Logik der Dekomposition
16.02.2007
MADRID/PARIS/LONDON/BERLIN (Eigener Bericht) – Die von Berlin und Washington forcierte Abspaltung des Kosovo ruft Befürchtungen vor Sezessionsbewegungen in ganz Europa hervor. Sollte es zu einer forcierten Ausgründung des Kosovo kommen, um der serbischen Provinz Eigenstaatlichkeit zu verleihen, werde man anderswo ähnlich vorgehen, drohen völkische Organisationen unter Hinweis auf das "Selbstbestimmungsrecht". Betroffen sind unter anderem Spanien, Frankreich, Griechenland sowie Großbritannien. Insbesondere spanische Gruppierungen, die sich als "Basken" verstehen, streben die Auflösung des Zentralstaates an und beanspruchen Hoheitsrechte auch auf französischem Territorium. Durch Zerschlagung der französischen Republik in völkische Parzellen soll ein einheitliches "Baskenland" entstehen. Um die territoriale Einheit Spaniens zu wahren, laufen konservative Kreise in Madrid gegen die Abspaltung des Kosovo Sturm. Die Folgen der Kosovo-Sezession werden Berlin angelastet. Vorfeldorganisationen der deutschen Außenpolitik stehen mit den völkischen Autonomisten in direktem Kontakt. In Paris weisen Kritiker auf die langjährige deutsche Zuarbeit für französische Separatisten hin, die mit Dezentralisierungsprojekten, grenzübergreifenden Euroregionen und der Förderung sogenannter Regionalkulturen den Nährboden für entschlossene Autonomieforderungen geschaffen hat. Die Abspaltung des Kosovo ist der "Einstieg in die Logik der Dekomposition der europäischen Staaten" und läuft letztlich auf eine Chaotisierung des internationalen Völkerrechts hinaus, warnt der französische Politikwissenschaftler Dr. Pierre Hillard im Gespräch mit dieser Redaktion.
Faktische Anerkennung
Kommentare in der spanischen Presse warnen eindringlich vor einer endgültigen Abspaltung des Kosovo, wie sie Berlin und Washington gegenwärtig vorantreiben. Die "schwerwiegendste Konsequenz" einer Sezession ist "die faktische Anerkennung des Rechtes auf Selbstbestimmung in Europa", urteilt die konservative Tageszeitung ABC, die der oppositionellen konservativen Partei nahe steht.[1] Unausweichliche Folge wäre eine Intensivierung von "Forderungen irredentistischer Nationalismen in anderen Teilen des Kontinents, vor allem in Russland, aber auch in Spanien", urteilt das Blatt. Erst kürzlich hat der frühere spanische Ministerpräsident José María Aznar in Washington eindringlich von der Anerkennung einer kosovarischen Eigenstaatlichkeit abgeraten – mit derselben Begründung, aber offensichtlich vergeblich.
"Basken, Katalanen, Galizier"
Tatsächlich streben Sezessionsbewegungen in weiten Teilen Nordspaniens nach umfangreichen Autonomierechten oder fordern explizit den Austritt aus dem spanischen Staatsverband. Am schwersten betroffen sind Teile des Grenzgebiets zu Frankreich, in denen bewaffnete Separatisten einen eigenen Staat gründen wollen ("Baskenland").
Erst kürzlich fielen ihren Bombenanschlägen zwei Immigranten zum Opfer.[2] Im Nordosten des Landes bemüht sich eine Abspaltungsbewegung um Souveränität für ein eigenständiges "Katalonien". Die dortige Bevölkerung gehöre einer separaten "Nation" an, heißt es seit Verabschiedung eines neuen Autonomiestatuts im vergangenen Sommer.[3] Auch in Nordwestspanien ("Galizien") werden die Autonomieforderungen lauter. Dort bemühen sich Anhänger einer angeblichen "regionalen Identität" um neue Sonderrechte und wollen zur Förderung ihrer "Selbstbestimmung" eine eigene Uhrzeit einführen – gegenüber der Madrider Uhrzeit um eine Stunde verschoben. Langfristig wird auch hier das Verlangen nach Abspaltung nicht ausgeschlossen.[4] (Karte: Sowohl Spanien als auch Frankreich sollen ihre zentralstaatliche Ordnung aufgeben, um den "Regionen" und "Nationen" das ihnen zukommende "Selbstbestimmungsrecht" zu gewähren. Wie die Karte zeigt, laufen diese Forderungen auf eine Ausgründung mehrerer Kleinstaaten hinaus, die sowohl Frankreich wie auch Spanien auf Teilgebiete reduzieren. Zur Großansicht.)
