Jürgen Elsässer und der Djihad

[ Del saggista e giornalista tedesco Juergen Elsaesser è uscito in
questi giorni in Germania il nuovo testo: "La Jihad arriva in Europa?
Mujaheddin e servizi segreti nei Balcani" (vedi più sotto -2- una
scheda in lingua tedesca; in inglese alla pagina
https://www.cnj.it/INIZIATIVE/roma290305.htm ).

In un momento in cui l'Islam viene demonizzato ed usato come capro
espiatorio per giustificare la guerra "globale e preventiva"
dell'imperialismo americano, questo libro e le tematiche da esso
affrontate necessariamente scatenano un vivace dibattito, innanzitutto
all'interno della sinistra antimperialista. Un momento di questo
dibattito è l'iniziativa in programma per martedi prossimo a VIENNA
(vedi -1-); Successivamente, Elsaesser sarà in Italia, ospite del
G.A.MA.DI. e del CNJ, per un altro momento di discussione e confronto
(a ROMA il 29/3; nei giorni precedenti si terranno anche trasmissioni
televisive e radiofoniche con l'autore - vedi:
https://www.cnj.it/INIZIATIVE/roma290305.htm
Tutti gli aggiornamenti, ed ulteriori dettagli, su queste iniziative
saranno forniti attraverso la lista JUGOINFO del CNJ.)

Elsässer è gia' noto in Italia per il libro "Menzogne di Guerra - Le
bugie della NATO e le loro vittime nel conflitto per il Kosovo" (Ed. La
Città del Sole, Napoli 2002 - vedi:
https://www.cnj.it/INIZIATIVE/elsaes2004.htm ) di cui, più sotto (-3-),
riproduciamo la postfazione, in lingua tedesca, della nuova edizione,
appena uscita in Serbia. ]


1. Kommt der Dschihad nach Europa?
Eine Diskussion mit J. Elsässer in WIEN, 15. MÄRZ 2005

2. Wie der Djihad nach Europa kam
Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan
Kurztext vom neuesten Buch von J. Elsaesser

3. Von Pogrom zu Pogrom
Neues Nachwort zur serbischen Neuauflage von "Kriegslügen"


=== 1 ===

Kommt der Dschihad nach Europa?

Diskussion mit J. Elsässer, H. Hofbauer und M. Jeftic

15. März, 20h, Uni Wien, HS 32

Jürgen Elsässer, Journalist und Autor, Berlin
Hannes Hofbauer, Osteuropaexperte und Verleger, Wien
Miroljub Jeftic, Autor und Professor für Politik- und
Rechtswissenschaften, Universität Belgrad

Diskussionsleiter:
Martin Vinomonte, Journalist der Wiener Zeitschrift Bruchlinien

In seinem neuesten Buch erklärt Jürgen Elsässer seine These, im
bosnischen Bürgerkrieg hätten internationale islamische Kämpfer – unter
ihnen auch das Umfeld Bin Ladens – mit Unterstützung westlicher
Nachrichtendienste eine bedeutende Rolle gespielt. Eine Fortsetzung des
afghanischen Bündnisses aus den 80er Jahren, auch die Attentäter des
11. September hätten in Bosnien gekämpft.

Elsässers These fällt mit jener in Serbien weit Verbreiteten zusammen,
man wäre ein Vorposten des christlichen Abendlandes gegen den Islam.
Andere stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Ansichten:
Westeuropa und die USA verwenden die Propaganda gegen den Islam wo sie
ins Konzept passe – sie sei nicht Selbstzweck, sondern diene zum
Erreichen bestimmter politischer Ziele.

Seit langem scheint, dass die Opfer westlicher Aggression – Serbien und
die islamische Welt – in der Gegnerschaft zum jeweils anderen eine
erneute Eintrittskarte in die „westliche Wertegemeinschaft“ erblickten.
Gefährliche Illusion – denn die Aussöhnung mit dem Westen gibt es nur
um den Preis totaler Kapitulation. Und zweitens: Die Anwesenheit
internationaler islamischer Kämpfer allein kann die politische Dynamik
des Krieges in Bosnien nicht erklären. Diese ergibt sich nicht durch
geheimdienstliche Aktionen, sondern aus der Geschichte Jugoslawiens und
dem politisch-militärischen, ebenso wie wirtschaftlichem Druck des
Westens.

