ARTEL: Die politische Szene Serbiens und Deutschlands

[ Una belgradese ed una tedesca di origine jugoslava riassumono la
situazione politico-economica nei rispettivi paesi di residenza... ]

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Die politische Szene Serbiens

http://www.artel.co.yu/de/izbor/jugoslavija/2004-09-03.html

informgraf@yahoo. com

Spomenka Deretic, Journalistin
Belgrad, den 21. August 2004

In diesem Text sollen die wichtigsten politischen Kräfte Serbiens kurz
skizziert werden.

Bei den Parlamentswahlen im Dezember 2003 hat die Serbische Radikale
Partei (SRS) die meisten Wählerstimmen auf sich vereinigen können, die
selbst gute Kenner der politischen Verhältnisse in Serbien, wie z.B.
Hannes Hofbauer, fälschlicherweise als rechtsradikal einstufen. Die SRS
entstand im 19. Jh. nach dem Vorbild der russischen Volksparteien und
selbst ihr herausragendster Anführer jener Zeit, Nikola Pasic, war
zunähst Sozialist. In den neunziger Jahren des 20. Jh. erneuerte
Vojislav Seselj, ein Doktor der Wissenschaften und derzeitiger Häftling
in Den Haag, diese Partei. Sein Stellvertreter ist Tomislav Nikolic,
ein fähiger Politiker, der im ersten Wahlgang der
Präsidentschaftswahlen im Juni dieses Jahres die meisten Stimmen
erringen konnte. In der nachfolgenden Stichwahl besiegte ihn der
Vorsitzende der Demokratischen Partei (DS), Boris Tadic, dank der
Wahlunterstützung der übrigen politischen Anführer Serbiens, sowie der
Stimmen der nationalen Minderheiten. Obwohl ihr Parteivorsitzender in
Den Haag inhaftiert ist, haben die serbischen Radikalen ihre politische
Orientierung beibehalten, was beweist, dass es sich hierbei um eine gut
organisierte, disziplinierte und ernst zu nehmende Partei handelt.
Obwohl die SRS über die meisten Abgeordneten im Parlament verfügt, sind
deren Mitglieder nicht an der Machtausübung beteiligt.

Die zweitgrößte Parlamentsfraktion (ca. ein Drittel kleiner als die
SRS) stellen die Abgeordneten der DSS, der Demokratischen Partei
Serbiens. Ihr Vorsitzender ist der gegenwärtige Premier Serbiens,
Vojislav Kostunica, der ebenfalls als Nationalist verunglimpft wird.
Wie auch die Radikalen widersetzen sich die Mitglieder der DSS -
zumindest offiziell - dem Ausverkauf der serbischen Wirtschaft an
westliche Konzerne, die gewöhnlich serbische Betriebe zu Spottpreisen
übernehmen. Dennoch sind in dieser Partei opportunistische Kräfte
tonangebend, so dass die Parteiführung der DSS den Forderungen und
Erpressungsversuchen der Westlichen Großmächte Folge leistet, auch wenn
dies dem Interessen des serbischen Volkes, wie auch den Prinzipien
dieser Partei zuwiderlauft.
Die Mitgliedschaft der DSS ist größtenteils nicht mit dem, in Serbien
sehr aktiven, Organisierten Verbrechen verbunden. Ausnahmen gibt es
dennoch. So kandidierte der Neureiche "Geschäftsmann" Zoran Drakulic
mit Unterstützung der DSS für das Bürgermeisteramt Belgrads. Drakulic
hat auf dubiose Weise das Kupferwalzwerk von Sevojno zu einem
Spottpreis erworben. Insgesamt muss man festhalten, dass die DSS dem
Modell eines liberalen Kapitalismus nahe steht.

