AACHEN– Kürzlich haben uns mehrere Leser darauf aufmerksam gemacht, dass einer unserer Texte auf Facebook als "Fehlinformation" etikettiert wird. Verantwortlich dafür ist correctiv.org, eine Online-Plattform, die unter anderem eine "Faktenprüfung" für Facebook vornimmt. Laut - von uns nicht überprüften - Berichten wird correctiv.org dafür von Facebook bezahlt. Die Einstufung unseres Textes als "Fehlinformation" ist unzutreffend. correctiv.org weigert sich dennoch, sie zurückzunehmen. Damit stigmatisiert die Plattform einen korrekten, freilich kritischen Bericht und trägt dazu bei, seine Verbreitung einzuschränken. Wir haben deshalb Anlass, die interessierte Öffentlichkeit auf die Praktiken von correctiv.org und ihr Geschäftsmodell aufmerksam zu machen. Wir dokumentieren den Vorfall.
"Annahme verweigert"
Mit Datum vom 23. März hatte german-foreign-policy.com berichtet: "Als bislang einziges Land Europas nimmt Deutschland ein chinesisches Hilfsangebot im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie nicht an."[1] Zum Beleg nannten wir in einer Fußnote unter unserem Bericht einen online einsehbaren Artikel, der am 21. März auf der Website der South China Morning Post publiziert worden war, einer international bekannten Tageszeitung aus Hongkong. Darin hieß es:
"Chinese President Xi Jinping made an unusually intense diplomatic gesture towards Europe on Saturday by calling the leaders of France, Germany, Spain and Serbia to offer support in their fight against Covid-19. ... Germany, which has reported more than 20,000 cases and 44 deaths, is the only country out of the four Xi called that has not yet requested medical supplies from China."[2]
Über unseren Bericht setzten wir die Überschrift "Annahme verweigert" und bilanzierten den Vorgang im Untertitel: "Deutschland lehnt als bislang einziges Land Europas chinesische Hilfsangebote im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie ab".
"Falsche Information"
Unseren Bericht vom 23. März hat Facebook inzwischen mit dem Hinweis "Falsche Informationen in diesem Beitrag" versehen und stützt sich dabei auf die Online-Plattform correctiv.org. Diese behauptet, ihre "Faktenprüfung" habe ergeben: "Falsch: Deutschland hat keine Hilfsangebote aus China abgelehnt". Richtig sei vielmehr, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chinas Präsident Xi Jinping übereingekommen seien, dass Beijing medizinische Schutzausrüstung in die Bundesrepublik liefern werde.[3]
Es ist offenkundig, dass correctiv.org einer zeitlichen Verwechslung erlegen war: Die Übereinkunft zwischen Merkel und Xi wurde - die Plattform erwähnt das nicht - in einem Telefongespräch am 25. März erzielt.[4] Die "Faktenfinder" bezogen sich also auf ein Ereignis vom 25. März (Einigung Merkel/Xi), um den Sachstand vom 23. März (Dissens Merkel/Xi) auszublenden und auf diese Weise die wahrheitsgemäße Berichterstattung auf german-foreign-policy.com als fehlerhaft darzustellen.
Politischer Konflikt
Diese zeitliche Verwechslung unterschlägt einen schweren politischen Konflikt: Als einziges Land hatte sich die Bundesrepublik am 23. März noch geweigert, die mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, vom chinesischen Präsidenten angebotene Hilfe gegen die lebensbedrohliche Pandemie anzunehmen. Dieser Konflikt wog - und wiegt - umso schwerer, als er international als politischer Affront gegen den Helfer gewertet wurde und eine vermeidbare Unterversorgung der deutschen Covid-19-Opfer wegen fehlender Schutzmittel zur Folge haben konnte. Erst die - diplomatisch unübliche - Veröffentlichung der staatlichen deutschen Weigerung durch chinesische Stellen, über die wir am 23. März wie auch andere Medien berichtet hatten, führte am 25. März und nach heftigen kritischen Reaktionen nicht nur in Deutschland zu einer Kurskorrektur der Bundesregierung am 25. März.
Vor diesem Hintergrund forderten wir correctiv.org auf, die unzutreffende Etikettierung unseres Berichts als "Fehlinformation" zurückzunehmen.
