[Una dettagliata analisi in due parti, pubblicata dalla berlinese
"Junge Welt", illustra per filo e per segno gli effetti devastanti di
tre anni di regime liberista in Serbia. Nomi e cifre della svendita
completa di un paese. Di tutto questo e' rigorosamente vietato scrivere
su "Liberazione" ed "Il Manifesto"...]
Junge Welt (Berlin)
http://www.jungewelt.de/
04.02.2004
Thema
Hannes Hofbauer
Ökonomische Kolonisierung
Serbien – zerbricht das Land? Neuordnung am Rande Europas (Teil 1)
Das ganze Elend Serbiens und der Serben zusammenfassend, sagt der
bekannte Belgrader »Politika«-Kommentator und Kirchenjournalist Zivica
Tucic: »Ich lebe in einem Land und weiß nicht einmal, wie groß dieses
Land ist. Dieses Land ist seelisch mehr ruiniert, als man es wahrhaben
will. Erniedrigt von innen und von außen, ist unsere Situation
tragischer, als wir es uns selbst eingestehen. Außerhalb interessiert
unser Zustand ohnedies niemanden. Zehn Jahre Sanktionen und 78 Tage
Bombenkrieg haben tiefe Wunden in unser Bewußtsein gerissen. Offen
gesagt: Ich kann nicht mehr ehrlich lachen, mich nicht mehr entspannen.
Die Erfahrungen sind so bitter, die Demütigungen so nachhaltig ...«
Der Theologe erklärt mir, niemals Pessimist gewesen zu sein, auch nicht
in den für ihn schlimmen Zeiten der Milosevic-Ära. Was ihm die
Fröhlichkeit genommen habe, sei die Enttäuschung der vergangenen drei
Jahre. Konnten Intellektuelle seines – oppositionellen – Schlages noch
Ende der 1990er Jahre auf eine bessere, demokratischere, offenere
Zukunft hoffen, so haben sie drei Jahre Wirklichkeit nach der
»Bulldozer-Revolution« im Oktober 2000 eines Schlechteren belehrt. Nun
scheint die ganze politische Kaste vor dem Volk diskreditiert,
westliche Banken und Konzerne regieren über internationale
Finanzorganisationen das Land.
Territorialer Schwebezustand
Serbien lebt in einer Art Wartestellung. Die Parlamentswahlen vom 28.
Dezember 2003 haben – nach mehreren vergeblichen Anläufen für eine
präsidentielle Entscheidung – keine Konsolidierung gebracht. Das Land
befindet sich in der Schwebe. Ungeklärt ist zuallererst der
substantielle Kern jeder Staatlichkeit: die Territorialität. Die von
EU-Europa forcierte Union mit Montenegro hat außer einem pittoresken
internationalen Autokennzeichen – SCG – nichts gebracht. Wer diese
Unklarheit kleinredet, argumentiert mit den viel größeren, weil
näherliegenden Problemen sozialer Verelendung und wirtschaftlicher
Talfahrt, die das Land bedrücken. Die territoriale Frage zu
vernachlässigen, wäre dennoch kurzsichtig, fallen doch ökonomische
Entscheidungen auf Basis eines gesicherten staatlichen Umfeldes, und
auch soziale Sicherheit ist ohne administrative Rahmenbedingungen nicht
einmal mehr im Dorfleben möglich, das auch in Serbien längst mit
großräumiger Arbeitsteilung verwoben ist.
Die territoriale Unsicherheit betrifft indes keineswegs nur die Union
mit Montenegro, daran hängt freilich auch die Statusfrage des Kosovo.
Im Anschluß an den Vertrag von Kumanovo vom 9. Juni 1999, der den Abzug
der serbischen Polizei und der jugoslawischen Volksarmee aus der
Provinz Kosovo-Metochien regelte, machte die UN-Resolution 1244 – fast
unbemerkt von der Weltöffentlichkeit und auch in Serbien kaum zur
Kenntnis genommen – aus der ehemaligen serbischen Provinz offiziell
einen Teil Jugoslawiens. Mit der von der DOS-Allianz und Präsident
Vojislav Kostunica unter tatkräftiger Mithilfe der Europäischen Union
im Februar 2003 zu Grabe getragenen südslawischen Föderation ist der
Status des Kosovo prekärer denn je. Doch auch Serbien selbst ist
territorial nicht gefestigt. Die Autonomiebestrebungen der Vojvodina
wachsen proportional zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten im
Kernland. Bereits unmittelbar nach den NATO-Bombardements meldete sich
eine »Reformistische Koalition Vojvodina« zu Wort, einer ihrer
Wortführer, der Völkerrechtler Dejan Jenca, meinte im Sommer 1999: »Die
Regionalisierung ist die Schlüsselfrage der Opposition«. 1) Er träumte
davon, Serbien in fünf autonome Gebiete zu teilen: die Vojvodina, den
Sandzak, Südostserbien, Nordwestserbien und Groß-Belgrad. Nach der
Machtübernahme durch die Oppositionsparteien im Oktober 2000 mischten
sich offen sezessionistisch argumentierende Gruppen wie die »Liga der
Sozialdemokraten in der Vojvodina« ins politische Geschehen. Ihr
Führer, Nenad Cacak, fordert eine Neudefinition der seit 1974
bestehenden Autonomie.
Von Ungarn aus hat sich der Druck auf Serbien durch das bereits in
Kraft getretene Status-Gesetz erhöht, das Menschen ungarischer Herkunft
aus der Slowakei, Transsilvanien und der Vojvodina u. a. privilegierten
Zugang zu Bildungs-, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen in Ungarn
sichert und damit teilweise die staatlichen Hoheitsrechte der einzelnen
Länder untergräbt.
Die ungeklärte Territorialität Serbiens spiegelt sich auch in der
fruchtlosen Verfassungsdebatte wider. Während unter Slobodan Milosevic
– offiziell – eine offene Verfassung dem multinationalen Erbe des
Landes Rechnung trug und jedem Bürger auf dem Territorium der Republik,
gleich welcher Ethnie oder Religion er angehörte, die gleichen Rechte
gewährte, diskutiert man seither in politischen und akademischen
Kreisen über eine Nationalisierung der Bürgerrechte, wonach demnächst
die serbische Nationalität – wie die kroatische in Kroatien – das
Staatsvolk bilden könnte.
Der Schwebezustand kann dauern. Manche haben sich darin eingerichtet.
Nutznießer der staatlichen Provisorien ist vor allem eine
wirtschaftliche Halbwelt, deren Wurzeln meist in die Milosevic-Ära
zurückreichen und die sich im kurzen »Demokratie«-Zeitalter ganze
Wirtschaftszweige untertan gemacht hat. Namen wie Bogoljub Karic und
Maureen Miskovic, die weite Teile der Telekommunikation, des
Automobilimports, eine Bank und viele andere Geschäfte ihr eigen
nennen, bestimmen Serbiens Politik weit mehr, als politische Parteien
dazu in der Lage sind. Folgerichtig betreiben die rasch wechselnden
Parteiallianzen weniger Ideologie als Seelenfängerei, wenn sie mit
sozialen Versprechungen ihre ökonomische und politische Ohnmacht zu
übertünchen trachten.
Diese fatale Geisteshaltung, die das wirtschaftliche und politische
Leben Serbiens prägt und jenen Schwebezustand hervorbringt, ist jedoch
keineswegs »hausgemacht«, wie das die westlichen Medien, die seit
kurzem auch über die Aktienmehrheiten auf dem serbischen Zeitungsmarkt
verfügen, weismachen wollen. Da ist zuerst einmal die militärische
Besatzung des Kosovo im Gefolge eines völkerrechtswidrigen Krieges,
beides hat der Rechts- und Gesetzesgläubigkeit schwer zugesetzt. Wenn
sich die stärkste Militärmacht der Welt ohne jede rechtliche
Legitimation auf ein Land stürzen kann, weil ihr die gewählte Regierung
nicht behagt und sie es versteht, ethnische Konflikte im Kosovo für
sich zu instrumentalisieren, dann darf sich niemand wundern, daß im
täglichen Leben Serbiens Unrecht als etwas Selbstverständliches Platz
greift und der eigene Vorteil zur Moral erhoben wird. Auch die rund um
Serbien stehenden militärischen Einheiten, die das Land förmlich
umzingeln, rauben Staat und Nation das für einen Neustart nötige
Selbstbewußtsein. US- und EU-Truppen im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina
und Makedonien demonstrieren nicht nur dort, sondern auch der
Bevölkerung Serbiens, daß die Region unter Fremdherrschaft steht.