Zu einer kontroversen Debatte lädt die Jugoslawisch Österreichische
Solidaritätsbewegung.

**************************************
Jugoslawisch-Österreichische Solidaritätsbewegung
PF 217, 1040 Wien
joesb@ vorstadtzentrum.org
http://www.vorstadtzentrum.org/joesb
**************************************


=== 2 ===

Jürgen Elsässer

Wie der Djihad nach Europa kam

Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan

Kurztext

Die Hauptverdächtigen des 11. September haben in den neunziger Jahren
auf dem Balkan gekämpft. Eine Flugstunde von Wien und München entfernt
trainierten sie den gnadenlosen Kampf gegen die Ungläubigen – mit
Unterstützung von NATO-Geheimdiensten.

Während in den vorliegenden Standardwerken zu Al Qaida die Aktivitäten
der Terroristen auf allen Kontinenten ausführlich geschildert werden,
blieb ausgerechnet das europäische Aufmarschgebiet der Djihadisten
bisher so gut wie unbeachtet: Vor allem im bosnischen Bürgerkrieg haben
einige Tausend militante Moslems aus den arabischen Staaten und dem
Iran an der Seite ihrer Glaubensbrüder gegen die Christen, also gegen
Serben und Kroaten, gekämpft. Ebenso wie in den achtziger Jahren in
Afghanistan schloß die US-Administration einen Pakt mit dem Teufel:
Unter Bruch des UN-Waffenembargos versorgte sie die Gotteskrieger mit
modernsten Waffen.

Osama bin Laden hat von der pro-westlichen Regierung in Sarajevo einen
Paß bekommen, Hunderte seiner Getreuen haben sich dauerhaft in Bosnien
und Albanien niedergelassen. Von dort wurden sie von US-Agenten in das
Kosovo und nach Mazedonien geschleust, andere steuerten Wien und
Hamburg an – und bereiteten dort das Inferno des 11. September vor.

Das Buch ist Ergebnis einer mehrjährigen Recherche und stützt sich
neben englischsprachigen, französischen und serbokroatischen Quellen
auch auf Gespräche mit Geheimdienstexperten und Mitgliedern der
UN-Mission in Bosnien und auf zahlreiche Besuche vor Ort.

„Wenn Europa seine Haltung nicht ändert, werden wir Maßnahmen ergreifen
und terroristische Aktionen auf europäischem Territorium entfesseln.
Viele europäische Hauptstädte werden in Flammen stehen.“( Sefer
Halilovic, Oberbefehlshaber der bosnisch-muslimischen Armee , im Jahre
1993)

"Auch wenn die westlichen Geheimdienste die Tätigkeit der Mudjahedin in
Bosnien nie einen Djihad der al Qaida nannten, ist inzwischen klar, daß
es sich genau darum handelte." (Richard A. Clarke, Antiterrorchef der
US-Präsidenten Reagan, Bush sr., Clinton und Bush jr., im Jahre 2004)

