Milosevic (deutsch)

0. DER ZAAK MILOSEVIC - Wie man für 4 CH-Franken eine DVD-Kopie
bestellen kann

1. IM ZWEIFEL GEGEN DEN ANGEKLAGTEN
Von Germinal Civikov - Aus „Freitag" v. 11.03.2005

2. Razzia gegen Rechtshilfefonds für die Verteidigung von Präsident
Slobodan Milosevic:
2A) ICDSM - Deutsche Sektion - Pressemitteilung v. 19. Juli 2005
Kontenpfändung und Wohnungsdurchsuchung: NATO will Verteidigung von
Miloševic unterbinden
2B) »Verteidigung von Milosevic soll behindert werden«. Ein Gespräch
mit Peter Betscher - Aus "Junge Welt" v. 2.9.2005

3. Parteichef im Verhör. Jugoslawien-Prozeß: Milosevic und Seselj
bringen Anklage ins Schwitzen
Von Anna Gutenberg - Aus "Junge Welt" v. 3.9.2005


### SIEHE AUCH:

Das Haager Frankenstein-Monster
19.03.2005 - Ralph Hartmann in "Ossietzky" Nr. 4/05
http://www.free-slobo.de/notes/os0504rh.pdf

Verleugnete Geschichte
19.03.2005 - Ulrich Sander in "Ossietzky" Nr. 4/05
http://www.free-slobo.de/notes/os0504us.pdf

Versuchter Ausschluß
Prozeß gegen jugoslawischen Expräsidenten Milosevic sollte ohne den
Angeklagten fortgesetzt werden. Zeuge boykottierte Vernehmung
Aus: jw 20.04.2005
http://www.free-slobo.de/news/jw050420.htm

Milosevic-Zeuge abgeurteilt
Serbe wurde bestraft, weil er in Abwesenheit des Angeklagten nicht
aussagen wollte
Aus: jw 17.05.2005
http://www.free-slobo.de/news/jw050517.htm

Paddy Ashdowns Feldstecher: Schwarzer Tag für Ankläger und Aufklärer
Geoffrey Nice
Aus: FreiTag 29.07.2005 - Germinal Civikov
http://www.freitag.de/2005/30/05300801.php
http://www.free-slobo.de/notes/050729gc.pdf


=== 0 ===

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Kaspar Trümpy
Gesendet: Mittwoch, 14. September 2005 21:33
An: Wolfgang Schulz
Betreff: De Zaak Milosevic

Am 20. Juni 2004 wurde im holländischen Fernsehsender VPRO in der
Reihe "Tegenlicht" der Film "de Zaak Milosevic" gezeigt. Der sehr
interessante Film wurde ausserhalb von Holland nirgendwo gezeigt. Ca.
20% werden in deutsch, 20% holländisch, 30% englisch und 30% in
serbokroatisch gesprochen (holländ. Untertitel).

Der Film von Jos de Putter und Germinal Civikov umspannt den Zeitraum
von der Entführung von Präsident Milosevic bis zum Ende der
Anklagezeit. Der erste Teil enthält Stellungnahmen von Mira Beham
(Autorin des Buches: Kriegstrommeln) und Ljiliana Smikovic
(Journalistin der Zeitschrift NIN), beides Prozessbeobachterinnen,
über die Natur des Tribunals. Anschliessend werden James Harff (Chef
der amerikanischen Public Relation Firma Ruder Finn), George Keeney,
von 1988 bis 1992 im US-Außenministerium tätig, interviewt über die
Umtriebe der Medien in Jugoslawien und somit auch auf Material das die
Anklage verwendet.. Thomas Deichmann (Redakteur von NOVO) erläutert
wie er hinter die Fälschungen der "KZ-Bilder" von Penny Marshai]
gekommen ist.

