Honorarprofessor
Wie die Universität Tübingen mitteilt, hat sie den Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, mit einer Honorarprofessur betraut. In dieser Funktion bietet Ischinger während des laufenden Sommersemesters ein Seminar zum Thema "Internationale Krisendiplomatie" an, das sich laut Vorlesungsverzeichnis mit der "exemplarischen Aufarbeitung von Krisenfällen in der internationalen Politik" befasst. Zu diesen zählt Ischinger nicht zuletzt den NATO-Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999, der von ihm im Lehrplan euphemistisch als "Kosovo-Krise" bezeichnet wird.[1] In seiner Funktion als Staatssekretär im Auswärtigen Amt war Ischinger an der diplomatischen Vorbereitung und propagandistischen Absicherung des Krieges maßgeblich beteiligt - unter anderem durch die vielfach widerlegte Behauptung, der Angriff auf Jugoslawien habe dazu gedient, eine "humanitäre Katastrophe" in der Provinz Kosovo abzuwenden. Noch ein Jahr nach dem Krieg erklärte Ischinger: "Nicht geopolitische Auseinandersetzungen um Macht, die Südosteuropa in der Vergangenheit so schwer zugesetzt hatten, waren die wichtigste Priorität, sondern die Notwendigkeit, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Statt nationaler Interessen verfolgte die internationale Gemeinschaft das Ziel, grundlegende Rechtsnormen und Menschenrechtsfragen zu implementieren."[2]
Weniger Brunnen bauen, mehr schießen
Offen bekennt sich Ischinger zu westlichen Interventionskriegen - aktuell insbesondere in Afghanistan und Libyen. Seiner Auffassung nach sind militärische Gewaltoperationen auch unter Bruch des geltenden Völkerrechts grundsätzlich überall dort angebracht, "wo wir a) dies können und wo das Eingreifen b) mit unseren eigenen nationalen Interessen in Einklang zu bringen ist".[3] Im Falle Afghanistans fordert der ehemalige Diplomat eine gezielte Eskalation: "Soldaten werden dazu ausgebildet, andere notfalls umzubringen - oder zumindest so zu bedrohen, dass diese es als glaubwürdig betrachten, umgebracht zu werden, wenn sie nicht das tun, was man von ihnen erwartet. Das ist der Zweck. (...) Wir bauen weniger Brunnen und müssen (...) mehr schießen."[4] Gleiches gilt ihm zufolge für Libyen. Nachdem Ischinger in einem Interview mit der österreichischen Presse gefordert hatte, "die Sache zur Entscheidung zu bringen" [5], erklärte er wenige Tage später in seiner Tübinger Antrittsvorlesung, die USA erwarteten "zu Recht", "dass die Europäer selbst die Dinge in die Hand nehmen".[6]
Neue Gefahren
Vordergründig ging es in Ischingers Antrittsvorlesung um den Aufbau einer atlantisch-europäisch-russischen "Sicherheitspartnerschaft" mit dem Ziel, die in den beteiligten Staaten vorhandenen Atomwaffenpotenziale drastisch zu reduzieren. Deutlich wurde dabei jedoch, dass das von Ischinger skizzierte Projekt Ausdruck einer politischen Strategie ist, die sich einerseits gegen die Armutszonen des Südens und andererseits gegen globale ökonomische Konkurrenten wie etwa China richtet. "Gefahren für unsere Sicherheit" gingen heute nicht mehr von "gegnerischen Angriffsarmeen bedrohlicher Nachbarn" aus, sondern von der "Schwäche und Instabilität" sogenannter Failing States, erklärte Ischinger und forderte die "Verteidigung eines gewissen 'way of life'" durch die Abwehr "unkontrollierter Einwanderung". Gleichzeitig zeigte sich der ehemalige Diplomat überzeugt, "dass demographische und wirtschaftliche Trends dazu führen werden, dass das relative Gewicht Europas in der Welt abnehmen wird, während aufsteigende Mächte wie China, Indien oder Brasilien an Einfluss gewinnen". Es sei daher in "beiderseitigem Interesse", erklärte Ischinger, "die Interdependenz zwischen Russland und der EU nicht nur zu akzeptieren, sondern politisch zu gestalten, um eine funktionsfähige gesamt-europäische Kooperation zu gewährleisten": "Anderenfalls wird unser relativer Abstieg noch rapider und massiver ausfallen."[7]
Praxisnah
Die "Beziehungen zu Russland" werden auch zentrales Thema des von Ischinger im laufenden Sommersemester an der Universität Tübingen angebotenen Seminars sein. Höhepunkt der Lehrveranstaltung ist ein für diese Woche vorgesehener mehrtägiger Berlinbesuch, der es den Teilnehmern laut Vorlesungsverzeichnis ermöglichen soll, "mit politischen Entscheidungsträgern zusammenzukommen, um praxisnah (...) durch den Besuch in Ministerien und Botschaften zu diskutieren".[8] Durch besondere "Praxisnähe" zeichnete sich einem Veranstaltungsbericht zufolge auch ein Seminar aus, das Ischinger im Sommersemester 2009 an der Ludwig-Maximilians-Universität München abgehalten hat. Ähnlich wie in Tübingen beschäftigte man sich hier mit "Krisendiplomatie". Zu den Gastreferenten zählten mehrere hochrangige Militärs, darunter der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann. Sein Thema war die "NATO-Intervention im Kosovo 1999".[9]
Krieg ist Frieden
Dass Wolfgang Ischinger nun von der Universität Tübingen zum Honorarprofessor berufen wurde, wird von den dortigen Studierenden scharf kritisiert. Sie werfen den akademischen Gremien vor, gegen eine im Dezember 2009 implementierte "Zivilklausel" zu verstoßen, der zufolge Forschung und Lehre ausschließlich "friedlichen Zwecken" dienen dürfen. Verstöße dieser Art scheinen in Tübingen mittlerweile Methode zu haben. Bereits im April 2010 war Ischinger auf Einladung des "Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen", einer Organisation des Reservistenverbandes der Bundeswehr, an der Universität zu Gast. Im selben Jahr hatte eine Angehörige der deutschen Streitkräfte dort ein Seminar angeboten, das sich mit der Aufstandsbekämpfung der NATO-Truppen in Afghanistan befasste (
german-foreign-policy.com berichtete [10]). Dabei verfolgt die Leitung der Universität Tübingen offenbar die Strategie, Militärs und Befürworter von Interventionskriegen zu Friedenspolitikern zu erklären. Ischingers Seminar etwa wird mit folgender Ankündigung beworben: "Studierende im (...) Studiengang 'Friedensforschung und Internationale Politik' werden vorrangig zugelassen."[11]