Kosovo: Linke 1999 Erfüllungsgehilfen der NATO

1) Pro memoria: Von der «Friedenspartei» zur Kriegstreiberei
SPD und Grüne im Kosovo-Diskurs 1999
(von Kurt Gritsch - Zeit-Fragen, 08.11.2010)

2) „Humanitärer“ Bellizismus
Kurt Gritsch unterzieht die mediale Legitimation des „Kosovo-Kriegs“ einer skeptischen Revision
(von Franz Siepe - literaturkritik.de)


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Da: truth @ public-files.de
Data: 21 novembre 2010 14.15.31 GMT+01.00

-------- Original-Nachricht --------
Datum: Thu, 18 Nov 2010 21:35:10 +0100
Von: "Y.&K.Truempy" 
Betreff: Kosovo: Linke 1999 Erfüllungsgehilfen der NATO


Weitere Literaturangaben Zu Srebrenica:

Alexander Dorin, Zoran Jovanovic
Srebrenica – wie es wirklich war
Unterdrückte Tatsachen über die an Serben begangenen Massaker 1992–1995

Srebrenica
von Alexander Dorin
Die Geschichte eines salonfähigen Rassismus


Weitere Links:

www.free-slobo.de



Bücher von Gritsch:

Peter Handke und "Gerechtigkeit für Serbien" Eine Rezeptionsgeschichte von Kurt Gritsch von Studienverlag (Broschiert - 24. März 2009)


Inszenierung eines gerechten Krieges?: Intellektuelle, Medien und der "Kosovo-Krieg" 1999. von Kurt Gritsch von Olms, Georg (Taschenbuch - Juni 2010)



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Pro memoria: Von der «Friedenspartei» zur Kriegstreiberei


SPD und Grüne im Kosovo-Diskurs 1999


von Kurt Gritsch


1999 führte die Nato ihren ersten Krieg out of area, was für Deutschland, das sich an der «Operation Allied Forces» beteiligte, zugleich die erste kriegerische Betätigung seit 1945 darstellte. Die politischen Eliten, welche den neuen Kurs verantworteten, entstammten indes nicht, wie bis zum Ende des kalten Krieges zu vermuten gewesen wäre, dem rechtskonservativen Lager. Ähnlich wie in zahlreichen anderen Nato-Ländern waren auch in Deutschland 1999 linksgerichtete Parteien an der Macht. Deren Bedeutung zur Rechtfertigung der «humanitären Intervention», angeblich zum Schutz der von Serbien bedrohten Kosovo-Albaner, wird von Befürwortern wie Kritikern der Luftangriffe auf Jugoslawien gleichermassen anerkannt.


Nur eine rot-grüne Regierung habe Deutschland in einen Krieg führen können, «ohne die deutsche Gesellschaft einer Zerreissprobe auszusetzen, die alle innenpolitischen Auseinandersetzungen an Schärfe und Bedrohlichkeit in den Schatten gestellt hätte.»1 Dabei wurde der Topos des linken Antifaschismus zur Legitimation der Luftangriffe verwendet.2 Wie die USA Deutschland vom Hitler-Terror befreit hätten, müssten nun die Deutschen Jugoslawien vom Neo-Hitler Milosevic befreien:


«Diese Wiederbelebung des Hitler-Gespenstes richtet sich vor allem gegen die bisher kriegsunwilligen Deutschen und die dortige Friedensbewegung, […] Sie wirkt vor allem bei den Medien, die bis heute nicht müde werden, den Krieg als Normalfall hinzustellen.»3


Allerdings hatten die USA NS-Deutschland keineswegs alleine besiegt. Abgesehen von den Westalliierten Grossbritannien und Frankreich hatte die Sowjetunion die Hauptlast getragen und neben Auschwitz zahlreiche weitere Vernichtungslager in Osteuropa befreit. Dennoch kämpfte die UdSSR keineswegs aus humanitären Gründen gegen das «Dritte Reich». Gleiches gilt für die USA, die in den Krieg weder wegen Pearl Harbor eingetreten waren, noch um «die Juden» zu retten, sondern weil sie ihre aussenpolitischen und geostrategischen Interessen insbesondere im Pazifik bedroht sahen.4 Schon von daher bleibt eine auf den Zweiten Weltkrieg aufbauende moralische Rechtfertigung fragwürdig. Eine ethische Verpflichtung durch «Auschwitz» müsste auf einen Krieg aus ausschliesslich humanitären Interessen hinauslaufen, was es in der Geschichte noch nie gegeben hat. Damit kann ein drohender Genozid nur durch pluralistische, heterogene zivile Organisationen wie OSZE und Uno glaubwürdig bekämpft werden.
Diese Präambel sollte vorausgeschickt werden, um die Inszenierung der Luftangriffe als «gerechten Krieg» durch linksgerichtete Politiker in Deutschland besser verstehen zu können – eine Inszenierung, die gerade deshalb so überzeugend gelang, weil SPD und Grüne in ihrer Vergangenheit den Slogan «Nie wieder Krieg» vertreten hatten. Vorgeblich linksgerichtet, konnten sie im historisch günstigen Moment um so leichter konservative Positionen wie die Remilitarisierung der deutschen Aussenpolitik erobern, da sie auf Grund ihrer Geschichte als unverdächtiger in Bezug auf Machtpolitik galten als CDU- und FDP-Kreise. Ähnliches gilt für mehrere Nato-Mitgliedsstaaten. Die «Wandlung der Friedenstauben zu Falken»5 aus moralischen Gründen erfolgte in den USA ebenso wie in Deutschland. Die Grünen trugen wesentlich dazu bei, «einen breiten Konsens in der deutschen Politik und der öffentlichen Meinung zugunsten der Nato-Intervention zu erreichen».6 Während sich deutsche Linke im neuen Interventionismus wie die US-Liberalen auf Menschenrechte und insbesondere auf den Antifaschismus beriefen, bezog die US-Linke ihren Bellizismus aus der «Vorstellung von multikulturellem Pluralismus, dem friedlichen Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen».7
Der Versuch der CDU/FDP-Regierung Kohl, die Nachkriegsordnung einer Revision zu unterziehen, kam nach der erfolgten «Wiedervereinigung» nicht überraschend. Dass hingegen Sozialdemokraten und Grüne die Bestrebungen des Landes, nach 1945 erneut eine militärisch aktive Macht zu werden, massgeblich befördern würden, verwunderte, oberflächlich betrachtet, eher. Immerhin hiess es im SPD-Programm zur Bundestagswahl 1998 noch, die Bundeswehr diene zur Landes- und Bündnisverteidigung und könne darüber hinaus nur für Uno- oder OSZE-mandatierte Friedensmissionen eingesetzt werden. Die Nato wurde als Verteidigungsbündnis bezeichnet und betont, dass das «globale Gewaltmonopol zur Sicherung des Weltfriedens» ausschliesslich bei den Vereinten Nationen liege.8 «Deutsche Aussenpolitik ist Friedenspolitik»,9 schrieben SPD und Grüne in die Koalitionsvereinbarungen. Auslandeinsätze deutscher Soldaten orientierten sich dort ebenfalls am Völkerrecht. Sogar der Rat der Friedensforscher und die Förderung der Friedensforschung wurden vermerkt.10 Wie konnte es unter diesen Voraussetzungen zum Bruch des Völkerrechts durch die Beteiligung am Luftkrieg kommen?