Captain Dragan (Zeuge der Anklage, Kommandeur serbischer Freischärler
in der Krajina) erläutert wie im Straffreiheit zugesichert wurde, wenn
er gegen Milosevic aussagt. Der Rest des Films sind Auszüge aus den
Aussagen vor Radomir Markvic (ehemaliger Geheimdienstchef unter
Milosevic), Präsident Lilie (serbischer Präsident unter der DOS), Lord
Qwen (englischer Verhandlungsführer in Jugoslawien), sowie weiterer
Zeugen, die von Milosevic der Lüge überführt werden. Der Film
schliesst mit einem überraschenden Plädoyer für das alte Jugoslawien,
indem Branko Rakic (ein Rechtsanwalt aus dem Rechtshilfeteam) eine
Anekdote aus dem Gefängnis in Scheveningen erzählt.

Für 4 Franken (Postmarken) kann eine DVD-Kopie bestellt werden bei:

K.Trümpy, Amanz Gressly Str. 19, 4500 Solothurn


=== 1 ===

http://www.free-slobo.de/notes/fr050311.pdf
http://www.freitag.de/2005/10/05100801.php

Aus „Freitag" v. 11.03.2005

Bericht aus Den Haag

IM ZWEIFEL GEGEN DEN ANGEKLAGTEN

Von Germinal Civikov


Die Verteidigung hat erst 20 ihrer 118 Zeugen aufgerufen - das Gericht
und die Anklagevertretung sprechen schon jetzt von Zeitverschwendung

Die dreimonatige Bombardierung Jugoslawiens im Frühjahr 1999 könnte
doch noch eine strafrechtliche Relevanz im Prozess des Jahrhunderts
gegen Slobodan Milosevic erlangen. Sollte nämlich der Angeklagte
beweisen können, dass die NATO-Angriffe auf die Provinz Kosovo die
Massenflucht der Kosovo-Albaner entscheidend verursacht haben, wäre
das für seine Verteidigung wichtig, meint Patrick Robinson, der
Vorsitzende Richter des Haager Tribunals, am 24. Februar 2005. Die
strafrechtliche Relevanz ergebe sich daraus, dass von der Anklage die
Flucht der Albaner als Folge ihrer gewaltsamen Vertreibung durch die
serbischen Armee gesehen werde.

Auch in einer anderer Hinsicht könnten die Operationen der NATO für
den Prozess Bedeutung haben, glaubt der Richter. Milosevic habe
erwähnt, dass "manche Einsätze der serbischen Armee als Reaktion auf
die NATO-Angriffe" hätten erfolgen müssen, das hieße, diese Handlungen
ließen sich im Sinne legitimer Selbstverteidigung rechtfertigen.
Dennoch, der Angeklagte möge daran denken, es stehe hier nicht die
NATO vor Gericht. Alle Versuche, die NATO anzuklagen, seien einfach
Zeitverschwendung. Manche Beobachter sprechen nach dieser Erklärung
des Richters von einem "Tabubruch", denn üblicherweise wird dem
Angeklagten das Mikrophon sofort abgeschaltet, sobald er das Thema
"Die NATO und der Kosovo-Krieg" berührt.

Kann es sein, dass der Zeuge Vukasin Andric das Gericht zu dieser
jähen Lockerung der Regeln bewogen hat? Der Arzt, im Frühjahr 1999
Staatssekretär für Gesundheitswesen im Kosovo, hat erschütternde
Video-Dokumente vorgeführt, die beweisen sollen, dass die intensive
Bombardierung der Provinz Hauptursache für die Massenflucht war - und
zwar nicht nur der Albaner, sondern aller Bevölkerungsgruppen.

Ein semantischer Trick

Seit November 2004 hat Slobodan Milosevic in bisher 30
Verhandlungstagen etwa 20 Zeugen präsentiert, um vom Gericht immer
wieder hören zu müssen, der betreffende Zeuge sei irrelevant, dessen
Befragung nur Zeitverschwendung.
Mehrere Zeugen äußerten sich etwa zu der Frage, ob es sich bei den
Entwicklungen 1990/91 um eine Desintegration Jugoslawiens oder nicht
vielmehr um eine gewaltsame und illegale Sezession handelte, die von
einigen westlichen Ländern unterstützt wurde. Dieses Thema finden die
Richter ebenso irrelevant wie die Frage, ob die ersten Schießereien
damals auf das Konto der sezessionistischen Kräfte gingen, weil diese
vorsätzlich einen Bürgerkrieg provozieren wollten.