Und genau dies ist das eigentliche Problem, mit dem Belgrad zu kämpfen
hat.
Die Naivität der Reformer
Besonders drastisch äußert sich diese Fremdbestimmtheit in der
Ökonomie. »Die Zukunft der Föderativen Republik Jugoslawien ist
überschattet von der niederschmetternden Bürde ihrer Auslandsschulden«,
schreiben Miroljub Labus und Mladjan Dinkic in ihrer Eigenschaft als
Außenwirtschaftsminister bzw. Zentralbankchef im Mai 2001 an den
Internationalen Währungsfonds. 2) Serbien steht Anfang 2004 bei den
internationalen Finanzorganisationen und Banken mit zwölf Milliarden
US-Dollar in der Kreide, das sind etwa vier Milliarden mehr als vor den
UN-Sanktionen im Jahr 1992. Ohne wirtschaftlichen Austausch zwischen
Belgrad und dem Rest der Welt sind die Schulden des Landes in diesen
zwölf Jahren – nur der Zinsen wegen – um ein Drittel gestiegen. Kurz
nach der »Bulldozer-Revolution« hatte der jugoslawische Zentralbankchef
Dinkic im offensichtlich revolutionären Übermut bei der Weltbank um
einen Forderungsverzicht auf jene vier Milliarden angefragt, die in der
außenwirtschaftlich »toten« Ära Milosevic angefallen sind und in diesem
Zusammenhang sogar von »Ansprüchen« gesprochen, die das neue,
demokratische Jugoslawien auf eine Schuldenstreichung hätte. Die
Erwartungshaltung, die Gläubiger würden auf die kapitalisierten Zinsen
der Jahre 1992 bis 2000 verzichten, zeigte die ganze Naivität der
Belgrader Reformer. Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF)
ließen sie abblitzen. Zwar ist über die Jahre eine Umschuldung und
Teilstreichung von Zinsen im sogenannten Pariser Klub durchgeführt
worden, um eine offizielle Zahlungsunfähigkeit, ein Schuldenmoratorium,
zu vermeiden; Fazit bleibt jedoch: Belgrads Außenschuld beträgt zwölf
Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2005, wenn die volle Rückzahlung der
Kreditzinsen wieder aufgenommen werden muß, droht ein finanzielles
Debakel, wie auch der zuständige Experte des renommierten »Wiener
Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche«, Vladimir Glogorow,
feststellt: »Wenn die Schulden nach 2005 wieder bedient werden müssen,
wird das (staatliche) Defizit ein unerträgliches Niveau erreichen.« 3)
Für das Jahr 2003 betragen die Auslandsschulden übrigens sagenhafte 259
Prozent der Gesamtexporte des Landes, das sind mehr als in Albanien
(141 Prozent) oder in Bulgarien (180 Prozent). 4)
Clanwirtschaft
In der Zwischenzeit hatte sich die alte DOS-Regierung in ihrem »Letter
of Intent« vom Mai 2001 gegenüber den internationalen
Finanzorganisationen als Gegenleistung für die Umschuldungsmodalitäten
verpflichtet, »die Inflation niedrig zu halten«, »Preisverzerrungen zu
reduzieren«, eine »Steuerreform durchzuführen« und vieles andere mehr.
5) Sie folgt damit den scheinbar ewigen Regeln der imperialen
Wirtschafts- und Währungshüter: Durchsetzung einer restriktiven
Geldpolitik sowie Beendigung staatlicher Förderungen für Wirtschaft und
Soziales, was in der Folge das Eindringen (und den nachfolgenden Abzug)
ausländischen Kapitals garantieren soll sowie zu einer größeren
sozialen Ungleichheit führt. »Nach dem Oktober 2000 erfüllte das Land
die Forderungen des IWF auf Punkt und Komma«, meint dazu der frühere
Minister im Kabinett Milosevic und Wirtschaftsprofessor Oskar Kovac mir
gegenüber. 6) Und Mile Jovic vom »Institut für
Wirtschaftswissenschaften« in Belgrad sieht für die Jahre nach 2005 das
wirtschaftliche Chaos heraufziehen. »Um dann den Schuldendienst
begleichen zu können, müßten Serbiens Exporte jährlich um 15 Prozent
wachsen«, was der Fachmann für gänzlich unrealistisch hält. Jovic hält
die »nicht gehaltenen großzügigen Versprechen des Westens« vom Oktober
2000 für die »Basis der Misere im Land«. 7)
Territorialer Schwebezustand und wirtschaftlicher Würgegriff
provozieren geradezu eine Mafiotisierung der politischen Elite. Ohne
eigenständige Handlungsfähigkeit auf nationaler Ebene, die militärisch
von der NATO und ökonomisch von IWF und Weltbank beschnitten wird,
beginnt sich in einem krisengeschüttelten Land die Clanwirtschaft
gegenüber der Volkswirtschaft durchzusetzen. Westliche Medien und
Politiker bzw. deren Spezialisten wie Vladimir Gligorow stellen gerne
die Logik auf den Kopf. Sie sprechen – aus der Innensicht gesehen zu
Recht – von Serbien und Montenegro als einem »gefangenen Staat« in den
Händen der Mafia. »Das serbische Parlament«, so Gligorow über das
nachrevolutionäre Serbien, »war in seinen Möglichkeiten zum Handeln
sehr beschränkt, es war mehr ein unwilliger Agent dieser (mafiotischen,
d. A.) Organisationen als eine Reformkraft für politische
Entscheidungen.« 8) Doch die Hände waren (und sind) dem Parlament nur
scheinbar hauptsächlich wegen der internen gesellschaftlichen
Strukturen gebunden; eine entscheidende Rolle spielen jene
westeuropäischen und nordamerikanischen Kräfte, die eigenständige
Politik auf nationaler Ebene erst gar nicht zulassen und damit der
Clanwirtschaft Vorschub leisten.
1) Dejan Jenca in der Neuen Zürcher Zeitung, 14.7.1999
2) »Letter of intent« der Bundesrepublik Jugoslawien an den IWF. Siehe:
www.imf.org:80/external/np/loi/2001/yug/01/index.htm.
3) Vladimir Gligorow, Serbia and Montenegro: Transition with Organized
Crime (Current Analyses Nr. 19, Juli 2003) Wien, S. 33
4) Ebenda, S. 42
5) vgl. »Letter of intent« Jugoslawiens an den IWF.
6) Gespräch mit Oskar Kovac, Belgrad, 18.12.2003.
7) Gespräch mit Mile Jovic, Belgrad, 17.12.2003.
8) Vladimir Gligorow, Serbia and Montenegro, S. 4
05.02.2004
Thema
Hannes Hofbauer
Freibrief für Ausverkauf
Serbien – zerbricht das Land? Neuordnung am Rande Europas (Teil II und
Schluß)
Ein wesentlicher Schritt hin zur ökonomischen Kolonisierung Serbiens
gelang im Gefolge der »Bulldozer-Revolution« vom Oktober 2000. Damals
koordinierte der IWF-geeichte Miroljub Labus die überall im Lande
auftretenden sogenannten Krisenkomitees, die die Führungsetagen von
Fabriken und Büros von Anhängern der Milosevic-Zeit säuberten. Dieser
politisch motivierte Personalaustausch funktionierte indes nicht. Zwar
wurden Tausende Fachkräfte aus alten Tagen auf die Straße gesetzt, es
rückte aber kein entsprechend geschultes Personal nach. »Die ganze
Sache war dumm, weil sie ungeduldig und enthusiastisch verlief, ohne
einen sinnvollen Übergang zu schaffen«, meint Mile Jovic vom »Institut
für Wirtschaftswissenschaften« rückblickend. »Manager auszutauschen und
sie durch Leute ohne Erfahrung zu ersetzen, das war ein Fehler.« Was
Jovic volkswirtschaftlich als Fehler einschätzt, hatte indes politisch
eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Denn auch im Zusammenhang mit
der rasch einsetzenden Privatisierung waren diese ohnedies aus
Milosevic-Zeiten bereits maroden Betriebe nach drei, vier Monaten unter
Leitung der Krisenkomitees gänzlich heruntergewirtschaftet und billig
zu haben. Freunde der alten DOS-Allianz sowie internationale Investoren
konnten sich ohne großes Risiko bereichern; wo es lukrativ schien,
taten sie es.