Die Sozialdemokratie in Krise und Wandel


Hans Joachim Giessmann vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik machte im Juni 1999 den Anpassungsdruck als Regierungsparteien dafür verantwortlich, «dass fast alle neuen Ideen in der Koalitionsvereinbarung mittlerweile ad acta gelegt worden sind – einschliesslich der Förderung der Friedensforschung».11 Allerdings war die Hoffnung auf eine friedliche Aussenpolitik angesichts der bellizistischen Äusserungen Fischers12 und Schröders13 zu Oppositionszeiten bereits fragwürdig gewesen, mit der Regierungsübernahme verlor sie weiter an Berechtigung. Bei der Reaktivierung militärischer Gewalt als Mittel der Aussenpolitik und damit der Übernahme einer zentralen konservativen Position kam der Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen entgegen, dass «sie die einzigen sind, die Kriege führen und gleichzeitig den Protest auf der Strasse lahmen».14 Der Soziologe Ralf Dahrendorf hatte schon 1979 konstatiert, dass rechte Sozialdemokraten nicht zufällig die konsequentesten Konservativen würden. Denn während letztere nach Grundsatzprogrammen suchten, kämen erstere sowohl mit einem Minimum an Programm als auch an Regierung aus, «sie lassen die vorherrschenden Annahmen der Wirtschafts- und Gesellschafts­politik unbestritten, kümmern sich im übrigen um law and order und um die Verwaltung des Bestehenden».15 Dies deshalb, weil die Sozialdemokratie angesichts der Institutionalisierung der Demokratie, des Massenwohlstandes und der Bürgerrechte am Ende sei. Da das grosse Programm verwirklicht wurde, machten sich seine Vertreter nun zu Bewahrern.16 Auch wenn der sozialdemokratische Konsensus noch eine Zeitlang überleben werde, sei er dennoch erledigt, weil Wandlungen und neue Entwicklungen nicht mehr hervorgebracht und sogar eigene Widersprüche hervorgerufen würden.17 Vor diesem Hintergrund ist das Renegatentum zu betrachten – ehemalige Linke, die sich von den alten ideologischen Formeln losgesagt und die einst kritisierten Positionen eingenommen haben. Handelt es sich bei diesen «Verrätern»18 um Opportunisten oder um Menschen, die sich weltanschaulich weiterentwickelt haben?19
Der Soziologe Frank Deppe jedenfalls kritisierte am 7.September 1999, dass viele Linke Macht und Interessen nicht analysierten und unfähig seien oder sich dagegen wehrten, herrschende Legitimationsmuster ideologiekritisch zu überprüfen. Deppe zufolge manifestierten sich in der mit «Globalisierung» charakterisierten neuen Weltordnung «ökonomische Sachzwänge, denen sich die Politik unterzuordnen hat».20 Krieg stelle dabei nur eine radikalere politische Gangart einer in sich kohärenten Politik der «Ideologen des dritten Weges, der neuen Mitte und der neuen Sozialdemokratie» dar:
«Der Krieg neuen Typs ist die gewaltsame, aber auch reine Form dessen, was Stephen Gilt […] als ‹disciplinary neoliberalism› bezeichnet hat, das heisst: der Neoliberalismus im Übergang von der Marktliberalisierung zur politischen (auch militärischen) Disziplinierung, denn die Marktliberalisierung hat die Widersprüche, die sie überwinden wollte, keineswegs aufgehoben, sondern eher noch verstärkt und neue Widersprüche und Konflikte erzeugt. Daher tritt nun die Seite der politischen Repression sehr viel stärker in den Vordergrund.»21
Noch Mitte der 1990er Jahre hatten zahlreiche Deutsche ihre Hoffnung auf Frieden in die Politik von Sozialdemokraten und Grünen gesetzt. Wer, wenn nicht die Generation der ehemaligen «68er», von der sich viele Mitglieder der späteren Regierungsparteien in der Friedensbewegung engagiert hatten,22 sollte dafür sorgen? Das Gegenteil war der Fall. Die SPD-Spitze liess sich bereits im Februar 1994 vom nationalistischen Politikwissenschaftler Tilman Fichter,23 zwischen 1986 und 2001 Referent für Schulung und Bildung im Parteivorstand, ideologisch auf einen Nato-Angriff gegen Jugoslawien vorbereiten, obwohl die Parteimehrheit noch im selben Jahr und vor dem «Schlüsselereignis Srebrenica» vergeblich gegen Auslandeinsätze deutscher Soldaten vor dem Bundesverfassungsgericht klagte.24 So scheiterte der pazifistische Flügel einerseits am Bundesverfassungsgericht, andererseits am eigenen Vorstand. Mit welchen Argumenten rüstete sich indes die Parteispitze? Es gelte, «Verantwortung zu übernehmen»:


