From : "Klaus von Raussendorff"
Date : Thu, 2 Mar 2006 10:40:16 +0100
Subject : Verteidigung von Milosevic: NATO-Niederlage an der Weinstraße


Liebe Leute,

bei den geplanten Protestaktionen am 18. März 2006 gegen Krieg und
Besatzung sollte nicht vergessen werden, dass die offene und verdeckte
Beteiligung der deutschen Regierung an der Serie der
Weltherrschaftskriege der USA mit der Zerschlagung Jugoslawiens
begann. Der 18. März ist zudem der Tag des Politischen Gefangenen.
Seit vier Jahren leistet der ehemalige jugoslawische Präsident
Slobodan Milosevic der internationalen Bewegung gegen Militarismus und
Krieg einen unschätzbaren Dienst, indem er als „Angeklagter" vor dem
Den Haager Tribunal die Versuche durchkreuzt, die NATO-Verbrechen auf
dem Balkan zu vertuschen und die rassistischen anti-serbischen
Propaganda-Mythen der Aggressoren zu verewigen. Zu den jüngsten
Brutalitäten gegen die Verteidigung von Milosevic und zur Fortsetzung
der NATO-Aggression auf dem Balkan dokumentiere ich:

NATO-NIEDERLAGE AN DER WEINSTRASSE
ABER WER ZAHLT DIE REPARATIONEN?
Von Klaus Hartmann
(erscheint voraussichtlich am 4. Feb. 2006 in „junge Welt")
[ 1 ]

KLINIKVERBOT FÜR MILOSEVIC
DEN HAAGER TRIBUNAL VERWEIGERT JUGOSLAWIENS EHEMALIGEM PRÄSIDENTEN
MEDIZINISCHE BEHANDLUNG IN MOSKAU
„IGNORANZ GEGENÜBER MENSCHENRECHTEN"
Von Anna Gutenberg
Aus junge Welt v. 25./26. Feb. 2006, S. 7
[ 2 ]

NATO-POLITIK IM BELGRADER SPIEGEL
Von Ralph Hartmann, Berlin
Aus: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS,
Ausgabe
1/06 (1. Jan. 2006) S. 21-25
[ 3 ]


Mit internationalistischen Grüßen
Klaus von Raussendorff

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[ 1 ]

NATO-NIEDERLAGE AN DER WEINSTRASSE
ABER WER ZAHLT DIE REPARATIONEN?

Von Klaus Hartmann*

In aufopfernder Pflichterfüllung forschten in den vergangenen Monaten
deutsche Beamte Banken, Konten und Spender aus, um den Spendengeldern
auf die Spur zu kommen, die Slobodan Miloševic in Den Haag die
Selbstverteidigung ermöglichen. Vor jenem ad-hoc-Tribunal, das die
Zerstörer Jugoslawiens zur Vertuschung ihrer Umtriebe installiert haben.

Als verlängerter Arm der NATO müht sich die Oberfinanzdirektion
Koblenz, die Spendensammlung für die Verteidigungskosten von Slobodan
Miloševic zu sabotieren und lahmzulegen. Durch dezente Hinweise wurde
erst die Volksbank Darmstadt, dann die Postbank veranlasst,
Spendenkonten zu kündigen, in einem Fall sogar das Privatkonto einer
Mitarbeiterin des Verteidigungsteams.
Obwohl das Amtsgericht Darmstadt im Jahr 2004 urteilte, das
Spendensammeln für eine strafgerichtliche Vereidigung falle nicht
unter die EU-Verordnung, mit der die Gelder von „Miloševic und seinem
Umfeld eingefroren" werden sollten, war an ein Rückgängigmachen der
Kontenkündigung nicht zu denken.

Und trotz dieses Urteils ließen sich Del Pontes Häscher nicht von
ihrem Auftrag abbringen, die Spendensammlung zu torpedieren. Als
nächste Bank nahmen sie die Kreis- und Stadtsparkasse Darmstadt ins
Visier und beschlagnahmten im Oktober 2005 das dort eingerichtete
Konto, Beamte der Essener Zollfahndung durchsuchten auf Geheiß aus
Koblenz die Privatwohnung des Finanzbevollmächtigten Peter Betscher in
Darmstadt, wobei sie Computer, Kontounterlagen und Akten mitgehen
ließen. Zum Jahresende wurde Peter Betscher mit einem „Bußgeld" von
über 10.000 Euro bestraft, und als vorerst „letzten Streich" wurde die
Wiener Bank Austria-Creditanstalt bedroht und veranlasst, das dortige
Ersatz-Spendenkonto einzufrieren.

