Detlef D. Pries - 15.02.2013
Proteste gehören zum Alltag
Wirtschaftliche Krise, schamlose Bereicherung: Am Jahrestag der Unabhängigkeit gibt es nichts zu feiern
Zum 5. Jahrestag der einseitig ausgerufenen Unabhängigkeit am 17. Februar gibt es in Kosovo nicht viel zu feiern. Selbst hart gesottene albanische Nationalisten sehen ihre Träume in weite Ferne gerückt. Die UN-Resolution 1244, nach der Kosovo ein »integraler Bestandteil Jugoslawiens« bleibt, ist nach wie vor in Kraft, und mit ihr die sogenannte »Statusneutralität« des kleinen Balkanlandes, womit die Weltgemeinschaft ihre Ratlosigkeit in Bezug auf die Lösung der Statusfrage juristisch umschreibt. Immer noch tummeln sich Tausende »Internationale« in allerlei zivilen, rechtlichen und militärischen Missionen und dokumentieren mit dicken Allradautos und fetten Gehältern den kolonialen Charakter ihres Aufenthalts.
Noch nicht einmal eine nationale Telefonvorwahl konnte erreicht werden, weshalb man seit Jahren mit monegassischen Mobiltelefonnummern operiert. Und seit das Parlament in Prishtinë (serbisch Priština) vor eineinhalb Jahren die Einführung von islamischem Religionsunterricht sowie das Tragen von Kopftüchern für Mädchen an den Schulen verboten hat, ist die Zahl der Staaten, die Kosovo anerkennen, sogar zurückgegangen: Das arabische Sultanat Oman interpretierte die religionskritischen Töne offensichtlich als islamfeindlich und zog sein Anerkennungsschreiben »mangels Vollzug«, wie es hieß, zurück.
97 (von 193) UN-Mitgliedstaaten sehen in Kosovo einen unabhängigen Staat, selbst innerhalb der EU herrscht in dieser Frage keine Einigkeit. Die größten Probleme liegen jedoch im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Europaweit führend ist das 1,8 Millionen Einwohner zählende Land bei der Arbeitslosigkeit. Offiziell wird sie mit 44 Prozent ausgewiesen, die Gewerkschaft BSPK spricht von 60 Prozent. Die Armutsstatistik folgt dem Befund vom faktisch nicht existierenden Arbeitsmarkt: Jeder sechste Kosovare hat weniger als einen Euro pro Tag zur Verfügung. Arbeiterlöhne liegen zwischen monatlich 200 und 300 Euro, Renten von 50 Euro sind keine Seltenheit. Ohne regelmäßige Überweisungen von Familienmitgliedern aus der kosovarischen Diaspora, die jährlich mit schätzungsweise 500 Millionen Euro zu Buche schlagen, könnten viele Menschen hier nicht überleben.
Proteste gegen Preiserhöhungen und die korrupte politische Elite gehören mittlerweile zum Alltag. Zuletzt waren am 7. Februar wieder knapp 2000 Menschen auf den Straßen, um gegen die Verdoppelung des Strompreises innerhalb eines Jahres zu protestieren. Der einzige Stromversorger des Landes, die KEK, hat unter neuer türkischer Eigentümerschaft die Preisschraube angezogen. Daraufhin versuchten die Demonstranten, die Zentrale des Strommonopolisten zu stürmen, wurden aber - wie schon im Oktober 2012, als 66 Personen verhaftet worden waren - von der Polizei zurückgedrängt.
Der billige Ausverkauf ehemals sozialisierter Betriebe stößt vor allem bei der links-nationalen Gruppe Vetëvendosje (VV - Selbstbestimmung), die bei den vergangenen Wahlen 12,5 Prozent Zustimmung erhielt, auf Widerstand. Zu schamlos und offensichtlich bedienen sich ehemalige Weggefährten aus den Zeiten, in denen gemeinsam Krieg gegen Belgrad geführt wurde, an den wenigen Filetstücken der kosovarischen Wirtschaft.
Die schamlose Bereicherung findet indes nicht nur vermittels mafiotischer Strukturen innerhalb der albanischen Elite statt, sondern auch die Alliierten des Jahres 1999 sind daran beteiligt. So ritterte die US-Firma »Albright Capital Management« der gleichnamigen ehemaligen US-Außenministerin um den Mehrheitsanteil des Post- und Telekomunternehmens PTK und der frühere NATO-Oberkommandierende Wesley Clark hält als Vorsitzender des Konzerns Envidity die Hand über große Kohlevorkommen in Kosovo. Für US-amerikanische Kriegsherren hat sich der Einsatz für Kosovo also auch persönlich gelohnt, die Mehrheit der Kosovaren lebt heute allerdings schlechter als zu jugoslawischen Zeiten.
Protektorat der EU: Zahlen und Fakten
● Mit einer Fläche von knapp 11 000 Quadratkilometern ist Kosovo etwa halb so groß wie Hessen. Das Durchschnittsalter der mehr als 1,8 Millionen Einwohner wird auf rund 27 Jahre beziffert. Nach Schätzung der OSZE sind davon 91 Prozent Albaner, 4 Prozent Serben und 5 Prozent übrige Minderheiten. Neben der muslimischen Mehrheit gibt es vor allem orthodoxe Christen. Offizielle Amtssprachen sind Albanisch und Serbisch.