Das Privatisierungsdekret
Das Privatisierungsdekret vom Mai 2001 komplettierte den Ausverkauf der
serbischen Ökonomie. Es war bereits der vierte oder fünfte Anlauf zur
Zerschlagung des gesellschaftlichen Eigentums, und diesmal schien es zu
klappen. Bereits zuvor waren unter der letzten gesamtjugoslawischen
Regierung von Ante Markovic 1990 ca. zehn bis 20 Prozent der in
Arbeiterselbstverwaltung befindlichen Betriebe privatisiert worden.
1991 versuchte dann Slobodan Milosevic sein Glück, Geld aus dem
Volksvermögen zu requirieren. 1994 wurden Privatisierungen in Serbien
wieder zurückgenommen, um 1997 – unter dem serbischen
Vizeministerpräsidenten (und anschließenden Privatisierungsgewinner)
Bogoljub Karic – die Betriebe erneut zum Verkauf an Privatinvestoren
freizugeben, Bereicherungen der damals herrschenden Schicht inklusive.
Im Mai 2001 setzte die DOS-Allianz schließlich, ähnlich dem kroatischen
Vorbild, den Verkauf allen gesellschaftlichen Eigentums durch. Das kam
faktisch einer Verstaatlichung gleich, um die entsprechende Behörde
überhaupt erst in die Lage zu versetzen, das formal in den Händen von
Arbeitern und Managern befindliche Eigentum Privaten anbieten zu können.
Über das entsprechende Dekret ließ man lapidar verlauten, daß die
Regierung jedes Unternehmen verkaufen dürfe, das sich nicht in privater
Hand befindet.
Das Verfahren soll bis 2007 abgeschlossen sein.
Diesem Freibrief zum Ausverkauf gesellschaftlichen Eigentums folgte
eine Phase der Desorientierung, war doch der Wert der Unternehmen noch
nicht festgesetzt. Über Ausschreibungen für große und Versteigerungen
für kleinere Betriebe hofften die Liberalen um Miroljub Labus und
Meadjan Dinkic, Geld für das nationale Budget zu bekommen. Allein: Bis
Ende 2003 flossen aus diesen Privatisierungen – laut Auskunft von Dusan
Pavlovic, einem Ökonomen des liberalen G17-Instituts, – magere 1,2 Mrd.
US-Dollar ins Staatsbudget, was einem Zehntel der serbischen
Auslandsschuld entspricht. Der schwache Erlös ist auch auf die vielen
ungeklärten Forderungen der einzelnen Firmen zurückzuführen, die
gegenüber den großen, mittlerweile von Staats wegen geschlossenen
jugoslawischen Banken bestehen. Investoren schrecken vor massiven
Unsicherheiten in den Bilanzen zurück.
Wirklich zugegriffen haben multinationale Konzerne wie die
Zigarettenunternehmen Philip Morris (z. B. Marlboro) und British
American Tobacco/BAT (z. B. Lucky Strike), die sich die führenden
serbischen Fabriken von »Dunavska Industrija« in Nis und Vranje teilen,
der französische Bauriese Lafargue sowie der deutsche Chemiemulti
Henkel, die die serbischen Marktführer erworben haben, und der
US-Stahlgigant US Steel, der die größte und wichtigste Schmiede
Serbiens in Smederevo erstand. An diesem »Kauf« von US-Steel kann der
Eigentümerwechsel in der Phase der Tranformation übrigens idealtypisch
studiert werden. Für lediglich 23 Millionen US-Dollar erwarb der in
ganz Osteuropa (z. B. im slowakischen Kosice) aktive US-Konzern 2001
das Sartid-Werk in Smederevo.
Die Schulden des Werkes wurden im Verein mit der serbischen Regierung
elegant aus den Bilanzbüchern gestrichen, indem der Stahlkocher formal
zuerst geteilt wurde und damit jenes Unternehmen, das US Steel kaufte,
schuldenfrei übergeben werden konnte. Weil aber deutsche,
österreichische und britische Gelder im alten Sartid-Werk steckten, kam
es zu Streitigkeiten, die nun vor Gericht verhandelt werden. Wären es
keine Schulden bei ausländischen Investoren – unter Führung der
österreichischen Bank-Austria – gewesen, sondern bloß beim Volk von
Jugoslawien bzw. bei den Arbeitern der betreffenden Firma, hätte es
sicher keinerlei Empörung über diese Art der Privatisierung gegeben.
Wohl einzigartig in der osteuropäischen Wendezeit verlief die
Neuerrichtung eines privaten Bankensystems in Serbien. Die vier größten
Banken – Beobanka, Beogradska Banka, Jugobanka, Investbanka – wurden
per staatlichem Dekret mit einem Schlag aus dem Verkehr gezogen, indem
man ihnen einfach – wie im Januar 2002 geschehen – die Lizenz entzog
und so den Markt für Private freiräumte. Von liberalen Ökonomen wird
behauptet, die großen alten jugoslawischen Banken seien ohnedies nur
mehr »leere Schalen« gewesen, die seit dem Einfrieren der Devisenkonten
in den früheren 1990er Jahren kein Vertrauen in der Bevölkerung mehr
genossen hätten.
Das mag stimmen, erklärt aber nicht, warum die vom Staat übernommene
Haftung für die Konten heute einen lebhaften Kapitalmarkt geschaffen
hat, auf dem in Form von »Bonds« mit diesen Schuldverschreibungen
gehandelt wird. Der Staat ist also für die offenen, meist eingefrorenen
Forderungen an die Banken eingesprungen und hat dafür Bonds in der Höhe
von insgesamt 2,8 Milliarden US-Dollar emittiert. Diese Bonds werden
wie Staatsschuldscheine gehandelt und machen einen Gutteil des
Kapitalmarktes in Serbien aus. Auch die Banken leben von dem Geschäft.
So leer können also die Schalen nicht gewesen sein.
Das Vertrauen in diese »Bonds«, die sich letztlich aus Sparguthaben aus
alten, besseren Tagen speisen, wird freilich nur mühsam
aufrechterhalten – solange der IWF weitere Umschuldungen erlaubt und
damit die Liquidität des Staatssäckels aufrechterhält.
In die Bankenlandschaft Serbiens haben seit dem Regimewechsel 2000
neue, global agierende Unternehmen aus dem Ausland eingegriffen. Das
erfolgreichste unter ihnen ist die österreichische
Raiffeisenzentralbank (RZB). Bereits unmittelbar nach der Oktoberwende
des Jahres 2000 war sie vor Ort, und im März 2001 erhielt sie als erste
Auslandsbank eine staatliche Lizenz. Anfang 2004 betreibt sie mit 500
Angestellten bereits 18 Filialen im Land. Ihr Aufschwung beruht im
wesentlichen auf drei Säulen: dem reichlich vorhandenen ausländischen
Kapital, der staatlichen Auflösung potentieller Konkurrenten und der
Einführung des Euro.
Von der Schließung der großen Banken profitierte die RZB schon deshalb,
weil mit einem Schlag Tausende geschulte Bankangestellte auf der Straße
standen, aus deren Reihen sie sich die besten aussuchen konnte. Und die
Euro-Einführung am 1. Januar 2002 trieb der RZB Zigtausende Kunden ins
Geschäft, die ihre unter dem Kopfkissen gehorteten DM in Euro
umtauschen mußten. »Als wir kamen, waren wir extrem liquid, weil wir
wegen der Euro-Umstellung von Privatkundengeldern überschwemmt wurden«,
meldet dazu stolz RZB-Chefmanager Oliver Rögl. In wenigen Monaten
konnte die Raiffeisenzentralbank damit 20 Prozent Kundenanteil in
Serbien gewinnen, wofür unter anderen, normalen Umständen, gibt Rögl
freimütig zu, ein Jahrzehnt nötig gewesen wäre.
Halbdurchlässiger Liberalismus
Aus diesen drei Elementen setzt sich – grob gesprochen – die
Wirtschaftspolitik der unmittelbaren Nachwendezeit zusammen.
Restriktive Geldpolitik ist das Vorzeigeprojekt der Neoliberalen
weltweit. In Serbien hat es zu einer Verknappung der Geldmenge geführt,
die nun, zwei Jahre nach der Euro-Wechseleuphorie, für jedermann
spürbar wird. Dieselbe währungs- und geldpolitische Stabilität war
bereits in den Jahren 1990/91 angestrebt worden, scheiterte damals aber
an der Tatsache, daß Milosevic die Notenpresse in Gang setzen ließ.
