Jugoslawien: teure Folgen des Verzichts auf Nachfolgerstatus

BELGRAD, 11. Januar 2002. Nachdem die Belgrader
Marionettenregierung dem von Westen vorbereiteten "Teilungsplan"
für das Vermögen der ehemaligen SFR Jugoslawien zugestimmt und
auf das völkerrechtlich unanfechtbare Recht der Bundesrepublik
Jugoslawien, Rechtsnachfolger der SFR Jugoslawien zu sein,
verzichtet hatte, müssen nun viele jugoslawische Botschaften und
Konsulate weltweit geräumt und an die neuen Staaten übergeben
werden, die Sezessionskriege gegen Jugoslawien führten.

So zahlt Jugoslawien seit dem 1. Januar mehr als 50.000 Euro
monatlich als Miete für die Botschaft in London an die Republik
Bosnien und Herzegowina, die nach dem "Teilungsplan" das Gebäude
erhalten hat, obwohl es seit Jahrzehnten Besitz der
jugoslawischen Föderation war. Im Mai müssen jugoslawische
Diplomaten aus der Botschaft endgültig ausziehen.

TIKER / AMSELFELD.COM

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news/viewnews.cgi?category=all&id=1010830101

JÖSB - Jugoslawisch Östererreichische
Solidaritätsbewegung - Postfach 217, A-1040 Wien


Jan. 12, 2002

"Belgrads neue Mitgliedschaft in der UNO kostet dem
Land Milliarden"

Interview mit Oscar Kovac in der "Volksstimme"


Ein Gespräch mit Oscar Kovac über die wirtschaftliche
Krise in Serbien, die sozialen Folgen und darüber,
wie es passieren konnte, dass mit einem Brief von
Voijslav Kostunica an die UNO jede Chance auf Kompensiation
für Kriegsschäden und damit auf Milliarden von
Dollars in den Wind geschrieben wurden. Oscar Kovac
ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Belgrad,
bekleidete in der letzten Regierung Milosevic den
Posten des Privatisierungsministers und führt heute
die Fraktion der "Sozialistischen Partei Serbiens" (SPS)
im jugoslawischen Parlament an.
Das Gespräch mit Oscar Kovac führte Hannes Hofbauer
am 6. Dezember 2001 in Belgrad. Das Interview wurde uns
freundlicherweise von Hannes Hofbauer zur Verfügung gestellt.

VOLKSSTIMME: Vor über einem Jahr haben die Bulldozer
der "Demokratischen Opposition" die politische Landschaft
Jugoslawiens radikal verändert. Was hat sich seit damals
ökonomisch getan?

KOVAC: Wir durchleben seither die schlimmste wirtschaftliche
Rezession, die das Land je erlebt hat. Die Produktion geht
ständig zurück.

VOLKSSTIMME: Woran liegt das?

KOVAC: Die Erklärung ist relativ einfach: Nach dem 5.
Oktober 2000 übernahm die "DOS" sämtliche größeren
Unternehmen. In Fabriken, Schulen, Spitälern etc. sind so
genannte Krisenkomitees gebildet worden, die das Management
an sich gerissen und die alten Führungskräfte verjagt haben.
In diesen Krisenkomitees gab es keine entsprechend
geschulten Kräfte, die Betriebe führen könnten. Es
waren vielmehr die so genannten Revolutionäre des 5.
Oktober, die von "DOS" auf diese Weise mit Managementposten
entschädigt worden sind. Wenn man wie Zoran Djindjic
und Miroljub Labus (jugoslawischer Vizepremier und
Wirtschaftsminister, HH) solche Leute auswählt, um z.B.
Industriebetriebe zu führen, dokumentiert man damit
seine Absicht, das Funktionieren von Betrieben, die
ohnehin krisengeschüttelt waren, zu hintertreiben.

VOLKSSTIMME: Und der Sinn dabei?

KOVAC: Betriebe, die man priviatisieren will, werden
so extrem billig gemacht. Denn wer bezahlt schon viel
für ein funktionsuntüchtiges Unternehmen? Nach den bestehenden
Gesetzen wird der Wert eines Unternehmens nach seinen
zukünftigen Ertragschancen errechnet. Wenn nun ein Betrieb
gar nicht mehr oder fast nicht mehr produziert, tendiert
sein Wert gegen Null. Dann werden Betriebe nur mehr
um den Preis ihrer Gebäude bzw. um einen symbolische Beträge
verkauft.