Gegen das Bußgeld legte Peter Betscher Rechtsmittel ein, und das
Amtsgericht in Neustadt an der Weinstraße hatte darüber am 14.02.2006
zu entscheiden. Die Koblenzer Finanz fahn-der verteidigten ihren
Bußgeld- und Einziehungsbescheid damit, dass der Beschuldigte „Konten
eingerichtet und darauf Finanzmittel zur Verteidigung von Slobodan
Miloševic gesammelt" habe, somit habe es „wissentlich und absichtlich
an Maßnahmen teilgenommen, um Gelder für Herrn Miloševic
bereitzustellen". Darin läge ein Verstoß gegen die Verordnungen (EG)
Nr. 2488/2000 vom 14. November 2000 und Nr. 1205/2001 vom 20. Juli
2001 nebst § 33 Außenwirtschaftsgesetz und § 70
Außenwirtschaftsverordnung.

Del Pontes Häscher des Rechtsbruchs überführt

Das sah nun das Amtsgericht in Neustadt völlig anders: „Entgegen der
Auffassung der Verwaltungsbehörde ist das Sammeln von Spendengeldern
zur Verteidigung von Miloševic in der von dem Betroffenen
durchgeführten Form nicht als Ordnungswidrigkeit im Sinne der oben
genannten Vorschriften anzusehen", da „über die Guthaben der
fraglichen Konten lediglich der Kontoinhaber, nicht jedoch Herr
Miloševic oder ihm nahe stehende Personen im Sinne der Verordnung
verfügen konnten."

Unter die fraglichen Verordnungen „kann jedenfalls das streng
zweckgerichtete Sammeln von Geldern zur Verteidigung des Herrn
Miloševic, die diesem selbst direkt nicht zugute kommen und auf die er
keinerlei Zugriffsmöglichkeiten hat, nicht fallen. Eine andere
Betrachtungsweise wäre auch mit dem Grundsatz eines fairen Verfahrens
(Artikel 6 Abs. 3 c Europäische Menschenrechtskonvention) nicht zu
vereinbaren".

Hieraus folgerte das Gericht messerscharf: „Der Betroffene war deshalb
aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Die Beschlagnahmung der
Guthaben auf den oben genannten Konten war aufzuheben. Die Kosten des
Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der
Staatskasse zur Last." (Az. 5131 Js 4060/06.2b OWi)

Damit wird nochmals unmissverständlich klargestellt: Die Behinderung
der Spendensammlung verstößt gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz
eines fairen Verfahrens und damit gegen die Europäische
Menschenrechtskonvention. Damit sind die Häscher Del Pontes eindeutig
als Rechtsbrecher gekennzeichnet, mitsamt ihren willigen Vollstreckern
in Koblenz und Essen, von den „Helden" in den Bankvorständen ganz zu
schweigen.


Verloren - trotz gewonnenem Prozess?

Doch bei aller Genugtuung über diesen Sieg des Rechts bleibt wie so
oft ein schaler Beigeschmack, denn für den angerichteten Schaden
kommen nicht die Rechtsbrecher auf, der bleibt am Komitee für die
Verteidigung von Slobodan Miloševic hängen. Obwohl immer nur kleine
Geldbeträge durch Einfrieren blockiert werden, viele Spender sind
durch die Schließung und den Wechsel der Bankkonten verunsichert.
Manche zweifelten an der Rechtmäßigkeit ihrer Spende, andere an der
Korrektheit der Spendenverwendung, wieder andere erhielten ihre Spende
von der Bank zurück oder fanden kein Ersatzkonto. All dies hat die
Arbeitsmöglichkeiten des Finanzbeauftragten und der Verteidigung
selbst erheblich eingeschränkt.

Ohne den Schaden genau beziffern zu können, ging das Spendenaufkommen
deutlich zurück, so dass die deutsche Mitarbeiterin im
Verteidigungsteam nur noch sporadisch in Den Haag sein konnte, was
aufgrund der ohnehin minimalen Ausstattung eine Personalreduzierung um
50% bedeutet. Damit wurde die Verteidigungsarbeit direkt behindert und
gestört.