Auch der Außenhandel wurde bereits zu Zeiten Markovic’ einseitig, das
heißt bei Importen total, bei Exporten von den EU-Regeln abhängig,
liberalisiert. Die auf nationale Eigenständigkeit bedachte Politik der
Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) und die UN-Sanktionen brachten
diese Liberalisierung zum Scheitern. Nach 1999 ging die Schere zwischen
Exporten und Importen wieder extrem auseinander. Zwischen 2000 und 2003
hat sich ein Handelsbilanzdefizit von zehn Milliarden US-Dollar
angehäuft, allein im Jahr 2003 wurden Waren für 4,5 Milliarden
US-Dollar mehr importiert als exportiert.
Die nach dem Euro-Umtausch relativ hohe Liquidität in der Bevölkerung
ist – wegen der von Serbien einseitig erklärten Importliberalisierung –
im Massenkonsum verpufft. Die Exporte, die großteils aus Rohmaterialien
und Nahrungmitteln bestehen, machen wertmäßig gerade ein Drittel der
Importe aus, das höchste Defizit besteht, wie könnte es anders sein,
gegenüber den Ländern der Europäischen Union (vgl.Vladimir Gligorow,
Serbia and Montenegro: Transition with Organized Crime. Current
Analyses Nr. 19, Juli 2003, S. 25). Dorthin dürfen zwar generell 95
Prozent aller Güter zollfrei bzw. mit Präferenzsystem exportiert
werden, die restlichen fünf Prozent stellen allerdings für Länder wie
Serbien 95 Prozent ihrer Exportmöglichkeiten dar. Im Klartext:
High-Tech-Hubschrauber dürfen ohne große Zollzahlungen in die EU
geliefert werden, landwirtschaftliche Produkte, Rohstoffe oder
Textilien aber werden mit hohen Zöllen belegt bzw. dürfen nur mit
niedrigen Quoten in die Brüsseler Union.
Diese Art halbdurchlässiger Liberalismus führte zu drastischen
wirtschaftlichen Problemen. Viele Produktionsbetriebe stehen seit dem
Krieg still, die Industrieproduktion sinkt (um 3,5 Prozent von 2002 auf
2003), die offizielle Arbeitslosenzahl lag Ende 2003 bei 32 Prozent.
Und auch wer einen Job hat, erhält oft monatelang keinen Lohn.
Arbeiterproteste finden immer erst dann statt, wenn es strukturell
bereits zu spät ist. Wenn infolge einer Privatisierung ein Teil der
Belegschaft auf die Straße gesetzt wird, um die niedrige Produktivität
eines Unternehmens auf die einfachste Art und Weise zu erhöhen, dann
kommt es schon vor, daß Arbeiter die Fabrik besetzen bzw. eine
Demonstration vor einem Ministerium oder einem Rathaus abhalten. Ihr
Zorn auf die Privatierung kommt indes Monate bzw. Jahre zu spät, denn
das Gesetz ist bereits im Mai 2001 beschlossen worden. Damals regte
sich dagegen kaum Widerstand.
Was in Serbiens Wirtschaft floriert, ist die graue Ökonomie, der
sogenannte informelle Sektor. Er allein ist es auch, der verhindert,
daß eine Gesellschaft mit einer Arbeitslosenrate von 32 Prozent nicht
kollabiert. Staatsgläubig waren die Serben noch nie, also fällt es
ihnen auch in der neuen Zeit nicht weiter schwer, Arbeit am Fiskus
vorbei zu finden. Der private Sektor im Gewerbe, in der Bauwirtschaft
und im Kleinhandel ist weitgehend informell, grau, und war es schon
lange Zeit. Relativ neu ist ein Phänomen der Lohnfertigung für
ausländische Kapitalgeber, wie es z. B. in Novi Pazar funktioniert.
Dort nähen Frauen für türkische Textilunternehmen – die Produkte werden
anschließend wieder in die Türkei transportiert und von dort entweder
unter Phantasienamen oder auch als gefälschte Markenwaren auf den
Weltmarkt gebracht. Schätzungsweise 500 000 Menschen sind in der grauen
Ökonomie beschäftigt, ihre Löhne betragen oft nur die Hälfte eines
ohnedies äußerst mageren Durchschnittsgehalts von 150 bis 200 Euro pro
Monat. Teile der Region des Sandzak sind durch diese euphemistisch mit
dem deutschen Ausdruck »Lohnarbeit« bezeichnete Produktionsweise zu
einer verlängerten Werkbank für türkische Unternehmer geworden:
Billiglohnland auf niedrigstem Niveau. Wer kann, entflieht dieser
Perspektive; und so ist es nicht verwunderlich, daß die
Bevölkerungszahl von Serbien und Montenegro stetig sinkt. »Wenn heute
ein junger Mensch zu mir kommt«, meinte der bekannte Journalist Zivica
Tucic Ende Dezember 2003 resigniert, »und mich um Rat fragt, ob er
auswandern soll, dann sage ich ihm: Recht hast du! Noch vor fünf Jahren
hatte ich jeden aufhalten wollen, der in die Fremde ging.«
Das Gespenst des Monarchismus
Territoriale Unsicherheit und ökonomische Krise bilden die Grundlage
für ein Gefühl zwischen Demütigung und Resignation, wie es bei einem
Gutteil der im Land verbliebenen Menschen zunehmend um sich greift.
Aufbruchstimmung ist nur einer kleinen städtischen Schicht vorbehalten,
die sich an ausländischem wirtschaftlichen Engagement persönlich
bereichern kann. Politisch drückt sich die ganze Misere Serbiens in der
Unfähigkeit aus, Vertrauen zwischen der neuen, dem Westen zuarbeitenden
Elite und den Massen herzustellen.
In der Parlamentswahl vom 28. Dezember 2003 kam dies deutlicher denn je
zum Ausdruck. Zwei aussichtsreiche Parteien, die rechte Radikale Partei
Serbiens (SRS) und die linke Sozialistische Partei Serbiens (SPS)
traten mit Spitzenkandidaten an, die in Den Haag interniert sind. Mehr
als ein Drittel der Wählerinnen und Wähler machten Ende Dezember 2003
explizit klar, daß sie das Haager Tribunal zu Jugoslawien nicht
anerkennen, im Gegenteil: Sie wollen Slobodan Milosevic und Vojislav
Seselj als Parteiführer im Belgrader Parlament sitzen sehen. Mit diesen
Serben ist kein Staat zu machen, wie ihn sich Javier Solana oder George
Bush vorstellen.
Just in dieser historischen Situation geistert seit Monaten ein neues
Gespenst durch die politische Vorstellungswelt: Es ist die Figur des
Prinzen Alexander II. Karadjordjevic, der durch die kirchliche
Fürsprache des Patriarchen Pavle I. Anfang Dezember 2003 zu einer
politischen Größe geworden ist, nachdem er bereits Anfang der 1980er
Jahre in den Köpfen der Serbischen Erneuerungsbewegung (SOP) von Vuk
Draskovic herumgespukte.
Die Idee, einen Monarchen im krisengeschüttelten Serbien zu
installieren, scheint vordergründig absurd. Zu groß wäre der
gesellschaftliche Rückschritt von der Republik zur Monarchie, als daß
sich – bei aktuellen Umfragen – eine Mehrheit für die Errichtung der
alten Herrschaft aussprechen würde.
Andererseits könnte hinter dem kirchlichen Plazet für die Wiederkehr
des Monarchen auch ein Kalkül stecken, das sich mit den Interessen
westlicher Investoren vereinbaren ließe. Abgesehen davon, daß Alexander
II. bei ausgewiesenen Kritikern jedes monarchistischen Rückfalls als
»britische Investition« (er ist auch Offizier der Royal Army) in die
serbische Politik gilt, hätte ein serbischer König den Vorteil, Staats-
und Nationsidee trennen zu können. Während der Staat weiterhin und
verstärkt von IWF-geführten Liberalen oder – wie in Bosnien – direkt
von fremden Verwaltern betrieben werden könnte, wäre für die Masse des
Volkes eine Struktur aus Monarchie und Kirche aufzubauen, die die
serbische Nation umfaßt. Da spielte es dann keine Rolle, daß es drei
oder mehrere Staaten oder staatsähnliche Gebilde gäbe, in denen Serben
leben (Serbien, die autonome Provinz Vojvodina, Kosovo, Republika
Srpska), sie wären, obwohl staatlich getrennt, durch Patriarchat und
Königtum geeint. Zumindest in der nationalen Fiktion, die allerdings in
Krisenzeiten überall starken Zuspruch erfährt.