Der zweite Fehlgriff
Im Antwortschreiben lehnte correctiv.org jedwede Korrektur ab und nahm nun zu einer neuen Begründung Zuflucht: "Eine Google-Suche" zeige, dass es bereits vor dem 23. März, dem Datum unserer Veröffentlichung, chinesische Hilfslieferungen in die Bundesrepublik gegeben habe (eine Spende der Jack Ma Foundation und der Alibaba Foundation sowie die Schiffslieferung eines nicht genannten Absenders mit Covid-19-Tests - beide gingen lediglich teilweise nach Deutschland [5]). Mit dem zwischenstaatlichen politischen Konflikt, der zudem von den beiden Staatsrepräsentanten in einem öffentlich gewordenen Telefongespräch ausgetragen wurde und über den german-foreign-policy.com wahrheitsgemäß berichtet hatte, standen die "Google"-Suchergebnisse der "Faktenfinder" in keinem Zusammenhang. Es handelte sich um einen zweiten Fehlgriff von correctiv.org, der erneut journalistische Sorgfalt vermissen ließ.
Interpretationen
Wir wiesen correctiv.org erneut auf die journalistischen Ungereimtheiten hin und verlangten zum zweiten Mal eine Korrektur. Daraufhin erhielten wir eine dritte Begründung: "In dem Artikel der SCMP [South China Morning Post, Anmerkung der Redaktion] wird keine Ablehnung erwähnt."
Bei dieser Begründung handelte es sich nicht mehr um einen einfachen Fehlgriff. Die "Faktenfinder" versuchten, die national wie international dokumentierte Deutung des Konflikts - politisch begründete Nichtanspruchnahme zwischenstaatlicher Hilfe - einer eigenen Interpretation zu unterwerfen, wonach die Nichtinanspruchnahme eines förmlich vorgetragenen Hilfsangebots zur zeitnahen Rettung von Menschenleben keine Zurückweisung sei.
Pressefreiheit
Eine solch lebensfremde und abseitige Interpretation folgenreicher politischer Vorgänge mit eventueller Todesfolge für die betroffenen Kranken darf jeder im Internet verbreiten, der es möchte. german-foreign-policy.com bleibt bei den Tatsachen, über die wir am 23. März berichtet haben: Die Bundesrepublik Deutschland hat das ihr vom chinesischen Staatspräsidenten unterbreitete Angebot, das vor dem 23. März erging, bis zum 23. März nicht angenommen, also abgewiesen. Daran ändert die Interpretation der sogenannten Faktenfinder nichts. Allerdings lässt correctiv.org auch mit dieser dritten Begründung Zweifel an den vorgegebenen Geschäftszielen der Plattform entstehen: im Internet gegen Unwahrheiten, politische Hetze und Irreführung vorgehen zu wollen. Vielmehr kann es den Eindruck erwecken, die Plattform wende ihrerseits Mittel an, die sie vermieden sehen will, und übe damit im gesetzlich verbürgten Raum der Pressefreiheit unerlaubte Sanktionsmacht aus.
german-foreign-policy.com hat deshalb nicht nur Anlass, an der journalistischen Seriosität von Organisationen wie correctiv.org zu zweifeln. Wir fürchten zudem, mit derlei Praktiken könnten sich Eingriffe in die verbürgte Pressefreiheit etablieren. In letzter Konsequenz liefe das auf Zensur hinaus - Grund, die interessierte Öffentlichkeit zu warnen. Unsere Leser, insbesondere die Pressekollegen, bitten wir um Verbreitung.
Die Redaktion
[1] S. dazu Annahme verweigert.
[2] Stuart Lau: Coronavirus: Xi Jinping calls leaders of France, Spain, Germany and Serbia with offers of support. scmp.com 21.03.2020.
[3] Lea Weinmann: Corona-Krise: Nein, Deutschland lehnt nicht jegliche Hilfe aus China ab. correctiv.org 20.04.2020.
[4] Bundeskanzlerin Merkel telefoniert mit dem chinesischen Präsidenten, Xi Jinping. bundeskanzlerin.de 25.03.2020.
[5] Dorothy So: Jack Ma Foundation and Alibaba Foundation Ramp up Coronavirus Aid to Europe. alizila.com 18.03.2020. Marina Kormbaki: China will in der Corona-Krise helfen: Nächstenliebe oder Propaganda? rnd.de 19.03.2020.