Am 14. Februar wird dies alles dem britischen Richter Ian Bonomy
zuviel. Es bereite ihm große Sorgen, wie der Angeklagte mit seiner
Zeit umgehe. Es sei doch schließlich egal, wer begonnen habe, das
führe an den Fragen vorbei, mit denen man sich hier beschäftige. Und
der Vorsitzende Richter, Patrick Robinson, sekundiert: Milosevic drehe
sich im Kreis und verschwende nicht nur seine Zeit, sondern auch die
des Tribunals.

Vor einem halben Jahr noch hatte der gleiche Richter erklärt,
Milosevic sei aus Gesundheitsgründen nicht in der Lage, sich selbst zu
verteidigen, er müsse daher die ihm vom Gericht zugeordneten
Pflichtverteidiger akzeptieren.
Eine Maßnahme, die bald darauf vom Appellationsgericht revidiert
werden muss. Nun lautet die Botschaft des Vorsitzenden Richters,
Milosevic sei unfähig und verstehe es nicht, sich selbst zu
verteidigen. Dieser Vorwurf ist besonders dann beliebt, wird das Thema
"Groß-Serbien" berührt.

Die Anklage hatte vor Monaten mit ihren Zeugen eine ganze Phalanx von
Politikern und Sachverständigen auftreten lassen, die dem Angeklagten
eine serbisch-nationalistische beziehungsweise groß-serbische
Gesinnung nachsagten und "Groß-Serbien" als das entscheidende Ziel
seiner Politik bezeichneten. Allerdings sahen sich alle außerstande,
auch nur eine groß-serbische Verlautbarung des Angeklagten zu
zitieren, geschweige denn eine solche Ausrichtung seiner Politik mit
Dokumenten zu belegen. Ungeachtet dessen gehörte "das Streben nach
Groß-Serbien" als strategisches Motiv des Angeklagten weiterhin zum
Kern der Anklage - bis zum 15. Dezember 2004.

An diesem Tag erklärt Ankläger Geoffrey Nice völlig überraschend, er
wolle vom Ausdruck "Groß-Serbien" Abstand nehmen, zumal ihn der
Angeklagte so auch nicht verwendet habe. Nice hat offenbar begriffen,
was die Zeugen der Verteidigung während der vergangenen Wochen in
ihrer "Zeitverschwendung" mit diesem Punkt der Anklage angerichtet
haben. Ob er denn meine, dies sei kein wichtiger Punkt der Anklage
mehr, fragt Richter Robinson vorsichtig, der freilich weiß, was alles
mit der Antwort auf diese Frage zusammenhängt. Auch der Angeklagte
Milosevic weiß es: "Mister Robinson", sagt er, "bitte denken Sie
daran, dass eines der wichtigsten Argumente dieser verlogenen Anklage
lautet: kriminelle Vereinigung zur Erschaffung von Groß-Serbien. Diese
Absurdität muss geklärt und entlarvt werden."

Also wird ein semantischer Trick bemüht: "Not at all", antwortet
Ankläger Nice auf die Frage des Richters, man bleibe dabei, nur werde
man statt des Begriffs "Groß-Serbien" nun den Ausdruck "alle Serben in
einem Staat" verwenden. Mit anderen Worten, wenn Milosevic schon kein
"Groß-Serbien" als politisches Ziel nachgewiesen werden kann, ersetzt
man es durch den Vorwurf, er habe "alle Serben in einem Staat" sehen
wollen, was das auch immer bedeuten mag. Diese Formulierung lässt sich
im Vokabular des Angeklagten nachweisen. Nur meinte er mit diesem
Staat immer eindeutig Jugoslawien. Da lebten "alle Serben in einem Staat".