Blut und Boden
In völliger Verkehrung der UNO-Charta berufen sich sämtliche Separatisten auf ein angebliches "Selbstbestimmungsrecht", das sie wegen ihres Minderheitenstatus in Anspruch nehmen wollen. Um als Minorität gelten zu können, werden Besonderheiten der blutlichen Herkunft, Sprache und Kultur ins Feld geführt, die ein Zusammenleben mit der Mehrheitsbevölkerung unzumutbar machen würden, so in Schottland oder Wales. In Spanien sei es für die "Basken" nicht länger hinnehmbar, dass die spanische Stadt Bilbao auch Bilbao heißt, statt einen rein baskischen Namen anzunehmen. Ähnliche Auseinandersetzungen, die anfangs lediglich kulturelle Inhalte haben, läuten weitergehende Kämpfe um hoheitliche Rechte ein (eigene Fahne, eigene Steuern) und enden in der Regel mit Ansprüchen auf Staatsgründung. Ziel ist die völkerrechtliche Einfriedung ethnisch reiner Zonen, in denen die Abstammungsminderheit ihre vermeintliche "Identität" bewahrt - um auf eigenem Boden zur Mehrheit zu werden.
Angriff
In fast sämtlichen europäischen Sezessionsgebieten werden diese Prozesse mit terroristischen Mitteln vorangetrieben. Während die direkten Gewalttäter aus dem Milieu der Benachteiligten kommen und den völkischen Nationalismus sozial verklären, werden die organisatorischen Fäden von den regionalen Eliten gezogen. Ihnen geht es um die Ausweitung ihrer Pfründe, die sie mit den Eliten des jeweiligen Zentralstaats nicht länger teilen wollen. Auf ideeller Ebene wird der Anspruch auf "Selbstbestimmung" verbreitet, obwohl bekannt ist, dass die entsprechenden Rechtsvorschriften der UNO-Charta nicht von Minderheitenkollektiven in Anspruch genommen werden dürfen, sondern ausschließlich dem Schutz des jeweiligen Individuums dienen. Es soll vor Übergriffen der Mehrheit bewahrt werden. Diese Unterscheidung will verhindern, was im Zuge der Kosovo-Politik um sich greift: der Angriff auf Zentralstaaten unter Berufung auf kollektive Minderheitenrechte.
Druck
Während die konservative Opposition in Madrid noch davor warnt, mit der Abspaltung des Kosovo einen Präzedenzfall für die spanischen Irredentismen zu schaffen, versucht die spanische Regierung die Folgen einzugrenzen. Wie der spanische Verteidigungsminister José Antonio Alonso behauptet, handelt es sich bei der südserbischen Provinz um einen nicht vergleichbaren "Einzelfall". "In Spanien haben wir eine gut funktionierende Verfassung", erklärte Alonso in der vergangenen Woche; zudem sei das Land "von jedem ethnischen Auseinanderstreben" weit entfernt.[5] Die Behauptung, die die offenkundigen Sezessionsvorhaben in großen Teilen Spaniens ignoriert, folgt der Unterzeichnung der "NATO Riga Summit Declaration" im vergangenen November, die Ministerpräsident José Luís Rodriguez Zapatero unter deutsch-amerikanischem Druck gebilligt hatte – trotz eines Passus, der die Sezession des Kosovo auch ohne Zustimmung der Belgrader Zentralregierung erlaubt.[6]
Einstieg
Befürchtungen, die territoriale Integrität des eigenen Staates auf die Dauer nicht verteidigen zu können, werden auch in Frankreich laut. Die Anerkennung der kosovarischen Eigenstaatlichkeit sei der "Einstieg in die Logik der Dekomposition der europäischen Staaten", urteilt der französische Politikwissenschaftler Dr. Pierre Hillard.[7] Wie Hillard in Erinnerung ruft, unterstützt die Pariser Regierung die Kosovo-Politik der EU, obwohl die Folgen für Frankreich offenkundig sind. Separatistische Kräfte, die auf Korsika oder in der Bretagne seit Jahren aktiv sind und mit dem bekannten Terror vorgehen, dürfen ihre Ansprüche in Zukunft auf einen völkerrechtlichen Präzendenzfall stützen - nach Vorbild der kosovarischen "Minderheit" . Im Süden Frankreichs stehen eine "baskische" und eine "katalanische" Sezessionsbewegung unter dem Einfluss spanischer Schwesterbewegungen und drohen mit Austritt aus dem Zentralstaat.