"Junge Welt", illustra per filo e per segno gli effetti devastanti di
tre anni di regime liberista in Serbia. Nomi e cifre della svendita
completa di un paese. Di tutto questo e' rigorosamente vietato scrivere
su "Liberazione" ed "Il Manifesto"...]
Junge Welt (Berlin)
http://www.jungewelt.de/
04.02.2004
Thema
Hannes Hofbauer
Ökonomische Kolonisierung
Serbien – zerbricht das Land? Neuordnung am Rande Europas (Teil 1)
Das ganze Elend Serbiens und der Serben zusammenfassend, sagt der
bekannte Belgrader »Politika«-Kommentator und Kirchenjournalist Zivica
Tucic: »Ich lebe in einem Land und weiß nicht einmal, wie groß dieses
Land ist. Dieses Land ist seelisch mehr ruiniert, als man es wahrhaben
will. Erniedrigt von innen und von außen, ist unsere Situation
tragischer, als wir es uns selbst eingestehen. Außerhalb interessiert
unser Zustand ohnedies niemanden. Zehn Jahre Sanktionen und 78 Tage
Bombenkrieg haben tiefe Wunden in unser Bewußtsein gerissen. Offen
gesagt: Ich kann nicht mehr ehrlich lachen, mich nicht mehr entspannen.
Die Erfahrungen sind so bitter, die Demütigungen so nachhaltig ...«
Der Theologe erklärt mir, niemals Pessimist gewesen zu sein, auch nicht
in den für ihn schlimmen Zeiten der Milosevic-Ära. Was ihm die
Fröhlichkeit genommen habe, sei die Enttäuschung der vergangenen drei
Jahre. Konnten Intellektuelle seines – oppositionellen – Schlages noch
Ende der 1990er Jahre auf eine bessere, demokratischere, offenere
Zukunft hoffen, so haben sie drei Jahre Wirklichkeit nach der
»Bulldozer-Revolution« im Oktober 2000 eines Schlechteren belehrt. Nun
scheint die ganze politische Kaste vor dem Volk diskreditiert,
westliche Banken und Konzerne regieren über internationale
Finanzorganisationen das Land.
Territorialer Schwebezustand
Serbien lebt in einer Art Wartestellung. Die Parlamentswahlen vom 28.
Dezember 2003 haben – nach mehreren vergeblichen Anläufen für eine
präsidentielle Entscheidung – keine Konsolidierung gebracht. Das Land
befindet sich in der Schwebe. Ungeklärt ist zuallererst der
substantielle Kern jeder Staatlichkeit: die Territorialität. Die von
EU-Europa forcierte Union mit Montenegro hat außer einem pittoresken
internationalen Autokennzeichen – SCG – nichts gebracht. Wer diese
Unklarheit kleinredet, argumentiert mit den viel größeren, weil
näherliegenden Problemen sozialer Verelendung und wirtschaftlicher
Talfahrt, die das Land bedrücken. Die territoriale Frage zu
vernachlässigen, wäre dennoch kurzsichtig, fallen doch ökonomische
Entscheidungen auf Basis eines gesicherten staatlichen Umfeldes, und
auch soziale Sicherheit ist ohne administrative Rahmenbedingungen nicht
einmal mehr im Dorfleben möglich, das auch in Serbien längst mit
großräumiger Arbeitsteilung verwoben ist.
Die territoriale Unsicherheit betrifft indes keineswegs nur die Union
mit Montenegro, daran hängt freilich auch die Statusfrage des Kosovo.
Im Anschluß an den Vertrag von Kumanovo vom 9. Juni 1999, der den Abzug
der serbischen Polizei und der jugoslawischen Volksarmee aus der
Provinz Kosovo-Metochien regelte, machte die UN-Resolution 1244 – fast
unbemerkt von der Weltöffentlichkeit und auch in Serbien kaum zur
Kenntnis genommen – aus der ehemaligen serbischen Provinz offiziell
einen Teil Jugoslawiens. Mit der von der DOS-Allianz und Präsident
Vojislav Kostunica unter tatkräftiger Mithilfe der Europäischen Union
im Februar 2003 zu Grabe getragenen südslawischen Föderation ist der
Status des Kosovo prekärer denn je. Doch auch Serbien selbst ist
territorial nicht gefestigt. Die Autonomiebestrebungen der Vojvodina
wachsen proportional zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten im
Kernland. Bereits unmittelbar nach den NATO-Bombardements meldete sich
eine »Reformistische Koalition Vojvodina« zu Wort, einer ihrer
Wortführer, der Völkerrechtler Dejan Jenca, meinte im Sommer 1999: »Die
Regionalisierung ist die Schlüsselfrage der Opposition«. 1) Er träumte
davon, Serbien in fünf autonome Gebiete zu teilen: die Vojvodina, den
Sandzak, Südostserbien, Nordwestserbien und Groß-Belgrad. Nach der
Machtübernahme durch die Oppositionsparteien im Oktober 2000 mischten
sich offen sezessionistisch argumentierende Gruppen wie die »Liga der
Sozialdemokraten in der Vojvodina« ins politische Geschehen. Ihr
Führer, Nenad Cacak, fordert eine Neudefinition der seit 1974
bestehenden Autonomie.
Von Ungarn aus hat sich der Druck auf Serbien durch das bereits in
Kraft getretene Status-Gesetz erhöht, das Menschen ungarischer Herkunft
aus der Slowakei, Transsilvanien und der Vojvodina u. a. privilegierten
Zugang zu Bildungs-, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen in Ungarn
sichert und damit teilweise die staatlichen Hoheitsrechte der einzelnen
Länder untergräbt.
Die ungeklärte Territorialität Serbiens spiegelt sich auch in der
fruchtlosen Verfassungsdebatte wider. Während unter Slobodan Milosevic
– offiziell – eine offene Verfassung dem multinationalen Erbe des
Landes Rechnung trug und jedem Bürger auf dem Territorium der Republik,
gleich welcher Ethnie oder Religion er angehörte, die gleichen Rechte
gewährte, diskutiert man seither in politischen und akademischen
Kreisen über eine Nationalisierung der Bürgerrechte, wonach demnächst
die serbische Nationalität – wie die kroatische in Kroatien – das
Staatsvolk bilden könnte.
Der Schwebezustand kann dauern. Manche haben sich darin eingerichtet.
Nutznießer der staatlichen Provisorien ist vor allem eine
wirtschaftliche Halbwelt, deren Wurzeln meist in die Milosevic-Ära
zurückreichen und die sich im kurzen »Demokratie«-Zeitalter ganze
Wirtschaftszweige untertan gemacht hat. Namen wie Bogoljub Karic und
Maureen Miskovic, die weite Teile der Telekommunikation, des
Automobilimports, eine Bank und viele andere Geschäfte ihr eigen
nennen, bestimmen Serbiens Politik weit mehr, als politische Parteien
dazu in der Lage sind. Folgerichtig betreiben die rasch wechselnden
Parteiallianzen weniger Ideologie als Seelenfängerei, wenn sie mit
sozialen Versprechungen ihre ökonomische und politische Ohnmacht zu
übertünchen trachten.
Diese fatale Geisteshaltung, die das wirtschaftliche und politische
Leben Serbiens prägt und jenen Schwebezustand hervorbringt, ist jedoch
keineswegs »hausgemacht«, wie das die westlichen Medien, die seit
kurzem auch über die Aktienmehrheiten auf dem serbischen Zeitungsmarkt
verfügen, weismachen wollen. Da ist zuerst einmal die militärische
Besatzung des Kosovo im Gefolge eines völkerrechtswidrigen Krieges,
beides hat der Rechts- und Gesetzesgläubigkeit schwer zugesetzt. Wenn
sich die stärkste Militärmacht der Welt ohne jede rechtliche
Legitimation auf ein Land stürzen kann, weil ihr die gewählte Regierung
nicht behagt und sie es versteht, ethnische Konflikte im Kosovo für
sich zu instrumentalisieren, dann darf sich niemand wundern, daß im
täglichen Leben Serbiens Unrecht als etwas Selbstverständliches Platz
greift und der eigene Vorteil zur Moral erhoben wird. Auch die rund um
Serbien stehenden militärischen Einheiten, die das Land förmlich
umzingeln, rauben Staat und Nation das für einen Neustart nötige
Selbstbewußtsein. US- und EU-Truppen im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina
und Makedonien demonstrieren nicht nur dort, sondern auch der
Bevölkerung Serbiens, daß die Region unter Fremdherrschaft steht.