Zum Inhalt des Buches

Das "afghanische" Bündnis zwischen den USA und den Mudschahedin erlebte
auf dem Balkan eine Neuauflage, und so war es kein Wunder, dass die
wichtigsten Verdächtigen des 11. September dort ihre Feuertaufe
erfuhren (Kapitel 1). Besonders Bosnien-Herzegowina bot für den Aufbau
einer Dschihad-Front aufgrund seiner Geschichte günstige
Voraussetzungen (Kapitel 2). Nur durch westliche Einflussnahme konnte
es aber gelingen, zu Beginn der neunziger Jahre die dort vorherrschende
gemäßigte Strömung der Muslime auszuschalten und die Förderer des
Heiligen Krieges an die Macht zu bringen (Kapitel 3). Dabei spielte
Wien als Schaltstelle des Waffenschmuggels zunächst die zentrale Rolle,
dort erhielt Bin Laden 1993 auch einen bosnischen Pass (Kapitel 4). Mit
Geldern und Kämpfern aus dem islamischen Welt wurde die
bosnisch-muslimische Armee aufgebaut, Bin Laden war deswegen persönlich
im Präsidentenpalast in Sarajevo (Kapitel 5). Vor allem die
ausländischen Dschihadisten verübten im Verlaufe der dreijährigen
Kämpfe (1992 – 1995) schreckliche Greueltaten, und auch einige der den
Serben zugeschriebenen Massaker könnten auf ihr Konto gehen (Kapitel
6). Doch der Kampfwert der Gotteskrieger war zunächst gering, und das
änderte sich erst, als William ("Bill") Clinton 1993 US-Präsident wurde
und im Zusammenspiel mit dem Erzfeind Iran deren Aufrüstung
organisierte (Kapitel 7). Mit harten Bandagen brachte der
US-Geheimdienst UN-Blauhelme, die diesen Bruch des internationalen
Waffenembargos kritisierten, zum Schweigen (Kapitel 8). Die vermutlich
wichtigste Rolle bei diesem Bosnia-Gate spielte die
Pentagon-Vertragsfirma MPRI (Kapitel 9), die nach dem Friedenschluß von
Dayton (1995) auch die Kontrolle über die bosnische Armee übernahm
(Kapitel 10). Statt dort, wie es die offiziellen Washingtoner Legenden
wollen, die Gotteskrieger auszuschalten, übernahm MPRI die fähigsten
Kämpfer, bildete sie in dem mittlerweile ebenfalls von Bin
Laden-Vertrauten durchsetzen Albanien aus (Kapitel 11 und 12) und
schickte sie zur Unterstützung der albanischen Terrorbewegung UCK ins
Kosovo und nach Mazedonien (Kapitel 13).

Ein Großteil dieser Aktivitäten wurde aus einem saudisch-amerikanischen
Spendensumpf angeblich humanitärer Organisationen finanziert, in dem
Bin Laden nur eine untergeordnete Rolle spielte (Kapitel 14). Ganz
generell stellt sich die Frage, ob Al Qaida nicht eher ein
Propagandabegriff der US-Außenpolitik als eine real existierende
Organisation ist, zumal bei vielen Topterroristen der Verdacht besteht,
dass sie auch für westliche Dienste arbeiten (Kapitel 17). Dies trifft
auch auf die Hauptverdächtigen des 11. September zu (Kapitel 18),
insbesonders auf die beiden angeblichen Masterminds der Anschläge
(Kapitel 19).

In jedem Fall hat sich dank westlicher Protektion in
Bosnien-Herzegowina ein terroristischer Brückenkopf gebildet, der
sowohl für die weitere Entwicklung des Landes (Kapitel 15), als auch
für die Sicherheit in Europa insgesamt ein erhebliches
Bedrohungspotential darstellt (Kapitel 16). Schon seit geraumer Zeit
gibt es darüber hinaus eine erhebliche Wanderungsbewegung von
Dschihad-Kämpfern zwischen dem Balkan und Tschetschenien (Kapitel 20).
Dies wird aber im Westen nicht als Gefahr gesehen, da die US-Öllobby
längst die russischen Energiereserven im Auge hat (Nachwort).

Kontakt zum Autor: info @juergen-elsaesser .de


=== 3 ===

Von Pogrom zu Pogrom

Der albanische Amok im März 2004 und der Wahlboykott der Kosovo-Serben
im Oktober 2004 hat den Westen nicht zur Vernunft gebracht  

„Der Fortschritt überall in der Provinz ist offensichtlich.“ (EU-Außen-
und Sicherheitspolitik-Koordinator Javier Solana Ende Februar 2004)

"Die KFOR hat es gut gemacht" (NATO-Generalsekretär Joop de Scheffer
über das Verhalten der sogenannten Schutztruppe bei den März-Pogromen)