● Obwohl Kosovo nicht der Euro-Zone angehört, wird dort in Euro gezahlt. Früher war auf Beschluss der Vereinten Nationen schon die D-Mark offizielles Zahlungsmittel. Das Durchschnittseinkommen betrug 2010 rund 300 Euro. Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner lag bei knapp 2000 Euro (Deutschland: 30 500 Euro). Seit Jahren liegt die offizielle Arbeitslosigkeit bei über 40 Prozent.
● Zwar wurde Kosovo im September 2012 offiziell aus der »überwachten Unabhängigkeit«, wie sie der Plan des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari vorsah, in die »volle Souveränität« entlassen, doch bleibt die Selbstständigkeit des »jüngsten Staates in Europa« eingeschränkt. Die EU unterhält dort ihre größte Auslandsmission, die »Rechtsstaatsmission« EULEX. Bis zu 2000 Polizisten, Staatsanwälte und Verwaltungsbeamte mit weitreichenden Befugnissen »beobachten und beraten« die örtlichen Behörden. Missionschef ist seit Anfang Februar der deutsche Diplomat Bernd Borchardt.
● Für ein »sicheres Umfeld« soll die NATO-geführte Kosovo-Truppe KFOR mit derzeit noch 5100 Soldaten aus 31 Staaten sorgen. Kommandiert wird sie seit September 2012 vom deutschen Generalmajor Volker Halbauer.
● Auch die 1999 eingesetzte UN-Mission in Kosovo (UNMIK) ist – in erheblich reduzierter Stärke – noch aktiv. Sie fungiert unter anderem als Vermittler für jene Staaten, die Kosovos Unabhängigkeit nicht anerkannt haben. Gegenwärtiger Chef ist Farid Zarif aus Afghanistan. UN-Mitglied kann das Land nicht werden, solange Russland und China als ständige Mitglieder des Sicherheitsrates dem nicht zustimmen. (dpa/nd)
Timur Blochin - 31.01.2013, 18:07
Tschechien kann seine Anerkennung des Kosovo abberufen. Der neue Präsident des Landes Miloš Zeman hatte schon während des Wahlkampfes versprochen, im Fall eines Wahlsieges nicht zuzulassen, dass Tschechien seinen Botschafter nach Priština entsendet. Wie jetzt die serbischen Massenmedien mitteilen, habe der neue tschechische Staatschef bereits die Erörterung der Kosovo-Frage mit seinem Team begonnen.
Zeman ist nicht der erste tschechische Staatschef, der hinsichtlich der südlichen serbischen Provinz mit der eigenen Regierung nicht einer Meinung ist. Der frühere Präsident Václav Klaus erklärte seinerzeit, er schäme sich für die Entscheidung der Regierung, das Kosovo anzuerkennen. Man könnte auch daran erinnern, wie er den Präsidenten des Kosovo Atifete Jahjaga bei dessen Besuch in Prag nicht empfangen hatte. Dabei ist interessant, dass eine Meinungsumfrage, die mehrere Monate nach der Ausrufung der Unabhängigkeit des Kosovo durchgeführt wurde, erbrachte, dass mehr als die Hälfte der Tschechen meinte, das würde sich auf die Stabilität auf dem Balkan negativ auswirken.
Unwillkürlich denkt man da an die in Tschechien existierende „slawische Solidarität“ mit dem serbischen Volk. Hören Sie hierzu die Meinung des tschechischen Journalisten und Politikwissensch aftlers Libor Dvořák:
„Herr Zeman demonstriert eine beneidenswerte Beständigkeit in seinen Meinungen, und dass er gegen die Unabhängigkeit des Kosovo ist, ist kaum erstaunlich. Aber es muss gesagt werden, dass gerade Zeman in der Eigenschaft als Ministerpräsident im Jahr 1999 für die Bombardierung des damaligen Jugoslawiens eingetreten war und auf diese Weise im Grunde genommen einen Beitrag zum Entstehen des eigenständigen Staates Kosovo geleistet hatte. Und zweitens, und das sagten ihm bereits die Vertreter unserer Demokratischen Bürgerpartei (ODS), darf er nicht vergessen, dass die Außenpolitik eine Prärogative der Regierung, nicht aber des Präsidenten ist. Demnach wird es ihm kaum gelingen, ein solches Projekt zu realisieren.“
Seinerseits meint der stellvertretende Vorsitzende der Serbischen Radikalen Partei Nemanja Šarović, dass der Präsident Tschechiens durchaus die Initiative äußern könne, die Anerkennung des Kosovo zu revidieren, und das Ergebnis sei nicht so sehr vorauszusagen:
„Auch bei uns in Serbien haben wir das parlamentarische System, und die Vollmachten des Präsidenten sind oft protokollarisch. Aber in Fällen, wo eine prägnante politische Figur das Amt des Präsidenten ausübte, da folgte im Grunde genommen das Parlament dem Präsidenten, und nicht umgekehrt. Wie die Staaten ihre Position zum Kosovo formulieren werden, das hängt im ernsten Maße von Serbien selbst ab.“
Doch wie dem auch sei, Tschechien bewegt sich auf einer Bahn, die Brüssel gelegt hat. In der EU herrscht, was das Kosovo betrifft, keine einhellige Meinung. Allerdings sollte man zum Beispiel daran erinnern, dass das Europaparlament im Jahr 2010 eine Resolution verabschiedet hatte, die einen Appell an jene EU-Länder enthielt, die das Kosovo wegen der Territorialstrei ts und der Probleme mit den nationalen Minderheiten nicht anerkannt haben (das waren Zypern, Spanien, Griechenland, die Slowakei und Rumänien), das dennoch zu tun. Wird es gelingen, die Zeit zurückzudrehen?
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