("Abbiamo bisogno di un nuovo tipo di imperialismo, un imperialismo
che sia compatibile con i diritti umani e con i valori cosmopoliti, un
imperialismo che si ponga come obiettivo quello di portare ordine ed
organizzazione"... Si apre con questa surreale frase di un consigliere
politico di Tony Blair la ottima analisi di Rupp sull'"imperialismo
etico" contemporaneo, recentemente apparsa sullo straordinario
quotidiano di Berlino Junge Welt, che riportiamo di seguito. IS)
http://www.jungewelt.de
Junge Welt - 21.04.2006 / Thema / Seite 10
Imperialismus unter Nachbarn
Die Strategie der »humanitären Interventionen« soll den neuen
Kolonialismus der westlichen Großmächte moralisch legitimieren. Der
irakische Widerstand setzt dem jedoch Grenzen
Von Rainer Rupp
»Wir brauchen eine neue Art von Imperialismus, einen Imperialismus,
der mit den Menschenrechten und den kosmopolitischen Werten kompatibel
ist: ein Imperialismus, der sich zum Ziel setzt, Ordnung und
Organisation zu bringen.«
Diese Aussage stammt aus der Zeit nach dem NATO-Angriffskrieg gegen
Jugoslawien (März bis Juni 1999) und vor dem anglo-amerikanischen
Angriffskrieg zur Befreiung des irakischen Öls. Gemacht wurde sie von
Tony Blairs damaligem außenpolitischen Chefberater Robert Cooper, und
zwar in einem Heftchen mit dem Titel »Die Neuordnung der Welt: Die
langfristigen Implikationen des 11. September«, das an alle Mitglieder
der Labour-Partei verteilt wurde. Darin setzt sich Cooper mit
nachgerade missionarischem Eifer für einen »neuen Imperialismus« ein,
denn nur dieser könne »die Welt retten«.
Robert Cooper unterscheidet zwischen zwei Arten des »neuen
Imperialismus«: Da ist zunächst der »freiwillige Imperialismus« der
»demokratischen« Institutionen der westlichen Welt, wie dem
»Internationalen Währungsfonds« (IWF) oder der »Weltbank«. Laut Cooper
bringen diese Institutionen »all jenen Staaten Hilfe, die freiwillig
ihren Weg zurück in die globale Wirtschaft finden wollen«.
Allen anderen Staaten jedoch, die sich nicht freiwillig der neuen
Weltordnung unterwerfen wollen, droht, so Cooper wörtlich, »der gut
nachbarschaftliche Imperialismus«. Im Klartext heißt das:
»Verantwortliche« Staaten dürfen notfalls auch militärisch
intervenieren, um Instabilitäten in ihrer Nachbarschaft zu verhindern.
Als leuchtendes Beispiel für diesen »gut nachbarschaftlichen
Imperialismus« führt Cooper die »humanitäre Intervention« der NATO im
Kosovo an. Das dort errichtete NATO-Protektorat zeige wie kein anderes
Beispiel, wie gut »der neue Kolonialismus (!) Ordnung und
Organisation« bringen kann.
Krieg als Entwicklungshilfe
Da der EU-Verfassungsvertrag inzwischen gescheitert ist, wird die
Europäische Union jedoch auf unabsehbare Zeit über kein eigenes
Militärbudget verfügen, um ihre neokolonialen Abenteuer zu
finanzieren. Daher ist man in Brüssel auf die clevere Idee gekommen,
EU-Militärinterventionen, so wie sie jetzt für die Demokratische
Republik Kongo geplant sind, als »Entwicklungshilfe« zu deklarieren
und zumindest teilweise aus dem EU-Entwicklungshilfetopf zu bezahlen.
Aus der Sicht der gut nachbarschaftlichen Imperialisten des
»Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsapparats« der EU in Brüssel
ist das ein völlig logischer Schritt. Denn in der Topetage der
EU-»Sicherheitsarchitekten« finden wir unter Gleichgesinnten auch
Robert Cooper wieder, der dort hinter den Kulissen nun für die
EU-Streitkräfte die interventionistischen Weichen stellt. Dank Tony
Blair ist Cooper inzwischen Chefberater und Büroleiter des
sicherheitspolitischen Chefs der EU, Javier Solana, geworden.