«Denn der versuchte [sic!] Völkermord der Deutschen und Österreicher in Auschwitz an den europäischen Juden verpflichtet geradezu die Demokraten in Deutschland (beziehungsweise in Österreich) zu einem eindeutigen Engagement für Menschenrechte und die bürgerlichen Freiheiten.»25


Unter tatkräftiger Mitwirkung der Grünen wurde Deutschland schliesslich mehr als 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erneut zur militärisch aktiven Macht.26 Dabei vollzog sich quasi über Nacht unter Zustimmung einer zur Verfassungsänderung berechtigten Bundestagsmehrheit ein Paradigmenwechsel, der in dieser Geschwindigkeit selbst Konservative überraschte.27 Diesem Konsens unterlagen auch innerparteiliche Kritiker. Die Linke der SPD um den «Frankfurter Kreis» und seinen Sprecher Detlev von Larcher bemühte sich zwar nach Beginn des Nato-Bombardements um ein Ende der Kriegshandlungen, konnte sich jedoch ebenso wenig gegen Schröders Mehrheit behaupten28 wie Vorstandsmitglied Hermann Scheer oder die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen (ASJ) unter ihrem Vorsitzenden Klaus Hahnzog.29 Auf dem SPD-Sonderparteitag in Bonn am 12. April stimmte schliesslich eine grosse Mehrheit für die rot-grüne Kosovo-Poli­tik.30 Innerparteilichen Streit gab es auch bei den Grünen, und nicht erst auf dem Parteitag am 13.Mai in Bielefeld, als Fischer von einem militanten Kritiker mit einem Farbbeutel beworfen wurde. Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin und Interventionsbefürworterin, erhob nach der Veröffentlichung von Details des Rambouillet-Textes schwere Vorwürfe gegen den Aussenminister.31 Doch auch Proteste der pazifistischen Mitglieder nützten nichts. Der Politologe Elmar Altvater, einer der Gründerväter der Grünen und einer ihrer wichtigsten wissenschaftlichen Köpfe, erklärte anschliessend seinen Rückzug. Er warf den Grünen u.a. vor, durch den Bielefelder Beschluss eine Aussenpolitik zu unterstützen, «die nicht nur für einen illegalen Krieg verantwortlich ist, sondern Verbrechen gegen die Menschlichkeit billigend und unterstützend hinnimmt».32 Altvater bezichtigte seine Partei, mit der Nato ein Kriegsziel zu verfolgen, das jede politische Lösung ausschliesse, indem es entweder die Kapitulation Jugoslawiens, «wie sie im Rambouillet-Diktat (von Vertrag zu sprechen verbietet die politische Kultur) vorgesehen war oder die Zerstörung von Land und Gesellschaft Jugoslawiens und möglicherweise darüber hinaus»33 nach sich ziehe. Die Delegiertenmehrheit habe in Bielefeld den Rubikon überschritten, so Altvater, der für die Politik Fischers vernichtende Worte fand:


«Die Rechtfertigung des Bielefelder Beschlusses mit den ‹Friedensinitiativen›34 des Aussenministers ist daher lächerlich, wenn man Dummheit attestiert, oder zynisch, wenn man annimmt, dass die Leute wissen, worum es geht.»35


