[ Juergen Elsaesser e' l'autore di: "MENZOGNE DI GUERRA:
le bugie della NATO e le loro vittime nel conflitto per il Kosovo"
Napoli, La città del sole, 2002
190 p., 21 cm., ISBN 8882921832, si veda la presentazione:
http://it.groups.yahoo.com/group/crj-mailinglist/message/1815%c2%a0
ed anche il sito internet dell'autore:
http://www.juergen-elsaesser.de ]

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04.10.2003, Tageszeitung "junge Welt"

Jürgen Elsässer

Wende im Fall Djindjic

Zeuge: Drahtzieher des Mordes an serbischem Premier sitzt in der
Regierung


Wer am gestrigen Freitag die Belgrader Tageszeitung Kurir las, konnte
sich nur verwundert die Augen reiben. Wiederholt sich die Geschichte?
Die Parallelen zwischen der Ermordung des US-Präsidenten John F.
Kennedy im Herbst 1963 und der des serbischen Premiers Zoran Djindjic
im Frühjahr 2003 scheinen jedenfalls immer offensichtlicher.
Jugendlich, dynamisch,
gutaussehend, eine schöne Frau an seiner Seite: Zoran Djindjic galt –
ob berechtigt oder nicht – wie 40 Jahre zuvor JFK als die Hoffnung der
Jugend. Der Schock nach seiner Ermordung am 12. März war deshalb bei
seinen Landsleuten nicht geringer als der vieler US-Amerikaner nach der
Bluttat von Dallas: In Belgrad folgte eine halbe Million Menschen
seinem Sarg, tagelang sendeten die Rundfunk- und Fernsehanstalten nur
Trauermusik. In beiden Fällen wurde der Anschlag schnell den »Roten« in
die Schuhe geschoben –
damals wurde Fidel Castro, diesmal Slobodan Milosevic als Drahtzieher
verdächtigt. Ebenfalls gab es damals wie heute ernstzunehmende Hinweise
auf die Verwicklung des organisierten Verbrechens in den Fall. Wie aber
hätte die Welt 1963 reagiert, wären glaubhafte Zeugen aufgetaucht, die
einen politischen Rivalen aus Kennedys eigener Partei bezichtigten? Die
also aussagten, daß Lee Harvey Oswald vor dem Attentat mehrfach von –
sagen wir – Lyndon B. Johnson besucht worden wäre?

Solche Zeugen – »drei unabhängige Quellen, allesamt in Positionen, die
gute Informationen verbürgen« – präsentierten jetzt das der
militärischen Abwehr nahestehende Wochenblatt Nedeljni Telegraf und die
auflagenstarke Tageszeitung Kurir. Demnach soll es Videoaufnahmen von
einem »hochgestellten
Regierungsmitglied« geben, als dieser einige Tage vor dem Attentat das
Hauptquartier des Zemun-Clans betrat. Diese Mafiabande hat nach allen
bekannten Ermittlungsergebnissen den Mord ausgeführt. Ein Minister
sagte Telegraf unter dem Siegel der Anonymität: »Es wird ein Schock für
die Öffentlichkeit sein, wenn sie erfährt, daß der Mörder Djindjics in
dessen unmittelbarer Umgebung in der Regierung saß.«

Einen entsprechenden Verdacht hatte es bereits Mitte Juni gegeben. Ein
Wärter im Belgrader Zentralgefängnis hatte zu Protokoll gegeben, daß
der derzeitige Vize-Premierminister Cedomir Jovanovic einen der
mutmaßlichen Djindjic-Killer mehrfach dort besucht habe, einen gewissen
Dusan Spasojevic. Allerdings konnten diese Visiten damals nur für 2001
und 2002 nachgewiesen werden, also für einen Zeitraum lange vor dem
Attentat. Ob sich Vizepremier und Mafiakiller auch später noch
getroffen haben, konnte nicht mehr geklärt
werden: Spasojevic wurde nämlich seinerseits liquidiert, bevor er
plaudern konnte – nicht anders als vor vierzig Jahren Lee Harvey
Oswald. Bei der Fahndung nach den Djindjic-Mördern wurden Spasojevic
und sein Kumpan Mile Lukovic Kum von Spezialeinheiten der serbischen
Polizei erschossen, weil sie
sich angeblich mit Waffengewalt ihrer Verhaftung widersetzten. Doch es
gab widersprüchliche Angaben über den Tag dieses Show-Down, und die
freigegebenen Fernsehbilder zeigten blutige Schwellungen in den
Gesichtern der Leichen. »Es ist offensichtlich, daß Lukovic und
Spasojevic liquidiert wurden, damit sie nicht aussagen. Es ist auch
offensichtlich, daß beide
gefoltert wurden«, schlußfolgert Spomenka Deretic im oppositionellen
Internetportal Artel.

Zarko Korac, der Vorsitzende einer Regierungskommission zur
Untersuchung der Mordumstände, bestritt gegenüber Kurir, Hinweise auf
die Tatbeteiligung von Regierungsmitgliedern zu haben. Doch auch im
Abschlußbericht seiner Kommission vom 13. August finden sich Hinweise,
daß die Attentäter in
Djindjics Umfeld Unterstützer gehabt haben müssen: So wurden die
Überwachungskameras am Tatort, dem Sitz der serbischen Regierung, just
zwei Tage vor dem Mord abgeschaltet. Und als der Premier am 12. März
aus seinem
Wagen stieg und seinen Dienstsitz betreten wollte, fand er das
Eingangstor verschlossen. So mußte er warten und bot ein ideales Ziel.

Die Korac-Kommission beklagt statt dessen die mangelnde Kooperation der
deutschen Polizei. Das Bundeskriminalamt (BKA) hatte für Djindjic einen
Bericht für die Verbesserung seines Personenschutzes erarbeitet – doch
der wurde der Kommission nicht zugänglich gemacht. Außerdem ist von
Expertisen des BKA die Rede, wonach das bisher als Tatwaffe
identifizierte G3-Gewehr von Heckler&Koch aus technischen Gründen nicht
dafür in Frage kommen soll.
Es wird also Zeit, daß die Wiesbadener Behörde ihr Wissen öffentlich
macht.