Beweisstück Nr. 786

Am 17. November 2004 erklärt der Philosophieprofessor Mihajlo Markovic
dem Gericht das Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaft
und der Künste von 1986, dessen Mitautor er war. Ankläger Nice
bewertet dieses Dokument als "Paukenschlag" des großserbischen
Nationalismus und behauptet, Milosevic habe es für seine Zwecke
instrumentalisiert. Ob dem Zeugen die Zeitschrift Epoha vertraut sei,
will Nice im Kreuzverhör wissen. Der Zeuge ist sich nicht ganz sicher,
er könne sich vage an ein Blatt Epoha erinnern, das irgendwann die
Sozialistische Partei Serbiens herausgegeben habe. Die Partei des
Angeklagten, nicht wahr?, bohrt Nice und überreicht dem betagten
Professor zwei Blätter: Sorry, es gebe leider nur diese Kopien. Sie
seien aus der Nummer vom 22. Oktober 1991, der Zeuge solle sich bitte
die Landkarte auf dem zweiten Blatt genau ansehen. Das sei doch die
Linie Virovitica-Karlobag, nicht wahr? Und das sei doch die Karte
Großserbiens?
Und der Titel! Was sage der Zeuge zum Titel? Der lautet: Wie wollen
wir die neuen Grenzen ziehen? Wünschenswerte Möglichkeiten
territorialer Demarkation zwischen Jugoslawien und Kroatien.

Finde der Zeuge nicht, dass hier, im Parteiblatt des Angeklagten, der
Anspruch auf Großserbien erhoben werde? Kann der Zeuge bestätigen,
dass dieser Plan und diese Grenzen in der Partei des Angeklagten
Unterstützung fanden? - Der Professor sieht ratlos auf die beiden
Blätter, hat er doch zuvor als Zeuge der Verteidigung zu belegen
versucht, dass ein Großserbien nie zu den Wertvorstellungen des
Angeklagten und seiner Partei gehört habe.

Nun meldet sich auch der Angeklagte. Es handle sich um ein
Missverständnis, sagt er. Serbische Zeitschriften hätten zu diesem
Zeitpunkt alle möglichen Landkarten gebracht. Überall seien Artikel
über Jugoslawien und auch Landkarten gedruckt worden. Ankläger Nice
lächelt zufrieden und lässt die zwei Blätter als Beweisstück
aufnehmen. Sie sind fortan "Beweisstück Nr. 786".

Wenig später allerdings, an besagtem 15. Dezember 2004, erklärt der
Historiker Cedomir Popov als Zeuge der Verteidigung, dass
"Groß-Serbien" ein im 19. Jahrhundert vom Habsburger Reich
inszenierter Mythos gewesen sei. Man habe ihn geschaffen, um den
eigenen territorialen Expansionsdrang zu verschleiern.

Ob sich der Zeuge "Beweisstück Nr. 786" ansehen wolle, es komme aus
der Zeitschrift Epoha, fragt Geoffrey Nice. Eine Publikation der
Partei des Angeklagten, nicht wahr? Der Professor möge sich die
Landkarte ansehen. Die Linie Karlobag-Karlovac-Virovitica, nicht
wahr!? Das sei doch Großserbien! Und der Titel: Wie wollen wir - bitte
schön, er wiederholt: wir - wie wollen wir die neuen Grenzen ziehen?
Das sei doch ein Aufruf zu Groß-Serbien.

Der Zeuge will das nicht bestätigen, diese Zeitschrift sei kein Blatt
der Sozialistischen Partei gewesen. Außerdem besage diese Karte noch
gar nichts, man habe sich damals alle möglichen Karten um die Ohren
geschlagen.

Der Zeuge solle antworten, ob dieses Dokument einen Anspruch auf
Groß-Serbien beinhalte, verlangt nun auch Richter Robinson streng. Ob
er auch etwas sagen dürfe, meldet sich der Angeklagte. Es sei
schließlich egal, wer Epoha herausgegeben habe. Wichtig sei, was im
Artikel konkret gesagt werde. Und das wolle er nun vorlesen. Der
Angeklagte holt eine Zeitschrift aus seiner Mappe, der Autor des
bewussten Artikels lehne nämlich diese großserbischen Grenzen ab, sagt
der Angeklagte. Anderthalb Millionen Kroaten würden dann Serbien
angehören, und das brauche Serbien nicht. Man müsse den Text lesen und
nicht nur auf den Titel und die Karte starren, doziert der Angeklagte
weiter.