Jugoslawien-Diskurs für Nato-Einsätze und Joseph Fischers Rolle


Doch wie war es so weit gekommen? Ein Blick zurück: Bedingt durch ihre Nato-kritische und antimilitaristische Vergangenheit war es für die «68er» grundsätzlich zuerst einmal nicht einfach, in ihrer Rolle als Staatsregenten Krieg als Mittel der Politik zu relegalisieren. Da sie kapitalistischen wie geostrategischen Interessen als Motivation für militärische Gewalt als Oppositionelle offiziell skeptisch (SPD) bis ablehnend (Grüne) gegenübergestanden hatten, konnte man als Regierungskoalition die Basis nur mühsam auf den neuen Kurs umstimmen. Dies gilt insbesondere für die Grünen, welche im Unterschied zur SPD lange Zeit gegen die Integration Deutschlands in die Nato gewesen waren. Die zunehmende Aufweichung der militärische Gewalt ablehnenden Position gelang in den 1990er Jahren durch die Interpretation des «Jugoslawien-Krieges» als vermeintlichen oder tatsächlichen Exzess von Vertreibungen und Völkermord. Die entscheidende Wende geschah durch die Abkehr von der als unzulänglich diskreditierten Uno und zeitgleicher Hinwendung zur Nato. Die Instrumentalisierung des jugoslawischen Bürgerkriegs diente dem Aufbauen des Nordatlantikpakts als angeblich effizientes Lösungsinstrument anstelle von UN-Friedensmissionen. Massgebend war die Wahrnehmung der Bürgerkriegsereignisse in den Parametern des Zweiten Weltkriegs bei gleichzeitiger Zuschreibung der «Nazi-Rolle» an eine Bürgerkriegsseite, i.e. an Serbien. Während alle Parteien Gefangenenlager hatten und die Anzahl nicht disproportional zur militärischen Stärke war, wie das Internationale Rote Kreuz im Sommer 1992 feststellte,36 mutierten gerade im politisch sensiblen Lager der Linken, insbesondere bei den Grünen, Gefangenenlager zu KZs. Gleichzeitig verlor man, absichtlich oder nicht, die Verantwortung aller Kriegsparteien für die Menschenrechtsverletzungen aus den Augen und konzentrierte sich zunehmend nur mehr auf die lange Zeit stärkste Partei, die bosnisch-serbische Seite, die von der JVA unterstützt wurde. Mit der fragwürdigen Kolportierung des angeblichen Genozids an den bosnischen Muslimen war lange vor den Ereignissen von Srebrenica die Basis für einen ethischen Diskurs gelegt, dem sich nicht nur kaum jemand – und erst recht niemand aus der antifaschistischen «Rebellengeneration» – zu widersetzen traute, sondern der gerade wegen seiner Moralisierung dem Denken der «68er-Generation» entsprach. Hatte sie nicht dem Recht der Staatsgewalt die für die eigenen Vorstellungen beanspruchte Moral entgegengestellt und den Faschismus der Väter gegeisselt? Mit derselben Inbrunst predigten sie nun als Regierende das Gegenteil dessen, was sie einst gefordert hatten, aber immer noch im Namen der Humanität: «Aus ‹Frieden schaffen ohne Waffen› wird ‹Frieden – mit aller Gewalt›.»37 Der von der Friedensbewegung entlehnte moralische Imperativ führte dazu, dass alle Argumente unterhalb der grossen ethischen Geste für belanglos erklärt wurden.38
Es lässt sich feststellen, dass SPD und speziell Grüne ihrer Basis generelle Kriegszustimmung prinzipiell zwar schwerer, aber unter «richtiger», i.e. moralisch begründeter Argumentation, glaubwürdiger abringen konnten als Christdemokraten und FDP. Gegen deren Kriegspolitik hätte man als Opposition eher protestiert, was umgekehrt nicht zu erwarten war, weil die CDU militärischem Engagement ausserhalb der bundesdeutschen Grenzen grundsätzlich nicht ablehnend gegenüberstand. Dies erklärt die Stilisierung des autoritären Milosevic-Regimes zur faschistischen Diktatur – denn um den Gesinnungsbruch, der schon lange vorbereitet und nach dem Gang in die Regierung schliess­lich umgesetzt worden war, zu verschleiern, knüpfte Rot-Grün an das amerikanische Konzept des «Schurkenstaates» an.39
Bis Ende 1994 noch Gegner einer Nato-Einmischung, wandelte Joseph «Joschka» Fischer seine Position so konsequent,40 dass Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) im Juni 1998 befürchtete, von ihm in der Forderung nach militärischer Intervention in Jugoslawien überholt zu werden.41 Eine, wenn nicht die zentrale Rolle auf dem Weg der deutschen Linken von «make Love not War» zu «Krieg für Menschenrechte» spielte damit ein Mann, der in jungen Jahren als erklärter Antifaschist auf Polizisten eingeprügelt und sich später vom Kleinbürgertum an die Macht gekämpft hatte. Er wurde zur Galionsfigur, zur moralischen Autorität einer Bewegung, die sich für Frieden einsetzte und am Ende Krieg führte. Dabei hatte Fischer 1991 noch seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, die Grüne Partei möge genug Kraft haben, damit Pazifisten eine «friedensbezogene Aussenpolitik ohne Militär»42 machten. Ende Dezember 1994 erklärte er, eine deutsche Beteiligung an UN-Einsätzen und die Debatten darüber würden bloss als Türöffner für das Bestreben der Bundesregierung, Deutschland aussenpolitisch voll handlungsfähig zu machen, benutzt.43 Im Streitgespräch mit dem Interventionsbefürworter und Parteifreund Daniel Cohn-Bendit sagte er u.a.:


«Ich bin der festen Überzeugung, dass deutsche Soldaten dort, wo im Zweiten Weltkrieg die Hitler-Soldateska gewütet hat, den Konflikt anheizen und nicht deeskalieren würden. […] Das ist mein grosses Problem […], wenn ich sehe, wie die Bundesregierung den Bundestag an der Nase, an der humanitären Nase, in den Bosnienkrieg führen will.»44


Was aber hat Fischer vom Interventionsgegner zum Befürworter werden lassen? Seit ­Srebrenica habe er seine Position verändert, verkündete er am 19. April 1999, denn ihm sei klar geworden, «dass Appeasement gegenüber Milosevic immer nur zu weiteren Massengräbern führen»45 werde. Damit instrumentalisierte Fischer jenes Ereignis, das bis heute westliche Massenmedien und Gesellschaften als Beweis für serbischen Völkermord gilt. Skepsis hierbei ist allerdings nicht nur auf Grund der bis dato nicht sehr zahlreichen Quellen zu Srebrenica46 oder der fragwürdigen Wahrheitssuche durch das Den Haager Tribunal47 geboten. 1999 wandten sich auch Diskutierende gegen die Instrumentalisierung Srebrenicas zugunsten des Nato-Angriffs auf Jugoslawien, die an der Interpretation des Massakers als Völkermord festhielten. So forderte der in Dortmund beheimatete Verein «Vive Zene» (Frauen lebt), der sich in Tuzla um kriegstraumatisierte Frauen kümmert, im Vorfeld des Grünen Parteitags vom 13. Mai 1999 in einem offenen Brief an Minister Fischer u. a. die sofortige Beendigung der Bombenangriffe, die Anklage aller Kriegsverbrecher, egal welcher Seite, eine Uno-Friedenstruppe und die Aufnahme von weiteren Kosovo-Flüchtlingen in Deutschland. Vive Zene begründete ihre Kriegsgegnerschaft folgendermassen:


«Monate, bevor Sie auf der Bundesversammlung der Grünen im Dezember 1995 für militärische Kampfeinsätze der Bundeswehr plädierten, haben wir auf die schreckliche Situation in der sogenannten damaligen ‹Schutzzone› Srebrenica aufmerksam gemacht. […] Wir haben aber auch jedesmal auf Grund unserer eigenen langjährigen Erfahrungen vor Gewalt-Eskalationen im ehemaligen Jugoslawien und in allen Ländern der Welt gewarnt, in denen die militärische Logik den letzten Rest von humanitärem Handeln beseitigt. […] Es ist nicht einfach nur ‹Prinzip›, es ist nicht Pazifismus, der uns leitet, es ist Erfahrung und Bewusstsein, Studium der Historie einschliesslich unserer eigenen deutschen Vergangenheit, Diskussion mit Expertinnen.»48


Explizit distanzierte sich Vive Zene von der militärischen Logik des Aussenministers:


«Herr Fischer, damals auf der Bundesversammlung kannten Sie Srebrenica nicht, auch die Frauen nicht, die bis heute um ihr Überleben nach dem Krieg bemüht sind. […] Sie, Herr Fischer, konnten damals noch nicht einmal den Namen der Stadt, die Ihnen so am Herzen lag, richtig aussprechen. Sie sagten ‹Schrebrenidscha›, das wäre weiter nicht schlimm, hätten Sie nicht so getan, als würden Sie es kennen, und hätten Sie nicht mit ‹Schrebrenidscha› ihre Kriegslogik verinnerlicht.»49


Letztlich setzte der Regierungspolitiker Fischer das um, was er als Oppositioneller vier Jahre zuvor kritisiert hatte. Seine ehedem ge­äusserte Sorge, mitansehen zu müssen, «wie die rechtlichen und historischen Barrieren abgeräumt werden zugunsten einer völligen Optionsfreiheit der deutschen Aussenpolitik mit militärischen Mitteln»,50 wurde durch ihn selbst zur Realität. Allerdings wurde dies inzwischen in der deutschen Öffentlichkeit ­positiv interpretiert, und so folgte der Wandlung «vom Paulus zum Saulus»51 eine ganze Generation in der Instrumentalisierung des Massakers von Srebrenica als Argument für militärische Interventionen. Weil Pazifismus «Lifestyle, die Mehrheitskultur der achtziger Jahre»52 gewesen war, hatte sich Fischer, obwohl selbst nicht von pazifistischer Vergangenheit,53 gegen Nato, Wiedervereinigung und militärische Emanzipation Deutschlands gestellt. Und so, wie sich in den 1990ern die Mode von Turnschuhen und Pazifismus in italienische Massanzüge und «humanitäre Interventionen» wandelte, passte Fischer seine politischen Positionen an den Zeitgeist an, wobei er sich bei seinem Aufstieg von links unten nach rechts oben jener Salamitaktik bediente, welche er seinen politischen Gegnern zuvor angekreidet hatte.54