Am 17. und 18. März 2004 kam es im Kosovo zu einem regelrechten Pogrom
gegen die Serben und andere Nicht-Albaner, zum schlimmsten
Gewaltausbruch seit dem Sommer 1999. Dabei wurden 19 Menschen getötet
(zunächst war sogar die Zahl 31 genannt worden), über 30 serbische
Klöstern und Kirchen gebrandschatzt, 500 serbische Häusern zerstört und
4 500 Nicht-Albanern vertrieben. Immerhin fand Bernhard Gertz, Sprecher
des Bundeswehrverbandes, klare Worte: »Die Unruhen wurden
generalstabsmäßig geplant und durchgeführt. Es muß also einen breiten
Kreis von Mitwissern gegeben haben ... Wer häufiger dort im Einsatz
war, sieht doch, daß sich nichts verbessert hat und das Land zur
Zentrale der organisierten Kriminalität in Europa geworden ist.«

Genauere Informationen über die "generalstabsmäßige" Vorbereitungen
kann man einem Bericht des Belgrader Verteidigungsministeriums
entnehmen, der am 25. März in der Armeezeitung Vojska veröffentlicht
worden ist. Darin heißt es: "Personen aus der kosovo-albanischen
Führung initiierten die Vorbereitung, Planung und Durchführung des
Pogroms, um das Kosovo von seiner verbliebenen nicht-albanischen
Bevölkerung zu säubern und so die demographischen Tatsachen in Kosovo
und Metohijen so zu verändern, daß die Unabhängigkeit eines
monoethnischen Kosovo durchsetzbar wird. Unsere Analyse der Ereignisse
... steht in direktem Widerspruch zu öffentlichen Stellungnahmen der
Kosovo-Albaner: Das Kosovo-Parlament deklarierte am 25. März 2004, daß
die Ereignisse ... nichts anderes als ein 'legitimer Protest' gewesen
seien, der irgendwie 'in Gewalttätigkeit umgeschlagen' war. Das
Parlament ... machte die Kosovo-Serben für die Gewalt verantwortlich.

Wir wissen, wer diese Personen sind. Zum Beispiel haben wir in
Erfahrung gebracht, daß vor einigen Wochen ein Treffen abgehalten
worden ist, auf dem Vertreter der drei wichtigsten Kosovo-albanischen
Parteien und ... der Übergangsverwaltung den aktuellen Stand der
Unabhängigkeitsbestrebungen diskutierten. Eine Fraktion, geführt von
Hashim Thaci (Parlamentsabgeordneter, Führer der Demokratischen Partei
PDK und früherer politischer Direktor der UCK ...) und Ramush Haradinaj
(ebenfalls Parlamentarier, Führer der Zukunftallianz-Partei AAK und
früherer Feldkommandant der UCK ...) beschuldigten Ibrahim Rugova, den
Präsidenten des Kosovo und Führer der Demokratischen Liga LDK, ... und
forderten von ihm, sofort die Unabhängigkeit des Kosovo zu erklären.
Rugova weigerte sich aus taktischen Gründen. Daraufhin drohten Thaci
und Haradinaj damit, ihre Anhänger zu mobilisieren und im Kosovo 'Feuer
zu legen'.

Im weiteren trafen sich Thaci und Haradinaj mit den Anführern der
Albanischen Nationalarmee (ANA – Nachfolgeorganisation der UCK, Anm.
jW) ... Auf diesem Treffen kamen sie zu dem Entschluß, daß die Zeit
reif sei für die Austreibung aller Serben. Man präsentierte einen
detaillierten Aktionsplan (der Anfang März in der PDK-Parteizentrale
entstanden war) und ernannte Haradinaj zum Operationsleiter.

