppe in den Enklaven Zentralkosovos
ohne Schutz bleibt.« Und weiter: »So werden Furcht und Defätismus
verbreitet, um die mögliche Unabhängigkeit des Kosovo zu
erleichtern.« Offensichtlich dient der Aufmarsch dem Ziel, eine
Pufferzone zwischen dem serbischen Siedlungsgebiet im Nordkosovo und
der Republik Serbien zu schaffen. Falls die albanische
Provinzregierung in Pristina das Kosovo zu einem eigenen Staat
erklärten sollte, hat der Serbische Nationalrat mit einem Verbleib
der Nordregion bei Serbien gedroht.

Ebenfalls am Mittwoch hat Rußland gegen seinen Ausschluß von den
Gesprächen über den künftigen Status des Kosovo protestiert. Moskau
war zur Tagung der sogenannten Balkan-Kontaktgruppe am Vortag in
Paris nicht eingeladen worden – ein klarer Verstoß gegen die
Geschäftsgrundlage der Runde, die seit Anfang der neunziger Jahre
zusammentritt. Hintergrund ist die Hartnäckigkeit, mit der sich
Rußland gegen die Abspaltung des Kosovo ausgesprochen hat, zuletzt
auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm. Ohne den Störenfried konnten die
Vertreter aus Deutschland, Großbritannien, Italien, Frankreich und
den USA das Treffen nutzen, um das Sezessionsprojekt zu bekräftigen.
Auch beim NATO-Treffen am gestrigen Donnerstag in Brüssel wurde
Rußland brüskiert: Die versammelten Verteidigungsminister gaben den
USA für die Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Polen und
Tschechien grünes Licht und verlangten nicht einmal dessen
Unterstellung unter das Bündnis.

Die antiserbische Orientierung der NATO ist umso brisanter, als die
Financial Times am Donnerstag von wachsender albanischer
Gewaltbereitschaft berichtete. Demnach sollen 40 Prozent der
Kosovoalbaner mit Protesten gedroht haben, falls Rußland die
Unabhängigkeit des Kosovo weiter im UN-Sicherheitsrat blockiert. Drei
Prozent kündigten sogar an, sie würden in diesem Fall zu den Waffen
greifen. Bei einer geschätzten Bevölkerungszahl von zwei Millionen
wären das 60 000 Kämpfer. Die Zahlen hat das UN-Entwicklungsprogramm
UNDP nach einer repräsentativen Umfrage bekanntgegeben. Bereits am
Dienstag war ein albanisches Waffendepot in Serbien ausgehoben
worden. Nach Auskunft des serbischen Innenministers Dragan Jocic
waren 15 Kilo Sprengstoff aus dem Kosovo über die Grenze geschmuggelt
worden, um Anschläge durchzuführen. Verantwortlich ist eine Gruppe
von Wahabiten, also fundamentalistische Moslems mit Verbindungen nach
Saudi-Arabien.

Selbst in der CDU/CSU fürchtet man eine Zuspitzung auf dem Balkan.
Der Obmann der Bundestagsfrak tion im Auswärtigen Ausschuß, Karl-
Theodor zu Guttenberg (CSU), sagte am Mittwoch, weder sollte Rußland
von seinem Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat Gebrauch machen, noch
sollten die USA die Unabhängigkeit des Kosovo einseitig anerkennen.


=== 7 ===

http://www.jungewelt.de/2007/06-19/044.php

19.06.2007 / Schwerpunkt / Seite 3
Uhr weg, Wodka her

Einige Kleinigkeiten haben die Abspaltung des Kosovo in den letzten
Tagen wieder erschwert. Neuer NATO-Plan zur Loslösung der serbischen
Provinz in Moskau vorgestellt