1    Heiko Hänsel/Heinz-Günter Stobbe, Die deutsche Debatte um den Kosovo-Krieg: Schwerpunkte und Ergebnisse. Versuch einer Bilanz nach drei Jahren! (verfasst im Auftrag der Heinrich Böll Stiftung), Berlin, März 2002 (Internet-Publikation als pdf-Datei), S. 121.
2    Zur Diskussion Linke und Krieg vgl. Die Linke im Krieg. Streitgespräch zwischen Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann, Jürgen Elsässer und Hermann L. Gremliza, in: Konkret 7/1999, S. 14–19; Daniel Cohn-Bendit, Wer vom Totalitarismus schweigt, sollte auch nicht über die Freiheit reden, in: Kommune 3/2001, S. 6–10; Zur Rolle der 68er-Linken vgl. Klaus Theweleit, Logical, radical, criminal. Der Krieg als letztes Mittel, erwachsen zu werden, oder: Warum die Alt-68er in der neuen Regierung ohne Zögern bereit waren, Völkerrecht und Grundgesetz zu brechen, in: Konkret 5/1999, S. 22–29; Gerd Koenen, Ach, Achtundsechzig. Fischer, das «Rote Jahrzehnte» und wir, in: Kommune 2/2001, S. 6–11; Martin Altmeyer, Geschichte, Mythos, Psychodynamik. Deutungsmuster in der 68er-Debatte, in: Kommune 3/2001, S. 36ff.; Siegfried Knittel, Aufrechter Gang und krummer Weg. 68er-Revolte paradox, in: Kommune 3/2001, S. 39f.: Kurt Seifert, Achtundsechziger Erbe, in: Kommune 3/2001, S. 45.
3    Maria Mies, Krieg ohne Grenzen. Die neue Kolonisierung der Welt (Neue Kleine Bibliothek 94), Köln 20052, S. 78.
4    Vgl. Robert B. Stinnett, Day of Deceit. The Truth about FDR and Pearl Harbor, London 2000, S. 253.
5    Michaela Schiessl, «Politik der Predigten». Während konservative Amerikaner den Kosovo-Krieg stoppen wollen, plädieren die Liberalen für den Einmarsch, in: Der Spiegel 21, 24.5.1999.
6    Hänsel/Stobbe, Die deutsche Debatte um den ­Kosovo-Krieg, S. 121.
7    Schiessl, Der Spiegel, 24.5.1999.
8    Zitiert nach Ano Neuber, Armee für alle Fälle. Der Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee, ISW-Report 44, August 2000, S. 7.
9    Jürgen Elsässer, Kriegslügen. Vom Kosovo-Konflikt zum Milosevic-Prozess, Berlin 2004, S. 76.
10    Vgl. Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Grünen, auszugsweise abgedruckt in: Internationale Politik 12/1998, S. 67–79, S. 75. Zitiert nach Jana Puglierin, Zwischen realistischen Interessen und moralischem Anspruch. Eine theoriegeleitete Analyse der deutschen Aussenpolitik seit 1989/90 (Studien zur Internationalen Politik Heft l), Hamburg 2004, S. 55.
11    Hubert Wetzel, «Engstirnig, völkerrechtswidrig, erfolglos». Wissenschaftler kritisieren die Strategie der Nato im Kosovo-Krieg, in: Süddeutsche Zeitung, 9.6.1999.
12    Vgl. Elsässer, Kriegsverbrechen, S. 38.
13    Schröder hatte als Kanzlerkandidat schon am 16. August 1998 verkündet, sich ein Eingreifen der Nato in Kosovo auch ohne Uno-Mandat vorstellen zu können. Vgl. Ralph Hartmann, Es war Vorsatz im Spiel: Ziel des Krieges war der Krieg, in: Wolfgang Richter/Elmar Schmähling/Eckart Spoo (Hg.), Die Wahrheit über den Nato-Krieg gegen Jugoslawien, Schkeuditz 2000, S. 62–68, S. 63.
14    Rafik Schami, Mit fremden Augen gesehen, in: Wochenzeitung, 20.5.1999.
15    Ralf Dahrendorf, Lebenschancen. Anläufe zur ­sozialen und politischen Theorie, Frankfurt a.M. 1979, S. 147.
16    Ebd., S. 149.
17    Ebd., S. 150f.
18    Innerhalb dieser Diskussion wird der Begriff als Abkehr von der traditionellen Lehre und damit sachlich beschreibend und nicht moralisch wertend verwendet.
19    Jörg Lau, Die Verräter sind unter uns. Cohn-Bendit, Enzensberger, Fischer & Co.; Sie kämpften für die Weltrevolution, nun verteidigen sie Grundgesetz, Unternehmertum oder Nato-Bomben. Nie waren Renegaten einflussreicher als heute. Ist ihre Inkonsequenz Klugheit oder Opportunismus?, in: Die Zeit, 22.4.1999.
20    Frank Deppe, Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Die Risiken der «Neuen Weltordnung» und die neue Strategie der Nato, in: Junge Welt, 7.9.1999.
21    Deppe, Junge Welt, 7.9.1999.
22    Zur Geschichte der deutschen Friedensbewegung vgl. Willi van Ooyen, Aspekte der politischen und historischen Entwicklungen der Friedensbewegung der Bundesrepublik Deutschland, in: Michael Berndt/Ingrid El Masry (Hg.), Konflikt, Entwicklung, Frieden. Emanzipatorische Perspektiven in einer zerrissenen Welt (Kasseler Schriften zur Friedenspolitik 8), Festschrift für Werner Ruf, Kassel 2003, S. 309–325.
23    Fichter gehörte 1992 zu den Neugründern des Hofgeismarer Kreises, der an die Tradition des ersten Hofgeismarer Kreises national gesinnter Jungsozialisten zwischen 1923 und 1926 anknüpfte. Vgl. www.de.wikipedia.org/wiki/Tilman_Fichter, 31.8.2010.
24    Elsässer, Kriegslügen, S. 36.
25    Tilman Fichter, In der neuen Heimat der Weltmoral? Deutschland, die Völkergemeinschaft und der bosnische Krieg. Die Gewalt entwaffnen, in: Die Welt, 26.2.1994, zitiert nach Hartmann, Es war Vorsatz im Spiel, S. 63.
