Organhandel
09.05.2008
BELGRAD/PRISTINA/BERLIN (Eigener Bericht) - Mit offener Wahlkampfhilfe sucht Berlin eine Niederlage seiner Parteigänger bei den serbischen Wahlen an diesem Sonntag abzuwenden. Jüngsten Umfragen zufolge haben EU-kritische Kräfte, die nach der völkerrechtswidrigen Anerkennung der Sezession des Kosovo durch die EU-Führungsmächte eine Annäherung an Brüssel ablehnen, einen klaren Vorsprung. Mit Erleichterungen bei der Visa-Vergabe und mit neuen Stipendienprogrammen will Deutschland nun Unentschiedene locken und zu EU-freundlicher Stimmabgabe verleiten. Unabhängig vom Wahlausgang drohen Auseinandersetzungen, weil Belgrad die Parlaments- und Kommunalwahlen wenigstens in den serbisch besiedelten Teilen der besetzten Südprovinz durchführen will. Die Sezessions-"Regierung" in Pristina will das nicht anerkennen. Die UNO, die eigentlich mit der Verwaltung des Kosovo betraut ist, ist wegen der Anerkennung der Sezession durch eine kleine, aber mächtige Minderheit ihrer Mitglieder nicht in der Lage, ihre Aufgabe entsprechend dem Völkerrecht zu erledigen. Unterdessen verschärfen Menschenrechtsorganisationen ihre Kritik an Pristina. Ihnen liegen neue Hinweise auf den Handel mit Organen verschleppter und ermordeter Serben durch die UCK vor. Hashim Thaci, ehemals UCK-Chef, heute von Berlin gestützter "Premierminister", war demnach Mitwisser des Verbrechens.
Übliche Praxis
Mit offener Wahlkampfhilfe sucht die Bundesregierung eine Niederlage ihrer Parteigänger bei den Parlaments- und Kommunalwahlen in Serbien am kommenden Sonntag abzuwenden. Unverhohlene Einmischung aus Berlin und Brüssel bei Urnengängen in Serbien ist inzwischen übliche Praxis; mit kosmetischen Maßnahmen sollen jeweils Stimmenverluste der prowestlichen Kräfte in Belgrad minimiert werden, mit denen aufgrund der antiserbischen Politik des Westens zu rechnen ist. Schon vor den Präsidentenwahlen zu Jahresbeginn hatten Deutschland und die EU offen interveniert und auf diese Weise zum knappen Sieg von Boris Tadic beigetragen.[1] Diesmal sind die Chancen, eine Niederlage verhindern zu können, schlechter, weil auch Tadic sich als völlig ohnmächtig gegenüber der Abspaltung des Kosovo und der weiteren Deklassierung Serbiens erwies.
Nur symbolisch
Berlin und Paris haben nun zugesagt, jeweils bis zu 100 Hochschulstipendien zusätzlich zu bestehenden Programmen an serbische Intellektuelle zu vergeben.[2] Zudem kündigt Brüssel auf deutschen Druck Erleichterungen bei der Visa-Vergabe für Serben an.