Von Jürgen Elsässer


Sage keiner, Weltgeschichte sei nicht lustig. Der neueste Albanerwitz
beispielsweise geht so: Kommt ein US-Präsident nach Tirana, nimmt ein
Bad in der Menge und verspricht die Loslösung der Provinz Kosovo von
Serbien. Schon fünf Sekunden später hat sie sich tatsächlich
losgelöst – allerdings nicht die Provinz, sondern die Uhr, und zwar
die von George W. Bush höchstselbst. Kein guter Joke? Zugegeben.
Dafür aber wahr: Genauso geschah es am 10.Juni 2007, beim ersten
Staatsbesuch eines US-Präsidenten in Alba nien. Im Unterschied zu
anderen Stops auf seiner Europa-Reise – Prag, Heiligendamm, Rom –
wurde Dubblejuh von einer tausendköpfigen Menschenmenge bejubelt,
viele wollten ihr Idol berühren und küssen. Doch ganz uneigennützig
war die Liebe der Skipetaren nicht, wie die Filmaufnahmen des
albanischen Staatsfernsehens aus dem Örtchen Fushe Kruje in der Nähe
von Tirana zeigen: In den ersten Sekunden sieht man, daß der US-
Präsident beim Händeschütteln eine Armbanduhr trägt. Nach fünf bis
zehn Sekunden ist sie weg. Böse Stimmen sagen: Geklaut. Und zwar von
einem der albanischen Sicherheitsleute. Sprecher des Weißen Hauses
dementierten energisch. Das machte die Geschichte noch glaubwürdiger.

Kurz bevor seine Uhr abhanden kam, hatte Bush den Albanern noch eine
neue Mafiarepublik versprochen: Es dürfe »keine endlosen
Verhandlungen über ein Thema geben, zu dem wir uns bereits eine
Meinung gebildet haben«. Und weiter: »Eher früher als später muß man
sagen: Genug ist genug. Kosovo ist unabhängig.« Das klang ganz
danach, daß die USA in Kürze die Proklamation des Kosovo zu einem
neuen Staat anerkennen würden – auch ohne UN-Votum. Doch am
vergangenen Freitag verkündete US-Sondergesandter Frank Wiesner bei
einem Besuch in der Krisenregion, daß Serben und Albaner
weiterverhandeln sollten. Das Moratorium solle – so die Medien in
Pristina – 120 Tage dauern. Das klang nicht wie das »eher früher als
später« des US-Präsidenten vom Sonntag zuvor. Was war geschehen? War
Bush sauer wegen der Uhr?

Sarkozy lallt

Das Nachverhandeln hatte zuerst der frischgebackene französische
Präsident Nicolas Sarkozy ins Gespräch gebracht, er wollte den
Konfliktparteien sogar sechs Monate Zeit geben. Dies hatte er zum
Verdruß von Bush sehr öffentlichkeitswirksam während des G-8-Gipfels
vorgeschlagen. Dabei könnte eine Rolle gespielt haben, daß sich der
Franzose in Heiligendamm sehr gut mit seinem russischen Amtskollegen
verstand. Die FAZ berichtete über Sarkozys Abschlußpressekonferenz:
»Dann erschien der neue Präsident und entschuldigte sich für die
Verspätung. Das Gespräch mit Putin habe länger gedauert. Sarkozy
lallte, Sarkozy lächelte. War der notorische Coca-Cola-Trinker, der
jeden Wein verschmäht, von den Russen mit Wodka abgefüllt worden? Er
hatte seine Mimik und seine Gesten nicht unter Kontrolle. Sarkozy
wirkte angeheitert, die Szene ist urkomisch.«

Den Mitschnitt der Pressekonferenz, den die französischen
Fernsehsender nicht zeigten, kann man sich im Netz auf DailyMotion
und YouTube ansehen. Bis zum gestrigen Montag sahen ihn über 15
Millionen Franzosen – mehr als das Endspiel der Fußball-WM 1998.

Der Haken

Das 120-Tage-Moratorium, auf das sich die NATO-Führungsmächte Ende
vergangener Woche verständigt haben, hat allerdings einen Haken:
Falls sich Albaner und Serben in dieser Frist nicht einigen, soll
automatisch der Plan von Vermittler Martti Ahtisaari in Kraft treten,
der eine Unabhängigkeit des Kosovo unter EU-Kontrolle vorsieht.
Dieser Verkoppelung wird Rußland im UN-Sicherheitsrat kaum zustimmen.
Am gestrigen Montag wurde der neue NATO-Plan erstmals in Moskau
vorgestellt und erörtert.


