[ Carriera di un terrorista: Ramush Haradinaj. ]

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22.12.2004
Ausland

Jürgen Elsässer, Belgrad

Karriere eines Terroristen

Ein Anstifter der antiserbischen Pogrome vom März im Kosovo wurde im
Dezember neuer Regierungschef. Er könnte bald in Den Haag landen

 
Das vergangene Jahr brachte weitere Fortschritte bei der Schaffung
monoethnischer Bevölkerungsstrukturen auf dem Balkan. In die
südserbische Provinz Kosovo, die seit dem Kriegsende im Juni 1999 der
UN-Übergangsverwaltung UNMIK und der NATO-geführten »Schutztruppe« KFOR
untersteht, sind in den ersten neun Monaten zwar 254 der 250 000
seither verjagten Serben zurückgekehrt. Diese Zahl wird aber weit
übertroffen durch die der weiteren 4 500 Vertriebenen in diesem
Zeitraum. Diese Menschen flohen angesichts der Pogrome am 17. und 18.
März 2004, dem schlimmsten Gewaltausbruch seit dem Sommer 1999. Dabei
wurden 19 Menschen getötet (zunächst war sogar die Zahl 31 genannt
worden), über 30 serbische Klöstern und Kirchen gebrandschatzt und 500
serbische Häuser zerstört. Das danach von der UNMIK groß angekündigte
Programm, mit 3,6 Millionen Euro den Wiederaufbau serbischer Häuser zu
fördern, ist bis dato trotz mehrfacher Zusagen noch nicht einmal
angelaufen – die Kassen seien leer, behauptet UNMIK.

Geplante Unruhen

Im Gegensatz zur Bundesregierung fand wenigstens Bernhard Gertz,
Sprecher des Bundeswehrverbandes, klare Worte zu den Märzereignissen:
»Die Unruhen wurden generalstabsmäßig geplant und durchgeführt.«
Genauere Informationen über die »generalstabsmäßigen« Vorbereitungen
kann man einem Bericht des Belgrader Verteidigungsministeriums
entnehmen, der am 25. März in der Armeezeitung Vojska veröffentlicht
worden ist. Darin heißt es: »Personen aus der kosovoalbanischen Führung
initiierten die Vorbereitung, Planung und Durchführung des Pogroms ...
Wir wissen, wer diese Personen sind. Zum Beispiel haben wir in
Erfahrung gebracht, daß vor einigen Wochen ein Treffen abgehalten
worden ist, auf dem Vertreter der drei wichtigsten kosovoalbanischen
Parteien und ... der Übergangsverwaltung den aktuellen Stand der
Unabhängigkeitsbestrebungen diskutierten. Eine Fraktion, geführt von
Hashim Thaci (Parlamentsabgeordneter, Führer der Demokratischen Partei
PDK und früherer politischer Direktor der Untergrundbewegung UCK ...)
und Ramush Haradinaj (ebenfalls Parlamentarier, Führer der
Zukunftsallianz-Partei AAK und früherer Feldkommandant der UCK ...)
forderten Ibrahim Rugova, den Präsidenten des Kosovo und Führer der
Demokratischen Liga LDK, auf, ... sofort die Unabhängigkeit des Kosovo
zu erklären. Rugova weigerte sich aus taktischen Gründen. Daraufhin
drohten Thaci und Haradinaj damit, ihre Anhänger zu mobilisieren und im
Kosovo ›Feuer zu legen‹. Im weiteren trafen sich Thaci und Haradinaj
mit den Anführern der Albanischen Nationalarmee (ANA –
Nachfolgeorganisation der UCK, Anm. jW) ... Auf diesem Treffen kamen
sie zu dem Entschluß, daß die Zeit reif sei für die Vertreibung aller
Serben. Man präsentierte einen detaillierten Aktionsplan (der Anfang
März in der PDK-Parteizentrale entstanden war) und ernannte Haradinaj
zum Operationsleiter.«