[3] Der Schritt gliche, falls er vollzogen wird, nur Nachteile aus, die serbische Bürger wegen des EU-Beitritts Ungarns, Rumäniens und Bulgariens hinnehmen mussten. Die traditionell engen Kontakte der Bevölkerung Serbiens in diese Länder leiden seitdem unter teuren und aufwendigen Formalitäten, von denen die EU die Erteilung von Einreisegenehmigungen abhängig macht. Auch ein weiteres Brüsseler Angebot täuscht Vergünstigungen nur vor. Schon am 29. April hatten die EU-Außenminister ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Serbien unterzeichnet, um die prowestlichen Kräfte in Belgrad zu stützen. Dabei ist die Maßnahme gänzlich irrelevant: Das Abkommen wurde nicht ratifiziert, seine Ratifizierung soll erst nach Erfüllung aller eigentlich schon für die Unterzeichnung notwendigen Formalitäten erfolgen - also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie ohnehin schon vorgesehen war.[4]
Gesetzliche Rechte
Unabhängig vom Abstimmungsausgang führt die völkerrechtswidrige Sezessionserklärung Pristinas und ihre illegale Anerkennung durch eine Minderheit von bislang nur 40 UNO-Mitgliedstaaten zu neuen Spannungen. Prinzipiell sind laut UNO-Resolution 1244 die Vereinten Nationen für die Durchführung von Wahlen im Kosovo zuständig. Im aktuellen Fall kommen sie dieser Aufgabe nicht nach, weil einige mächtige Staaten eine Eigenstaatlichkeit des Kosovo proklamieren und serbische Wahlen dort verhindern wollen. Belgrad will sie nun wenigstens in den serbisch besiedelten Teilen des Kosovo abhalten. Weil Pristina sie nicht anerkennt, drohen neue Auseinandersetzungen. Der deutsche UNMIK-Verwalter Joachim Rücker hatte zunächst Partei ergriffen und die Wahlen eigenmächtig untersagt. Das Vorpreschen konnte jedoch durch Widerstände innerhalb der Vereinten Nationen gestoppt werden. Nun heißt es, die Wahlen dürften in den serbisch besiedelten Teilen des Kosovo stattfinden. Was danach geschehen soll, ist unklar. Die Kosovo-Serben haben angekündigt, ein eigenes parlamentarisches Vertretungsorgan zu gründen, um "ihre gesetzlichen Rechte zu verteidigen".[5] Pristina hat mitgeteilt, dies nicht hinnehmen zu wollen.
Ermittlungen gescheitert
Während die völkerrechtswidrige Sezession sowie ihre illegale Anerkennung unter anderem durch Berlin zu immer neuen Spannungen führen, verschärfen Menschenrechtsorganisationen die Kritik an der "Regierung" in Pristina. Wie Human Rights Watch (HRW) unter Berufung auf eine Buchpublikation und auf eigene Recherchen berichtet, wurden nach dem 12. Juni 1999, dem Tag, an dem die NATO in Serbien einmarschierte, bis zu 300 Menschen - zumeist serbischsprachige Bewohner des Kosovo - als angebliche Kriegsgefangene nach Albanien verschleppt.[6] Wie es heißt, wurden sie dort in Lagern interniert, wo die Mehrzahl unter Nahrungsentzug litt und geschlagen wurde, während die jüngeren und gesünderen Gefangenen Speise und ärztliche Betreuung erhielten. Die Gesünderen wurden später in ein Haus bei der albanischen Kleinstadt Burrel verbracht, wo man ihnen Berichten zufolge Organe entnahm und diese per Flugzeug ins Ausland verbrachte. Ihre Leichen wurden, so heißt es, in der Nähe verscharrt. Das Geschehen war schon vor Jahren der Chefanklägerin am Internationalen Jugoslawien-Gerichtshof, Carla del Ponte, zur Kenntnis gebracht worden. Ihre damaligen Ermittlungen waren jedoch gescheitert.