Nach den eigenen Statuten des ad-hoc-Tribunals stellt das Agieren der
deutschen (und österreichischen) Behörden eine „Missachtung des
Gerichts" dar, und zwar nicht nur durch Worte, sondern „tätlich". In
diesem speziellen Fall scheint das „Tribunal" jedoch nach dem Motto
„eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus" verfahren zu wollen:
Aufforderungen, gegen die Behinderung der Verteidigung aktiv zu
werden, stießen bei der Verwaltung des Sondergerichts auf
demonstratives Desinteresse, die Anfrage hierzu von Rechtsanwalt
Kaleck im Januar 2006 ist bis heute unbeantwortet.

Damit wird indirekt bestätigt, was die Miloševic-Unterstützer von
Anfang an behaupteten: dass die Behinderung der Spendenaktion Teil
einer umfassenden Kampagne von Del Ponte und der hinter ihr stehenden
NATO-Kreise ist, um dem „Angeklagten" das Recht auf Selbstverteidigung
zu nehmen, ihn (zumindest) mundtot zu machen, die NATO-Version über
die Zerstörung Jugoslawiens als alleinseligmachend an die Stelle der
historischen Wahrheit zu setzen.

Neben der fortgesetzten Verweigerung ärztlich empfohlener
Prozesspausen und der gebotenen ärztlichen Behandlung, so zuletzt die
Verweigerung einer vorübergehenden klinischen Behandlung in Moskau,
setzt die Regie des „Tribunals" alles daran, den Stress ihres
„Star-Angeklagten" zu verschärfen.
Auf die 300 Tage beanspruchende „Anklage" wurde ihm nur die Hälfte der
Zeit zur Erwiderung eingeräumt, und diese zusätzlich durch
Konfiszierung der bescheidenen Finanzmittel für
Verteidigungsaufwendungen erschwert. Dies alles zeigt die ausweglose
Lage dieses Sondergerichts, vor dem bis dato kein einziger
Anklagepunkt bewiesen werden konnte, aber bisher alle von Slobodan
Miloševic widerlegt wurden, soweit dazu zeitlich Gelegenheit war.

Die mindeste Forderung zum Ausgleich des von den Tribunalshandlangern
angerichteten Schadens lautet daher, den Zeitraum zur Erwiderung auf
Del Ponte und Co. um ein halbes Jahr zu verlängern. Und wer verhindern
will, dass die ertappten Rechtsbrecher am Ende triumphieren, wer den
Ganoven im NATO-Sold, die sich als Bankräuber versucht haben, aktiv
entgegentreten will, kann dies durch eine Spende auf das „derzeit
offene Spendenkonto" in den Niederlanden tun:

COMITE INTERSOL Amsterdam (1e Hugo de Grootstraat 11-3,1052 KK Amsterdam)
Postbank N.V., Niederlande
Konto: 4766774
IBAN: NL07 PSTB 0004766774
BIC/Swiftcode: PSTBNL21
Kennwort "Legal Aid"


* Klaus Hartmann ist Sprecher der Deutschen Sektion des Internationalen
Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM)

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[ 2 ]

Aus junge Welt v. 25./26. Feb. 2006, S. 7

KLINIKVERBOT FÜR MILOSEVIC
DEN HAAGER TRIBUNAL VERWEIGERT JUGOSLAWIENS EHEMALIGEM PRÄSIDENTEN
MEDIZINISCHE BEHANDLUNG IN MOSKAU
„IGNORANZ GEGENÜBER MENSCHENRECHTEN"

Von Anna Gutenberg


Die Hoffnungen des ehemaligen Präsidenten zerplatzten am Freitag wie
Seifenblasen. Der gesundheitlich sichtlich angeschlagene Angeklagte
darf sich nicht in Moskau behandeln lassen. Die Richter der Kammer III
des Den Haager Jugoslawien-Tribunals lehnten den Antrag des ehemaligen
jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic auf zeitweilige
medizinische Behandlung in der Moskauer Spezialklinik Bakoulev ab. Der
Angeklagte hatte den Klinikaufenthalt in Moskau kurz vor Weihnachten
beantragt. Die Richter machten damals zur Bedingung, dass die
Regierung in Moskau die volle Garantie für den Aufenthalt und die
Rückführung übernimmt. Dies geschah Mitte Januar.