Da der ehemalige NATO-Generalsekretär Solana selbst ein überzeugter
Menschenrechtsimperialist ist, konnte Cooper seine Strategie fleißig
weiterentwickeln: »Die Herausforderung für die postmoderne Welt
besteht darin, daß wir uns damit anfreunden, mit zweierlei Maß zu
messen. Untereinander sollten die Europäer auf der Grundlage des
Rechts und gemeinsamer Sicherheit operieren. Aber außerhalb Europas
sollten sie die rauheren Methoden früherer Zeiten anwenden Gewalt,
Präventivschläge, Hinterlist und was sonst noch alles nötig ist«,
heißt es in seinem jüngsten Buch »The Breaking of Nations«. Der
Schlüssel für die europäische Sicherheit ist nach Cooper, »daß wir uns
im Umgang untereinander an das Gesetz halten. Aber wenn wir im
Dschungel operieren, dann müssen wir auch die Gesetze des Dschungels
anwenden«. (»In the jungle, one must use the laws of the jungle.«)
Die Gesetze des Dschungels haben die Menschenrechtskrieger bereits
gegen Jugoslawien angewandt. Der »humanitäre NATO-Krieg« hat Tausende
Zivilisten, Frauen, Männer und Kinder, das Leben gekostet. Für die
hilfsbereiten »nachbarschaftlichen Imperialisten« ein zu
vernachlässigender Preis. Die rechtsnihilistischen
Menschenrechtskrieger kümmert es auch wenig, daß es sich um einen
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelte. Sie haben ihr Ziel
erreicht, Jugoslawien zerschlagen und ihren eigenen Wählern die
blutige Schlächterei auch noch als großartige humanitäre Hilfe verkauft.
Seither ist es den neuen Imperialisten gelungen, 7000 der wichtigsten
und lukrativsten ehemaligen volkseigenen Betriebe Jugoslawiens nebst
Märkten für das westliche Kapital zu befreien und sich wohlfeil unter
den Nagel zu reißen. Den Weg dafür zu ebnen, war nach dem NATO-Krieg
eine der ersten Amtshandlungen der unter westlichem Druck eingesetzten
Marionetten in der serbischen Regierung. Nach außen lief das alles
unter dem Etikett einer Hilfsoperation zum Wohl der jugoslawischen
Menschen ab, denn die Wirtschaft, so hieß es, bedurfte dringender
»Reformen«.
Selbstredend, daß diese Reformen genau wie die in den anderen
Ländern Osteuropas ausschließlich auf die Erfordernisse der
neoliberalen Wirtschaftordnung der NATO-Länder ausgerichtet waren und
nicht auf die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung. Und weil sich
der größte Teil der Einwohner Jugoslawiens bisher geweigert hat, für
die Befreiung von ihrem Recht auf Arbeit, von ihrem Recht auf freie
Bildung und von ihrem Recht auf freie Gesundheitsfürsorge den
NATO-Ländern die ihnen gebührende Dankbarkeit zu zeigen, wird in
unseren staatstragenden Medien immer wieder Mißmut über die
undankbaren Serben laut.
»Linker« Bellizismus
Frappierend an den neuen imperialen Kriegen ist, daß sie nicht mehr
mit rechten, sondern mit linken Parolen gerechtfertigt werden. Das
dürfte mit der nach 1945 gewandelten Einstellung der europäischen
Völker zum Krieg zusammenhängen. Kolonialkriege und imperialistische
Raubzüge wurden vom Großteil aller Bevölkerungsschichten in den
hochindustrialisierten kapitalistischen Staaten Europas zunehmend
abgelehnt und verurteilt. Was aber auf den ersten Blick wie ein
Fortschritt aussieht, stellt jedoch, insbesondere nach dem Ende des
Kalten Krieges, keine Garantie gegen neue Kriege dar. Die jüngsten
Aggressionen mußten nur zu »guten« und »hilfreichen« Kriegen
umgedeutet werden, um den Hauptwiderstand in der Bevölkerung zu
überwinden. Für die spin doctors, die PR-Strategen der neuen
Weltordnung, die Hand in Hand mit einer Presse arbeiten, die sich als
vierte Waffengattung der »neuen Imperialisten« versteht, war das kein
unlösbares Problem.
Allerdings wäre das Schüren nationalistischer, chauvinistischer oder
rassistischer Emotionen zur Förderung der Interventions- und
Kriegsbereitschaft unserer Bevölkerung in diesem Kontext denkbar
ungeeignet und sogar kontraproduktiv gewesen. Statt dessen haben sich
die neuen Imperialisten kräftig aus dem Menschenrechtsvokabular und
dem Ideenschatz der Linken bedient, aber nicht ohne diesen zuvor
ideologisch gründlich zu entkernen.