Die drittgrößte Parlamentsfraktion stell die Demokratische Partei (DS),
deren Chef der bei einem Anschlag getötete Premier Serbiens, Zoran
Dindic, war. Diese Partei erschütterten diverse Affären, da ihre
Führunsspitze über gute Verbindungen zu diversen Mafia-Clans Serbiens
verfügte, sich in korrupte Praktiken verstrickte und sogar Stimmenraub
im Parlament praktizierte. Laut einer Aussage des ehemaligen Chefs der
Spezialtruppen der Jugoslawischen Streitkräfte, Miodrag Ulemek Legija,
der sich mit Dindic vor dem Putsch am 5.10.2000 getroffen hatte, waren
diese "Demokraten" sogar in Dorgengeschäfte verwickelt.
Im Gegensatz zu Zoran Dindic steht der gegenwärtige Vorsitzende der DS
und Präsident Serbiens, Boris Tadic, mit keinerlei illegalen
Finanzmachenschaften in Verbindung. Dennoch können einige herausragende
Mitglieder dieser Partei mit der Abwicklung und Zerschlagung ehemals
staatlicher Betriebe in Verbindung gebracht werden, die auf höchst
dubiose Art und Weise vor sich ging - doch darüber werde ich in einem
späteren Beitrag ausführlich berichten.

Die zweifellos merkwürdigste, im Parlament vertretene Partei hat einen
Namen, der einer Chiffre gleichkommt: G17+. Ihr Parteivorsitzender ist
Miroljub Labus. Er steht in enger Verbindung mit dem IWF und ist
gegenwärtig Vizepremier der Regierung Serbiens. Diese Partei ähnelt in
vielem einer Sekte. Ihre Mitgliedschaft rekrutiert sich hauptsächlich
aus ehemaligen Anhängern der Demokratischen Partei, sie ist auf einen
neoliberalen Kurs eingeschworen und kontrolliert die Finanzabläufe
Serbiens. Der gegenwärtige Finanzminister und frühere Vorsitzende der
serbischen Nationalbank, Mladan Dinkic, ließ per Dekret die vier
größten Banken Serbiens (Beobanka, Beogradska Banka, Jugobanka,
Investbanka) zerschlagen und übergab das gesamte Bankensystem
ausländischen, global agierenden Großbanken, insbesondere der
österreichischen Raiffeisen Bank. Die G17+ hat die Ressorts des
Finanzministers, des Vizepremiers der Regierung, des Vorsitzenden der
Nationalbank Serbiens, der Privatisierungsagentur, sowie aller
wichtigen, mit dem Finanzwesen zusammenhängenden Institutionen inne.

Die fünftgrößte Partei im serbischen Parlament ist die ehemals größte
des Balkans, die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) unter dem Vorsitz
Solbodan Milosevics. Er ist in Den Haag nicht wegen der angeblichen
Vergehen inhaftiert, derer man ihn beschuldigt, sonder weil er der
einzige europäische Staatsmann der zweiten Hälfte des 20. Jh. ist, der
sich - wie einst Charles De Gaulle - der Amerikanisierung Europas
widersetzt. Das ursprüngliche Programm der SPS ist humanistisch,
sozialistisch und trägt einem ausgewogenen Verhältnis zwischen
nationaler Selbstständigkeit und internationaler Zusammenarbeit
Rechnung. Die Solidarität zwischen den Menschen und den Völkern ist
eine der Grundlagen des Programms der SPS, an dessen Ausarbeitung
angesehene Wissenschaftler und die renommiertesten Linken des
ehemaligen Jugoslawiens beteiligt waren. Die Mitglieder der SPS waren
hauptsächlich aufrichtige Menschen, unter denen sich auch fähige
Ökonomen, Wissenschaftler, Banker, Diplomaten und Journalisten
befanden. Nach der Machtübernahme durch die DOS im Oktober 2000 wurden
mehrere Tausend dieser Experten entlassen, nur weil sie Mitglieder der
SPS waren, darüber hinaus sind einige hundert Mitglieder der SPS -
darunter der Direktor des staatlichen Fernsehsenders RTS, Dragoljub
Milanovic - inhaftiert worden.