Ob es sich um "Beweisstück Nr. 786" handle, will Richter Robinson
wissen. Der Angeklagte bestätigt, es handle sich genau um dieses
Beweisstück, um die Zeitschrift Epoha vom 22. Oktober 1991. Ferner
stehe in besagtem Artikel, junge Serben sollten im Geist der Toleranz
und Gleichberechtigung erzogen werden. Man müsse jeden Nationalismus
bekämpfen, in die Zukunft schauen und so weiter. Milosevic hebt die
Zeitschrift hoch und fährt fort: Es sei hier eine Karte abgebildet,
die im Text verworfen werde. Der Ankläger präsentiere diese Karte nun
schon zum dritten Mal so, als werde sie im Text verherrlicht, das sei
doch die reinste Manipulation.

Jetzt ist der Vorsitzende Richter richtig böse. Allerdings nicht auf
den Ankläger, sondern auf den Angeklagten. Es sei absolut
unakzeptabel, dem Ankläger vorzuwerfen, er habe etwas zur Manipulation
präsentiert. Der Angeklagte sei mehrfach vor solchen Ausdrücken
gewarnt worden, fügt Robinson verärgert hinzu und kann nicht
verhehlen, wie ungehalten er darüber ist, dass der Angeklagte die
Manipulation des Anklägers hat auffliegen lassen.

Briefträger bei der UNO

Am 16. Februar ruft der Angeklagte den Zeugen Vladislav Jovanovic zur
Befragung, um einige Dokumente über die Opfer der NATO-Luftschläge von
1999 als Beweisstück aufnehmen zu lassen. Der Zeuge sei zu dieser Zeit
Botschafter Jugoslawiens bei den Vereinten Nationen gewesen und habe
diese Papiere seiner Regierung in Empfang genommen, um sie den
Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats zu überreichen. Es ist die übliche
Prozedur zur Annahme von Beweisstücken. Doch Richter Bonomy ist nicht
einverstanden: Der Zeuge habe mit diesen Dokumenten nichts zu tun, er
sei doch nur ein "Briefträger bei der UNO" gewesen. Nicht wahr, Mister
Jovanovic?

Vladislav Jovanovic, der ehemalige Außenminister Jugoslawiens, nimmt
es gelassen, schließlich ist er 40 Jahre lang Berufsdiplomat gewesen.
Nein, er finde nicht, dass er Briefträger war. Er sei Botschafter
eines souveränen Staates gewesen und habe die betreffenden Dokumente
seinen Kollegen im Sicherheitsrat auch erläutern müssen. Ein
Botschafter-Briefträger also, setzt Richter Robinson erheitert noch
eins drauf - und alle lachen herzlich.

Die gelöste Stimmung vergeht allerdings, als der Angeklagte erklärt,
er werde dann wohl jedes Dokument einzeln als Beweisstück aufnehmen
und den Verfasser eines jeden Dokuments - ob Untersuchungsrichter,
Polizist oder Gerichtsmediziner - als Zeuge kommen lassen. Es handle
sich um etwa 1.000 Dokumente, das werde Zeit in Anspruch nehmen. Denn
offenbar seien vor diesem Gericht die Formalitäten wichtig, nicht aber
die Wahrheit über die Kriegsverbrechen der NATO.

Das hätte er nicht sagen sollen. Hier stehe nicht die internationale
Gemeinschaft vor Gericht, widerspricht scharf Ankläger Nice. Auch
Richter Robinson wird es zuviel. Dieses blödsinnige Gehabe des
Angeklagten, sagt er, lasse er sich nicht weiter gefallen. Milosevic
benehme sich wie ein verwöhntes Kind, unzumutbar für ein Forum wie
dieses, sagt Richter Bonomy.
Ankläger Nice hat einen Vorschlag: da es dem Angeklagten egal sei, ob
seine Missachtung des Gerichts Folgen habe, sollte ihm das Gericht die
Zeit kürzen, die ihm zur Verteidigung zustehe. Auch die Richter sind
tief besorgt, wie der Angeklagte seine Zeit nutzt, man werde bald zu
einer Entscheidung kommen, verkündet feierlich Patrick Robinson.

Es hat gerade erst der 20. Zeuge der Verteidigung ausgesagt, und die
Nerven liegen blank. Wie soll es beim 118. werden?