»Die Internationale erkämpft das Menschenrecht«. Alle, die das
sangen, dachten ganz selbstverständlich auch an Einmischung in die
inneren Angelegenheiten von fremden Diktaturen, zugunsten der
ausgebeuteten Klassenbrüder und -schwestern. Einmischung in die
inneren Angelegenheiten anderer Länder predigen heute auch die neuen
Imperialisten, wenn sie von der »begrenzten Souveränität« anderer
Staaten sprechen, angeblich mit dem Ziel, das Menschenrecht mit Hilfe
einer militärischen Intervention zu schützen. Kein Wunder, daß
insbesondere europäische Linke so anfällig für diesen
Menschenrechtsimperialismus geworden sind. Auch die führenden
europäischen Menschenrechtskrieger kommen aus dieser Ecke, Robert
Cooper z.B. aus der britischen Labour Partei und Javier Solana von den
spanischen Sozialisten. Mit linker Politik hat das aber längst nichts
mehr zu tun, denn die »Menschenrechtsinterventionen« finden nicht
zugunsten der ausgebeuteten Klassenbrüder und
-schwestern statt, sondern zugunsten des internationalen Kapitals, auf
dem Rücken der Ausgebeuteten.
Aber nicht nur spanische und britische Sozialisten, sondern
insbesondere auch deutsche Sozialdemokraten und Grüne sind diesem
militaristischen Menschenrechtsimperialismus verfallen: »Vergleiche
mit den Nazis mögen hier und da hinken eines bleibt: Wer mit
derselben fanatischen Überzeugung Menschen systematisch mordet,
vertreibt, vergewaltigt und ihrer elementaren Rechte beraubt, dem muß
mit aller Macht in den Arm gefallen werden.« Wer erinnert sich nicht
an diese hysterischen Worte des »Genossen« Verteidigungsministers
Rudolf Scharping und an dessen Erfindung des serbischen Fötengrills
zur Rechtfertigung der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am
Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien. Und wer erinnert sich nicht
an das von Sorgen gequälte Gesicht des grünen Außenministers Joseph
Fischer, der nicht müde wurde, von Konzentrationslagern der Serben im
Kosovo zu sprechen. Hatte es vorher noch geheißen: »Wegen Auschwitz
nie wieder deutsche Soldaten auf den Balkan«, so wurde dieser
Grundsatz von Fischer auf den Kopf gestellt: »Gerade wegen Auschwitz«
müßten deutsche Soldaten auf den Balkan, um dort ein »zweites«
Auschwitz zu verhindern.
Die Lügen, mit denen die SPD/Grünen-Bundesregierung den Angriffskrieg
gegen Jugoslawien rechtfertigte, waren keinen Deut besser als jene,
mit denen die Bush-Administration ihren Angriffskrieg gegen Irak
gerechtfertigt hat. Allerdings ist es Fischer und den Grünen zu
verdanken, daß aus Teilen der deutschen Friedenbewegung begeisterte
Anhänger des Menschenrechtsimperialismus geworden sind. Die dazu
notwendigen mentalen Verrenkungen waren allerdings nur möglich, weil
bereits in den Jahren zuvor sogenannte grüne Vordenker erfolgreich den
intellektuellen Boden für die neuen Kriege beackert hatten. So z.B.
Cora Stephan in ihrem Buch vom guten Krieg.
»Der Krieg an sich ist keine amoralische Sache«, erklärte sie in einem
Interview im Deutschlandfunk im Januar 1999, wo sie als »geläuterte
Alt-68erin« vorgestellt wurde. »Geläutert« sicherlich, weil sie
unmittelbar vor dem Angriff gegen Jugoslawien den Krieg akzeptabel
fand. In ihrem Buch mit dem Titel: »Das Handwerk des Krieges« (Berlin
1998) unterscheidet Stephan zwischen guten und verbotenen Kriegen und
begründet, weshalb die Weltsituation in Zukunft den verstärkten
Einsatz deutscher Soldaten erfordere. Zitat: »Deshalb müssen wir
Abschied von dem Kriegsbild nehmen, das nach dem Zweiten Weltkrieg und
während des Kalten Krieges in Deutschland von der Linken gepflegt
wurde.« Im Falle der westlichen Demokratien gehe es nicht darum, »den
Gegner zu dämonisieren und zu vernichten, sondern ihm demokratische
Werte zu bringen und ihn in die Staatengemeinschaft und ihre
Institutionen einzubinden«, also mit Intervention und Krieg westliche,
d.h. neoliberale »Ordnung und Organisation« zu bringen. Robert Cooper
hätte seinen »nachbarschaftlichen Imperialismus« nicht besser
beschreiben können als die »Alt-68erin« Cora Stephan.