Milosevic, der im Juni 2001 an das Ad-Hoc-Tribunal ausgeliefert wurde
und der sich seit Beginn seines Prozesses im Februar 2002 selbst
verteidigt, leidet seit langem an chronischem Bluthochdruck. Die von
verschiedenen Ärzten empfohlenen Ruhepausen wurden ihm nicht gewährt.
Die Richter begründeten ihre Ablehnung zumeist damit, es sei
Milosevics eigenen Entscheidung gewesen, sich ohne Anwalt zu
verteidigen, so dass er für sein Arbeitsvolumen selbst verantwortlich
sei. Auch die Verringerung der Verhandlungstage auf drei pro Woche
brachten Milosevic, der sich in der übrigen Zeit auf seine
Verteidigung vorbereiten muß, keine Erleichterung. Die Entscheidung
der Richter, Milosevic gegen seinen Willen Zwangsverteidiger zur Seite
zu stellen, die im krankheitsbedingten Ausfall den Prozeß in seiner
Abwesenheit führen können, dürfte den Druck auf ihn sogar massiv
erhöht haben.

Der Sprecher der deutschen Sektion des Internationalen Komitees zur
Verteidigung von Milosevic, Klaus Hartmann, hatte bereits vor längerem
davor gewarnt, dass das Tribunal mit einer „biologischen Lösung" enden
könnte - mit dem Tod des Angeklagten wären auch die kriminellen
Machenschaften des Westens und deren Verwicklungen in die blutigen
Konflikte vom Tisch.

Am Freitag gaben die Richter zur Begründung ihrer Entscheidung an,
keinen Grund zu sehen, warum Milosevic nicht in Holland behandelt
werden könne. Da ihn „möglicherweise eine lebenslange Haftstrafe
erwarte", seien sie zudem nicht davon überzeugt, daß Milosevic nach
Den Haag zurückkehre. Tatsächlich jedoch verlangte Milosevic im
Verlauf seines Prozesses mehrfach eine adäquate Behandlung. Bei diesen
Gelegenheiten betonte er zudem, keinesfalls die Absicht zu verfolgen,
sich dem Prozeß zu entziehen. Er wolle die Anschuldigungen gegen ihn
bis zuletzt widerlegen.

Vladimir Krsljanin, einer der Belgrader Berater von Milosevic, betonte
wenige Minuten nach bekannt werden der Entscheidung gegenüber der jW,
der Richterspruch zeige klarer denn je die Ignoranz des Haager
Tribunals gegenüber Völkerrecht und Menschenrechten. Er erwarte eine
Revision der Entscheidung, die kriminelle Züge trage.


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[ 3 ]

Aus: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS,
Ausgabe 1/06 (1. Jan. 2006) S. 21-25


NATO-POLITIK IM BELGRADER SPIEGEL

Von Ralph Hartmann, Berlin

Die NATO, die sich nur allzu gern als "internationale
Staatengemeinschaft" ausgibt, schickt sich an, in Ex-Jugoslawien das
zu vollenden, was sie seit jeher angestrebt und in den vergangenen 15
Jahren erfolgreich vorangetrieben hat: Serbien, einstmals
einflußreichster Staat auf dem Balkan und später Kernland der
jugoslawischen Föderation, und die Serben auf Dauer zu schwächen und,
wie es Kohls Außenminister Klaus Kinkel so schön formulierte, "in die
Knie zu zwingen"; getreu der Erkenntnis, daß Vor- und Fremdherrschaft
auf dem Balkan nur dann gesichert werden können, wenn Serbien
niedergehalten wird.