=== 8 ===

http://www.jungewelt.de/2007/07-30/041.php

Junge Welt, 30.07.2007

1908, 1999, 2007

Kosovo: Bis Mitte November wird weiterverhandelt, aber dann droht
eine Eskalation mit historischen Parallelen. Bundesregierung auf
Schlingerkurs

Von Jürgen Elsässer


Woher kommen diese Albaner eigentlich?«, fragte Otto von Bismarck,
der deutsche Kanzler, auf der Berliner Balkankonferenz 1878. »Wir
sind eine kleine Fliege, die der ganzen Welt den Magen umdrehen
wird«, antwortete der türkisch-albanische Diplomat Abdullah Fraseri.
Bekanntlich kam es nicht genauso, aber ähnlich: Nicht Albanien, wohl
aber eine benachbarte Provinz des Osmanischen Reiches lieferte den
Zündfunken für den ersten Weltkrieg. Deutschland und die anderen
Großmächte hatten 1878 einen Formelkompromiß bei der Neuordnung
Südosteuropas gefunden: Bosnien sollte de jure weiterhin türkisch
bleiben, de facto aber von den Österreichern verwaltet werden. 1908
brach Wien diesen Vertrag und annektierte die Provinz auch de jure.
Aus Rache wurde 1914 Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo erschossen.

Ungefähr 100 Jahre später versuchten es die NATO-Mächte mit einem
ähnlichen Formelkompromiß: Nach ihrem Angriffskrieg gegen Jugoslawien
1999 setzten sie im UN-Sicherheitsrat die Resolution 1244 durch, die
das Kosovo de jure dem südslawischen Staat beläßt, de facto aber der
Verwaltung der Vereinten Nationen unterstellt. In der Folge
befürworteten die Westmächte jedoch die vollständige Abtrennung der
Provinz und ihre von der EU kontrollierte Übergabe an die albanische
Bevölkerungsmehrheit – so der Plan des UN-Vermittlers Martti
Ahtisaari. Dies wäre völkerrechtlich möglich, sofern entweder Belgrad
zustimmt oder wenigstens der UN-Sicherheitsrat eine solche Lösung
billigt. Wenn beide Bedingungen nicht gegeben sind, kann sich das
Kosovo nur einseitig, also durch einen Akt illegaler Willkür, zu
einem selbständigen Staat erklären. Genau dies hat US-Präsident
George W. Bush kurz nach dem G-8-Gipfel bei seinem Staatsbesuch in
Tirana vorgeschlagen. Es dürfe »keine endlosen Verhandlungen über ein
Thema gegeben, zu dem wir uns bereits eine Meinung gebildet haben«.
Und weiter: »Eher früher als später muß man sagen: Genug ist genug.
Kosovo ist unabhängig.«

120 Tage Frist

In der Folge ist der US-Präsident jedoch zurückgerudert. Bei einem
Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin Anfang Juli
in Kennebunkport einigten sich die beiden, den Konflikt zumindest
nicht auf kurze Distanz zu eskalieren. US-Diplomaten reisten in der
Folge nach Pristina, um die Führung der Kosovoalbaner von der
einseitigen Proklamation eines unabhängigen Staates wieder
abzubringen. Ihr Premier Agim Ceku hatte dies zunächst für Ende Mai
2007, in der Folge dann für den 28. November angekündigt. Am 23. Juli
erreichte US-Außenministerin Condoleezza Rice vom Kosovopräsidenten
Fatmir Sejdiu die Zusicherung, daß dieser Termin vom Tisch ist. Vorerst.

Am 20. Juli waren außerdem die Verhandlungen im Weltsicherheitsrat
über eine »konditionierte Unabhängigkeit« für die Provinz an der
russischen Vetodrohung gescheitert. Das höchste UN-Gremium übertrug
das Mandat für weitere Gespräche zunächst an die sogenannte
Balkankontaktgruppe, die es ihrereits am vergangenen Mittwoch an ein
Trio weiterreichte: Die USA, die EU und Rußland sollen nun eine
Lösung finden, und zwar in einem Zeitraum von 120 Tagen. Die EU-
Delegation soll vom deutschen Spitzendiplomaten Wolfgang Ischinger
geführt werden. Eine Einigung des Trios in dieser Frist ist
unwahrscheinlich. Rußland hat bereits angekündigt, nicht länger auf
der Grundlage des Ahtisaari-Planes verhandeln zu wollen, sondern nur
auf der Basis der UN-Resolution 1244, also des Status quo.