Völkerrecht als »Fiktion«
Wie ein Virus hat diese Geisteskrankheit Teile der deutschen Linken
befallen und hält sie noch immer fest im Griff. Dabei werden die
Grenzen der mentalen Verworrenheit immer weiter ausgedehnt. Das
jüngste Beispiel stammt von dem vermeintlich linken Verleger Klaus
Bittermann, der ausgerechnet in der jungen Welt am 16. März 2006 zum
besetzten Palästina folgendermaßen argumentierte: »Weitaus schlimmer
(als unter israelischer Besatzung) jedoch dürfte es sein, als
Palästinenser in einem eigenen souveränen Staat zu leben, denn seit
die Linke ihre Liebe zum nationalen Befreiungskampf entdeckt hat, weiß
man auch, daß dort, wo er Erfolg hatte, die Bevölkerung häufig unter
der eigenen Regierung weit mehr zu leiden hatte als unter der
vergleichsweise erträglichen Herrschaft von Besatzern.«
Bittermanns Argumentation scheint direkt den Reichstagsreden vom Ende
des 19. Jahrhunderts entliehen, in denen die Existenz von Kolonien
gerechtfertigt wurde. So hatte bereits Kaiser Wilhelm II. in seiner
Thronrede vom 22. November 1888 vor dem Reichstag betont: »Unsere
afrikanischen Siedlungen haben das deutsche Reich an der Aufgabe
beteiligt, jene Welt für die christliche Gesittung zu gewinnen.« Und
selbst die spanischen Eroberer wollten den Inkas nicht ihr Gold
rauben, sondern den Wilden die abendländischen Werte des Christentums
bringen.
Bei soviel Scheinheiligkeit in der sogenannten »westlichen
Wertedebatte« ist es geradezu erfrischend, wenn bei den
US-amerikanischen Neokonservativen die handfesten strategischen und
wirtschaftlichen Interessen immer wieder durch den dünnen Schleier des
»Freedom and Democracy«-Gesülzes durchscheinen. So schrieb der
bekannte Neocon-Vordenker Robert Kaplan bereits während des
Angriffskriegs gegen Jugoslawien der New York Times: »Der humanitäre
Alptraum mag vielleicht ein Grund für die NATO-Intervention im Kosovo
sein. Aber für die USA stehen vitale strategische Interessen auf dem
Spiel. Der Einsatz rechtfertigt jedmögliche NATO-Maßnahme, um Serbien
zu besiegen, ... denn über nicht weniger als die zukünftigen Konturen
Europas wird jetzt entschieden.«
Und der britische Daily Telegraph machte unmittelbar nach dem Krieg
deutlich: »Beim NATO-Angriff gegen Jugoslawien hat es sich um die
erste Geltendmachung der Neuen Weltordnung gehandelt, in der anderen
(Staaten) liberale Werte aufgezwungen werden können, trotz solcher
Fiktionen wie Völkerrecht und nationaler Souveränität.«
Daß es dabei um die Durchsetzung »liberaler Wirtschaftswerte« ging,
stellte ausgerechnet der UN-Sonderbeauftragte für das Kosovo Carl
Bildt klar, indem er in einem langen Interview mit der New York Times
nach dem Krieg mit verblüffender Offenheit einräumte, daß es ohne eine
gründliche neoliberale Reform in Serbien keine der NATO und dem
westlichen Kapital genehme Lösung auf dem Balkan geben könne.
Präsident Milosevic stehe dem im Wege, und deshalb müsse er weg.
Und weil Milosevic keine Schuld an den Verbrechen im Jugoslawienkrieg
nachzuweisen war, mußte er kürzlich auch physisch verschwinden. Denn
ein Freispruch vor dem Haager Tribunal wäre zugleich ein Schuldspruch
für die NATO gewesen.
»Pearl-Harbor-Effekt«
Was aber ist beim Irak-Krieg schiefgelaufen? Daß der
NATO-Angriffskrieg auf dem Balkan ein Probelauf der westlichen
Wertegemeinschaft für weitere Kriege sein sollte, ist inzwischen klar.
Aber der 11. September 2001 verhinderte das Zustandekommen eines
gemeinsamen Menschenrechtskrieges der westlichen »Wertegesellschaft«
gegen Irak. Denn infolge von 9-11 sah die einzige Supermacht keinen
Grund mehr, ihre Kriegsziele mit humanitärem Gefasel zu rechtfertigen.