=== 2 ===

2.A

http://www.free-slobo.de/pm/05071901.htm

Internationales Komitee für die Verteidigung von Slobodan Miloševic -
Deutsche Sektion

Pressemitteilung v. 19. Juli 2005

Kontenpfändung und Wohnungsdurchsuchung:
NATO will Verteidigung von Miloševic unterbinden

Am Morgen des Dienstag, 19.07.05, verschafften sich "Zollfahnder"
Zutritt zur Wohnung von Peter Betscher in Darmstadt, der zwar keinen
Šlivovic geschmuggelt hat, aber namens der Vereinigung für
Internationale Solidarität (VIS) Spenden für den Rechtshilfefonds für
Slobodan Miloševic sammelt.

Sie waren im Besitz eines Durchsuchungsbeschlusses, der von einem
Richter Eckhard beim Amtsgericht Darmstadt, einem bekannten
Unterschriftsteller, unterfertigt war.

Die Leitung des Überfalls hatte eine Frau Terhorst vom
Zollfahndungsamt Essen, angestiftet von der Oberfinanzdirektion
Koblenz, und gestützt auf die "olle Kamelle" einer Verordnung der
EU-Kommission vom 19. Juni 2001, nach der »alle Gelder (...), die
Herrn Milosevic und Personen seines Umfelds gehören, einzufrieren« sind.

Die Unanwendbarkeit der Verordnung wurde schon 2003 gerichtlich
festgestellt, da es ein elementares Grundrecht sei, sich gegen
Anklagen zu verteidigen. Davon ungerührt ließ das Überfallkommando
einen PC, Datenträger und Kontoauszüge mitgehen, um Spender und
Mittelverwendung auszuforschen, das Spendenkonto pfändeten sie auch.
Die VIS hat rechtliche Schritte gegen die Willkürmaßnahmen eingeleitet.

Klaus Hartmann, Sprecher des Internationalen Komitees für die
Verteidigung von Slobodan Miloševic, zu dem jüngsten Ganovenstück:
"Die Schlapphüte von Schily und die Rechenkünstler von Eichel leisten
den NATO-Kriegern Amtshilfe, weil die Not der Haager "Ankläger" riesig
ist: noch immer stehen sie ohne Beweise da, trotz ihres Klamauks um
ein falsches Srebrenica-Video. Weder mit Bomben auf sein Schlafzimmer,
nicht mit lebensgefährdenden Medikamenten noch mit einem
Zwangsverteidiger konnten sie Miloševic zum Schweigen bringen. Jetzt
versucht man wieder, die Verteidigung finanziell lahmzulegen.

Die dringende Empfehlung der Miloševic-Verteidiger: Spenden kommen am
besten in Form von Barschecks in die bewährten Hände von Peter
Betscher, Holzhofallee 28, 64295 Darmstadt.

Kontakt: Klaus Hartmann, Schillstraße 7, D-63067 Offenbach am Main,
T/F: 069 - 83 58 50; e-mail: vorstand@... ; Internet:
www.free-slobo.de

Bericht in junge Welt vom 20. Juli 05
http://www.jungewelt.de/2005/07-20/011.php

2.B

http://www.jungewelt.de/2005/09-02/020.php

02.09.2005

Interview
Interview: Peter Wolter

»Verteidigung von Milosevic soll behindert werden«

Mit fadenscheinigen Argumenten wurde der Rechtshilfefonds für
Jugoslawiens Expräsidenten beschlagnahmt. Ein Gespräch mit Peter Betscher

* Peter Betscher ist Finanzbeauftragter der Vereinigung für
Internationale Solidarität (VIS e.V), die den Rechtshilfefonds zur
Verteidigung von Slobodan Milosevic betreut

F: Polizei und Justiz gehen immer rigider gegen linke Zeitungen,
Internetseiten und antifaschistische Initiativen vor. Kürzlich wurde
auch das Spendenkonto beschlagnahmt, das die Verteidigung des früheren
jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic vor dem
»Kriegsverbrechertribunal« in Den Haag finanzieren soll. Mit welcher
Begründung?