Die Koordinierung des Pogroms fand im Krisenzentrum des
Kosovo-Schutzkorps (KPC) statt, das von Jusuf Kelmendi geführt wird.
Das KPC wurde großteils aus früheren UCK-Kämpfern gebildet. Es wird
von Agim Ceku geführt, einem früheren kroatischen Offizier, der im
August 1995 ... bei der Vertreibung von 300 000 Serben (aus der
Krajina, vgl. Seite xy) mitmachte. Er war auch Generalstabschef der
UCK. Auch einige Mitglieder der Kosovo-Schutzpolizei (KPF) nahmen an
den Gewalttätigkeiten teil, einer mehrheitlich albanischen ....
Zivilpolizei .... Die Angriffe in Kosovska Mitrovica wurden vom
Komandanten des 5. Verteidigungskorps des KPC geführt, Rahman Rama,
einem früheren Kommandeur im 4. Operationsgebiet der UCK. Insgesamt
waren 60 000 Kosovo-Albaner ... an den viertägigen Gewalttätigkeiten
beteiligt."

Die Hasen vom Amselfeld

Während Gertz sich noch wundert, daß »unsere Nachrichtendienste nichts
davon gewußt haben«, gibt es mittlerweile zahlreiche Hinweise, daß die
NATO-geführte Kosovo-Besatzungsmacht KFOR und ganz besonders die
Bundeswehr absichtlich weggeschaut haben, als die Pogrome vorbereitet
und durchgeführt wurden.

In der Krisenprovinz waren Mitte März etwa 18 000 KFOR-Soldaten
stationiert. Der deutsche General Holger Kammerhoff war der Kommandeur
der internationalen Truppe, in dem die Bundeswehr mit 3 900 Soldaten
das größte Kontingent stellt. Trotz dieser starken Präsenz gelang es
nicht, den Amoklauf zu verhindern. Beispiel Prizren, wo die deutsche
Kommandantur ihren Sitz hat: Dort lebten bis zum Abzug der
jugoslawischen Armee am 10. Juni 1999 etwa 10 000 Serben. Gerade 100
hatten bis zu den Pogromen vor sechs Wochen ausgeharrt. Als der
albanische Mob am 17. März auf ihr Viertel vorrückte, gingen die
deutschen Soldaten stiften. "Das Erscheinen eines einzigen Panzers am
Schauplatz des Geschehens hätte, so ein Vertreter der Vereinten
Nationen (Unmik), genügt, und die Demonstranten wären verschwunden.
Aber kein Panzer kam", berichtete die FAZ vom Geschen an diesem Tag.
Noch härter ging der Spiegel mit der deutschen KFOR ins Gericht. »Nicht
nur Serben, sondern auch UNO-Beamte, Soldaten anderer
Truppenkontingente, albanische Menschenrechtler und unabhängige
Journalisten werfen der Bundeswehr Versagen, ja Feigheit vor. In der
Bekämpfung der Ausschreitungen habe sie eine klägliche, wenn nicht die
blamabelste Rolle gespielt«, faßte das Nachrichtenmagazin unter der
Überschrift "Die Hasen vom Amselfeld" zusammen.

Dieses Urteil wird auch durch den Fakt gestützt, daß die Bundeswehr in
diesen Tagen keinen einzigen Verwundeten zu beklagen hatte. Aus den
übrigen KFOR-Kontingenten mußten sich dagegen nach den Unruhen 188
Soldaten einer ambulanten oder stationären Behandlung unterziehen. Vor
diesem Hintergrund erhebt die serbisch-orthodoxe Diözese Raska-Prizren
schwere Vorwürfe. Die deutschen Truppen hätten zugelassen, »daß das
gesamte verbliebene christlich-orthodoxe Erbe in einer Nacht
verschwand«. Und weiter: »Was die Albaner in der Zeit von
Nazi-Deutschland nicht geschafft haben, das haben sie unter den
deutschen Truppen der sogenannten Friedensmission getan.« Bischof
Artemije äußerte kategorisch: Der Einsatz der deutschen Truppen war
»ein Fehlschlag, sie sollten abziehen«.

