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Junge Welt (Berlin)
24.03.2004

Thema
Werner Pirker

 
Sieg in der Niederlage

 
Vor fünf Jahren begannen die Luftangriffe auf Jugoslawien als ein Akt
der »Umerziehung« der Serben

 
Fast auf die Minute genau mit dem Beginn der Hauptabendnachrichten in
den europäischen Fernsehanstalten abgestimmt, begannen in den
Abendstunden des 24. März 1999 die Luftangriffe der NATO auf
Jugoslawien. Der Krieg als großartige Exhibition. Vorgeführt vom
Weltmeister aller Klassen.

Es war ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Das wäre er auch
gewesen, hätte ihm der UN-Sicherheitsrat das Mandat erteilt. Doch
Rußland und die VR China hatten ihr Veto dagegen eingelegt. Das alles
zählte nicht in Zeiten bellizistischer Euphorie. Individuelle
Freiheits-, Minderheiten- und Menschenrechte stünden über dem Recht
auf nationale Souveränität, über dem Völkerrecht, wurden die wenigen
Gegner des Jugoslawien-Krieges belehrt. Solche waren in konservativen
Kreisen häufiger anzutreffen als in Blair/Schröders neuer Mitte und
ihrem links-alternativen Anhängsel, das am lautesten »Schluß mit dem
serbischen Völkermord!« skandierte.

Ein deutscher Außenminister, dessen politische Karriere im Zeichen der
nihilistischen Verneinung des bürgerlichen Rechtsstaates – »legal,
illegal, scheißegal« – begann, war wie kein anderer dazu berufen, linke
Befindlichkeiten dem imperialistischen Völkerrechtsnihilismus nutzbar
zu machen. Die Parteinahme für die »vom Genozid bedrohten Kosovaren«
erschien als logische Fortsetzung eines »linken Internationalismus«,
wie er sich in der Solidaritätsbewegung mit dem vietnamesischen Volk
und anderen Trikont-Völkern manifestiert hatte. Mit dem kleinen
Unterschied, daß diesmal die routinierte Ingangsetzung des Rades der
Empörung nicht die Verurteilung einer imperialistischen Intervention
zum Gegenstand hatte, sondern das Eintreten für eine solche. Die Welt
dürfe dem Treiben faschistischer serbischer Banden nicht länger
tatenlos zusehen, äußerte sich der »Protest« in gewohnt alarmistischem
Pathos.


Tatarenmeldungen

Was Joseph Fischer für die intellektuellen Mittelschichten, war
Rudolf Scharping für die schlichteren Gemüter. Als
Verteidigungsminister eine militärische Fehlbesetzung, versuchte er
sich als Propagandaminister. In Serbien sähen die Deutschen die Fratze
ihrer eigenen Geschichte, philosophierte der Pfälzer am Vorabend des
Krieges. Das war auf eine unfreiwillige Art komisch. Denn das »Nie
wieder!«, das er damit zum Ausdruck bringen wollte, drängte sich jedem
nur einigermaßen nachdenklichen Geist als ein »Schon wieder« auf.
Zweimal schon hatte Deutschland vergeblich versucht, die Serben in die
Knie zu zwingen. Dies endlich zuwege zu bringen war die von Fischers
Vorgänger Klaus Kinkel offen ausgesprochene Absicht. Und nun versuchte
Scharping, Deutschlands militärische Beteiligung an der antiserbischen
Aggression und seine Rolle als ideologischer Antreiber der Serbophobie
auch noch als eine Art deutscher Sühneleistung hinzustellen.

Er war es auch, der den Hufeisenplan auftischte, eine vermutlich in
Bulgarien fabrizierte Fälschung, die suggerierte, daß der von der
serbischen Militärführung tatsächlich entwickelte Plan zur Vernichtung
der UCK ein Plan zur Ausrottung der albanischen Bevölkerung in Serbien
gewesen sei. Scharping brachte den Begriff »Tatarenmeldungen«, womit
die Kolportage erfundener oder maßlos aufgebauschter Kriegsgreuel des
Gegners gemeint ist, wieder zu höchsten Ehren. Sein Meisterstück
lieferte er mit der Behauptung: »Die (serbischen) Täter spielen mit
abgeschnittenen Köpfen Fußball. Sie zerstückeln Leichen, schneiden den
getöteten Schwangeren die Föten aus dem Leib und grillen sie.«