Die Oberfinanzdirektion Koblenz (OFD) hat nicht nur das Konto
beschlagnahmen lassen, sie erwirkte auch eine Hausdurchsuchung. Im
Durchsuchungsbeschluß wurde das mit einem Verstoß gegen das
Außenhandelswirtschaftsgesetz begründet. Aus einem Schreiben der OFD
an das Amtsgericht Darmstadt wissen wir allerdings, daß wir gegen eine
EU-Verordnung verstoßen haben sollen. Die besagt, daß es verboten ist,
Milosevic und namentlich benannten Personen seines Umfeldes Gelder zur
Verfügung zu stellen.

F: Das war jetzt die dritte Aktion gegen Ihr Spendenkonto. In den
früheren Fällen hatten sowohl das Amtsgericht Darmstadt als auch die
Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main erklärt, die EU-Verordnung
beziehe sich nicht auf Spenden für Verteidigungskosten. Muß sich nicht
auch die OFD an die Rechtslage halten?

Müßte sie, tut sie aber nicht. Sie verfolgt uns seit längerem:
Zunächst war sie daran beteiligt, daß unser Konto bei der Volksbank
Darmstadt eingefroren wurde. Nachdem wir gerichtlich interveniert
hatten, wurde es freigegeben, und wir eröffneten ein neues Konto bei
der Postbank. Das aber wurde nach kurzer Zeit aufgrund einer
Intervention der OFD wieder gekündigt. Die dritte Aktion war die
Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme der Gelder des neuen Kontos bei
einer anderen Bank. Juristisch ist das alles unhaltbar – aber ich
vermute, daß die Befehlskette von der OFD bis in die Bundesregierung
führt.

F: Rechtshilfe heißt nicht, daß Spenden für Milosevic persönlich,
sondern für seine Verteidigung gesammelt werden. Es fällt schwer, sich
auf diese OFD-Aktion einen rechtsstaatlichen Reim zu machen ...

Es wird alles versucht zu verhindern, daß sich Milosevic verteidigen
kann. Die Repressalien gingen aber noch weiter: Parallel zur damaligen
Kontoeinfrierung wurde gegen zwei Mitarbeiter unserer Vereinigung für
Internationale Solidarität (VIS) ein Strafverfahren wegen Geldwäsche
eingeleitet. Das wurde allerdings schnell wieder eingestellt.

F: Wessen Geld sollen Sie gewaschen haben?

Wissen wir nicht. Von diesen Ermittlungen und deren Einstellung hätten
wir nie erfahren, wenn unser Anwalt nicht Akteneinsicht beantragt
hätte. Ich glaube, daß hinter diesem Vorgehen die Überlegung steht,
unseren Rechtshilfefonds zumindest bis zum Frühjahr 2006 lahmzulegen.
Die Zeit bis dahin hat das Gericht für Milosevics Verteidigung
eingeplant. Ich vermute, daß es drei oder vier Monate dauern wird, bis
das von uns gegen die Beschlagnahme und die Hausdurchsuchung
angerufene Gericht eine Entscheidung fällt.

F: Warum muß die Verteidigung von Milosevic unterstützt werden? Er hat
doch bewußt auf juristischen Beistand verzichtet, weil er das Gericht
nicht anerkennt.

Es geht um sein Rechtsberaterteam: Da müssen Dokumente und Zeugen
vorbereitet werden, es fallen Reisekosten, Spesen etc. an. Auch in
anderen Ländern wird für die Verteidigung von Milosevic gesammelt –
mir ist aber kein weiterer Fall bekannt, daß Rechtshilfefonds dort
behindert worden wären. Wir appellieren gerade an Europaabgeordnete,
unseren Fall im Europäischen Parlament zur Sprache zu bringen.

F: Wenn jemand einen Beitrag dafür leisten will, daß sich Milosevic
verteidigen kann – wohin kann er jetzt seine Spenden überweisen?

Nach jedem der geschilderten Angriffe mußten wir auf ein neues Konto
ausweichen. Das jetzt aktuelle Konto ist das der
jugoslawisch-österreichischen Solidaritätsbewegung.