Auch die Einbindung der Verbündeten zur Legitimierung der US-Kriege
hatte nur noch untergeordnete Bedeutung. Denn der 11. September hatte
den von den Neokonservativen herbeigewünschten Pearl-Harbor-Effekt,
und die US-amerikanische Bevölkerung war mehrheitlich zu jedem Opfer
und Verbrechen bereit, während im Fall Afghanistans sogar die gesamte
»westliche Wertegemeinschaft« Verständnis zeigte.
Aber im Fall Irak zeigten sich die Verbündeten schockiert, als
Washington zur Rechtfertigung des Krieges ungeniert und ohne die
geringste Sorge über deren Durchsichtigkeit eine Kriegslüge nach der
anderen servierte. Doch erst, als die USA mit ihrem Angriff gegen Irak
die beachtlichen wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und
Deutschlands im Zweistromland mit Füßen traten, kam es zum Bruch in
der »westlichen Wertegemeinschaft«. Die
»Für-uns-oder-gegen-uns«-Politik der Bush-Administration und ihr
Alleingang im Irak machten den in der EU bis dahin sorgsam gepflegten
Vorstellungen vom kooperativen Menschenrechtsimperialismus ein Ende.
Der irakische Widerstand
Erst seit sich dank des ständig erstarkenden Widerstands in Irak das
klägliche Scheitern der US-Besatzer abzeichnete, hat die
Bush-Administration inzwischen wieder begonnen, um die Verbündeten zu
werben. Zugleich rückten »Freedom and Democracy«, also die
Menschenrechtsargumente wieder ins Zentrum der Rechtfertigungspolitik
für den Irak-Krieg.
Derweil zeichnet sich in Irak das vollständige Versagen der
US-Besatzer ab. Während sie von ihrem Ziel, die irakische Ölproduktion
wieder in Gang zu setzen, weiter entfernt sind denn je, sprechen
US-Medien in den letzten Wochen vermehrt von einer »Libanisierung des
Irak«. Die FAZ befürchtete gar, daß die Lage »ins Chaotische, in einen
offenen Bürgerkrieg umkippen könnte«, während der jüngste
»Irak-Fortschrittsbericht« des Pentagon eingesteht, daß die Zahl der
Angriffe des irakischen Widerstands seit dem formalen Ende des Kriegs
kontinuierlich gewachsen ist und mit durchschnittlich über 80 am Tag
in den letzten vier Monaten (Stand vom 20. Februar) einen neuen
Höchststand erreicht hat. Zugleich befindet sich Präsident Bushs
Popularität wegen des Krieges auf einem historischen Tiefpunkt, und
seine republikanische Partei droht bei den bevorstehenden Teilwahlen
ihre Mehrheit im Kongreß zu verlieren. Dann könnte es sogar noch zu
dem von einigen Demokraten angedrohten Amtsenthebungsverfahren gegen
Bush kommen. Und das alles haben Präsident Bush und wir dem irakischen
Widerstand zu verdanken.
Bereits beim »Brussells Tribunal« im April 2004 in Belgien gab Jean
Bricmont, Professor der theoretischen Physik an der belgischen
Universität Lüttich und zugleich einer der beiden Anklagevertreter des
Tribunals zur Aufdeckung US-amerikanischer Kriegsverbrechen, der
Hoffnung Ausdruck, daß es dem irakischen Widerstand gelingt, »die USA
in eine nicht zu gewinnende Lage zu drängen«, denn dann würde er dazu
beitragen, »das Gesicht der Welt zu verändern und das imposante
Gebäude der angeblich irreversiblen (neoliberalen) Globalisierung zu
schleifen«. Für die Globalisierer sollte die Invasion des Irak, so
Bricmont, »einen Triumph darstellen«. Wenn sie jedoch scheiterte,
»dann würde das nicht nur den Palästinensern, sondern auch allen
anderen Völkern, die gegen die Globalisierung kämpfen, neuen Mut
geben«. Dann dankte Prof. Bricmont dem irakischen Widerstand: Da
dieser »die amerikanische Armee festnagelt und deren Unbesiegbarkeit
wenn auch nur temporär in Frage stellt, kämpfen und sterben die
Iraker, wie damals die Vietnamesen, für die gesamte Menschheit«. Und
damit wäre dann auch dem europäischen Menschenrechtsimperialismus der
Todesstoß versetzt und die Rückkehr zum internationalen Recht wieder
möglich.