Gegen solche Kritik wurde die Bundeswehr von der deutschen Regierung in
Schutz genommen. Verteidigungsminister Peter Struck lobte das
»umsichtige Verhalten« der Truppe bei den März-Pogromen: »Sie haben
besonnen reagiert, eine Eskalation verhindert und so Menschenleben
geschützt.« Außenminister Joseph Fischer sekundierte: »Unsere Soldaten
haben unter erheblichem Risiko und unter enormem Druck Großes
geleistet.«

Bis zum Sommer 2004 wurde von Minister Struck darauf verwiesen, daß im
deutschen Sektor im März immerhin "kein einziger Serbe" ermordet
worden sei. Daraufhin konfrontierte die FAZ das
Verteidigungsministerium Ende August mit den Angaben der UNMIK, wonach
in Prizren am 17. März ein gewisser Dragan Nedeljkovic in einem
orthodoxern Priesterseminar mit Brandbeschleuniger übergossen und
verbrannt worden ist. Die Bundeswehr versuchte ihre – wissentliche? –
Falschbehauptung mit dem Argument zu retten, das Priesterseminar sei
nicht als Kulturgut eingestuft worden, und nur als solches hätte es
ihrem Schutz unterstanden. "Mit seiner Stellungnahme widersprach das
Ministerium allen bisher gängigen Definitionen von Verantwortung im
Kosovo sowohl in Bezug auf Karten und schriftlichen Erläuterungen der
NATO", kommentierte das Blatt. Den gelynchten Serben verhöhnte das
Ministerium noch mit dem Hinweis, der Mann sei "als Alkoholiker
bekannt" gewesen.

General Kammerhoff hat anläßlich seiner Verabschiedung aus dem Amt als
KFOR-Oberkommandeur Ende August erneut von einem "Erfolg" seiner
Mission gesprochen, und dies ist auch weiterhin die öffentliche
Sprachregelung der Bundesregierung. Gleichzeitig wollte Kammerhoff aber
"den Exodus der noch etwa 95 000 Serben", die im Kosovo verblieben
sind, "nicht ausschließen", bekannte er gegenüber der FAZ.

BND-Mann zettelte die Pogrome an

Ging es nur um Feigheit und Fahrlässigkeit gegenüber den
UCK-Terroristen, oder muß man der deutschen Politik noch Schlimmeres
vorwerfen? Mitte November 2004 wurde bekannt, daß ein bezahlter Agent
des Bundesnachrichtendienstes (BND) einer der Hauptorganisatoren der
März-Pogrome gewesen ist. Der sich dessen vor deutschen Fernsehkameras
selbst bezichtigte war ein gewisser Samedin Xhezairi, in der UCK unter
dem Kriegnamen Kommandant Hodza bekannt. Der Mann lebte und arbeitete
jahrelang als Medizinisch-Technischer Assistant in Oesterreich und
schloss sich nach Ausbruch des bewaffneten Konflikts im Kosovo 1997/98
der albanischen Untergrundarmee an. Er kaempfte zunaechst in der 171.
UCK-Brigade gegen die Serben. Nachdem dieser Krieg mit Hilfe der NATO
1999 gewonnen war, wechselte Xhezairi ueber die Grenze und nahm im
Fruehjahr 2001 im Rahmen der 112. Brigade am UCK-Aufstand in Mazedonien
teil. Dort war er Kommandant einer Einheit aus unter anderem
auslaendischen Gotteskriegern im Raum Tetovo. Als diese Einheit im Juni
2001 von der mazedonischen Armee bei Aracinovo eingekesselt wurde,
wurde sie von der US Army ausgeflogen. Neben Xhezairi und seinen
Mudjahedin befanden sich auch 17 US-Militaerberater unter den
Geretteten.

NATO-Quellen bezeichnen Xhezairi als Bindeglied zwischen UCK und Al
Qaida. Sein Auftrag sei der Aufbau einer Hizbollah in der
Krisenprovinz. Jedenfalls soll der Albaner schon in Afghanistan und
Tschetschenien gekaempft haben, und seine Telefonnummer wurde bei einem
festgenommenen Al Qaida-Verdaechtigen gefunden.