* Konto: Jugoslawisch-Österreichische Solidaritätsbewegung (JÖSB)
Bank Austria, IBAN: AP49 1200 0503 8030 5200; BIC: BKAUATWW


=== 3 ===

http://www.free-slobo.de/news/jw050903.htm
http://www.jungewelt.de/2005/09-03/007.php

03.09.2005

Ausland
Anna Gutenberg, Den Haag

Parteichef im Verhör

Jugoslawien-Prozeß: Milosevic und Seselj bringen Anklage ins Schwitzen

Zwei politische Kontrahenten treffen derzeit im Den Haager Tribunal zu
Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien aufeinander: Expräsident
Slobodan Milosevic befragt seit sechs Verhandlungstagen Vojislav
Seselj, Vorsitzender der serbischen Radikalen Partei. Und schon zu
Beginn wuchs die Aufregung auf seiten der Anklage, als der derzeit
ebenfalls inhaftierte Seselj eine von deren zwei Säulen bei der
Verfolgung Milosevic' ins Wanken brachte. Nein, weder Milosevic noch
dessen Sozialistische Partei hätten jemals die Errichtung eines
»Groß-Serbien« angestrebt. Mit Ausnahme des derzeitigen Außenministers
von Serbien und Montenegro, Vuk Draskovic, der das Konzept zu Beginn
des Jugoslawien-Konflikts für eine kurze Zeit unterstützte, trete bis
heute allein seine Partei für dieses Ziel ein, so Seseljs
aufsehenerregende Aussage.

Während der Befragung, die am Montag fortgesetzt werden soll, ließ
Seselj keinen Zweifel, daß Milosevic der natürliche ideologische
Hauptgegner seiner antikommunistischen, nationalistischen Partei
gewesen sei. Der Expräsident sei lange für den Erhalt Jugoslawiens
eingetreten und habe immer wieder den Kompromiß gesucht. Die Radikalen
hätten mit ihm und den Sozialisten die meiste Zeit in tiefer
politischer Feindschaft gestanden und nur punktuell kooperiert, meinte
Seselj. So habe man 1998 zugestimmt, eine Regierung der »nationalen
Einheit« zu bilden, um sich dem drohenden Angriff der NATO gemeinsam
zu widersetzen.

Der Ankläger im UN-Tribunal, Geoffrey Nice, sorgte nach Seseljs
Einlassung für Irritation, als er behauptete, Milosevic sei nicht
wegen einer »Groß-Serbien«-Politik angeklagt. Der Wiener Standard
zumindest bemerkte »ziemlich überraschte« Richter. Schließlich wird
Milosevic vorgeworfen, für alle Kriege im auseinanderbrechenden
Jugoslawien in den 1990ern verantwortlich zu sein und gemeinsam mit
anderen ein kriminelles Projekt – Joint Criminal Enterprise genannt –
der Schaffung eines »Groß-Serbien« verfolgt zu haben. Systematisch
befragte Milosevic seinen Zeugen nach den Beziehungen zu den von der
Anklage genannten Mitgliedern des angeblichen Projekts. Dabei stellte
sich heraus, daß sowohl Seselj als auch Milosevic zur Mehrheit ihrer
angeblichen Kollaborateure ein schlechtes oder gar kein Verhältnis
hatten. Deutlich wurde, daß angesichts der politischen Feindschaften
die Verfolgung eines gemeinsamen Plans kaum möglich war.

Auch Seseljs weitere Enthüllungen über die prowestlichen, mafiösen
Kräfte in Serbien, die sich am 5. Oktober 2000 »an die Macht
putschten«, erwiesen sich als spektakulär. So habe der 2003 ermordete
serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic zu Beginn der 1990er Jahre
den Kommandanten der berüchtigten illegalen paramilitärischen Einheit
»Panther«, Ljubisa »Mauzer« Savic, zu seinem politischen Kompagnon
gemacht und ihn an die Spitze der Demokratischen Partei der Serbischen
Republik in Bosnien gesetzt. Seseljs Aussagen dürften sowohl in den
Regierungs- und Mafiakreisen seines Landes als auch unter deren
westlichen Unterstützer für Unruhe sorgen.