* Der Text basiert auf einer Rede, gehalten auf einer Versammlung der
DKP Berlin am 18. März
che sia compatibile con i diritti umani e con i valori cosmopoliti, un
imperialismo che si ponga come obiettivo quello di portare ordine ed
organizzazione"... Si apre con questa surreale frase di un consigliere
politico di Tony Blair la ottima analisi di Rupp sull'"imperialismo
etico" contemporaneo, recentemente apparsa sullo straordinario
quotidiano di Berlino Junge Welt, che riportiamo di seguito. IS)
http://www.jungewelt.de
Junge Welt - 21.04.2006 / Thema / Seite 10
Imperialismus unter Nachbarn
Die Strategie der »humanitären Interventionen« soll den neuen
Kolonialismus der westlichen Großmächte moralisch legitimieren. Der
irakische Widerstand setzt dem jedoch Grenzen
Von Rainer Rupp
»Wir brauchen eine neue Art von Imperialismus, einen Imperialismus,
der mit den Menschenrechten und den kosmopolitischen Werten kompatibel
ist: ein Imperialismus, der sich zum Ziel setzt, Ordnung und
Organisation zu bringen.«
Diese Aussage stammt aus der Zeit nach dem NATO-Angriffskrieg gegen
Jugoslawien (März bis Juni 1999) und vor dem anglo-amerikanischen
Angriffskrieg zur Befreiung des irakischen Öls. Gemacht wurde sie von
Tony Blairs damaligem außenpolitischen Chefberater Robert Cooper, und
zwar in einem Heftchen mit dem Titel »Die Neuordnung der Welt: Die
langfristigen Implikationen des 11. September«, das an alle Mitglieder
der Labour-Partei verteilt wurde. Darin setzt sich Cooper mit
nachgerade missionarischem Eifer für einen »neuen Imperialismus« ein,
denn nur dieser könne »die Welt retten«.
Robert Cooper unterscheidet zwischen zwei Arten des »neuen
Imperialismus«: Da ist zunächst der »freiwillige Imperialismus« der
»demokratischen« Institutionen der westlichen Welt, wie dem
»Internationalen Währungsfonds« (IWF) oder der »Weltbank«. Laut Cooper
bringen diese Institutionen »all jenen Staaten Hilfe, die freiwillig
ihren Weg zurück in die globale Wirtschaft finden wollen«.
Allen anderen Staaten jedoch, die sich nicht freiwillig der neuen
Weltordnung unterwerfen wollen, droht, so Cooper wörtlich, »der gut
nachbarschaftliche Imperialismus«. Im Klartext heißt das:
»Verantwortliche« Staaten dürfen notfalls auch militärisch
intervenieren, um Instabilitäten in ihrer Nachbarschaft zu verhindern.
Als leuchtendes Beispiel für diesen »gut nachbarschaftlichen
Imperialismus« führt Cooper die »humanitäre Intervention« der NATO im
Kosovo an. Das dort errichtete NATO-Protektorat zeige wie kein anderes
Beispiel, wie gut »der neue Kolonialismus (!) Ordnung und
Organisation« bringen kann.
Krieg als Entwicklungshilfe
Da der EU-Verfassungsvertrag inzwischen gescheitert ist, wird die
Europäische Union jedoch auf unabsehbare Zeit über kein eigenes
Militärbudget verfügen, um ihre neokolonialen Abenteuer zu
finanzieren. Daher ist man in Brüssel auf die clevere Idee gekommen,
EU-Militärinterventionen, so wie sie jetzt für die Demokratische
Republik Kongo geplant sind, als »Entwicklungshilfe« zu deklarieren
und zumindest teilweise aus dem EU-Entwicklungshilfetopf zu bezahlen.
Aus der Sicht der gut nachbarschaftlichen Imperialisten des
»Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsapparats« der EU in Brüssel
ist das ein völlig logischer Schritt. Denn in der Topetage der
EU-»Sicherheitsarchitekten« finden wir unter Gleichgesinnten auch
Robert Cooper wieder, der dort hinter den Kulissen nun für die
EU-Streitkräfte die interventionistischen Weichen stellt. Dank Tony
Blair ist Cooper inzwischen Chefberater und Büroleiter des
sicherheitspolitischen Chefs der EU, Javier Solana, geworden.
