Milosevic antwortet

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Milosevic antwortet

(Junge Welt, 4/10/2003)

Der frühere jugoslawische Präsident muß sich nun nicht nur in Den Haag,
sondern auch in Serbien selbst gegen Anklagen verteidigen, die ihm
schwere Verbrechen zur Last legen


Da der Prozeß vor dem UN-Tribunal in Den Haag nicht zur Zufriedenheit
der Strafverfolger verläuft, wurde der ehemalige jugoslawische
Präsident Slobodan Milosevic am 24. September auch in Serbien selbst
angeklagt. Milosevic wird der Anstiftung zur Ermordung des früheren
serbischen Präsidenten Ivan Stambolic und des fehlgeschlagenen
Attentats auf den ehemaligen Oppositionsführer Vuk Draskovic
beschuldigt.

Vorwürfe, Milosevic habe Stambolic ermorden lassen, waren sofort nach
dessen unaufgeklärtem Verschwinden im August 2000 laut geworden. Der
damalige Präsident in Belgrad, so sagen seine Kritiker, sei mit
Stambolic seit den achtziger Jahren verfeindet gewesen, als beide um
den Vorsitz der Kommunisten in Serbien rivalisierten und Milosevic
schließlich seinen politischen Ziehvater nach einem harten Machtkampf
verdrängen konnte.

Nach dem Fund der Leiche des früheren Spitzenpolitikers im März dieses
Jahres hatte die neue Regierung in Belgrad ein strafrechtliches
Vorgehen gegen Milosevic angekündigt. Als zusätzliches Indiz wurde nun
angeführt, Milosevic habe die Entführungs- und Mordaktion angeordnet,
um einen gefährlichen Rivalen für die Präsidentschaftswahlen im
September 2000 zu beseitigen. Dieses Argument war allerdings von Anfang
an nicht plausibel, da zum Zeitpunkt des Verschwindens Stambolics
bereits der spätere Wahlsieger Vojislav Kostunica seine Kandidatur
angemeldet hatte. Hätte Milosevic sein Wahlchancen verbessern wollen,
hätte er diesen beseitigen lassen müssen.

Vermutlich deswegen wird in der nun veröffentlichten Anklageschrift
Milosevic auch nicht mehr beschuldigt, die Bluttaten „befohlen“ oder
„angeordnet“ zu haben. Stattdessen heißt es nur noch vage, Milosevic
habe die unmittelbaren Täter „beeinflußt“, die Taten zu begehen. Seine
Frau Mirja Markovic, die Innenminister Dusan Mihaijlovic im Frühjahr
ebenfalls der Verwicklung in den Stambolic-Mord bezichtigt hatte und
die nach Veröffentlichung eines Haftbefehls außer Landes floh, ist
überraschender Weise nicht einmal als Inspiratorin des Verbrechens
angeklagt. Die Ausführung der Mordaktionen wird dem früheren
Befehlshaber der Sondereinheit der Roten Barette, Milorad Lukovic,
genannt Legija, und fünf seiner damaligen Untergebenen zur Last gelegt.
Als Mittäter, so die Sonderstaatsanwaltschaft, würden auch der damalige
Generalstabschef Nebojsa Pavkovic und der damalige
Staatssicherheitschef Radomir Markovic angeklagt.

Der Hauptangeklagte Legija gilt gleichzeitig als Kopf des Zemun-Clans,
einer wichtigen Mafia-Organisation, und soll laut Staatsanwaltschaft
auch Drahtzieher beim Mord am serbischen Premier Zoran Djindjic am 12.
März dieses Jahres gewesen sein. Um die Verbindung zwischen Legija und
Milosevic zu beweisen, wird gerne ein Video aus dem Jahr 1997 gezeigt,
das den Präsidenten vor einer Formation der Roten Barette in Kula
zeigt, wie er mit deren damaligem Kommandeur Legija einen Händedruck
austauscht. Die Absprachen zwischen Djindjic und Legija am Vorabend des
5. Oktober 2000, die der Opposition den Sturm auf Belgrad und den Sturz
Milosevics ermöglichten, werden in diesem Zusammenhang seltener erwähnt.

Zu den Vorwürfen hat der Haager Häftling bereits ausführlich Stellung
genommen, nachdem ihn Belgrader Ermittler – vor der förmlichen
Klageerhebung - in seiner Zelle dazu befragt hatten. Sein Schreiben
wurde am 24. August in der auflagenstarken serbischen Tageszeitung
„Vecernje novosti“ vollständig veröffentlicht, aber in den deutschen
Medien nicht zitiert. Junge Welt veröffentlicht den Brief leicht
gekürzt, mit erklärenden Zwischenüberschriften und Zwischenbemerkungen.
(je)


Milosevics Brief

Im März 2001 wurde ich imaginärer Verbrechen beschuldigt, auf dieser
Grundlage konnte ich verhaftet und nach Den Haag ausgeliefert werden.