Die Sozialisten haben die Wahlen 2000 verloren, weil die inhumanen
Sanktionen die wirtschaftlichen Entwicklung Jugoslawiens zu erliegen
brachten und die Bevölkerung zermürbten. Die Menschen hofften, dass sie
nach einem Machtwechsel ein besseres Leben erwarten würde. Eine gewisse
Rolle bei dem Machtverlust der SPS spielte auch der Verrat einzelner
Vertreter der Partei-, Staats-, und Militärführung, sowie die Koalition
der SPS mit der heute marginalisierten "Jugoslawischen Linken" (JUL),
einer Partei, die tief in Korruptionsaffären verwickelt war und der
viele der "Neuen Reichen" Serbiens entsprangen. Die Meisten dieser in
der JUL zur Reichtum und Einfluss gelangten "Neuen Reichen" wechselten
sofort nach den Wahlen im Oktober 2000 zur DOS, der "Demokratischen
Opposition Serbiens".

Die kleinste Parlamentsfraktion bildet die "Serbische
Erneuerungsbewegung" (SPO), die mit der "Partei Neues Serbien" eine
Zählgemeinschaft eingegangen ist. Diese kleinen Parteien sind ebenfalls
an der Regierung beteiligt. Der Parteivorsitzende der SPO, Vuk
Draskovic, ist derzeit Außenminister Jugoslawiens (derzeit: Serbien und
Montenegro). Draskovic hat es geschafft, in den wenigen Monaten, in
denen er sein Amt bekleidet, zum meistgehassten Politiker Serbiens
aufzusteigen. Er ist inkonsequent und jederzeit bereit, alle
Forderungen, die von der USA oder der EU gestellt werden, zu erfüllen.
Der Vorsitzende der "Partei Neues Serbien", Velimir Ilic, ist
Bürgermeister von Cacak und Minister für Kapitalinvestitionen.

Von den außerparlamentarischen Kräften muss noch die Bewegung "Kraft
Serbiens" erwähnt werden, deren Vorsitzender der Unternehmer und
Demagoge Boboljub Karic ist. Karic beteiligt sich an den Wahlen zum
Präsidenten Serbiens und bekam auf Anhieb mehr Stimmen als der Kandidat
der Regierung. Karic trat im Wahlkampf als der große Patriot auf, der
sich für die Eröffnung von Fabriken, die Ankurbelung der Produktion und
den Kampf gegen Armut und Korruption aussprach. Über seinen eigenen
Fernsehsender BK verkündete er seine demagogischen Parolen. Es gab aber
nicht Wenige, die sich fragten, wie eigentlich Karic zu seinem Reichtum
kam und was er für Serbien geleistet habe. Karic ist ein geflüchteter
Kosovo-Serbe, der ein Darlehen aus dem Fond "zur Wiedergeburt Serbiens"
erhalten hat, welches für den Aufbau einer Fabrik vorgesehen war. Karic
hat dieses Geld zweckentfremdet, einen Fernsehsender, eine Bank und
eine Privatuniversität gegründet und in den Bereich der
Telekommunikation investiert. Er wird auch als der "Serbische
Berlusconi" bezeichnet, doch wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis
die Serben aufhören, an seine Märchen zu glauben.

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Bericht über die innenpolitische Lage in Deutschland

http://www.artel.co.yu/de/izbor/evropa/2004-09-14.html

informgraf@yahoo. com

Hannover, August 2004.
Ljiljana Verber

Die innenpolitische Atmosphäre in Deutschland ist seit einigen Wochen
durch eine an Intensität gewinnende, öffentliche Debatte über die
Umsetzung sogenannter "Reformen" geprägt. Diese wurden unter dem
Stichwort "Agenda 2010" von der Regierungskoalition aus SPD und Grünen
ausgearbeitet und mit Zustimmung der rechten Oppositionsparteien CDU
und FDP im "Reichstag" verabschiedet. Mit solch verharmlosenden
Begriffen, wie "Agenda 2010" und "Reformen", wird der wahre Charakter
eines ganzen Bündels von sozialpolitischen Gesetzen verschleiert. Auf
diese Weise sollen die Überreste des deutschen Wohlfahrts- und
Sozialstaates zerschlagen werden, der während der Periode des "Kalten
Krieges" bis 1989 der deutschen Bevölkerung eine gewisse soziale
Absicherung gewährte.