Traditionslinie Kaiser- und Hitlerdeutschlands wird fortgesetzt

Die Wurzeln dieser antiserbischen Politik, die zugleich eine
antirussische ist, denn die Serben waren über einen langen Zeitraum
auf der Balkanhalbinsel die wichtigsten Verbündeten Moskaus, reichen
weit in die Vergangenheit. Die Entstehung eines großen serbischen
Staates zu verhindern - darauf zielte das 1876 auf Initiative
Bismarcks formulierte sogenannte Berliner Memorandum, "Serbien muß
sterbien" lautete die Losung im Ersten Weltkrieg und die Niederwerfung
der "serbischen Verbrecherclique" war eines der Kriegsziele Hitlers im
Zweiten. Doch nicht die Serben wurden niedergeworfen, sondern die
deutsche Verbrecherclique, und wie schon 1918 war die neuerliche
Niederlage des imperialistischen Deutschlands mit dem Entstehen eines
einheitlichen jugoslawischen Staates, der Föderativen Volksrepublik
Jugoslawien, der späteren SFRJ, verbunden. In der Folgezeit wurde
dieser Staat ob seines enormen Einflusses in der Bewegung der
Nichtpaktgebundenheit und seines eigenen, vom sowjetischen
"Grundmodell des Sozialismus" abweichenden Entwicklungsweges auch vom
Westen, und hier besonders von der bundesdeutschen Außenpolitik,
heftig umworben. Doch unmittelbar nach dem schmählichen Untergang des
Realsozialismus in der Sowjetunion sowie in Osteuropa setzte die BRD
in ihrer Jugoslawienpolitik die Traditionslinie Kaiser- und
Hitlerdeutschlands fort und nahm wesentlichen Einfluß auf die
antiserbische Ausrichtung des NATO-Kurses zur Zerschlagung Jugoslawiens.

Im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts wurde diese Politik,
getarnt als selbstloser Feldzug zum Schutz der Menschenrechte gegen
den angeblichen großserbischen Nationalismus und später zur
Verhinderung einer "humanitären Katastrophe", von der NATO Schritt für
Schritt umgesetzt: Schürung nationaler und politischer Konflikte in
der jugoslawischen Föderation, Förderung separatistischer und
restaurativer Kräfte in Slowenien und Kroatien, einseitige
antiserbische Parteinahme in dem blutigen Bürgerkriegsgeschehen,
Bombardierung serbischer Stellungen und Orte in Bosnien, Mitwirkung an
der ethnischen Vertreibung der Serben aus Kroatien, verdeckte und
offene Unterstützung albanischer Separatisten und Terroristen in
Kosovo, 78tägiger Bombenkrieg gegen Restjugoslawien, Verwandlung
Kosovos in ein Protektorat des Kriegspaktes, Mitwirkung am Sturz
Milosevics und der von ihm geführten Sozialistischen Partei Serbiens,
Verwandlung des föderativen Klein-Jugoslawiens in das lose
Staatengebilde "Serbien und Montenegro".

Erneuter erpresserischer Druck auf Serbien

Jetzt nun werden die Vorbereitungen getroffen, das Werk der
Niederwerfung der Serben und Serbiens zu vollenden. In sogenannten
Statusverhandlungen sollen das von der NATO okkupierte Kosovo unter
Bruch der nach der NATO-Aggression beschlossenen UN-Resolution 1244
vom 10. Juni 1999, nach der das südserbische Gebiet integraler
Bestandteil Jugoslawiens ist, endgültig aus der Republik Serbien
herausgebrochen und die Republika Srpska, laut dem Vertrag von Dayton
einer der beiden Teilstaaten Bosniens und Herzegowinas, mittels einer
Verfassungsreform liquidiert werden, damit sich die dortigen Serben
unter keinen Umständen an das serbische Mutterland anschließen können.
Parallel dazu wird mit offener und verdeckter Unterstützung
separatistisch-nationalistischer Kräfte in der Vojvodina, im Sandschak
und in Montenegro zusätzlicher Druck auf Belgrad ausgeübt. Doch damit
nicht genug. Ein starker Hebel, um die Regierenden in Serbien, die so
schon weit zu Kreuze gekrochen sind, gefügig zu halten, wird von Den
Haag aus angesetzt. Nachdem vom sogenannten Jugoslawien-Tribunal vor
allem Dutzende von Serben zu langen Freiheitsstrafen verurteilt wurden
und seit Februar 2002 ein skandalöser Prozeß gegen Slobodan Milosevic,
den Präsidenten des von der NATO überfallenen Staates, sowie Verfahren
gegen andere von Belgrad ausgelieferte serbische Staatsbürger geführt
werden, wird immer noch erpresserisch verlangt, die Zusammenarbeit mit
dem Tribunal zu verbessern.
Unter Androhung neuer Sanktionen wird vor allem die Auslieferung der
der Kriegsverbrechen beschuldigten Serben Radovan Karadjic und Ratko
Mladic verlangt, obwohl niemand weiß, ob sich die Gesuchten in den
montenegrinischen Bergen, den bosnischen Wäldern oder in der
südamerikanischen Pampa aufhalten. Erst kürzlich hat der bisherige
Präsident des Tribunals, der ehrenwerte US-Amerikaner Theodor Meron,
die serbische Hauptstadt aufgesucht und gedroht, daß das Land aus
allen europäischen Integrationen herausgeschmissen wird, wenn es nicht
Karadjic und Mladic ausliefert. Der prowestliche Präsident Boris Tadic
und der national-konservative Ministerpräsident Vojislav Kostunica und
mit ihnen die Mehrheit der Serben sollen weichgeklopft werden, damit
sie letztlich noch dankbar sind, wenn sie in der NATO-Pfanne schmoren
dürfen.