Und genau dies ist das eigentliche Problem, mit dem Belgrad zu kämpfen
hat.
Die Naivität der Reformer
Besonders drastisch äußert sich diese Fremdbestimmtheit in der
Ökonomie. »Die Zukunft der Föderativen Republik Jugoslawien ist
überschattet von der niederschmetternden Bürde ihrer Auslandsschulden«,
schreiben Miroljub Labus und Mladjan Dinkic in ihrer Eigenschaft als
Außenwirtschaftsminister bzw. Zentralbankchef im Mai 2001 an den
Internationalen Währungsfonds. 2) Serbien steht Anfang 2004 bei den
internationalen Finanzorganisationen und Banken mit zwölf Milliarden
US-Dollar in der Kreide, das sind etwa vier Milliarden mehr als vor den
UN-Sanktionen im Jahr 1992. Ohne wirtschaftlichen Austausch zwischen
Belgrad und dem Rest der Welt sind die Schulden des Landes in diesen
zwölf Jahren – nur der Zinsen wegen – um ein Drittel gestiegen. Kurz
nach der »Bulldozer-Revolution« hatte der jugoslawische Zentralbankchef
Dinkic im offensichtlich revolutionären Übermut bei der Weltbank um
einen Forderungsverzicht auf jene vier Milliarden angefragt, die in der
außenwirtschaftlich »toten« Ära Milosevic angefallen sind und in diesem
Zusammenhang sogar von »Ansprüchen« gesprochen, die das neue,
demokratische Jugoslawien auf eine Schuldenstreichung hätte. Die
Erwartungshaltung, die Gläubiger würden auf die kapitalisierten Zinsen
der Jahre 1992 bis 2000 verzichten, zeigte die ganze Naivität der
Belgrader Reformer. Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF)
ließen sie abblitzen. Zwar ist über die Jahre eine Umschuldung und
Teilstreichung von Zinsen im sogenannten Pariser Klub durchgeführt
worden, um eine offizielle Zahlungsunfähigkeit, ein Schuldenmoratorium,
zu vermeiden; Fazit bleibt jedoch: Belgrads Außenschuld beträgt zwölf
Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2005, wenn die volle Rückzahlung der
Kreditzinsen wieder aufgenommen werden muß, droht ein finanzielles
Debakel, wie auch der zuständige Experte des renommierten »Wiener
Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche«, Vladimir Glogorow,
feststellt: »Wenn die Schulden nach 2005 wieder bedient werden müssen,
wird das (staatliche) Defizit ein unerträgliches Niveau erreichen.« 3)
Für das Jahr 2003 betragen die Auslandsschulden übrigens sagenhafte 259
Prozent der Gesamtexporte des Landes, das sind mehr als in Albanien
(141 Prozent) oder in Bulgarien (180 Prozent). 4)
Clanwirtschaft
In der Zwischenzeit hatte sich die alte DOS-Regierung in ihrem »Letter
of Intent« vom Mai 2001 gegenüber den internationalen
Finanzorganisationen als Gegenleistung für die Umschuldungsmodalitäten
verpflichtet, »die Inflation niedrig zu halten«, »Preisverzerrungen zu
reduzieren«, eine »Steuerreform durchzuführen« und vieles andere mehr.
5) Sie folgt damit den scheinbar ewigen Regeln der imperialen
Wirtschafts- und Währungshüter: Durchsetzung einer restriktiven
Geldpolitik sowie Beendigung staatlicher Förderungen für Wirtschaft und
Soziales, was in der Folge das Eindringen (und den nachfolgenden Abzug)
ausländischen Kapitals garantieren soll sowie zu einer größeren
sozialen Ungleichheit führt. »Nach dem Oktober 2000 erfüllte das Land
die Forderungen des IWF auf Punkt und Komma«, meint dazu der frühere
Minister im Kabinett Milosevic und Wirtschaftsprofessor Oskar Kovac mir
gegenüber. 6) Und Mile Jovic vom »Institut für
Wirtschaftswissenschaften« in Belgrad sieht für die Jahre nach 2005 das
wirtschaftliche Chaos heraufziehen. »Um dann den Schuldendienst
begleichen zu können, müßten Serbiens Exporte jährlich um 15 Prozent
wachsen«, was der Fachmann für gänzlich unrealistisch hält. Jovic hält
die »nicht gehaltenen großzügigen Versprechen des Westens« vom Oktober
2000 für die »Basis der Misere im Land«. 7)
Territorialer Schwebezustand und wirtschaftlicher Würgegriff
provozieren geradezu eine Mafiotisierung der politischen Elite. Ohne
eigenständige Handlungsfähigkeit auf nationaler Ebene, die militärisch
von der NATO und ökonomisch von IWF und Weltbank beschnitten wird,
beginnt sich in einem krisengeschüttelten Land die Clanwirtschaft
gegenüber der Volkswirtschaft durchzusetzen. Westliche Medien und
Politiker bzw. deren Spezialisten wie Vladimir Gligorow stellen gerne
die Logik auf den Kopf. Sie sprechen – aus der Innensicht gesehen zu
Recht – von Serbien und Montenegro als einem »gefangenen Staat« in den
Händen der Mafia. »Das serbische Parlament«, so Gligorow über das
nachrevolutionäre Serbien, »war in seinen Möglichkeiten zum Handeln
sehr beschränkt, es war mehr ein unwilliger Agent dieser (mafiotischen,
d. A.) Organisationen als eine Reformkraft für politische
Entscheidungen.« 8) Doch die Hände waren (und sind) dem Parlament nur
scheinbar hauptsächlich wegen der internen gesellschaftlichen
Strukturen gebunden; eine entscheidende Rolle spielen jene
westeuropäischen und nordamerikanischen Kräfte, die eigenständige
Politik auf nationaler Ebene erst gar nicht zulassen und damit der
Clanwirtschaft Vorschub leisten.
1) Dejan Jenca in der Neuen Zürcher Zeitung, 14.7.1999
2) »Letter of intent« der Bundesrepublik Jugoslawien an den IWF. Siehe:
www.imf.org:80/external/np/loi/2001/yug/01/index.htm.
3) Vladimir Gligorow, Serbia and Montenegro: Transition with Organized
Crime (Current Analyses Nr. 19, Juli 2003) Wien, S. 33
4) Ebenda, S. 42
5) vgl. »Letter of intent« Jugoslawiens an den IWF.
6) Gespräch mit Oskar Kovac, Belgrad, 18.12.2003.
7) Gespräch mit Mile Jovic, Belgrad, 17.12.2003.
8) Vladimir Gligorow, Serbia and Montenegro, S. 4
05.02.2004
Thema
Hannes Hofbauer
Freibrief für Ausverkauf
Serbien – zerbricht das Land? Neuordnung am Rande Europas (Teil II und
Schluß)
Ein wesentlicher Schritt hin zur ökonomischen Kolonisierung Serbiens
gelang im Gefolge der »Bulldozer-Revolution« vom Oktober 2000. Damals
koordinierte der IWF-geeichte Miroljub Labus die überall im Lande
auftretenden sogenannten Krisenkomitees, die die Führungsetagen von
Fabriken und Büros von Anhängern der Milosevic-Zeit säuberten. Dieser
politisch motivierte Personalaustausch funktionierte indes nicht. Zwar
wurden Tausende Fachkräfte aus alten Tagen auf die Straße gesetzt, es
rückte aber kein entsprechend geschultes Personal nach. »Die ganze
Sache war dumm, weil sie ungeduldig und enthusiastisch verlief, ohne
einen sinnvollen Übergang zu schaffen«, meint Mile Jovic vom »Institut
für Wirtschaftswissenschaften« rückblickend. »Manager auszutauschen und
sie durch Leute ohne Erfahrung zu ersetzen, das war ein Fehler.« Was
Jovic volkswirtschaftlich als Fehler einschätzt, hatte indes politisch
eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Denn auch im Zusammenhang mit
der rasch einsetzenden Privatisierung waren diese ohnedies aus
Milosevic-Zeiten bereits maroden Betriebe nach drei, vier Monaten unter
Leitung der Krisenkomitees gänzlich heruntergewirtschaftet und billig
zu haben. Freunde der alten DOS-Allianz sowie internationale Investoren
konnten sich ohne großes Risiko bereichern; wo es lukrativ schien,
taten sie es.