Der inzwischen unehrenhaft entlassene Minister spielte auf der
Klaviatur einer gigantischen Medienkampagne, die sich seit dem Beginn
der Erosion Jugoslawiens gegen das Zehn-Millionen-Volk der Serben
eingeschossen hatte. Die Behauptung einer serbischen Aggression zum
Zweck der Errichtung eines großserbischen Staates als alleinige Ursache
der jugoslawischen Tragödie wurde mit einer derartigen
Selbstverständlichkeit aufgestellt, daß jede Widerrede als ebenso
absurd und bösartig galt wie die Leugnung des Holocausts. Seit den
Zeiten, als die Feindseligkeit gegenüber anderen Nationen die offen
herrschende Ideologie der Nationen war, was im Hitler-Faschismus seinen
extremsten Ausdruck fand, war eine Nation nicht mehr so verteufelt
worden wie die serbische. Die mediale Umzingelung Serbiens war nahezu
lückenlos. Daß serbische Männer von ihren Müttern verwöhnte Machos
seien, ebenso larmoyant wie grausam, wußte der Boulevard zu berichten
und daß der kollektive Geist des serbischen Volkes vom Trauma der
Amselfeld-Niederlage umnachtet sei, die Qualitätspresse.

Der Serbenhaß gerierte sich politisch korrekt. Das Serbentum erschien
als die direkte Negation universell zivilgesellschaftlicher
Verheißungen, als das im serbischen Mythos begründete Völkische.
Milosevic pflegte man launig Hitlerovic zu nennen, sein
Präsidententitel, welcher über die Rolle, die er als Staatsoberhaupt
eines parlamentarischen Systems ausübte, bürgerlich-demokratisch
legitimiert war, wurde ihm kurzerhand aberkannt. Die westliche
Sprachregelung bestimmte ihn zum »serbischen Diktator«. Nur über eines
herrschte nie völlige Klarheit: Waren die Serben willige Vollstrecker
des Milosevic-Wahns oder Milosevic der willige Vollstrecker des
serbischen Wahns? Diese Frage wurde zu unterschiedlichen Zeiten
unterschiedlich beantwortet.

Während des NATO-Krieges schien es vorerst angebracht, das serbische
Volk als Opfer der Milosevic-Diktatur darzustellen, das zu befreien der
alliierten Luftwaffe aufgetragen war. Als die Serben aber die
Bombardements nicht als Freiheitsbotschaft anzunehmen bereit waren,
wurden sie wieder als das ursächliche Problem identifiziert. Der
US-Historiker Daniel Goldhagen, ein Experte auf dem Gebiet kollektiver
Schuldzuweisungen, forderte die Domestizierung der Serben, und die
österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek verlieh ihrer
antifaschistischen Gesinnung mit dem Vorschlag Ausdruck, der serbischen
Bevölkerung eine zwangsverordnete demokratische Umerziehung zuteil
werden zu lassen.

In den jugoslawischen Nachfolgekriegen galten die Serben immer als die
Täter. Ihren »Opfern« galt die westliche Fürsorgepflicht. Alles Unheil
auf dem Balkan wurde dem »serbischen Expansionismus« zugeschrieben. In
Wirklichkeit waren Serbien und Montenegro die einzigen jugoslawischen
Republiken, die im Prozeß der Erosion des Vielvölkerstaates keine
separaten nationalstaatlichen Ansprüche erhoben, sondern an der
jugoslawischen Staatsidee festhielten. Die Bürgerkriege in Kroatien und
Bosnien hatten ihre Ursache nicht in der versuchten Umsetzung eines
großserbischen Plans, sondern darin, daß die bosnischen und kroatischen
Serben, die Ergebnisse der gegen ihren Willen erfolgten Sezession nicht
anerkennen wollten.