Um zu verstehen, wie es in Deutschland zu der Herausbildung dieses
"Sozialstaates" kam, ist ein kurzer historischer Exkurs notwendig: In
der Periode des weltweiten Kampfes zwischen dem Sozialismus und
Kapitalismus war Deutschland ein sogenannter "Frontstaat".
Westdeutschland grenzte direkt an die DDR und konkurrierte mit dieser
auch auf sozialem Gebiet. Die Lebensbedingungen der Bevölkerung in
Westdeutschland mussten dem Vergleich mit denen in der DDR standhalten,
ja diese sogar übertreffen. Deswegen war das deutsche Kapital bereit,
Zugeständnisse zu machen, einen Teil ihrer Profite für den Sozialstaat
zu opfern und somit sich auch sozialen Frieden zu erkaufen. Außerdem
war der Organisationsgrad der deutschen Werktätigen in den
Gewerkschaften sehr hoch. Hierdurch erhielt der Kampf um soziale Rechte
und höhere Löhne zusätzliche Durchschlagskraft. Nach der Annektion der
DDR durch die BRD ist dieser als "Soziale Marktwirtschaft" bezeichnete
Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit obsolet geworden, die
Unternehmer drängen seit den 90er Jahren - erst zögerlich, dann immer
stärker - darauf, die Sozialleistungen abzubauen, die Löhne zu senken
und zum "reinen Kapitalismus" zurückzukehren.