Das Privatisierungsdekret
Das Privatisierungsdekret vom Mai 2001 komplettierte den Ausverkauf der
serbischen Ökonomie. Es war bereits der vierte oder fünfte Anlauf zur
Zerschlagung des gesellschaftlichen Eigentums, und diesmal schien es zu
klappen. Bereits zuvor waren unter der letzten gesamtjugoslawischen
Regierung von Ante Markovic 1990 ca. zehn bis 20 Prozent der in
Arbeiterselbstverwaltung befindlichen Betriebe privatisiert worden.
1991 versuchte dann Slobodan Milosevic sein Glück, Geld aus dem
Volksvermögen zu requirieren. 1994 wurden Privatisierungen in Serbien
wieder zurückgenommen, um 1997 – unter dem serbischen
Vizeministerpräsidenten (und anschließenden Privatisierungsgewinner)
Bogoljub Karic – die Betriebe erneut zum Verkauf an Privatinvestoren
freizugeben, Bereicherungen der damals herrschenden Schicht inklusive.
Im Mai 2001 setzte die DOS-Allianz schließlich, ähnlich dem kroatischen
Vorbild, den Verkauf allen gesellschaftlichen Eigentums durch. Das kam
faktisch einer Verstaatlichung gleich, um die entsprechende Behörde
überhaupt erst in die Lage zu versetzen, das formal in den Händen von
Arbeitern und Managern befindliche Eigentum Privaten anbieten zu können.
Über das entsprechende Dekret ließ man lapidar verlauten, daß die
Regierung jedes Unternehmen verkaufen dürfe, das sich nicht in privater
Hand befindet.
Das Verfahren soll bis 2007 abgeschlossen sein.
Diesem Freibrief zum Ausverkauf gesellschaftlichen Eigentums folgte
eine Phase der Desorientierung, war doch der Wert der Unternehmen noch
nicht festgesetzt. Über Ausschreibungen für große und Versteigerungen
für kleinere Betriebe hofften die Liberalen um Miroljub Labus und
Meadjan Dinkic, Geld für das nationale Budget zu bekommen. Allein: Bis
Ende 2003 flossen aus diesen Privatisierungen – laut Auskunft von Dusan
Pavlovic, einem Ökonomen des liberalen G17-Instituts, – magere 1,2 Mrd.
US-Dollar ins Staatsbudget, was einem Zehntel der serbischen
Auslandsschuld entspricht. Der schwache Erlös ist auch auf die vielen
ungeklärten Forderungen der einzelnen Firmen zurückzuführen, die
gegenüber den großen, mittlerweile von Staats wegen geschlossenen
jugoslawischen Banken bestehen. Investoren schrecken vor massiven
Unsicherheiten in den Bilanzen zurück.
Wirklich zugegriffen haben multinationale Konzerne wie die
Zigarettenunternehmen Philip Morris (z. B. Marlboro) und British
American Tobacco/BAT (z. B. Lucky Strike), die sich die führenden
serbischen Fabriken von »Dunavska Industrija« in Nis und Vranje teilen,
der französische Bauriese Lafargue sowie der deutsche Chemiemulti
Henkel, die die serbischen Marktführer erworben haben, und der
US-Stahlgigant US Steel, der die größte und wichtigste Schmiede
Serbiens in Smederevo erstand. An diesem »Kauf« von US-Steel kann der
Eigentümerwechsel in der Phase der Tranformation übrigens idealtypisch
studiert werden. Für lediglich 23 Millionen US-Dollar erwarb der in
ganz Osteuropa (z. B. im slowakischen Kosice) aktive US-Konzern 2001
das Sartid-Werk in Smederevo.
Die Schulden des Werkes wurden im Verein mit der serbischen Regierung
elegant aus den Bilanzbüchern gestrichen, indem der Stahlkocher formal
zuerst geteilt wurde und damit jenes Unternehmen, das US Steel kaufte,
schuldenfrei übergeben werden konnte. Weil aber deutsche,
österreichische und britische Gelder im alten Sartid-Werk steckten, kam
es zu Streitigkeiten, die nun vor Gericht verhandelt werden. Wären es
keine Schulden bei ausländischen Investoren – unter Führung der
österreichischen Bank-Austria – gewesen, sondern bloß beim Volk von
Jugoslawien bzw. bei den Arbeitern der betreffenden Firma, hätte es
sicher keinerlei Empörung über diese Art der Privatisierung gegeben.
Wohl einzigartig in der osteuropäischen Wendezeit verlief die
Neuerrichtung eines privaten Bankensystems in Serbien. Die vier größten
Banken – Beobanka, Beogradska Banka, Jugobanka, Investbanka – wurden
per staatlichem Dekret mit einem Schlag aus dem Verkehr gezogen, indem
man ihnen einfach – wie im Januar 2002 geschehen – die Lizenz entzog
und so den Markt für Private freiräumte. Von liberalen Ökonomen wird
behauptet, die großen alten jugoslawischen Banken seien ohnedies nur
mehr »leere Schalen« gewesen, die seit dem Einfrieren der Devisenkonten
in den früheren 1990er Jahren kein Vertrauen in der Bevölkerung mehr
genossen hätten.
Das mag stimmen, erklärt aber nicht, warum die vom Staat übernommene
Haftung für die Konten heute einen lebhaften Kapitalmarkt geschaffen
hat, auf dem in Form von »Bonds« mit diesen Schuldverschreibungen
gehandelt wird. Der Staat ist also für die offenen, meist eingefrorenen
Forderungen an die Banken eingesprungen und hat dafür Bonds in der Höhe
von insgesamt 2,8 Milliarden US-Dollar emittiert. Diese Bonds werden
wie Staatsschuldscheine gehandelt und machen einen Gutteil des
Kapitalmarktes in Serbien aus. Auch die Banken leben von dem Geschäft.
So leer können also die Schalen nicht gewesen sein.
Das Vertrauen in diese »Bonds«, die sich letztlich aus Sparguthaben aus
alten, besseren Tagen speisen, wird freilich nur mühsam
aufrechterhalten – solange der IWF weitere Umschuldungen erlaubt und
damit die Liquidität des Staatssäckels aufrechterhält.
In die Bankenlandschaft Serbiens haben seit dem Regimewechsel 2000
neue, global agierende Unternehmen aus dem Ausland eingegriffen. Das
erfolgreichste unter ihnen ist die österreichische
Raiffeisenzentralbank (RZB). Bereits unmittelbar nach der Oktoberwende
des Jahres 2000 war sie vor Ort, und im März 2001 erhielt sie als erste
Auslandsbank eine staatliche Lizenz. Anfang 2004 betreibt sie mit 500
Angestellten bereits 18 Filialen im Land. Ihr Aufschwung beruht im
wesentlichen auf drei Säulen: dem reichlich vorhandenen ausländischen
Kapital, der staatlichen Auflösung potentieller Konkurrenten und der
Einführung des Euro.
Von der Schließung der großen Banken profitierte die RZB schon deshalb,
weil mit einem Schlag Tausende geschulte Bankangestellte auf der Straße
standen, aus deren Reihen sie sich die besten aussuchen konnte. Und die
Euro-Einführung am 1. Januar 2002 trieb der RZB Zigtausende Kunden ins
Geschäft, die ihre unter dem Kopfkissen gehorteten DM in Euro
umtauschen mußten. »Als wir kamen, waren wir extrem liquid, weil wir
wegen der Euro-Umstellung von Privatkundengeldern überschwemmt wurden«,
meldet dazu stolz RZB-Chefmanager Oliver Rögl. In wenigen Monaten
konnte die Raiffeisenzentralbank damit 20 Prozent Kundenanteil in
Serbien gewinnen, wofür unter anderen, normalen Umständen, gibt Rögl
freimütig zu, ein Jahrzehnt nötig gewesen wäre.
Halbdurchlässiger Liberalismus
Aus diesen drei Elementen setzt sich – grob gesprochen – die
Wirtschaftspolitik der unmittelbaren Nachwendezeit zusammen.
Restriktive Geldpolitik ist das Vorzeigeprojekt der Neoliberalen
weltweit. In Serbien hat es zu einer Verknappung der Geldmenge geführt,
die nun, zwei Jahre nach der Euro-Wechseleuphorie, für jedermann
spürbar wird. Dieselbe währungs- und geldpolitische Stabilität war
bereits in den Jahren 1990/91 angestrebt worden, scheiterte damals aber
an der Tatsache, daß Milosevic die Notenpresse in Gang setzen ließ.