Wahlen ohne Serben

Der Operationsleiter vom März wurde am 3. Dezember neuer
Premierminister des Kosovo. Vorausgegangen waren Mitte Oktober Wahlen
zum Provinzparlament, die von den noch verbliebenen etwa 200 000 Serben
aus Protest gegen ihre Entrechtung fast geschlossen boykottiert worden
waren (die Beteiligung lag bei unter einem Prozent). Die
Albanerparteien erzielten fast dasselbe Ergebnis wie beim letzten
Urnengang drei Jahre zuvor: Die LDK des relativ gemäßigten Rugova lag
mit 45 Prozent weit vor den beiden Parteien der UCK-Kommandanten Thaci
(PDK – 29 Prozent) und Haradinaj (AAK – neun Prozent). Trotz ihres
eindeutigen Erfolges brauchte die LDK also wieder einen
Koalitionspartner. Im Unterschied zu bisher einigte sich die
Rugova-Truppe nun nicht mit der PDK, sondern mit der AAK. Ungewöhnlich
ist der Koalitionsvertrag vor allem deshalb, weil dem eindeutig
kleineren Partner der wichtigste Posten, eben der des Premierministers,
zugestanden wird. Das wäre etwa so, als hätte in Deutschland nach der
letzten Bundestagswahl Schröder das Kanzleramt Fischer überlassen,
obwohl die SPD ein Vielfaches der Stimmen der Grünen bekommen hatte.
Wie Haradinaj den Kotau Rugovas erreicht hat, ist Gegenstand heftiger
Spekulationen. Kenner sagen, Rugova sei mit dem Leben bedroht worden.
Tatsächlich sind ungefähr 100 Mitglieder der LDK in den letzten fünf
Jahren von den Leuten Thacis und Haradinajs ermordet worden.

Uno weicht zurück

Für UNMIK-Chef Sören Jessen-Petersen war die Wahl des extremistischen
Premiers ein Beispiel für »funktionierende Demokratie« (»democracy at
work«). Vor dem Urnengang hatte er noch getönt, er werde künftig
Politiker, die die Durchsetzung multiethnischer Standards in der
Provinz hintertreiben, unter Umständen auch ihres Amtes entheben. In
Belgrad sind die Parteien in seltener Einigkeit empört über das
Zurückweichen von UN und NATO vor Haradinaj und richten ihre Hoffnungen
paradoxerweise nun auf Carla del Ponte. Die Chefanklägerin des
UN-Tribunals in Den Haag, ansonsten vorzugsweise mit der Jagd auf
Serben beschäftigt, hat Haradiaj in den letzten Wochen bereits zwei Mal
durch ihre Ermittler befragen lassen. Eine Anklageerhebung stehe
unmittelbar bevor, wollen hiesige Zeitungen erfahren haben. Im
Hintergrund gebe es angeblich ein Gerangel zwischen Berlin, wo man auf
Haradinaj setze, und Washington, das ihn über seine juristische
Speerspitze del Ponte aus dem Spiel nehmen wolle. Statt Haradinaj
favorisieren die USA angeblich den nicht weniger gefährlichen Thaci.

Für diese These spricht einiges. Denn das US-finanzierte Haager
Tribunal wollte schon vor zwei Jahren gegen Haradinaj zuschlagen und
wurde schon damals von der deutschen Regierung daran gehindert. Im
April 2002 sollte eine vom Haager Tribunal beauftragte Pathologin eine
Autopsie der Leichen von 39 Serben vornehmen, die im Sommer 1998 im
kosovarischen Ort Glodjane gefunden worden waren. Zur fraglichen Zeit
war Haradinaj der UCK-Kommandeur in der Region. Überraschenderweise zog
dann aber die UNMIK die forensische Untersuchung an sich,
verantwortlich war ihr damaliger deutscher Chef Michael Steiner. »Daß
die UNMIK ein erfahrenes pathologisches Team ... ausbremst und statt
dessen ohne nennenswerte Erfahrungen auf diesem Gebiet lieber auf
eigene Faust ermittelt, entbehrt zumindest einer sachlichen Grundlage«,
protestierte die entmachtete Haager Beauftragte Helena Ranta. Die von
Steiner angesetzte Untersuchung verlief im Sande, Haradinaj konnte sich
freuen.

Eine andere Theorie über Haradinaj und Den Haag vertritt der
Kosovo-Beauftragte der serbischen Regierung, Nebojsa Covic. Demnach sei
es den Kosovo-Albanern ganz recht, wenn Carla del Ponte ihren neuen
Premier zur Fahndung ausschriebe. Der Exterrorist würde sich dann, ganz
vorbildlicher Demokrat, freiwillig stellen und damit Pluspunkte in der
internationalen Arena sammeln. Gleichzeitig würden aus Protest gegen
die Amtsenthebung eines gewählten Politikers wieder gewalttätige
Proteste in der Provinz ausbrechen – und so auch noch die letzten
verbliebenen Serben verjagt werden. Statt Haradinaj könnte schließlich
Thaci die politischen Resultate dieses Spiels mit verteilten Rollen
einfahren – die Selbständigkeit des Kosovo bei den für 2005 angedachten
Endstatusgesprächen.