VOLKSSTIMME: Wer profitiert davon? Wer sind die neuen
Eigentümer?

KOVAC: Die gibt es noch nicht, weil das neue
Privatisierungsgesetz Probleme bereitet. Das ganze
Privatisierungsprogramm von DOS ist mit der
Weltbank gemeinsam ausgearbeitet worden, was sich
zwar nicht beweisen lässt, jedoch aus der Tatsache
ergibt, dass die Weltbank der DOS-Regierung 6 Mio.
US-Dollar allein für die Propagierung des neuen
Privatisierungsgesetzes gegeben hat. Das Geld wird,
wie in solchen Fällen üblich, an ausländische
Privatisierungsratgeber fließen.

VOLKSSTIMME: Wo liegt das Problem beim neuen
Privatisierungsgesetz?

KOVAC: Das Gesetz soll der serbischen Regierung das
Pouvoir zum Verkauf nicht nur von Staatseigentum,
sondern auch von Gemeinschaftseigentum, von Betrieben in
Arbeiterselbstverwaltung, übertragen. Selbstverwaltete
Betriebe gehören jedoch nicht dem Staat oder der Regierung
gehören. Und dieses Problem ist auch vom Verfassungsgerichtshof
erkannt worden. Der berät gerade über die
Verfassungskonformität des neuen Privatisierungsgesetzes.
Alle warten auf seine Entscheidung, natürlich auch potentielle
Investoren.

VOLKSSTIMME: In Tudjman-Kroatien sind per Gesetz die Betriebe
in Arbeiterselbstverwaltung verstaatlicht worden sind,
um sie anschließend privatisieren zu können. Ein schlechtes
Beispiel ...

KOVAC: Das stimmt, aber in Kroatien gibt es schon wieder
eine Revision des ganzen Privatisierungsvorganges. Nun sollen
die Familien rund um Tudjman, die sich an der schnellen
Privatisierung bereichert hatten, möglicherweise enteignet
werden.

VOLKSSTIMME: Die Privatisierung in Serbien steckt also fest.
Zwischenzeitlich verschärft sich die wirtschaftliche Krise.
Wie drückt sich diese Situation sozial aus?

KOVAC: Die korrespondiert mit der extremen wirtschaftlichen
Krise. Seit September 2000 sind die Preise um mehr als das
Doppelte gestiegen. Das betrifft die gesamten
Lebenshaltungskosten, die Indexzahl dafür beträgt heute
202, verglichen mit 100 im September 2000.) Die Löhne konnten
der Preisexplosion nicht folgen, d.h. wir haben einen
absolut sinkenden Lebensstandard.

VOLKSSTIMME: Und wie geht es den RentnerInnen?

KOVAC: In Serbien gibt es 1,3 Mio. RentnerInnen, die
leiden noch mehr, weil sie ihre Pensionen oft um mehrere
Monate zu spät erhalten. Bis zur Auszahlung hat die Inflation
einen Teil der Rente aufgefressen. Die Löhne werden dem
gegenüber zwar manchmal verspätet, aber nicht extrem
verspätet ausbezahlt.)

VOLKSSTIMME: Wie sieht es mit den ehemaligen Kernstücken
der serbischen Industrie aus, z.B. mit Zastava in Kragujevac,
wo die Fabriksgebäude durch die NATO in Schutt und Asche
gelegt worden sind?

KOVAC: Kragujevac ist ein großer industrieller Konzern
mit mehreren Branchen, er produziert PKWs, LKWs und
Jagdgewehre, übrigens in Arbeiterselbstverwaltung. Der
größte und wichtigste Teil war die PKW-Produktion, ein
ehemaliges Joint-venture mit Fiat. Fiat hat immer noch
Geld in dem Betrieb, doch Fiat befindet sich in der Krise
und kann kein entsprechendes Angebot legen, obwohl in
Südosteuropa ein Zukunftsmarkt für kleinere und
mittelgroße Automobile existiert. In meiner Ministerfunktion
hatten wir Anfang des Jahres 2000 sehr seriöse Gespräche
mit Peugeot geführt. Dort war man ernsthaft an einer
Beteiligung in Kragujevac interessiert, um hier den
Peugeot 206 zu produzieren, freilich in neu zu errichtenden
Fabrikshallen. Djindjic hat diesen Faden nicht aufgenommen.