Da der ehemalige NATO-Generalsekretär Solana selbst ein überzeugter
Menschenrechtsimperialist ist, konnte Cooper seine Strategie fleißig
weiterentwickeln: »Die Herausforderung für die postmoderne Welt
besteht darin, daß wir uns damit anfreunden, mit zweierlei Maß zu
messen. Untereinander sollten die Europäer auf der Grundlage des
Rechts und gemeinsamer Sicherheit operieren. Aber außerhalb Europas
sollten sie die rauheren Methoden früherer Zeiten anwenden Gewalt,
Präventivschläge, Hinterlist und was sonst noch alles nötig ist«,
heißt es in seinem jüngsten Buch »The Breaking of Nations«. Der
Schlüssel für die europäische Sicherheit ist nach Cooper, »daß wir uns
im Umgang untereinander an das Gesetz halten. Aber wenn wir im
Dschungel operieren, dann müssen wir auch die Gesetze des Dschungels
anwenden«. (»In the jungle, one must use the laws of the jungle.«)
Die Gesetze des Dschungels haben die Menschenrechtskrieger bereits
gegen Jugoslawien angewandt. Der »humanitäre NATO-Krieg« hat Tausende
Zivilisten, Frauen, Männer und Kinder, das Leben gekostet. Für die
hilfsbereiten »nachbarschaftlichen Imperialisten« ein zu
vernachlässigender Preis. Die rechtsnihilistischen
Menschenrechtskrieger kümmert es auch wenig, daß es sich um einen
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelte. Sie haben ihr Ziel
erreicht, Jugoslawien zerschlagen und ihren eigenen Wählern die
blutige Schlächterei auch noch als großartige humanitäre Hilfe verkauft.
Seither ist es den neuen Imperialisten gelungen, 7000 der wichtigsten
und lukrativsten ehemaligen volkseigenen Betriebe Jugoslawiens nebst
Märkten für das westliche Kapital zu befreien und sich wohlfeil unter
den Nagel zu reißen. Den Weg dafür zu ebnen, war nach dem NATO-Krieg
eine der ersten Amtshandlungen der unter westlichem Druck eingesetzten
Marionetten in der serbischen Regierung. Nach außen lief das alles
unter dem Etikett einer Hilfsoperation zum Wohl der jugoslawischen
Menschen ab, denn die Wirtschaft, so hieß es, bedurfte dringender
»Reformen«.
Selbstredend, daß diese Reformen genau wie die in den anderen
Ländern Osteuropas ausschließlich auf die Erfordernisse der
neoliberalen Wirtschaftordnung der NATO-Länder ausgerichtet waren und
nicht auf die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung. Und weil sich
der größte Teil der Einwohner Jugoslawiens bisher geweigert hat, für
die Befreiung von ihrem Recht auf Arbeit, von ihrem Recht auf freie
Bildung und von ihrem Recht auf freie Gesundheitsfürsorge den
NATO-Ländern die ihnen gebührende Dankbarkeit zu zeigen, wird in
unseren staatstragenden Medien immer wieder Mißmut über die
undankbaren Serben laut.
»Linker« Bellizismus
Frappierend an den neuen imperialen Kriegen ist, daß sie nicht mehr
mit rechten, sondern mit linken Parolen gerechtfertigt werden. Das
dürfte mit der nach 1945 gewandelten Einstellung der europäischen
Völker zum Krieg zusammenhängen. Kolonialkriege und imperialistische
Raubzüge wurden vom Großteil aller Bevölkerungsschichten in den
hochindustrialisierten kapitalistischen Staaten Europas zunehmend
abgelehnt und verurteilt. Was aber auf den ersten Blick wie ein
Fortschritt aussieht, stellt jedoch, insbesondere nach dem Ende des
Kalten Krieges, keine Garantie gegen neue Kriege dar. Die jüngsten
Aggressionen mußten nur zu »guten« und »hilfreichen« Kriegen
umgedeutet werden, um den Hauptwiderstand in der Bevölkerung zu
überwinden. Für die spin doctors, die PR-Strategen der neuen
Weltordnung, die Hand in Hand mit einer Presse arbeiten, die sich als
vierte Waffengattung der »neuen Imperialisten« versteht, war das kein
unlösbares Problem.
Allerdings wäre das Schüren nationalistischer, chauvinistischer oder
rassistischer Emotionen zur Förderung der Interventions- und
Kriegsbereitschaft unserer Bevölkerung in diesem Kontext denkbar
ungeeignet und sogar kontraproduktiv gewesen. Statt dessen haben sich
die neuen Imperialisten kräftig aus dem Menschenrechtsvokabular und
dem Ideenschatz der Linken bedient, aber nicht ohne diesen zuvor
ideologisch gründlich zu entkernen.
