Die italienische Schuldenlast nimmt von Monat zu Monat zu. Das Handelsbilanzdefizit Italiens stieg von 1,787 Milliarden Euro im Januar kontinuierlich und erreichte im Mai den Monatswert von 1,827 Milliarden. Das Gesamtdefizit im Außenhandel in den ersten fünf Monaten 2010 beläuft sich auf elf Milliarden Euro mit stabiler Tendenz. Damit rangiert Italien immerhin noch vor Frankreich, dessen Handelsbilanz im selben Zeitraum minus 25 Milliarden Euro verzeichnet (Bundesrepublik Deutschland: plus 60 Milliarden). Die gewohnte Bautätigkeit hat in der italienischen Landesmitte und in Süditalien erheblich nachgelassen und lässt die Arbeitslosigkeit regional stark steigen. Klagen über die Wirtschaftslage führen zu Verwerfungen im römischen Regierungsbündnis, das auf Neuwahlen zusteuert.
Besondere Rolle
Die Irritationen sind Anlass beispielloser Lobpreisungen der deutschen Wirtschaftskraft und ihres politischen Basismodells. Man erhoffe sich für den Rest des Jahres ein deutsches Wachstum "im chinesischen Rhythmus", schreibt der Corriere della Sera, eine Art italienischer FAZ.[1] In einem Interview weiht Giuseppe Vita die Leser in das "geheime Rezept" [2] der Berliner Industriepolitik ein. Der heutige Aufsichtsrat zahlreicher deutscher Großunternehmen, der Schering den Weg nach Italien ebnete und die Vorzüge der deutschen Verhältnisse kennt, hebt die besondere Rolle der deutschen Gewerkschaften hervor.
Korporativ
Ihre positive Beteiligung am internationalen Konkurrenzkampf der deutschen Unternehmen halte "seit dem Fall der Mauer an" und habe "seit der Krise im Jahr 2003 zugenommen" - "maximale Kooperation", wie Vita findet.[3] "Kapital und Arbeit wissen, dass sie im selben Boot sitzen, und versuchen gemeinsam, obenauf zu schwimmen." Selbst Verdiensteinbußen durch Kurzarbeit nähmen die deutschen Gewerkschaften klaglos hin, wenn es dem Unternehmen nutze. Das von Vita skizzierte korporative Modell lasse die deutsche Wirtschaft "erheblich flexibler" reagieren als in anderen europäischen Ländern, wo die Krise zu Massenentlassungen geführt habe und der Neustart mühselig ist.
Identität
Die schwierigen italienischen Verhältnisse feuern separatistische Kräfte an, die seit Jahren auf eine Dissoziation der italienischen Gesellschaft setzen. So ist die rechtsgerichtete Lega Nord inzwischen nicht nur in ihren Mailänder Stammgebieten erfolgreich, den Wohlstandszentren des italienischen Bürgertums, sondern versucht in ganz Norditalien neue Wählerschichten zu erschließen. Lega-Führer Umberto Bossi, den seine politischen Gegner für einen Rassisten halten, trat kürzlich in Venedig auf, wo er eine separatistische Kampagne unterstützte: "Venetien zuerst!"[4] Ziel ist die Anerkennung einer besonderen "Identität" der Region, die durch Änderungen der Regionalverfassung festgeschrieben werden soll. Venetien müsse über autonome Rechte verfügen "wie Katalonien".
Anschluss
Damit droht die Lega Nord dem italienischen Zentralstaat mit territorialen Entgrenzungen spanischer Art, sollte den wirtschaftlichen Sonderwünschen des oberitalienischen Bürgertums nicht nachgegeben werden.[5] Verlangt wird der weitgehende Einbehalt der in Norditalien erwirtschafteten Steuereinnahmen, die dem wirtschaftsschwächeren Süden entzogen werden müssten. Vorbild der Kampagne ist die Politik der deutschsprachigen Eliten im Alto Adige ("Südtirol"). Ständige Sezessionsdrohungen, die mit einem Anschluss an Österreich spielen, werden aus Rom mit Millionensubventionen beantwortet. Das Gebiet um Bolzano (Bozen) gehört zu den reichsten Italiens und ist Sprungbrett deutscher Wirtschaftsexpansion, der die Zweisprachigkeit im Alto Adige einen maßgeblichen Konkurrenzvorteil verschafft.
Symbiose
Wie der italienische Springer-Manager Giuseppe Vita meint, darf die italienische Wirtschaft darauf hoffen, dass ihre dienende Funktion von den deutschen Großunternehmen weiter in Anspruch genommen wird - als "Hauptlieferantin" [6] bei der weltweiten deutschen Exportführerschaft. Die periphere Zuarbeit kleinerer und mittlerer italienischer Firmen habe zu einer "Symbiose" geführt: deutsche Größe plus italienische Gefolgschaft.