Daß Bush sich darauf einläßt, ist extrem unwahrscheinlich: Wenn er
seine Ankündigung vom Staatsbesuch in Tirana nicht wahr macht und der
neue Staat Kosova bis zum Jahresende nicht proklamiert wird, werden
die Albaner die Vereinigten Staaten des Verrats bezichtigen. Im Zorn
könnten sie das Amselfeld in Brand setzen.

Drohung oder Bluff?

Weitaus wahrscheinlicher ist deshalb, daß die USA nach Ablauf der 120
Tage durchzocken und den neuen Albanerstaat Kosova auch ohne UN-Segen
und gegen den Widerstand Moskaus anerkennen. Bundeskanzlerin Angela
Merkel hat Anfang vergangener Woche gegenüber Putin damit gedroht,
daß einige größere EU-Staaten diesem Schritt folgen könnten. Doch es
ist nicht ausgeschlossen, daß sie damit nur blufft. Tage zuvor hatte
sie nämlich gesagt, daß eine Kompromißlösung gefunden werden müsse,
die für beide Seiten, also auch für die Serben, akzeptabel ist.
Ähnlich haben sich bis in die jüngste Vergangenheit auch
Außenminister Frank- Walter Steinmeier (SPD) und
Verteidigungsminister Franz- Josef Jung (CDU) geäußert.

Hintergrund des deutschen Zögerns ist, daß die serbische Regierung
mit Rückendeckung von über 90 Prozent der Parlamentsabgeordneten mit
einer Art neuer Hallstein-Doktrin liebäugelt. Wie die BRD bis Mitte
der sechziger Jahr die diplomatischen Beziehungen mit allen Staaten
stornierte, die die DDR anerkannten, so will Serbien mit allen
Staaten brechen, die die Republik Kosova unterstützen. Dies könnte
den deutschen Zugriff auf die boomende serbische Ökonomie bremsen.
Statt dessen würden russische Unternehmen bei der Privatisierung der
Staatsbetriebe des Balkanstaates die Nase vorn haben. Zwar könnten
sich westliche Investoren im Gegenzug an den Bodenschätzen des neuen
Albanerstaates schadlos halten. Doch wenn Belgrad nicht kooperiert,
könnten diese gar nicht exportiert werden: Alle schnellen
Verkehrsverbindungen des Kosovo laufen nach Norden über Serbien. Die
Grenzen zu Albanien, Montenegro und Mazedonien sind bergig und für
Schwertransporte nahezu unpassierbar.

Außerdem muß Merkel bei einem deutsch-amerikanischen Vorpreschen eine
Spaltung der EU fürchten: Neben der Slowakei, Zypern, Rumänien und
Griechenland ist auch Spanien gegen die Sezession des Kosovo. Selbst
auf die Unterstützung durch Frankreich kann sie derzeit keine Wetten
abschließen, wie in diesen Tagen das Lybien-Solo von Präsident
Nicolas Sarkozy zeigte.



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SIEHE AUCH:

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http://www.jungewelt.de/2007/07-30/043.php

30.07.2007 / Schwerpunkt / Seite 3
»Das könnte ein Horrorszenario werden«

Gegen eine einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo müßten die
KFOR-Truppen vorgehen. Ein Gespräch mit Rainer Stinner

---

http://www.jungewelt.de/2007/07-30/042.php

30.07.2007 / Schwerpunkt / Seite 3
Deutsche Politik im Dilemma

Krieg für die Albaner?

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http://www.jungewelt.de/2007/07-24/028.php

24.07.2007 / Ansichten / Seite 8
Stichtag 28.11.

Kosovo: Sieg Serbiens in der UNO

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http://www.jungewelt.de/2007/07-14/062.php

14.07.2007 / Titel / Seite 1
Diesmal mit Sahne!

Endlich wieder ein Kriegsparteitag der Grünen!...

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http://www.jungewelt.de/2007/06-07/004.php

07.06.2007 / Ausland / Seite 6
Schlappe für die Separatisten

Kosovo-Unabhängigkeit kommt nicht vom Fleck. Rußland bleibt
konsequent beim »Njet«