Daneben ist Xhezairi Koordinator eines geheimen Netzes, das Angehoerige
der formell aufgeloesten UCK geknuepft haben, die heute im
Kosovo-Schutzkorps und der Kosovo-Polizei – zweier von UN und NATO
genehmigten Organisationen – ihren Dienst verrichten. Ueber dieses Netz
wurden die Pogrome im Maerz gesteuert. Xhezairi selbst befehligte den
terroristischen Mob in Prizren und Urosevac.


Kurs auf Unabhängigkeit

Statt angesichts dieser Nachrichten Selbstkritik zu üben, versuchten
Bundesregierung und Bundeswehr eine Radikalisierung ihrer
antiserbischen Politik. Bei der Debatte im Verteidigungsausschuß des
Bundestages Mitte September prallten die unterschiedlichen Positionen
aus dem Auswärtigen Amt und aus dem Verteidigungsministerium
aufeinander. Im Fischer-Ministerium verteidigt man die bisherige Linie
der UNMIK, im Kosovo zunächst grundlegende demokratische Standards zu
sichern, bevor an eine Entscheidung über den künftigen Status der
Provinz gedacht werden kann ("Standard vor Status"). Struck dagegen
sagte: ,,Man muß sich schon die Frage stellen, ob es einen Sinn macht."
In der britischen Presse wurde kommentiert, der deutsche
Verteidigungsminister messe der Verteidigung serbischer Leben keine
weitere Bedeutung bei (,,Struck says it is not worth protecting Serbs",
European Foundation Intelligence Digest).

Strucks Parteifreund, der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, vertrat
Ende August 2004 ganz explizit die Position, daß . ,,daß das Kosovo in
der Lage ist, ein eigener souveräner Staat zu sein". Auch die
SPD-Außenpolitikerin Uta Zapf schwärmte kurz darauf von der
"kosovarischen Unabhängigkeit": ,,Ein solch souveräner Staat wird dann
in die europäischen Strukturen eingegliedert werden. Und: ,,Wir"
müßten das ,,Problem Kosovo" endlich lösen, auch wenn ,,Serbien ...
ganz entschieden für einen Verbleib" seiner Südprovinz eintrete.

Auch ansonsten mehren sich die Stimmen in der deutschen Politik, die
eine Aufhebung der UN-Resolution 1244 verlangen, die bis dato die
völkerrechtliche Zugehörigkeit der Provinz zu Serbien-Montenegro
festschreibt. Der weitestgehende Vorschlag kommt von der FDP, die den
Anschluß des Kosovo an die EU fordert. Das Territorium solle »Europa«
als »Treuhandgebiet« überlassen werden, heißt es in der
Bundestagsvorlage, die der FDP-Abgeordnete Rainer Stinner Anfang April
2004 initiiert hat. »Die Souveränität des Kosovo« gehe dann »auf die EU
über«. Stinner sagte gegenüber der Redaktion des Internetportals
german-foreign-policy.com, nach dem Anschluß werde sich »ein
europäischer Leiter« der »Außen- und Verteidigungspolitik« des Kosovo
annehmen. Bereits jetzt stellt die der FDP nahestehende
Friedrich-Naumann-Stiftung mehrere »Berater« des
Kosovo-Regionalparlaments, die dort in zentralen Wirtschaftsausschüssen
tätig sind.

Auch die einflußreiche Bertelsmann-Stiftung verlangt, daß Serbien seine
südliche Provinz Kosovo endgültig abtreten soll, sieht als künftige
Mandatsmacht allerdings nicht die EU, sondern die UN. Demgegenüber
plädiert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einstweilen nur für eine
»möglichst schnelle Klärung der Statusfrage«. Der Versuch, »die
verfeindeten Ethnien der Serben und Albaner wieder zusammenzuspannen«,
sei – so der CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Glos – eine »Fiktion«:
»Multikulturelle Gesellschaften« bildeten »ein sehr schwieriges
Unterfangen, das wir in Deutschland nicht als Leitbild wählen sollten«.
Das könnte man mit gutem Willen auch als Plädoyer für eine
Kantonalisierung der Provinz werten, die den Serben im Nordkosovo
gewisse Schutz- und Autonomierechte gewährt. Einzelne CSU-Politiker
haben Sympathien für diese Lösung geäußert, die ansonsten auch von der
Belgrader Regierung favorisiert wird. Die Mehrheit der Unionsfraktion
dürfte allerdings dem antiserbischen FDP-Vorschlag zuneigen – schon
1999 waren aus der Union Überlegungen zu einer »Euroregion Kosovo«
formuliert worden.