Dissident der neuen Weltordnung

Die balkanischen Wirren waren durch die sezessionistische Aggression
und deren aktive Unterstützung durch die antiserbische Koalition unter
Führung Deutschlands, das auf dem Boden des untergehenden Jugoslawiens
seine neue Großmachtstellung begründen wollte, ausgelöst worden. Doch
die Förderer neuer Staaten auf dem Balkan konnten wie Zauberlehrlinge
der Kräfte, die sie riefen, nicht Herr werden. Nun lag es an den USA,
ihre Rolle als »einzig unentbehrliche Nation der Welt«, wie es Bill
Clinton einmal auszudrücken beliebte, unter Beweis zu stellen. Mit dem
Abkommen von Dayton hatte sich die Pax Americana auf dem Balkan
durchgesetzt. Der amerikanische Chefunterhändler Richard Holbrooke
hatte in Slobodan Milosevic, der den bosnischen Krieg so schnell wie
möglich beendet wissen wollte, einen kongenialen Partner gefunden,
während die Präsidenten Kroatiens und Bosniens, Tudjman und
Izetbegovic, zur Unterschrift mit sanftem Druck genötigt werden mußten.

Milosevic ist seine konstruktive Mitwirkung an der imperialistischen
Befriedung Bosniens übel vergolten worden. Denn mit dem Ende des
Bosnien-Krieges richtete sich das geballte Aggressionspotential des
westlichen Balkankomitees gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Damit
hatte die imperialistische Interventionspolitik eine neue Qualität
erreicht. Konnten die Westmächte bis dahin ihre Einmischungspolitik mit
der Verpflichtung begründen, einen Zivilisationsverfall inmitten
Europas, den sie freilich nach Kräften befördert hatten, zu verhindern
und die Formierung neuer Staatengebilde in einigermaßen zivilisierte
Bahnen zu lenken, so handelte es sich ab nun eindeutig um eine grobe
Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, der nicht aus
den Launen der neuen politischen Konjunktur heraus entstanden war,
sondern seine Existenz auf die Fortsetzung des jugoslawischen
Vielvölkerstaates und seiner Werte gründete: die nationale
Unabhängigkeit, Blockfreiheit, Multinationalität und soziale
Gerechtigkeit. Damit war Jugoslawien als Dissident der neuen
Weltordnung, als »Schurkenstaat« identifiziert.

Der erste Versuch, das System von innen heraus zu sprengen, schlug
fehl. Angehörige der städtischen Jugend und Mittelschichten hielten
während des ganzen Winters 1995/96 ein Dauermeeting ab, doch die
gesellschaftlichen Basisströmungen waren für einen Umsturz nicht zu
haben. Daraufhin nahm das Balkan-Befriedungskomitee wieder Serbien als
Ganzes ins Visier. Nun stand die »albanische Frage« im Kosovo, die es
sich bis zuletzt aufgehoben hatte, zur Entscheidung an.

Damit war der Kampf um Jugoslawien dorthin zurückgekehrt, wo er seinen
Anfang genommen hatte: auf das schicksalsträchtige Amselfeld. Hier
hatte Milosevics Aufstieg begonnen, als er sich im April 1987, damals
Vorsitzender des Bundes der Kommunisten Serbiens, mit der Not der vom
albanischen Chauvinismus bedrängten Kosovo-Serben konfrontiert sah und
ihnen versicherte: »Niemand darf euch schlagen. Das Kosovo ist unserer
Großväter Erbe. Hier sind unsere Häuser und Höfe. Das ist unsere Erde«.
Er hat mit diesen Worten die serbische Frage aufgeworfen und eine
Lawine der nationalen Euphorie losgetreten. In seiner Rede anläßlich
des 600jährigen Jubiläums der Amselfeld-Schlacht 1989 verwies er auf
den multiethnischen Charakter Serbiens und beschwor die
Gleichberechtigung zwischen den Völkern und Volksgruppen, ohne die
Jugoslawien nicht überleben könne.

1989 wurde der in der jugoslawischen Verfassung von 1974
festgeschriebene in sich widersprüchliche Status des Kosovos und der
Vojvodina als im serbischen Bestand befindliche Provinzen, die aber
gleichzeitig Subjekte der Föderation und nicht der Republik sind,
aufgehoben und die Autorität der Republikbehörden über die beiden
Autonomien wiederhergestellt.