Aufschlußreiche Eingeständnisse

Doch bei weitem nicht alle Serben sehen darin das höchste Ziel ihrer
Wünsche. Unmittelbar nach dem Meron-Besuch veröffentlichte die
auflagenstärkste serbische Tageszeitung "Vecernje novosti", auf die
Scharping-Einkleider Hombach seit langem begehrliche Blicke wirft,
einen Beitrag, in dem die USA und Westeuropa, "wenn es ihnen
tatsächlich um die volle Wahrheit und andauernden Frieden auf dem
Balkan geht", aufgefordert werden, sich vor den Spiegel zu stellen. In
ihm könnten die herrschenden Kreise des Westens, deren
"einflußreichste Medien und Politiker mit allen Kräften den
zwischennationalen Hader zwischen Serben, Kroaten und Moslems
schürten", vieles erblicken, was ihre politischen Eliten schon 10
Jahre lang nicht sehen wollten. Das Blatt hält ihnen diesen Spiegel
vor, und was er zeigt, sind Eingeständnisse von NATO-Politikern und
-Journalisten, die über die bekannten Erklärungen der Außenminister
der USA und Frankreichs, Warren Christopher und Roland Dumas, zur
besonderen Verantwortung Deutschlands für die Entfesselung der
Bürgerkriege hinausgehen und damit auch die Kenntnisse derer
bereichern können, die die Zerschlagung Jugoslawiens besonders
aufmerksam, mit tiefem Zorn, aber letztlich ohnmächtig verfolgt haben.
Deshalb lohnt es, mit Hilfe der "Vecernje novosti" einige Blicke in
diesen Spiegel zu werfen, in dem unter anderen zu sehen und zu hören sind:

Zbigniew Brzezinski, einer der führenden Washingtoner Geostrategen,
der schon Mitte August 1978 einer Gruppe von US-amerikanischen
Soziologen vertraulich erläuterte: "Es liegt im Interesse der USA,
allen separatistisch-nationalistischen Kräften in Jugoslawien zu helfen."

Gianni de Michelis, ehemaliger italienischer Außenminister, der
eingestand: "Wenn der Plan, den Reformversuch des letzten
jugoslawischen Premiers Ante Markovic mit bis zu 3 Milliarden Ecu zu
unterstützen, angenommen worden wäre, dann wäre es wahrscheinlich
weder zum Zerfall noch zum Krieg in Jugoslawien gekommen. Aber dieser
Plan wurde von Großbritannien abgelehnt. ... Deutschland hatte sich
gerade vereinigt, und innerhalb des Landes gab es Bestrebungen, von
neuem Grenzstreitigkeiten mit Polen zu beginnen. Die Europäische
Gemeinschaft unterwarf sich schließlich dem deutschen Druck, Kroatien
und Slowenien anzuerkennen, damit die revanchistischen Absichten im
Osten in den Hintergrund gerieten. In einem gewissen Sinne erlaubten
wir den Deutschen, sich in Jugoslawien‚ eine kleine Erholung' zu gönnen."

Lord Peter Carrington, Vorsitzender der Jugoslawienkonferenz, dessen
an die Bonner Adresse gerichtete Warnung, daß eine frühzeitige
Anerkennung Sloweniens und Kroatiens ‚der Funke sein könnte, der
Bosnien-Herzegowina in Brand setzt', allgemein bekannt ist und der
später die Haltung der EG mit den Worten erklärte: "Die Notwendigkeit,
eine gemeinsame Außenpolitik zu demonstrieren, führte die Europäer
dazu, sich dem Vorschlag der Deutschen anzuschließen und Slowenien und
Kroatien anzuerkennen. So wurden die Voraussetzungen für die Tragödie
in Bosnien geschaffen. Ich hatte das gesagt und die europäischen
Regierungen gewarnt, daß das den Weg zum Bürgerkrieg zwischen den
verschiedenen bosnischen Gemeinschaften freimacht."