"Premierminister"
Von dem Verbrechen, das Mitgliedern der Terrortruppe UCK zugeschrieben wird, hat den Berichten zufolge auch der damalige UCK-Chef und heutige "Premierminister" der Sezessions-"Regierung" in Pristina, Hashim Thaci, Kenntnis gehabt.[7] Thaci war von serbischen Richtern bereits 1997 zu zehn Jahren Haft verurteilt worden - wegen mehrerer Morde. Der Bundesnachrichtendienst hält ihn für einen der höchsten kosovarischen Mafiabosse und für den Auftraggeber eines "Profikillers".[8] Der heutige "Premierminister" arbeitet seit Jahren mit Berlin zusammen. Schon Anfang 2006 hielt er sich zu ausführlichen Gesprächen in der deutschen Hauptstadt auf; er konferierte damals auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) unter anderem im Auswärtigen Amt.[9] Zu diesem Zeitpunkt waren die Erkenntnisse etwa des Bundesnachrichtendienstes über den mutmaßlichen Mitwisser des mörderischen Organhandels durch Presseberichte sogar einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
Straflosigkeit
Carla del Ponte hat die mutmaßlichen Morde zum Zwecke des Organhandels jetzt in einer Buchpublikation öffentlich gemacht. Sowohl Pristina als auch die Regierung Albaniens verweigern jegliche Untersuchung - und geraten trotz maßgeblichen Einflusses des Westens, vor allem Berlins, nicht weiter unter Druck. Der gänzlich fehlende Wille zur Aufklärung erinnert an das skandalöse Den Haager Verfahren gegen einen der mächtigsten kosovarischen Clanchefs, Ramush Haradinaj. Haradinaj, dem zahlreiche Untersuchungsberichte westlicher Polizeien und Geheimdienste eine außergewöhnliche Mafia-Karriere und zahlreiche Morde sowie weitere Verbrechen bescheinigen [10], wurde Anfang April in Den Haag gänzlich freigesprochen. Er gehört zu den engsten Kooperationspartnern Berlins und Washingtons aus dem NATO-Krieg 1999 und der folgenden Besatzungszeit.
Die Grenze
Über derlei Fälle erstaunlicher Straflosigkeit hat sich kürzlich ebenfalls Carla del Ponte geäußert. Wie die Schweizer Juristin in ihrem jüngst erschienenen Buch schreibt, hatte sie versucht, Kriegsverbrechen, die NATO-Soldaten bei der Bombardierung Jugoslawiens begangen hatten, zu verfolgen. Die NATO bremste sie kalt aus. Del Ponte berichtet als erste Insiderin offen darüber, warum der Versuch scheiterte, das Recht nicht nur einseitig als Kampfmittel zu missbrauchen: "Ich war an die Grenze des politischen Universums gestoßen, innerhalb dessen das Kriegsverbrechertribunal autorisiert war, zu funktionieren".[11]
Weitere Informationen zur deutschen Kosovo-Politik finden Sie hier: Weitere Informationen zur deutschen Kosovo-Politik finden Sie hier: Neuer Vasall, Imperiale Vollendung, Teil der Verwaltung, Die Wiederauferstehung Jugoslawiens, Die Herren des Rechts, Paketlösung, Abmontiert, Sieger im Kalten Krieg, Selbstbestimmung, Die zweite Welle, Dayton II, Mit kreativen Tricks, Angelpunkt, Countdown, Kooperationsraum, Aufs engste verflochten, Politische Freundschaften, Heldenfigur, Wankendes Gefüge und Unter deutscher Aufsicht.
[1] s. auch Abmontiert
[2] Bundesaußenminister Steinmeier und sein französischer Amtskollege Kouchner vereinbaren Ausweitung der Stipendienprogramme für Serbien; Pressemitteilung des Auswärtigen Amts 02.05.2008
[3] Deutschland unterstützt verstärkte kostenfreie Visavergabe an serbische Staatsbürger; Pressemitteilung des Auswärtigen Amts 06.05.2008
[4] Die EU lockt Serbien mit Aussichten auf den Beitritt; Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.04.2008
[5] Kosovo-Serben planen eigenes Parlament; RIA Novosti 07.05.2008
[6] Kosovo/Albania: Investigate Postwar Abductions, Transfers to Albania; Human Rights Watch 05.05.2008
[7] Die Jagd der Carla Del Ponte; Neue Zürcher Zeitung 13.04.2008
[8] s. dazu "Danke, Deutschland!"
[9] Sozis und Mafiosi: Kosovo-Terrorist zu Gast in Berlin; junge Welt 10.02.2006
[10] s. dazu Politische Freundschaften und Heldenfigur
[11] Die Jagd der Carla Del Ponte; Neue Zürcher Zeitung 13.04.2008