Blockbildung
Die Politik der Regionalisierung, die auf deutsches Betreiben europaweit durchgesetzt wird, schafft günstige Voraussetzungen für Sezessionsbewegungen, sagt Pierre Hillard im Gespräch mit dieser Redaktion: Sie stärkt angebliche "regionale Identitäten" und verbessert die Ausgangsbedingungen für Abspaltungsversuche. Dasselbe gelte für die sogenannten Euroregionen, deren Entstehung die Bundesrepublik seit langem fördert und auf deutschem Staatsgebiet zentral steuert. Wie Hillard in Erinnerung ruft, steht die Gründung einer Euroregion bevor, in der die von baskischen Separatisten beanspruchten Teile Spaniens und Frankreichs zusammengeführt werden. "Auf diese Weise können die Basken auf beiden Seiten der Pyrenäen einen Block bilden".[8]
Anschluss
"Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, dann werden wir das Ende der europäischen Nationalstaaten erleben", sagt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit dieser Redaktion. Eine Ausnahme dürfte freilich der deutsche Nationalstaat bilden. Eine Landkarte, die die baskische Separatistenpartei Herri Batasuna vor einigen Jahren veröffentlicht hat, zeigt ein nach völkischen Kriterien zergliedertes Europa.[9] Darin enthalten sind ein baskischer Nationalstaat sowie ein beinahe um die Hälfte geschrumpftes Frankreich. Allein Deutschland darf sich auf den Anschluss heutiger Nachbarterritorien freuen: Teile Belgiens und Frankreichs werden wegen des dort residierenden Deutschtums Berlin zugeschlagen.
Den dritten Teil unseres Schwerpunkts über die westliche Kosovo-Politik und ihre Folgen bringen wir am kommenden Sonntag.
Das Kartenmaterial entstammt den Wikimedia Commons und steht unter der GNU-FDL. Bearbeitung: german-foreign-policy.com.
[1] Kosovo: el riesgo de la autodeterminación humanitaria; ABC 13.02.2007
[2] s. dazu "Ethnisches Potential" in Irland und im "Baskenland", Deutsche Sozialisten: "Baskenland" nicht spanisch und Seid umschlungen, Regionen
[4] Noch eine spanische "Nation"; Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.02.2007
[5] España advierte que "no tiene sentido" comparar el País Vasco con Kosovo; ABC 10.02.2007
[6] s. dazu Abmontiert
[7], [8] s. dazu unser Interview mit Pierre Hillard
[9] s. dazu Ethno-Fraktion
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Führende Rolle
16.02.2007
PARIS - Über die Folgen der von Deutschland forcierten Sezession des Kosovo sprach german-foreign-policy.com mit Dr. Pierre Hillard. Hillard, Spezialist für die deutsch-französischen Beziehungen, ist docteur en science politique und Autor mehrerer Publikationen über die Zerschlagung von Staaten nach ethnischen Kriterien. Im Jahr 2001 erschien sein Werk "Minorités et régionalismes dans l'Europe Fédérale des Régions: Enquête sur le plan allemand qui va bouleverser l'Europe" (Paris). 2005 veröffentlichte er "La décomposition des nations européennes. De l'union euro-Atlantique à l'État mondial" (Paris).
german-foreign-policy.com: Mit immer neuen Kampagnen versuchen spanische Separatisten, das sogennante Baskenland aus der territorialen Einheit mit Madrid zu lösen. Betreffen diese Forderungen auch Frankreich?
Dr. Pierre Hillard: Es gibt längst eine größere Eigenständigkeit der spanischen Regionen. Im Baskenland und in Katalonien wurden aufgrund von Autonomieforderungen Referenden durchgeführt. Und infolge des katalonischen Referendums im Juni 2006 sind die regionalen Zuständigkeiten der Provinzregierung in Barcelona erweitert worden. Gleichzeitig erkennt ein neues Statut an, es gebe eine "katalonische Nation". Auf französischer Seite sind die baskischen und katalonischen Unabhängigkeitsbewegungen weniger stark; sie stehen unter dem Einfluss ihrer Kameraden südlich der Pyrenäen. Die Regierung Raffarin hat den französischen Unabhängigkeitsbewegungen nachgegeben, als es 2003 zur Bewilligung politischer und finanzieller Kompetenzen für die Regionen kam. Diese Dezentralisierung hat den Weg für größere Ansprüche der Basken und der Katalanen frei gemacht.
gfp.com: Welche Haltung nimmt der französische Staat ein? Gibt es Erwägungen, diese Gebiete abzutreten oder ein ethnisches "Baskenland" unter Einfluss französischer Territorien zumindest zu tolerieren?