Henry Kissinger, US-Außenminister, der im nachhinein einschätzte: "Den
schwersten Fehler begingen die USA, Europa und die UNO, als sie einen
Staat (Bosnien-Herzegowina) schufen, in dem sich ein großer Teil
seiner Bevölkerung von Anbeginn an gegen die Annahme einer neuen
Gemeinschaft aussprach."

Andre Fontaine, Direktor der Pariser "Le Monde", der konstatierte:
"Die Anerkennung von Bosnien-Herzegowina in den von der
(jugoslawischen) Föderation geerbten Grenzen war ein Fehler, der
schwerwiegendste von allen...".

Abe Rosenthal, Herausgeber der "New York Times", der feststellte: "Die
bosnische Katastrophe hatte ihre Wurzel in dem vom Westen
unterstützten Bestehen darauf, in die neuen Grenzen in Bosnien ein
Volk einzubeziehen, das nicht von den Moslems beherrscht werden wollte."

Lord David Owen, britischer Außenminister, der die Schuldigen am
blutigen Bürgerkrieg in Bosnien vor allem in Washington sieht: "Wir
hatten die Möglichkeit, bereits 1993 einen Frieden zu erreichen, aber
Clinton unterstützte unseren Plan nicht ...Vom Frühjahr 1993 bis
Sommer 1995 hat die amerikanische Politik in der Tat den Krieg
verlängert."

Nicht zu sehen sind in dem Spiegel, den das Belgrader Blatt dem Westen
vorhält, die Kriegsverbrechen, die während des 78tägigen barbarischen
Zerstörungskrieges der NATO verübt wurden, die sich zum Richter über
die Serben aufgeschwungen hat und dabei ist, das drangsalierte Land
und seine Bürger weiter zu ducken. Aber ganz so neu ist das ja nicht.
Bekanntlich hatte Wilhelm II. schon 1914 erklärt: "Die Kerls müssen
geduckt werden."

Antikommunismus - der wahre Kern der NATO-Politik gegenüber Jugoslawien

Unbeantwortet bleibt in diesem Spiegel auch die Frage, weshalb die
USA, die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bündnispartner, vor allem
Serbien, die Sozialistische Partei Serbiens und deren Vorsitzenden,
Ex-Präsident Slobodan Milosevic, ins Visier nahmen. Wer darauf eine
Antwort sucht, der braucht nur ein Buch in die Hand zu nehmen, das den
Titel "1989 - Schicksalsjahr Jugoslawiens. Hintergründe und Ursachen
eines Staatszerfalls" trägt und kürzlich im Norderstedter Verlag
"Books on Demand GmbH" erschienen ist. Der in Deutschland lebende
serbische Autor Dr. Djordje Joncic verwechselt zwar das Streben der
USA und anderer NATO-Staaten nach Vorherrschaft auf dem Balkan und
nach Restauration kapitalistischer Produktions- und
Gesellschaftsverhältnisse mit demokratischen Zielsetzungen, indem er
zum Beispiel schreibt "Das Ziel der NATO war die Demokratisierung
Jugoslawiens" und dieser Behauptung noch eins draufsetzt und allen
Ernstes zu Papier bringt "Die Demokratisierung wurde somit das
alleinige Leitmotiv der NATO-Politik und bestimmte das Verhältnis der
NATO zu Jugoslawien und Serbien".