Doch um was handelt es sich bei der "Agenda 2010" wirklich, wie sieht
der Angriff des Kapitals auf die Lebensbedingungen der Werktätigen
konkret aus? Die unter dem Namen "Agenda 2010" zusammengefassten
Maßnahmen können grob in zwei Kategorien gegliedert werden: Einerseits
werden Rechte und Ansprüche breiter Bevölkerungsschichten abgeschafft,
andererseits soll der Druck auf die Menschen erhöht werden. Zum
erstgenannten Maßnahmenkomplex gehören:
" Die Unterstützung für Arbeitslose soll radikal gekürzt werden,
teilweise um über 50%. Nach 12monatigem Bezug eines, am Lohn
orientierten Arbeitslosengeldes erhalten die Arbeitslosen eine
staatliche Unterstützung von ca. 320 € im Monat (= Arbeitslosengeld
II). Bei den in Deutschland herrschenden Preisen ist es kaum möglich,
davon zu leben. Die Betroffenen müssen alle finanziellen Ressourcen
aufgebraucht haben, ehe ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II geltend
gemacht werden kann. Der Arbeitslose muss seine Datscha, seinen
Schmuck, sein Erspartes, seine Lebensversicherung und sonstige
Wertgegenstände verkaufen - erst dann, nach vollständiger Enteignung,
bekommt er das Arbeitslosengeld II.
" Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden ebenfalls
beschnitten. Obwohl jeder in Deutschland - zumindest formell -
krankenversichert ist und einen Teil seines Einkommens dafür verwenden
muss, werden immer weniger Leistungen von dieser Versicherung
abgedeckt. Die Auswirkungen dieser Gesundheits"reform" kann man schon
jetzt spüren, da viele Einschränkungen zum Beginn diesen Jahres
inkrafttraten. Beispielsweise muss jeder Versicherte Brillen selbst
bezahlen. Des weiteren werden die Kosten für Medikamente nur noch in
Ausnahmefällen von den Krankenkassen übernommen. Und die
Leistungskürzungen sind noch lange nicht abgeschlossen. Ab 2005 muss
man Zahnersatz aus eigener Tasche bezahlen, oder eine weitere
Versicherung dafür abschließen - wer sich dass nicht leisten kann, der
bleibt halt zahnlos.
" Das Rentenniveau soll in Deutschland bis 2030 um ca. 6% gekürzt, das
Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre angehoben werden. In Zukunft
werden die Rentner immer weniger Geld erhalten, weswegen die Regierung
die Menschen auffordert, privat Vorsorge für ihr Alter zu treffen und
z.B. Lebensversicherungen abzuschließen, die dann im Rentenalter
ausgezahlt werden. Doch wenn jemand, der eine Lebensversicherung als
Altersvorsorge abgeschlossen hat, plötzlich arbeitslos wird, müsste
diese verkauft werden - die betreffende Person stünde dann im Alter
ohne finanzielle Absicherung dar!
" Des weiteren sollen im Rahmen der Agenda 2010 die Arbeiter weitgehend
entrechtet werden: Der Kündigungsschutz, der eine sofortige Entlassung
der Arbeiter bis jetzt verhinderte, steht genauso zu Disposition, wie
die sogenannte "Tarifautonomie". Hierunter versteht man das Recht der
Gewerkschaften, selbstständig Tarifverträge mit den Unternehmern
auszuhandeln, die in ganzen Regionen Deutschlands allgemein gültig
sind. Nun sollen gesetzliche Regelungen dafür sorgen, dass in einzelnen
Betrieben - gegen den Willen der Gewerkschaft - Sonderregelungen
vereinbart werden können, die die Tarifverträge aushöhlen. Die
staatlich forcierte Ausweitung von "Leiharbeit", in der Arbeiter für
einen Hungerlohn an verschiedene Unternehmer "vermietet" werden, und
die Einführung von schlecht bezahlten, kurzfristigen
Arbeitsverhältnissen, sogenannten "Mini-Jobs", bei denen man höchstens
400 € verdienen kann, dienen der Senkung des allgemeinen Lohnniveaus in
Deutschland.

Der Druck auf die Armen und Arbeitslosen wird insbesondere durch die
Wiedereinführung neuer Formen von Zwangsarbeit in Deutschland
verschärft. Obwohl ein hartes Wort, ist dies ist keine Übertreibung!
Laut der "Agenda 2010" muss in Zukunft jeder Arbeitslose jeder Art von
Arbeit annehmen. Unter diesen neuen Voraussetzungen kommt auf die 4,3
Millionen Arbeitslosen in Deutschland die Verpflichtung zu, an
staatlich organisierten Arbeitsprogrammen teilzunehmen, die sehr gering
entlohnt werden. Mehrere Unternehmen, die im sozialen Sektor tätig sind
(Caritas, Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt), haben schon Zehntausende von
Arbeitslosen bestellt, die für sie arbeiten sollen - bei einem Lohn von
1 € die Stunde! Wer sich weigert, der bekommt kein Arbeitslosengeld.
Die Politik von Leistungskürzung und Repression verfehlt natürlich auch
bei der arbeitenden Bevölkerung ihre Wirkung nicht. Angst um den
Arbeitsplatz macht sich in den Betrieben breit. Die wirkliche
Kampfbereitschaft, z.B. in Form von Streiks, sinkt mit jeder
Verschlechterung der Situation der Arbeitslosen, da der Verlust des
Arbeitsplatzes einer sozialen Verelendung gleichkommt.