Die neuen Anschuldigungen im Jahre 2003 haben denselben Zweck: Den
Haag. Nur besteht dieses Mal ihr Ziel darin, das Fiasko des falschen
Tribunals, das als Kriegswaffe gegen unser Land und unser Volk dient,
abzuwenden oder zumindest zu minimieren. Dieses Mal haben sie auch,
anders als 2001, damit begonnen, meine Familie zu terrorisieren und
meine Frau und meinen Sohn teuflisch zu verfolgen. Die verbrecherische
Kampagne gegen meine Frau und meinen Sohn wird ausschließlich deswegen
angestrengt, um meinen Kampf hier zu treffen.

Es ist absurd und beschämend, daß sie eine Frau jagen, die Gattin eines
langjährigen Staatsoberhauptes ist, aber auch Universitätsprofessorin
und Autorin von zehn Büchern, die in 30 Sprachen übersetzt und weltweit
verbreitet wurden. Ihre (in diesen Büchern abgedruckten, Anm. JE)
wöchentlichen Zeugnisse über die jugoslawische Krise wird man nicht
zerstören oder unterdrücken können. Ihr Wert hat sich mit der Zeit
bestätigt, das ist Miras Ehre und unser Stolz. Kein anderer
Geistesmensch hat seine Stimme stärker gegen Krieg, Gewalt,
Primitivität, Ausbeutung und Sklaverei und für Frieden, Freiheit und
Gleichberechtigung erhoben.

Sie jagen einen jungen Mann, der sich freien Mutes zu einem
unabhängigen Leben auf der Grundlage seiner eignen Arbeit, Intelligenz
und Fähigkeiten entschlossen hat und gleichzeitig alles dafür getan
hat, anderen zu helfen und seine Stadt schöner und menschlicher zu
machen.

(...)
Die Helfer des Zemun-Clans

Weder ich noch jemand aus meiner Umgebung hatte jemals irgendwelche
Verbindung mit kriminellen Gruppen. Ein „Zemun-Clan“ existierte nicht,
als ich noch Präsident war. Er ist vielmehr das direkte Ergebnis des
Verhaltens der jetzigen Regierung, der Rolle bestimmter Gruppen und
Individuen beim Umsturz am 5. Oktober 2000 und ihrer gegenseitigen
Abmachungen.

Mein Besuch in Kula geschah anläßlich einer Feierlichkeit, eine Geste
der Anerkennung für den Sicherheitschef Jovica Stanisic ... Daß alles
dort für mich neu war, sollte für jeden offensichtlich sein, der sich
das ganze Videoband aufmerksam anschaut. Der Offizier, der mir bei der
Parade rapportierte, war mir nicht bekannt. Nun weiß ich, daß sein Name
Lukovic „Legija“ ist ... Übrigens kann ich mich heute keines einzigen
Namens von Offizieren erinnern, die mir bei verschiedenen Gelegenheiten
vor der angetretenen Ehrengarde rapportierten. Das gilt sogar für die
Kommandeure der jugoslawischen Armeeinheiten.

Das erste Mal, als ich mit Lukovic-Legija sprach, war, als er am 31.
März 2001 kam, um mich zu verhaften. Vorher hatte ich niemals Kontakt
mit ihm, und er lief mir auch nicht über den Weg; das einzige, was ich
ihm je hätte „befehlen“ können, wäre also meine eigene Verhaftung
gewesen.
Klar ist, daß diejenigen, die Mitglieder der Roten Barette (und andere,
die mit Strümpfen über dem Kopf über den Zaun meiner Residenz sprangen)
dazu benutzen, mich zu verhaften, sie auch vorher und danach benutzt
haben. Klar ist, daß mir das nicht möglich war.

(...)
Der Mord an Stambolic

Ich war viele Jahre ein Freund von Ivan Stambolic. Unsere Wege trennten
sich auf dem 8. ZK-Plenum der serbischen Kommunisten im Jahre 1987.
Persönlich hatten wir keinen Streit. Nach seiner Abwahl kam er zu mir
und bat um einen (unserer gemeinsamen Meinung nach) der besten Jobs im
sozialistischen Jugoslawien: Präsident der Jugoslawischen Bank für
Internationale Wirtschaftsbeziehungen. Und er bekam ihn und blieb zehn
Jahre lang auf diesem Posten bis zu seiner Pensionierung, obwohl die
Rotation in Führungspositionen damals übliche Praxis war (...) Als
Politiker war er schon seit Jahren vergessen. Deswegen ist die
Geschichte, er habe eine potentielle Bedrohung bei der Wahl (im
September 2000, Anm. JE) dargestellt, eine eklatante Lüge, er war nie
im Rennen. Er war noch nicht einmal Kandidat. Ist übrigens in jenen
zehn Jahren irgendeinem Kandidaten irgend etwas passiert? (....) Ivan
Stambolic war ein vergessener Politiker, und zum Zeitpunkt seines
Verschwindens war er auch ein vergessener Bankier. Jahrelang hatte ihn
niemand im politischen Apparat erwähnt. (...) Das soll keine
Beleidigung sein, aber niemand scherte sich mehr um Ivan Stambolic. Es
gab auch keine Verfolgung jener, die seinen Standpunkt auf dem 8.
Plenum unterstützt hatten. (Milosevic nennt dann einige Beispiele,
welche Positionen frühere Stambolic-Freunde – und damit
Milosevic-Gegner – in den neunziger Jahren bekleideten – Anm. JE).