Dessen ungeachtet kommt der Autor zu Schlußfolgerungen, die
hierzulande noch immer selten zu lesen sind. Entschieden wendet er
sich gegen die Auffassung, daß der Nationalismus die treibende Kraft
hinter der zerstörerischen Dynamik der Geschehnisse in Ex-Jugoslawien
gewesen und von Milosevic instrumentalisiert worden sei: "Man
behauptet sogar", so Joncic, "daß Milosevic alles nur aus
nationalistischen Beweggründen tat. Das eigentliche Problem aber waren
seine kommunistische Ideologie und er selbst als Person." Joncic ist
ein scharfer Kritiker der serbischen Sozialisten. Aber bis zu einem
gewissen Punkt ist seine Argumentation schlüssig. Er teilt die
Einschätzung, daß das Ende der Ost-West-Konfrontation nicht das Ende
des "Konfliktes zwischen Kommunismus und Demokratie" darstellte und
schreibt: "Die Gegner der NATO-Partner waren nicht mehr der
sowjetische Kommunismus und der Ostblock, sondern es war das
politische System in Serbien, das heißt das kommunistische
Überbleibsel in Europa ... Dieser Konflikt blieb nicht nur auf dem
Niveau der Worte, so wie es zu Zeiten des ‚Kalten Krieges' war,
sondern der ‚Kalte Krieg' verwandelte sich in einen ‚heißen'.
Natürlich lag der Hauptgrund darin, daß der ‚Gegner' (Serbien) jetzt
unvergleichbar schwächer war als der Gegner zur Zeit des ‚Kalten
Krieges'. Von Anfang an, oder von 1989 an, störte die NATO, daß der
Politiker in Belgrad bereit war, seinen eigenen politischen Weg zu
gehen. Die Sowjetunion war dabei, ihr bisheriges politisches System
aufzugeben. Milosevic in Belgrad jedoch wollte sich auf keinen Fall
von ihm trennen. Die NATO wollte aber keinen Sozialismus in Belgrad
dulden ... Eine kommunistische Partei in Belgrad wollte jedoch mit
aller Macht den Sozialismus in Serbien erhalten. Genau diese Tatsache
war von Anfang an tödlich für die Sozialistische Föderative Republik
Jugoslawien und später für die Bundesrepublik Jugoslawien."

Auch wenn diese Diagnose als Hauptvorwurf an die Sozialistische Partei
Serbiens (SPS), die laut dem Autor "nicht nur Jugoslawien als
Föderation", sondern "unglücklicherweise auch das politische System,
also den Sozialismus, erhalten" wollte, daherkommt, so trifft sie doch
den wahren Kern der NATO-Politik gegenüber Jugoslawien und der
jugoslawischen Tragödie, den selbst nicht wenige Sozialisten in
Deutschland bis zum heutigen Tage nicht erkennen oder nicht sehen
wollen. Nicht zufällig jubelten die glorreichen Sieger der Aggression
gegen Jugoslawien im Oktober 2000, als mit ihrer Hilfe die SPS und ihr
Vorsitzender Milosevic gestürzt wurden, daß nun endlich "der letzte
Rest einer kommunistischen Diktatur gefallen ist" (BRD-Außenminister
Joseph Fischer) und daß "sich das serbische Volk endgültig vom
Kommunismus befreit" habe (USA-Außenministerin Madeleine Albright). So
kam es endlich ans Licht: Die "internationale Gemeinschaft", von
"Bild" und "FAZ" bis "Guardian" und "Times", von Fischer bis Albright,
war ein Jahrzehnt lang gegen den großserbischen Nationalismus des
verbrecherischen Milosevic-Regimes zu Felde gezogen, um nach
vollbrachtem Werk den Sieg über die "letzte kommunistische Bastion" in
Europa zu feiern. Erst nach dem Triumph teilte sie mit, wer besiegt
war: Nicht dem serbischen nationalistischen Drachen hatte man die
Köpfe abgeschlagen, sondern dem letzten kommunistischen Ungeheuer in
Europa.

Sicherlich wäre es übertrieben, die SPS von 1990 oder gar die von
heute als kommunistische Partei oder ihren in Den Haag eingekerkerten
Vorsitzenden als überzeugten Marxisten-Leninisten und Kommunisten zu
bezeichnen. Aber wer die Politik der NATO gegenüber Jugoslawien und
Serbien seit den konterrevolutionären Jahren 1989/90, die jetzt mit
dem beabsichtigten Herausbrechen Kosovos aus Serbien, der Liquidierung
der Republika Srpska und der Absicht, den ehemaligen Präsidenten
Jugoslawiens trotz dessen beeindruckender Selbstverteidigung und der
fortwährenden Pleiten, Pech und Pannen der Anklage im beschleunigten
Verfahren zu verurteilen, fortgesetzt wird, aufmerksam und
unvoreingenommen verfolgt, wird leicht erkennen, daß sie sich unter
anderem aus zwei Quellen speist: aus einem historisch gewachsenen,
nahezu irrationalen Serbenhaß und einem stupiden, aber äußerst
zielstrebigen Antikommunismus. Daran ändern auch die Worthülsen
"Demokratie", "Freiheit", "Fortschritt" und "Schutz der
Menschenrechte" nichts, die sich die NATO in ihrem Feldzug auf dem
Balkan auf die Fahne geschrieben hat.

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E N D E