26    Zum Wandel deutscher Aussenpolitik seit 1990 vgl. Rafael Biermann, Deutsche Konfliktbewilligung auf dem Balkan – eine Einführung, in: Ders. (Hrg.), Deutsche Konfliktbewältigung auf dem Balkan. Erfahrungen und Lehren aus dem Einsatz (Schriften des Zentrums für Europäische Integrationsforschung, Center for European Integration Studies der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 37), Baden-Baden 2002, S. 13–36.
27    Klaus Naumann, Vorwort, in: Rafael Biermann (Hg.), Deutsche Konfliktbewältigung auf dem Balkan. Erfahrungen und Lehren aus dem Einsatz (Schriften des Zentrums für Europäische Integrationsforschung, Center for European Integration Studies der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 37), Baden-Baden 2002, S. 7–12, S. 7.
28    Christoph Schwennicke, SPD-Linke fordert sofortiges Ende der Kampfhandlungen. «Bombardement der Nato wendet die Katastrophe im Kosovo nicht ab, sondern beschleunigt sie», in: Süddeutsche Zeitung, 7.4.1999.
29    Ebd.
30    Reuters, Die Entschliessung der SPD zum Kosovo, in: Süddeutsche Zeitung, 13.4.1999.
31    swn, Angelika Beer: Nicht alle diplomatischen Spielräume genutzt. Kosovo-Einsatz spaltet die Grünen, in: Süddeutsche Zeitung, 12.4.1999.
32    Elmar Altvater, «Nicht mehr alle Tassen im Schrank», in: Junge Welt, 19. S. 1999.
33    Ebd.
34    Der Plan vom 14. April 1999 sah eine 24stündige Feuerpause, die Einbindung Russlands in die Nachkriegsentwicklung, ein UN-Mandat, den Rückzug serbischer Truppen, die Entmilitarisierung der UÇK und die Implementierung einer Übergangsverwaltung vor. Der politische Status des Kosovo sollte später geklärt werden. Vgl. SZ, EU will Annan in Friedenslösung einbinden. Staats- und Regierungschefs beraten auf Brüsseler Sondergipfel mit dem UN-Generalsekretär. Forderungen an Belgrad sollen als Resolution in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingebracht werden, in: Süddeutsche Zeitung, 15.4.1999. – Am 6. Mai 1999 wurde der Plan auf dem Treffen der G
8 beraten und am 2. Juni angenommen. Das serbische Parlament stimmte am 3. Juni nach der Zusage territorialer Unversehrtheit Jugoslawiens zu.
35    Altvater, Junge Welt, 19. Mai 1999.
36    George Kenney, Desinfomation der Medien führte zur Intervention in Bosnien, in: Novo 27, 3/4 1997, S. 26f., zitiert nach www.novo-magazin.de/itn-vs-lm/novo27-6.htm, 31.8.2010.
37    Heribert Prantl, Franz von Assisi und die Nato. Wohin ist der deutsche Pazifismus verschwunden?, in: Süddeutsche Zeitung, 26.3.1999.
38    Cora Stephan, Der moralische Imperativ. Die Friedensbewegung und die neue deutsche Aussenpolitik, in: Thomas Schmid (Hg,.), Krieg im Kosovo, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 269–277, S. 272.
39    Heinz Loquai, Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen vermeidbaren Krieg. Die Zeit von Ende November 1997 bis März 1999 (Demokratie, Sicherheit, Frieden 129), Baden-Baden 2000, S. 158.
40    Zur Sichtweise Fischers vgl. Joschka Fischer, Die rot-grünen Jahre. Deutsche Aussenpolitik – vom Kosovo bis zum 11. September, Köln 2007.
41    «Wenn ich Sie sprechen höre, habe ich manchmal Angst, dass Sie die sofortige Bombardierung Belgrads fordern, nur um im Rennen der Realpolitiker weiter vorn zu sein.» Volker Rühe am 19. Juni 1998 im Bundestag, zitiert nach Jürgen Elsässer, Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo Konflikt (Konkret Texte 27), Hamburg 2000, S. 38.
42    Prantl, Süddeutsche Zeitung, 26.3.1999.
43    Matthias Geis/Andrea Seibel, Warten auf den nächsten Parteitag, in: taz, 30.12.1994. Vgl. auch Fischers Aussagen in der Wochenzeitung Die Woche, 30.12.1994.
44    Geis/Seibel, taz, 30.12.1994.
45    Spiegel-Gespräch, «Milosevic wird der Verlierer sein». Aussenminister Joschka Fischer über den Stand im Krieg gegen Jugoslawien, über die Kriegsziele der Nato und seine fehlgeschlagene Friedensinitiative, in: Der Spiegel, 19.4.1999.
46    George Pumphrey, Sechs Quellen der Srebrenica Legende, 2/2010, zitiert nach www.free- slobo.de/news/l0020gp.pdf, 31.8.2010.
47    Vgl. Germinal Civikov, Srebrenica. Der Kronzeuge, Wien 2009.
48    Vive Zene e. V., Erst «seit Srebrenica»? Das Zentrum für Frauen und Kinder in Tuzia (Bosnien) – Vive Zone e.V. – wendet sich in einem Brief an Joschka Fischer, zitiert nach www.infopartisan.net/archive/kosovo/17199.html, 31.8.2010.
49    Ebd.
50    So Fischer im Interview mit Geis/Seibel, taz, 30.12.1994.
51    Prantl, Süddeutsche Zeitung 26.3.1999.
52    Ebd.
53    Vgl. www.de.wikipedia.org/wiki/Joschka_Fischer, Update 29. Juli 2008.
54    Christian Y. Schmidt, Die Grünen, die Nato und der Krieg, in: Klaus Bittermann/Thomas Deichmann (Hg), Wie Dr. Joseph Fischer lernte, die Bombe zu lieben. Die SPD, die Grünen, die Nato und der Krieg auf dem Balkan (Critica Diabolis 86), Berlin 1999, S. 133–154; Andreas Spannbauer, Der lange Marsch, in: Jürgen Elsässer (Hg.), Nie wieder Krieg ohne uns, Berlin 1999, S. 43–49; Jutta Ditfurth, Zahltag, Junker Joschka! (Teil 1–10), in: Neue Revue zwischen 14.10. und 16.12. 1999.