Attentat in Montenegro

Da der Ermittler ... meine angebliche Verwicklung in den „versuchten
Mordanschlag auf Vuk Draskovic“ (im Juni 2000, Anm. JE) erwähnten,
möchte ich darüber auch einige Worte sagen.

Ich habe niemals daran geglaubt, daß das, was in Budva passiert ist,
ein echter Mordversuch war, denn es erscheint unwahrscheinlich, daß
jemand sein ganzes Magazin in einem kleinen Raum verfeuern kann und mit
keiner Kugel trifft. Nicht einmal Vuk Draskovic mit seinem
Schauspieltalent hätte sich in eine Fliege oder ein Moskito verwandeln
können. Ich glaubte, daß ihn entweder jemand einschüchtern wollte, oder
daß er selbst den ganzen Vorfall inszeniert hat, um Aufmerksamkeit zu
bekommen und in der Rolle des „Regimeopfers“ zu posieren. Es ist
unschwer zu sehen, wer von einem solchen Vorfall hätte profitieren
können, und es ist überaus klar, daß er der Regierung nicht nützte.
Tatsächlich war genau das Gegenteil der Fall.

Mir ist nicht bekannt, daß der serbische Staatssicherheitsdienst in
Montenegro über die Beobachtung des Zigarettenschmuggels nach Serbien
hinaus aktiv war ... Ich sprach niemals mit (Generalstabschef, Anm. JE)
Pavkovic über den Abtransport von „Attentätern“ und „Agenten“ aus
Montenegro. Es ist unglaubwürdig, daß der Oberkommandierende in das
Verschicken angeblicher Geheimagenten verwickelt war ...
(Staatssicherheitschef, Anm. JE) Rade Markovic bezeugte sowohl hier
(gemeint: in Den Haag – Anm. JE) als auch gegenüber zwei
Parlamentskommissionen, daß man auf ungesetzliche Weise versucht hat,
ihn zu belastenden Aussagen gegen mich zu zwingen.

(...)
Ich verlangte sowohl vom Ermittler wie vom Ankläger, daß meine
Befragung öffentlich sein soll, sie hätten sogar eine offene
Telefonleitung installieren können, so daß mich jeder hätte fragen
können, was er will. Sie sagten, daß dies gesetzlich nicht erlaubt sei,
solange die Ermittlungen andauerten. Ich akzeptierte, aber verlangte,
daß die Aufzeichnungen nach Abschluß der Untersuchung öffentlich
gemacht wurden – dann gäbe es keine Gefahr einer möglichen Einflußnahme
mehr. Auch das wiesen sie zurück, obwohl sie die gesetzliche Vollmacht
hatten, es zu genehmigen. (...)

Heutzutage benutzt die Regierung das Gesetz als Entschuldigung für
Gesetzlosigkeit und Tyrannei. Nichts Neues!

Montesquieu schrieb schon 1742: „Es gibt keine grausamere Tyrannei als
jene, die unter dem Schild des Gesetzes und im Namen der Gerechtigkeit
ausgeübt wird.“

Bei dieser ganzen schmutzigen Operation, den ungesetzlichen Haager
Gerichtshof vor dem Fiasko zu retten, ist die Verfolgung meiner Frau
und meines Sohnes am beschämendsten. Ich sagte dem
Untersuchungsrichter, daß seine Untersuchung auch die
Phantomgoldbarren, die Devisenreserven, die Villen in der Schweiz und
was immer sonst einschließen solle, denn diese Dinge waren alle in
verschiedenen Stellungnahmen und großen Zeitungsartikeln schon erwähnt
worden, nur um später „vergessen“ zu werden.

Ich fragte ihn: „Schämen Sie sich nicht?“ Er antwortete nicht.

Meiner Frau und meinem Sohn, Mira und Marko, die auf die abscheulichste
Weise von mir getrennt wurden, möchte ich sagen: „Das Leben ist zu
kurz, um Euch für Eure Güte zu danken.“

Übersetzung und Bearbeitung: Jürgen Elsässer


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BEFREIT DIE WELT VON “TRIBUNALEN” À LA DEN HAAG!
FREIHEIT FÜR SLOBODAN MILOSEVIC!
FREIHEIT FÜR SERBIEN UND JUGOSLAWIEN!
Aufruf zur internationalen Demonstration in Den Haag
am Samstag, 8. November 2003
Siehe:
http://www.icdsm.org/ (Internationales Komitee für die Verteidigung von
Slobodan Milosevic - ICDSM - )
http://www.free-slobo.de/ (Deutsche Sektion des ICDSM)
http://it.groups.yahoo.com/group/crj-mailinglist/files/AIA/
(Aufruf zur Demo)