Eine Außenseiterposition im deutschen Politikestablishment vertritt
hingegen Wolf Oschlies, bis vor zwei Jahren noch einer der wichtigsten
Balkanberater der Bundesregierung. "Holt die Serben wieder rein ins
Kosovo!" forderte er im Gespräch mit der Tageszeitung "junge Welt" und
meinte damit explizit die Rückkehr serbischer Sicherheitskräfte. Nur
diese könnten weitere albanische Gewalttaten gegen die Minderheiten
verhindern. Oschlies beruft sich bei dieser Forderung ausdrücklich auf
die UN-Resolution 1244, die Grundlage der Arbeit von UNO und KFOR in
der Provinz ist. Vor dem Hintergrund der oben geschilderten
Diskussionsstandes in den großen Parteien ist es allerdings kein
Wunder, daß ein solcher Ratgeber an den Rand gedrängt wurde. Oschlies
arbeitete viele Jahre als einer der Direktoren des Bundesinstituts für
Ostwissenschaftliche und Internationale Studien in Köln, das im Jahre
2000 der Stiftung Wissenschaft und Politik unterstellt wurde. Im Zuge
des Revirements wurden die Kompetenzen von Oschlies und anderer
Fachleute beschnitten. "Man sprach abwertend von den Balkanschlagseite
und dem Rußlandbauch, die beseitigt werden müßten", klagt Oschlies
heute im Rückblick.


Der Wahlboykott der Serben

Nach einer Untersuchung vom Herbst 2004 sind von den seit dem
NATO-Einmarsch aus dem Kosovo vertriebenen 250 000 Serben lediglich
2000 ins Kosovo zurückgekehrt, wobei ihre Zahl im Jahr 2004 mit bisher
254 einen Tiefpunkt erreicht hat. Während der März-Pogrome wurden die
wenigen vorher restaurierten serbischen Dörfer bis auf eine Ausnahme
wieder zerstört. Das danach von der UNMIK groß angekündigte Programm,
mit 3,6 Millionen Euro den Wiederaufbau abgefackelter serbischer Häuser
zu fördern, war Anfang Oktober 2004 trotz mehrfach Zusagen noch nicht
einmal angelaufen – die Kassen seien leer, behauptet UNMIK.

Vor diesem Hintergrund und den schlechten Erfahrungen mit den letzten
Provinzwahlen (vgl. S. xy) sprachen sich die übergroße Mehrheit der
serbischen Parteien für den Boykott der Kosovo-Wahlen am 23. Oktober
2004 aus. Patriarch Pavle, Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche,
sagte zur Begründung: "In welchem Staat der Erde könnte man Menschen
zur Teilnahme an Wahlen auffordern, solange ihre elementaren
Sicherheitsstandards und ihre Menschenrechte nicht garantiert sind?"
Auf Kritik aus dem Westen, nur über Teilnahme am demokratischen Prozeß
könnten die Serben ihre Rechte sichern, sagte einer der Vertriebenen
der Belgrader Tageszeitung Blic: "Wenn wir boykottieren, machen wir
doch nichts anderes als die Kosovo-Albaner zur Milosevic-Zeit. Deren
Boykott hat der Westen damals massiv unterstützt, weil er ihre
Menschenrechte bedroht sah. Warum behandelt man uns anders, wo es doch
um unsere Menschenrechte keineswegs besser steht?"

Die erdrückende Mehrheit der Serben auf dem Kosovo schloß sich dieser
Sichtweise an: Über 99 Prozent blieben dem Urnengang fern. NATO und
Europäische Union hingegen lobten die Wahlen als fair und frei – und
gaben damit zu erkennen, daß sie weitermachen wollen wie bisher.