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Zeit-Fragen, 08.11.2010



=== 2 ===

Humanitärer“ Bellizismus


Kurt Gritsch unterzieht die mediale Legitimation des „Kosovo-Kriegs“ einer skeptischen Revision

Von Franz Siepe


Mehr noch als sonst empfiehlt es sich bei der Hildesheimer Dissertation des Zeithistorikers Kurt Gritsch, das Vorwort nicht zu überblättern, weil sich dort erklärt findet, was sonst vielleicht unverständlich bleiben würde: die Lust an der Kontamination von wissenschaftlicher Argumentationsstrenge mit aufklärerischer Polemik.
Der Leser, sofern er nicht vom akademischen Pathos der Pathoslosigkeit beseelt ist, wird dem Autor kaum verargen, dass er in diesem Buch, das am Beispiel der breiten Zustimmung der Medienöffentlichkeit zum NATO-Angriff auf Serbien (Jugoslawien) von 1999 die Verführbarkeit der deutschen Intelligenz dokumentiert, bisweilen die Zügel schießen lässt. Gritsch mahnt unter Berufung auf die Historikerin Martina Winkler an: „Der Intellektuelle ist skeptisch und kritisch, er stellt die herrschende Ordnung in Frage, er problematisiert und greift an.“ Emile Zolas „J’accuse“ ist eines der publizistisch-interventionistischen Vorbilder Gritschs.
Dem Autor war es wie so manchem ergangen: „Als damals 23jähriger Student diskutierte ich an der Universität mit vielen anderen über die Ereignisse im Kosovo. Das moralische Argument der Befürworter, ‚ein zweites Auschwitz zu verhindern‘, forderte mich zu intensiverer Beschäftigung mit der Frage der Rechtmäßigkeit des Angriffs heraus, denn es suggerierte, dass Kriegsgegner moralisch gleichbedeutend mit Indifferenten, Zynikern oder gar Leugnern der Shoa sein sollten. Hinzu kam, dass Minderheitenfragen auch auf Grund meiner Südtiroler Herkunft schon früh mein Interesse geweckt hatten.“
Ein Wissenschaftler, der mit derart offenem Visier und durchaus nicht sine ira et studio in die Diskursarena steigt, nötigt gewiss Achtung ab. Doch wenn er sich dabei wie Kurt Gritsch zugleich auf Max Webers „Wissenschaft als Beruf“ stützt, ist das schon ein Ausrufezeichen wert. Dies nicht etwa deshalb, weil dem Autor ein Mangel an „schlichter intellektueller Rechtschaffenheit“ vorzuwerfen wäre; im Gegenteil: Gerade die Bemühung um Forschungsredlichkeit führt hier wie so oft nolens volens zur Ideologiekritik. Dann nämlich, wenn das zur Untersuchung stehende historische Gebilde sich dem sehenden Auge als pure Ideologie – Ideologie im Sinne von interessiertem falschen Bewusstsein – darbietet.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um das Ideologem des „traditionalistischen Geschichtsbildes“, welches, so Gritsch, die Geschichte Jugoslawiens und seiner „Zerfalls“-Produkte so interpretiert, dass die völkerrechtswidrige NATO-Bombardierung Serbiens (35.000 Luftangriffe mit katastrophalen Schäden und sprichwörtlich gewordenen „Kollateralschäden“) als moralisch gerechtfertigt erscheint: „Für die Vertreter dieser Auffassung war der Krieg die Konsequenz serbischer Aggression unter ‚großserbischen‘ Vorzeichen. Sprachliche Kategorien des Konflikts sind jene der ‚ethnischen Säuberung‘, des ‚Genozids’ und ‚Völkermords‘, der ‚Konzentrationslager‘ sowie der Gleichsetzung ‚Serben = Nazis‘“.
Und weil man es nicht klarer und pointierter sagen kann als der Autor in einem seiner Fazits, die nie an urteilender Drastik sparen, hier eine Kurzcharakteristik der von ihm so genannten „traditionalistischen Darstellung“ des Kosovo-Konflikts: „Sie zeichnet sich durch Auslassung von Indizien aus, die das evozierte Bild stören. So beschäftigt sie sich auch nicht mit […] realistischen Friedensalternativen, sondern verweist ebenso unintellektuell wie konsequent auf ein angebliches ‚tertium non datur‘. Der Traditionalismus dient damit schlussendlich weniger der wissenschaftlichen Erkenntnissuche denn der postumen Rechtfertigung der westlichen Politik, insbesondere jener Deutschlands und der NATO.“
Gritsch erinnert daran, dass es die rot-grüne Regierung mit den Hauptagitatoren Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Rudolf Scharping war, die uns in die, so Gritsch, „Auschwitzfalle“ tappen ließ. Gegner des NATO-Angriffs („Pazifisten, Sozialisten und Linksliberale“) „mussten sich“, so wieder der Autor, „der moralischen Überlegenheit jener, die sich auf die Shoa beriefen, beugen, weil in einer ‚faktenresistenten‘ und ideologisch argumentierenden Gesellschaft immer derjenige Recht hat, der sich argumentativ zuerst auf ‚Auschwitz‘ beruft.“
Dabei konnten die damaligen – um in Gritschs Metaphorik zu bleiben – Auschwitz-Fallensteller erschreckenderweise mit einem immens peinlichen Aufklärungsdefizit in der deutschen Öffentlichkeit kalkulieren: „Tatsächlich haben viele Menschen aber nur sehr wenig Wissen über Auschwitz und die Shoa. Die meisten haben nur begriffen, dass ein medialer Konsens existiert, demzufolge die NS-Verbrechen als schrecklich abzulehnen sind. Führt man Auschwitz als Argument in eine Diskussion ein, setzt man sich meist durch, weil man dem anderen moralisch überlegen ist.“
Leicht ist also zu erkennen, dass Gritsch die „traditionalistische“ Sicht keineswegs teilt. Folglich schlägt er sich auf die Seite der „revisionistischen“ Interpretation, welche die Ereignisse um den Kosovo-Krieg in einen größeren historischen Kontext stellen, die Rolle Serbiens nicht dämonisieren und die der UÇK nicht verharmlosen möchte, einiges Verständnis für die Außenseiterhaltung Peter Handkes aufbringt sowie insgesamt den Untergang Jugoslawiens als von außen „unterstützt“ begreift. Erkenntnisleitend ist die Cui-bono-Frage, die in die Aufdeckung der tatsächlichen Kriegsziele mündet: „Die Berufung auf die Menschenrechte diente zur Verschleierung der ökonomischen, geostrategischen, militärischen und politischen Interessen.“
Freilich widersprechen die „revisionistischen“ Geschichtsdeutungen Gritschs der seinerzeit in den Medien mehrheitlich verbreiteten Auffassung. Fünf Presseorgane („FAZ“, „SZ“, „taz“, „Die Zeit“ und „Der Spiegel“) unterzieht er einer rückblickenden statistischen Analyse mit dem Ergebnis, dass Kriegsgegner und -skeptiker massiv unterrepräsentiert waren: „Es gibt einen Zusammenhang zwischen NATO-Propaganda und veröffentlichtem Bild der intellektuellen Diskussion. Letzteres stimmte mit Ausnahme der ‚taz‘ bei keiner Zeitung mit der tatsächlichen Meinungsverteilung unter den Intellektuellen überein, was auf eine gesteuerte Debatte schließen lässt.“
Die formale Qualität dieser Aussage („schließen lässt“) dürfte nach den Kriterien eines puristisch-faktenverpflichteten Wissenschaftsbegriffs wohl einigermaßen problematisch sein. Gritsch hat sich aber nun einmal entschlossen, Plausibilitäten als Erkenntnismittel gelten zu lassen, wo solide Tatsachen nicht zu haben sind. Er sichert diese methodologische Entscheidung ab mit dem Rekurs auf die „Tradition der ‚erzählerischen Geschichtsschreibung‘“ nach dem Vorbild Christian Meiers, der sich als Althistoriker oftmals damit abzufinden hat, „eher Wahrscheinlichkeiten als Tatsachen“ verhandeln zu müssen. Der Befund indes, dass selbst die hier unter die Lupe genommenen Vorkommnisse der jüngsten Zeitgeschichte so umnebelt zu sein scheinen, dass mehr vermutet werden muss, als gewusst werden kann, ist geeignet, auch in dem Leser, der ansonsten Verschwörungstheorien mindestens ebenso misstrauisch begegnet wie herrschenden Mainstream-Lehren, dunkelste Befürchtungen zu nähren: Was darf ich eigentlich wissen? Welche Information wird mir von wem vorenthalten? Was ist eine Demokratie wert, die Intransparenz der Entscheidunsprozeduren zur Basis hat, und zwar gerade auch in Situationen, in denen es buchstäblich um Leben und Tod geht?
Laut Klappentext liegt mit dem besprochenen Band „auf wissenschaftlichem Gebiet erstmals eine umfassende und kritische Gesamtdarstellung des öffentlichen Diskurses über den ‚Kosovo-Krieg‘ in Deutschland“ vor. Auch wenn man nicht jede der vom Autor in investigativ-aufklärerischer Absicht entwickelten Thesen unterschreiben mag, ist das Buch unbedingt zu empfehlen. Indem es medien- und demagogiekritisch über die Umstände der schleusenöffnenden erstmaligen Beteiligung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr an einem kriegerischen „Out of Area“-Einsatz unterrichtet, führt es zugleich Klage gegen das Skandalon der Abhängigkeit der veröffentlichten Meinung vom Machtkalkül der Herrschenden.