Hillard: Die Anerkennung sogenannter regionaler Identitäten wird immer wichtiger. Die drei bedeutendsten politischen Parteien Frankreichs, die Sozialistische Partei von Ségolène Royal, die UMP von Nicolas Sarkozy und die UDF von François Bayrou, sie alle haben versprochen, die Charta der Regional- oder Minderheitensprachen zu ratifizieren, wenn ihr jeweiliger Kandidat die Präsidentschaftswahlen 2007 gewinnen sollte. Hier hat die deutsche Arbeitsgemeinschaft Europäische Grenzregionen (AGEG) mit ihren Konzepten der grenzüberschreitenden Kooperation Pate gestanden.[1] In dem offiziellen Programm der AGEG vom 1. Dezember 1995 heißt es, dass das Ziel der grenzüberschreitenden Kooperation darin liege, die Grenzen zu überwinden, "zumindest ihre Bedeutung zu einer rein administrativen Grenze zu verringern".
Demzufolge wird die französisch-spanische Staatsgrenze immer "administrativer". Im Jahre 2004 haben die Präsidenten der spanischen Regionen (Aragon, Katalonien und die Balearen) und der französischen Regionen (Midi-Pyrénées und Languedoc-Roussillon) beschlossen, die "Euroregion Pyrenäen-Mittelmeer" (www.euroregion-epm.org/) zu gründen. Es ist ebenfalls eine Euroregion vorgesehen, die das spanische Baskenland und Navarra mit Aquitanien vereint. Das bedeutet, dass die Basken beiderseits der Pyrenäen einen einzigen Block bilden. Die französische Regierung soll auf diese Weise in die Lage gebracht werden, die "Identität" der Franzosen baskischer Sprache zu fördern - auf Kosten der nationalen Einheit. Die Euroregionen ermöglichen die Zerstörung der Autorität der Staaten. Die Gründung der adriatischen Euroregion im Februar 2006 zum Beispiel dient eindeutig diesem Ziel (www.adriaticeuroregion.org/en/).
gfp.com: Wenn die französische Regierung diese ablehnende Haltung einnimmt, wie kann sie dann der faktischen Sezession des Kosovo zustimmen, die unmittelbar bevorsteht?
Hillard: Die französische Elite stellt sich immer weniger gegen diese Politik. Sie setzt langsam aber sicher die ethno-regionalistischen Maßnahmen um, wegen des Drucks aus Europa und wegen der führenden Rolle Deutschlands bei der Formulierung aller politischen Texte, die die nationalen Territorien zerstören – durch Regionalisierung, Ethno-Privilegien, Grenzabbau usw. Frankreich ist im Vergleich zu anderen Ländern lediglich im Verzug. Die Anerkennung - früher oder später - der Unabhängigkeit des Kosovo ist Teil dieser Logik: Auflösung der europäischen Staaten. Die staatlichen Stellen Frankreichs werden sich dem beugen, denn die Macht ist nicht mehr in Paris, sondern in Brüssel.
gfp.com: Die verschiedenen Separatismen im ehemaligen Jugoslawien konnten sich auf die konsequente deutsche Politik der Regionalisierung stützen. Trifft das auch auf französische Abspaltungsbewegungen zu?
Hillard: Im Falle Frankreichs gibt es ein Beispiel bei dem es sicher ist, und zwar Korsika. Im Juli 2003 hat die französische Regierung ein Referendum organisiert, damit die Insel mehr politische Befugnisse erhält. Dieses Referendum ist fehlgeschlagen. Wenn das Ja gewonnen hätte, dann hätten Maßnahmen eingeleitet werden müssen, um das "Korsische" zu stärken, das heißt Maßnahmen, die es ermöglicht hätten, die korsische "Identität" auf Kosten der französischen Staatsbürgerschaft zu stärken. Die politischen Befugnisse des korsischen Regionalrates wären auf Kosten der Autorität des französischen Staates gestärkt worden. Diese Maßnahmen wurden bereits im August 1998 am Beispiel der Åland-Inseln diskutiert (finnische Inseln, aber schwedischsprachig). Unter der Führung des deutschen ECMI (European Center for Minority Issues, Flensburg) und von Stefan Troebst, damals dessen Vorsitzender, wurde vom 25. bis zum 30. August ein Kolloquium mit allen Vertretern der korsischen Unabhängigkeitsbewegung organisiert (Jean-Guy Talamoni, Edmond Simeoni usw.). Ziel war es, Maßnahmen zu diskutieren, deren Einführung die korsische "Identität" stärken könnten.[2]
gfp.com: Die Sezession des Kosovo wird seit vielen Jahren von Deutschland aktiv gefördert. Gibt es auch unmittelbare deutsche Unterstützung für französische Separatisten?