Auch der Außenhandel wurde bereits zu Zeiten Markovic’ einseitig, das
heißt bei Importen total, bei Exporten von den EU-Regeln abhängig,
liberalisiert. Die auf nationale Eigenständigkeit bedachte Politik der
Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) und die UN-Sanktionen brachten
diese Liberalisierung zum Scheitern. Nach 1999 ging die Schere zwischen
Exporten und Importen wieder extrem auseinander. Zwischen 2000 und 2003
hat sich ein Handelsbilanzdefizit von zehn Milliarden US-Dollar
angehäuft, allein im Jahr 2003 wurden Waren für 4,5 Milliarden
US-Dollar mehr importiert als exportiert.
Die nach dem Euro-Umtausch relativ hohe Liquidität in der Bevölkerung
ist – wegen der von Serbien einseitig erklärten Importliberalisierung –
im Massenkonsum verpufft. Die Exporte, die großteils aus Rohmaterialien
und Nahrungmitteln bestehen, machen wertmäßig gerade ein Drittel der
Importe aus, das höchste Defizit besteht, wie könnte es anders sein,
gegenüber den Ländern der Europäischen Union (vgl.Vladimir Gligorow,
Serbia and Montenegro: Transition with Organized Crime. Current
Analyses Nr. 19, Juli 2003, S. 25). Dorthin dürfen zwar generell 95
Prozent aller Güter zollfrei bzw. mit Präferenzsystem exportiert
werden, die restlichen fünf Prozent stellen allerdings für Länder wie
Serbien 95 Prozent ihrer Exportmöglichkeiten dar. Im Klartext:
High-Tech-Hubschrauber dürfen ohne große Zollzahlungen in die EU
geliefert werden, landwirtschaftliche Produkte, Rohstoffe oder
Textilien aber werden mit hohen Zöllen belegt bzw. dürfen nur mit
niedrigen Quoten in die Brüsseler Union.
Diese Art halbdurchlässiger Liberalismus führte zu drastischen
wirtschaftlichen Problemen. Viele Produktionsbetriebe stehen seit dem
Krieg still, die Industrieproduktion sinkt (um 3,5 Prozent von 2002 auf
2003), die offizielle Arbeitslosenzahl lag Ende 2003 bei 32 Prozent.
Und auch wer einen Job hat, erhält oft monatelang keinen Lohn.
Arbeiterproteste finden immer erst dann statt, wenn es strukturell
bereits zu spät ist. Wenn infolge einer Privatisierung ein Teil der
Belegschaft auf die Straße gesetzt wird, um die niedrige Produktivität
eines Unternehmens auf die einfachste Art und Weise zu erhöhen, dann
kommt es schon vor, daß Arbeiter die Fabrik besetzen bzw. eine
Demonstration vor einem Ministerium oder einem Rathaus abhalten. Ihr
Zorn auf die Privatierung kommt indes Monate bzw. Jahre zu spät, denn
das Gesetz ist bereits im Mai 2001 beschlossen worden. Damals regte
sich dagegen kaum Widerstand.
Was in Serbiens Wirtschaft floriert, ist die graue Ökonomie, der
sogenannte informelle Sektor. Er allein ist es auch, der verhindert,
daß eine Gesellschaft mit einer Arbeitslosenrate von 32 Prozent nicht
kollabiert. Staatsgläubig waren die Serben noch nie, also fällt es
ihnen auch in der neuen Zeit nicht weiter schwer, Arbeit am Fiskus
vorbei zu finden. Der private Sektor im Gewerbe, in der Bauwirtschaft
und im Kleinhandel ist weitgehend informell, grau, und war es schon
lange Zeit. Relativ neu ist ein Phänomen der Lohnfertigung für
ausländische Kapitalgeber, wie es z. B. in Novi Pazar funktioniert.
Dort nähen Frauen für türkische Textilunternehmen – die Produkte werden
anschließend wieder in die Türkei transportiert und von dort entweder
unter Phantasienamen oder auch als gefälschte Markenwaren auf den
Weltmarkt gebracht. Schätzungsweise 500 000 Menschen sind in der grauen
Ökonomie beschäftigt, ihre Löhne betragen oft nur die Hälfte eines
ohnedies äußerst mageren Durchschnittsgehalts von 150 bis 200 Euro pro
Monat. Teile der Region des Sandzak sind durch diese euphemistisch mit
dem deutschen Ausdruck »Lohnarbeit« bezeichnete Produktionsweise zu
einer verlängerten Werkbank für türkische Unternehmer geworden:
Billiglohnland auf niedrigstem Niveau. Wer kann, entflieht dieser
Perspektive; und so ist es nicht verwunderlich, daß die
Bevölkerungszahl von Serbien und Montenegro stetig sinkt. »Wenn heute
ein junger Mensch zu mir kommt«, meinte der bekannte Journalist Zivica
Tucic Ende Dezember 2003 resigniert, »und mich um Rat fragt, ob er
auswandern soll, dann sage ich ihm: Recht hast du! Noch vor fünf Jahren
hatte ich jeden aufhalten wollen, der in die Fremde ging.«
Das Gespenst des Monarchismus
Territoriale Unsicherheit und ökonomische Krise bilden die Grundlage
für ein Gefühl zwischen Demütigung und Resignation, wie es bei einem
Gutteil der im Land verbliebenen Menschen zunehmend um sich greift.
Aufbruchstimmung ist nur einer kleinen städtischen Schicht vorbehalten,
die sich an ausländischem wirtschaftlichen Engagement persönlich
bereichern kann. Politisch drückt sich die ganze Misere Serbiens in der
Unfähigkeit aus, Vertrauen zwischen der neuen, dem Westen zuarbeitenden
Elite und den Massen herzustellen.
In der Parlamentswahl vom 28. Dezember 2003 kam dies deutlicher denn je
zum Ausdruck. Zwei aussichtsreiche Parteien, die rechte Radikale Partei
Serbiens (SRS) und die linke Sozialistische Partei Serbiens (SPS)
traten mit Spitzenkandidaten an, die in Den Haag interniert sind. Mehr
als ein Drittel der Wählerinnen und Wähler machten Ende Dezember 2003
explizit klar, daß sie das Haager Tribunal zu Jugoslawien nicht
anerkennen, im Gegenteil: Sie wollen Slobodan Milosevic und Vojislav
Seselj als Parteiführer im Belgrader Parlament sitzen sehen. Mit diesen
Serben ist kein Staat zu machen, wie ihn sich Javier Solana oder George
Bush vorstellen.
Just in dieser historischen Situation geistert seit Monaten ein neues
Gespenst durch die politische Vorstellungswelt: Es ist die Figur des
Prinzen Alexander II. Karadjordjevic, der durch die kirchliche
Fürsprache des Patriarchen Pavle I. Anfang Dezember 2003 zu einer
politischen Größe geworden ist, nachdem er bereits Anfang der 1980er
Jahre in den Köpfen der Serbischen Erneuerungsbewegung (SOP) von Vuk
Draskovic herumgespukte.
Die Idee, einen Monarchen im krisengeschüttelten Serbien zu
installieren, scheint vordergründig absurd. Zu groß wäre der
gesellschaftliche Rückschritt von der Republik zur Monarchie, als daß
sich – bei aktuellen Umfragen – eine Mehrheit für die Errichtung der
alten Herrschaft aussprechen würde.
Andererseits könnte hinter dem kirchlichen Plazet für die Wiederkehr
des Monarchen auch ein Kalkül stecken, das sich mit den Interessen
westlicher Investoren vereinbaren ließe. Abgesehen davon, daß Alexander
II. bei ausgewiesenen Kritikern jedes monarchistischen Rückfalls als
»britische Investition« (er ist auch Offizier der Royal Army) in die
serbische Politik gilt, hätte ein serbischer König den Vorteil, Staats-
und Nationsidee trennen zu können. Während der Staat weiterhin und
verstärkt von IWF-geführten Liberalen oder – wie in Bosnien – direkt
von fremden Verwaltern betrieben werden könnte, wäre für die Masse des
Volkes eine Struktur aus Monarchie und Kirche aufzubauen, die die
serbische Nation umfaßt. Da spielte es dann keine Rolle, daß es drei
oder mehrere Staaten oder staatsähnliche Gebilde gäbe, in denen Serben
leben (Serbien, die autonome Provinz Vojvodina, Kosovo, Republika
Srpska), sie wären, obwohl staatlich getrennt, durch Patriarchat und
Königtum geeint. Zumindest in der nationalen Fiktion, die allerdings in
Krisenzeiten überall starken Zuspruch erfährt.