In der Zeit der jugoslawischen Bürgerkriege aber blieb das Kosovo
weitgehend sich selbst überlassen. Die albanische Gesellschaft
entwickelte ihre eigenen Machtstrukturen, ihr eigenes Schulwesen und
ihre eigene Mafia-Ökonomie. Damals waren die Voraussetzungen
wahrscheinlich am günstigsten, einen Ausgleich zwischen den
Republikbehörden und der politischen Führung der Albaner herzustellen,
doch Belgrad ließ die Zeit verstreichen, bis es sich plötzlich mit der
UCK als einer bewaffneten Sezessionsbewegung konfrontiert sah.

Die Albanerführung war sich der Gunst der westlichen
Aggressionsgemeinschaft bewußt und zu keinen Verhandlungen mehr bereit.
Ein von Belgrad vorgelegter Entwurf zur Herstellung der
Selbstverwaltung in Kosovo, der weitestgehende Autonomieplan, den
Europa je gesehen hat, wurde umgehend zurückgewiesen. Denn dieser Plan
basierte auf zwei Voraussetzungen: der Anerkennung der multinationalen
Realität der Provinz und der territorialen Integrität Serbiens. Den
albanischen Repräsentanten aber ging es nicht um Selbstverwaltung,
nicht um die Herstellung eines gerechten Verhältnisses zwischen den
Volksgruppen, sondern um die Feststellung der albanischen Identität des
Kosovos, aus der sich das Recht auf staatliche Unabhängigkeit herleiten
ließ.

Die albanische Seite konnte eine Position der absoluten
Unbeweglichkeit beziehen, da alle Forderungen und Ultimaten der
»Vermittler« die Führung in Belgrad zum Adressaten hatten. Es entstand
die absurde Situation, daß sich rein auf dem Papier die
Vermittlungsvorschläge der Kosovo-Kontaktgruppe nicht wesentlich von
den serbischen Positionen unterschieden. In der Hauptsache, dem Kosovo
eine weitgehende Autonomie einzuräumen, es aber nicht in die
Unabhängigkeit zu entlassen, schien man sich einig zu sein. Die Albaner
verharrten hingegen unbeirrt auf ihrer »Alles oder nichts«-Position.
Doch die Schuldzuweisungen ergingen allein an die serbische Seite.

Auf der »Friedenskonferenz« in Rambouillet wurde schließlich deutlich,
daß es einzig darum ging, Belgrad in eine Situation zu treiben, in der
es nur mehr die Wahl zwischen Kapitulation und Krieg hatte. Der beiden
Seiten vorgelegte Vertrag erhielt den militärischen Anhang B, der die
Präsenz von NATO-Truppen nicht nur im Kosovo, sondern in ganz
Jugoslawien vorsah, wo sie nach Belieben agieren hätten können,
Immunität vor rechtlichen Verfahren genossen hätten und selbst befugt
gewesen wären, jugoslawische Funktionsträger festzunehmen. Der Anhang B
war ein Befehl zur Selbstaufgabe Jugoslawiens. Denn ein solches
Dokument, gegen das das Ultimatum der k. u. k. Monarchie an Serbien
1914 als eine höfliche diplomatische Note erscheint, kann ein Staat nur
nach einer militärischen Niederlage als Kapitulationsurkunde
unterschreiben. Diese Demütigung konnte Jugoslawien nicht hinnehmen.
Das bedeutete Krieg.

Der Bombenkrieg der NATO hatte einen Nationalitätenkonflikt zum Anlaß,
von denen es auf der Welt mehr gibt als Nationalitäten. Serbien, die
multinationale Republik, die ihren Minderheiten mehr Rechte einräumte
als jeder andere Staat auf der Welt, war zum Anlaßfall für eine
Militärintervention geworden, in der erstmals eine nationale
Streitfrage aus der Luft entschieden werden sollte. Die NATO ergriff
für die Seite Partei, die einem aggressiven Ethnozentrismus huldigte.
Die humanitäre Katastrophe, die angeblich verhindert werden sollte,
begann, als die ersten Bomben fielen.