VOLKSSTIMME: In westeuropäischen Medien ist viel vom
Balkan-Stabilitätspakt die Rede. Wieviel Geld wurde da
versprochen, nachdem Djindjic Milosevic nach Den Haag
überstellt hatte? Und wofür ist das Geld ausbezahlt worden?

KOVAC: Die Brüsseler Geberkonferenz im Sommer 2001 hat
insgesamt Versprechungen in der Höhe von 1,3 Mrd. US-Dollar
ergeben. Davon sind ca. 500 Mio. von den einzelnen Ländern
der EU gekommen, wovon 350 Mio. direkt an die Europäische
Investmentbank gegangen sind, um alte jugoslawische Schulden
zu begleichen. Auf der IWF-Internetseite wurde am 4.
September 2001 übrigens vorgeschlagen, das stand-by-agreement
zu überarbeiten. Dort steht auch, dass Jugoslawien für das
Jahr 2001 ganze 250 Mio. US-Dollar als nicht rückzahlbare
Kredite erhalten wird, wobei davon ausgegangen wird, dass
sich die effektive Summe auf 50 Mio. US-Dollar belaufen wird.

VOLKSSTIMME: Und dafür wurde Milosevic nach Den Haag gebracht?

KOVAC: So sieht es aus.

VOLKSSTIMME: Wird es Jugoslawien sonstwo Vorteile bringen,
Milosevic ausgeliefert zu haben?

KOVAC: Uns sind seither nur zusätzliche Kosten entstanden.
Allein der Brief unseres neuen Präsidenten Vojislav
Kostunica an die UNO, in dem er um eine neue Mitgliedschaft
für ein neues Jugoslawien angesucht hat, kostet uns
indirekt Milliarden von US-Dollar. Nun sind wir, anstatt
Gründungsmitglied der UNO zu sein, ihr 186. Mitglied.

VOLKSSTIMME: Welche Kosten entstehen Belgrad daraus?

KOVAC: Die Konsequenzen daraus sind schwer wiegend und teuer,
z.B. in Bezug auf die Nachfolgeregelung Jugoslawiens. Die
Regierung Milosevic hatte auf dem Nachfolgestatus des alten
Jugoslawien bestanden. Seit diese Position von Kostunica
offiziell aufgegeben worden ist, gilt z.B. das frühere Eigentum
in Kroatien, Slowenien, Bosnien & Herzegowina usw. nicht mehr
als "jugoslawisch". Allein dadurch haben zig Mrd. US-Dollar
von einem Tag auf den anderen keinen alten Eigentümer mehr. Was
sind dagegen die mageren 1,3 Mrd. US-Dollar der Geberkonferenz,
die dort versprochen worden sind. Dazu kommt eine weitere
teure Konsequenz. Die frühere jugoslawische Regierung hat
beim UN-Gerichtshof in Den Haag (nicht zu verwechseln mit dem
so genannten Kriegsverbrechertribunal, HH) Klage gegen die
NATO-Staaten erhoben, Kompensation für die Kriegsschäden
zu leisten. Allein die sichtbaren Zerstörungen machen 37 Mrd.
US-Dollar aus. Der Prozess darüber war anhängig, obwohl nicht
automatisch davon ausgegangen werden konnte, dass ihn Jugoslawien
gewonnen hätte. Der Entschädigungsforderung stimmte anfangs
auch noch die neue Regierung zu. Doch mit dem Brief von
Kostunica an die UNO ist der Prozess hinfällig geworden. Nun
gilt juristisch, dass mit dem alten Jugoslawien ein Land
bombardiert wurde, das es heute gar nicht mehr gibt und das
dieser Logik zufolge auch nicht um finanzielle
Kompensationen prozessieren kann. Dabei wäre es um ein
Vielfaches jenes Betrages gegangen, den Jugoslawien nun
als Bittsteller bekommt oder bekommen soll.

VOLKSSTIMME: Danke für das Gespräch.