Hillard: In meinem Buch "Minderheiten und Regionalismen" habe ich dargelegt, dass das deutsche Innenministerium über die FUEV (Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen) Hunderte von Unabhängigkeitsbewegungen in Europa unterstützt. Im Falle Frankreichs sind das: Die "Savoyer Liga", die "Volksunion Elsass-Lothringen", die "Partei für die Organisation einer freien Bretagne" und das regionale "Aktionskomitee der Bretagne". In meinem Buch [3] habe ich eine offizielle Liste aller Namen und aller Adressen der Teilnehmer dieser Unabhängigkeitsbewegungen beim Kongress der FUEV 1999 veröffentlicht. An diesem Kongress nahm ein damaliger hoher deutscher Beamter aus dem zuständigen Bundesministerium des Innern teil, Rolf Gossmann. Neben der FUEV nicht geringzuschätzen ist auch die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz im Europa-Parlament. Sie vereint ungefähr dreißig Autonomiegruppen, die unter dem Einfluss von Berlin stehen. Im Falle Frankreichs findet man dort: Die "Demokratische Union der Bretagne", die "Union des elsässischen Volkes" oder auch die "Okzitanische Partei".[4]
gfp.com: Vom baskischen und vom katalanischen Separatismus ist auch Spanien betroffen. Sind die Regierungen in Madrid und Paris dem selben äußeren Regionalisierungs-Einfluss ausgesetzt?
Hillard: Auch wenn der Prozess der Regionalisierung in Spanien weiter fortgeschritten ist als in Frankreich, die französische Regierung nimmt europäische Texte an, die das Auseinanderfallen des Landes vorbereiten. So hat die Nationalversammlung am 30. Juni 2006 eine Charta für lokale Autonomie verabschiedet, ein deutsch-europäisches Dokument [5], das mittlerweile den allgemeinen Rahmen für die französischen lokalen Gebietskörperschaften bildet, auf Kosten der Zentralgewalt. Aber bedenklicher ist, dass die französische Regierung über den Innenminister Nicolas Sarkozy am 17. Januar 2007 im Senat einen Gesetzentwurf angenommen hat, der eine probeweise Umstellung bei der Mittelvergabe des europäischen Strukturfonds vorsieht.[6] Wenn diese Maßnahme umgesetzt werden sollte, werden die Regionen die Strukturfonds selber mit Brüssel aushandeln können - ohne Rücksicht auf die Zentralgewalt, das heißt die Präfekten. Gestärkt durch diese finanzielle Unabhängigkeit, werden die französischen Regionen leichter Maßnahmen beschließen können, die dem angeblichen Minderheitenschutz dienen, aber womöglich darauf hinauslaufen, die Bildung grenzüberschreitende Territorialeinheiten zu beschleunigen - zugunsten spanischer, italienischer oder deutscher Autonomisten. Das sind dann die von der Zentralgewalt unabhängigen Euroregionen. Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, erleben wir das Ende der europäischen Nationen.
[1] Die AGEG in Gronau/Nordrhein-Westfalen steuert die europaweite Gründung von Euroregionen.
[2] "Autonomies insulaires, vers une politique de la différence pour la Corse? " Ajaccio, Editions Albiana, 1999.
[3] Pierre Hillard, "Minorités et régionalismes", Paris, Editions François-Xavier de Guibert, 4è édition, 2004, annexe 34.
[4] Pierre Hillard, "La décomposition des nations européennes", Paris, Editions Françoix-Xavier de Guibert, 2005, annexes 5 et 21.
[5] Rapport sur "Les institutions régionales en Europe", Strasbourg, Editions Congrès des Pouvoirs Locaux et Régionaux de l’Europe, Quinzième session, Strasbourg, 10-12 juin 1980 (CPL (15) 5 Final), projet de résolution présenté par la Commission des structures et des finances locales, rapporteur M. A Galette (Allemagne).
[6] Rapport n°161 (2006-2007) de Mme Catherine Troendle, fait au nom de la commission des lois, déposé le 17 janvier 2007, Sénat.