Auch die Unternehmer selbst erhöhen den Druck auf die Arbeiter. In
mehreren großen deutschen Konzernen, wie Siemens, Daimler-Chrysler oder
Karstadt, konnte das Management seine Forderung nach einer Verlängerung
der Arbeitszeit durchsetzen. Die Arbeiter der jeweiligen Betriebe
müssen jetzt bis zu fünf Stunden länger arbeiten, ohne dafür mehr Geld
zu erhalten - in Wirklichkeit haben die Unternehmer also die Löhne
gedrückt! Bei einer Arbeitslosenquote von 4,3 Millionen ist es
natürlich barer volkswirtschaftlicher Unsinn, dass diejenigen, die
Arbeit haben, länger arbeiten - doch für den einzelnen Kapitalisten
lohnt es sich. Außerdem unterstützen nahezu alle Medien Deutschlands -
ob nun Zeitung oder Fernsehkanal - diesen Sozialabbau propagandistisch.
Die meisten deutschen Medien sind von den Werbeanzeigen und Werbespots
der deutschen Industrie finanziell abhängig und wagen es nicht, ihre
Finanziers zu kritisieren - ein Rückgang der Werbeeinnahmen könnte eine
Zeitung in finanzielle Schwierigkeiten stürzen. Als Faustregel gilt: Je
mehr eine Zeitung dem Kapital nach dem Mund redet, desto besser ist ihr
Anzeigengeschäft. Außerdem gehören bei uns in Deutschland viele
Zeitungen und Fernsehkanäle selbst großen Unternehmen und Konzernen,
die ihre Propaganda und Demagogie direkt verbreiten können.

Von den derart gleichgeschalteten Medien wird immer wieder ein Argument
ins Feld geführt, dass die als "Reform" bezeichnete Zerschlagung des
Sozialstaates rechtfertigen soll: "Die Kassen sind leer." Das ist eine
typische Halbwahrheit. Natürlich verfügt der deutsche Staat -
bundesweit wie auch auf lokaler Ebene - über immer weniger
Steuereinnahmen, doch keine Zeitung fragt sich, weshalb das so ist. Die
Antwort ist für die mächtige deutsche Unternehmerlobby sehr unangenehm,
da sie das jetzt fehlende Geld im Rahmen einer Steuerreform eingesackt
haben. Im Jahre 2000 führte die Regierung aus SPD und Grünen eine
Unternehmenssteuerreform durch, die das deutsche Kapital und die
wohlhabenden Teile der Gesellschaft bis jetzt um 100 Milliarden (!) €
entlastet hat. Diese 100 Milliarden, die dem deutschen Kapital an
Steuereinsparungen zugute kamen, fehlen nun in der Staatskasse und
sollen durch Kürzungen bei den Arbeitslosen und Lohnabbau bei den
Arbeitern erbracht werden.
Doch das deutsche Kapital will noch mehr, es werden schon Stimmen laut,
die die Einführung einer 50-Stunden-Woche fordern, die Löhne sollen
weiter gesenkt werden, genauso wie die Ausgaben für die medizinische
Versorgung der Bevölkerung oder für die Renten. Falls die Belegschaften
der einzelnen, von Lohnsenkung und Arbeitszeitverlängerung betroffenen
Betriebe sich zu wehren entschließen und Streiks durchführen, drohen
die Unternehmer damit, ihre gesamten Fabriken in andere, vornehmlich
osteuropäische Länder zu verlagern. Diese Erpressungstaktik war bis
jetzt sehr erfolgreich. Am liebsten würden die deutschen
Großunternehmen keinerlei Steuern und Hungerlöhne zahlen und nach der
Steuerreform von 2000 ist es tatsächlich so, das riesige Konzerne wie
Siemens oder Daimler-Chrysler nahezu keine Steuern mehr zahlen.

Deutschland ist also längst nicht mehr das "Paradies", von dem wohl
auch viele Jugendliche in Jugoslawien träumen. Vielmehr ist es ein
Land, in dem Regierung und Kapital dabei sind, die Lebensbedingungen
der Werktätigen drastisch zu verschlechtern.


Bündnis gegen die NATO-Aggression / Jugoslawiensolidarität Hannover