Nacht der langen Messer

In 78 Tagen haben die Interventen ungefähr 35 000 Angriffe geflogen.
Dabei wurden 20 000 Tonnen Bomben, Raketen oder Marschflugkörper
abgefeuert. Sechzig Brücken sowie Dutzende Raffinerien und Chemiewerke
sind zerstört worden. Durch die Zerstörung der Chemiefabriken von
Pancevo wurden riesige Mengen von Chlor, Ammoniak und Vinylchlorid
freigesetzt – Substanzen, die Krebs oder Erbschäden hervorrufen können.
Bis heute sind die Folgen für die Umwelt noch nicht in ihrer ganzen
Tragweite zu ermessen. Die humanitären Einsatzkommandos hoch zu Luft
haben auch Munition mit abgereichertem Uran eingesetzt.

Der Jugoslawien-Krieg hat eine breite Öffentlichkeit mit dem Begriff
»Kollateralschäden« bekannt gemacht. Als solche gelten die
unbeabsichtigten »Nebenschäden«: Krankenhäuser, Altersheime,
Geburtskliniken, Schulen, Arbeiterwohnhäuser waren die bevorzugten
Objekte für zufällig entstandene Schäden. Von militärischen Zielen weit
entfernte Kleinstädte oder Dörfer wurden oft gleich mehrmals von den
Bombengeschwadern heimgesucht, Flüchtlinstracks, als Feindobjekte
identifiziert, ausgeschaltet. Ein über eine Brücke fahrender Zug wurde
– welch bedauerlicher Zufall – von Bomben getroffen. Wo es für
angebracht gehalten wurde, bewiesen die NATO-Bomber durchaus ihre
Fähigkeit zu »chirurgischen Eingriffen«. Öffentliche Gebäude in Belgrad
wurden auf den Meter genau getroffen, weshalb die unzähligen
Zerstörungen ziviler Objekte nicht unbeabsichtigt gewesen sein können.
Die Zivilbevölkerung wurde bewußt terrorisiert, um ihren
Widerstandsgeist zu brechen. Doch blieb die Moral der Bevölkerung bis
zuletzt intakt.

Es war die Führung in Belgrad, die voraussah, daß die Grenzen der
physischen Belastbarkeit bald erreicht sein würden und deshalb nach
einem diplomatischen Ausweg suchte, bevor die Grundlagen der
materiellen Existenz des Landes zur Gänze zerstört waren. Sie erreichte
immerhin einen Friedensschluß unter UNO-Ägide, herbeigeführt durch
einen Beschluß des Sicherheitsrates. Der Anhang B, die Besetzung ganz
Jugoslawiens durch die NATO, war Makulatur. Das Kosovo aber mußte de
facto aufgegeben werden. In der Resolution des Sicherheitsrates wird
die Provinz zwar noch als integraler Bestandteil Jugoslawiens, aber
nicht mehr Serbiens, erwähnt. Die Bundesrepublik Jugoslawien gibt es
inzwischen nicht mehr, wobei die UNO schon vorher Fakten schuf und das
Kosovo gegen ihren eigenen Beschluß aus dem Geltungsbereich der
jugoslawischen Verfassung ausgeliedert und zu einem westlichen
Protektorat gestaltet hat.

Die Verhinderung einer jugoslawischen Lösung des Kosovo-Problems auf
der Grundlage der Selbstverwaltung und gleicher nationaler Rechte durch
die NATO hat den Nationalitätenkonflikt auf die Spitze getrieben. Mit
dem Abzug der serbischen Armee- und Polizeieinheiten aus der Provinz
begann eine von der UCK schon lange vorbereitete Nacht der langen
Messer. Heute ist das Kosovo von einer Lösung der nationalen Frage so
weit entfernt wie in den Zeiten des osmanischen Jochs.

Milosevic, den der Kosovo-Patriotismus an die Macht getragen hatte,
ist auf dem Amselfeld besiegt worden. Die Sieger kannten keine Gnade.
In Den Haag hat er die ganze Last der jugoslawischen Tragödie auf seine
Schultern zu nehmen. Er steht allein gegen einen mächtigen
Justizapparat. Er hat sich gegen die Behauptung zu wehren, Urheber
einer Gewaltpolitik gewesen zu sein, die den Balkan in Flammen gesetzt
habe. Er macht das mit Bravour. Mit seinem Auftreten unterstreicht er
die Worte seiner Amselfeld-Rede von 1989: Es gibt Niederlagen, die den
Sieg in sich tragen.