»Die Internationale erkämpft das Menschenrecht«. Alle, die das
sangen, dachten ganz selbstverständlich auch an Einmischung in die
inneren Angelegenheiten von fremden Diktaturen, zugunsten der
ausgebeuteten Klassenbrüder und -schwestern. Einmischung in die
inneren Angelegenheiten anderer Länder predigen heute auch die neuen
Imperialisten, wenn sie von der »begrenzten Souveränität« anderer
Staaten sprechen, angeblich mit dem Ziel, das Menschenrecht mit Hilfe
einer militärischen Intervention zu schützen. Kein Wunder, daß
insbesondere europäische Linke so anfällig für diesen
Menschenrechtsimperialismus geworden sind. Auch die führenden
europäischen Menschenrechtskrieger kommen aus dieser Ecke, Robert
Cooper z.B. aus der britischen Labour Partei und Javier Solana von den
spanischen Sozialisten. Mit linker Politik hat das aber längst nichts
mehr zu tun, denn die »Menschenrechtsinterventionen« finden nicht
zugunsten der ausgebeuteten Klassenbrüder und
-schwestern statt, sondern zugunsten des internationalen Kapitals, auf
dem Rücken der Ausgebeuteten.
Aber nicht nur spanische und britische Sozialisten, sondern
insbesondere auch deutsche Sozialdemokraten und Grüne sind diesem
militaristischen Menschenrechtsimperialismus verfallen: »Vergleiche
mit den Nazis mögen hier und da hinken eines bleibt: Wer mit
derselben fanatischen Überzeugung Menschen systematisch mordet,
vertreibt, vergewaltigt und ihrer elementaren Rechte beraubt, dem muß
mit aller Macht in den Arm gefallen werden.« Wer erinnert sich nicht
an diese hysterischen Worte des »Genossen« Verteidigungsministers
Rudolf Scharping und an dessen Erfindung des serbischen Fötengrills
zur Rechtfertigung der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am
Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien. Und wer erinnert sich nicht
an das von Sorgen gequälte Gesicht des grünen Außenministers Joseph
Fischer, der nicht müde wurde, von Konzentrationslagern der Serben im
Kosovo zu sprechen. Hatte es vorher noch geheißen: »Wegen Auschwitz
nie wieder deutsche Soldaten auf den Balkan«, so wurde dieser
Grundsatz von Fischer auf den Kopf gestellt: »Gerade wegen Auschwitz«
müßten deutsche Soldaten auf den Balkan, um dort ein »zweites«
Auschwitz zu verhindern.
Die Lügen, mit denen die SPD/Grünen-Bundesregierung den Angriffskrieg
gegen Jugoslawien rechtfertigte, waren keinen Deut besser als jene,
mit denen die Bush-Administration ihren Angriffskrieg gegen Irak
gerechtfertigt hat. Allerdings ist es Fischer und den Grünen zu
verdanken, daß aus Teilen der deutschen Friedenbewegung begeisterte
Anhänger des Menschenrechtsimperialismus geworden sind. Die dazu
notwendigen mentalen Verrenkungen waren allerdings nur möglich, weil
bereits in den Jahren zuvor sogenannte grüne Vordenker erfolgreich den
intellektuellen Boden für die neuen Kriege beackert hatten. So z.B.
Cora Stephan in ihrem Buch vom guten Krieg.
»Der Krieg an sich ist keine amoralische Sache«, erklärte sie in einem
Interview im Deutschlandfunk im Januar 1999, wo sie als »geläuterte
Alt-68erin« vorgestellt wurde. »Geläutert« sicherlich, weil sie
unmittelbar vor dem Angriff gegen Jugoslawien den Krieg akzeptabel
fand. In ihrem Buch mit dem Titel: »Das Handwerk des Krieges« (Berlin
1998) unterscheidet Stephan zwischen guten und verbotenen Kriegen und
begründet, weshalb die Weltsituation in Zukunft den verstärkten
Einsatz deutscher Soldaten erfordere. Zitat: »Deshalb müssen wir
Abschied von dem Kriegsbild nehmen, das nach dem Zweiten Weltkrieg und
während des Kalten Krieges in Deutschland von der Linken gepflegt
wurde.« Im Falle der westlichen Demokratien gehe es nicht darum, »den
Gegner zu dämonisieren und zu vernichten, sondern ihm demokratische
Werte zu bringen und ihn in die Staatengemeinschaft und ihre
Institutionen einzubinden«, also mit Intervention und Krieg westliche,
d.h. neoliberale »Ordnung und Organisation« zu bringen. Robert Cooper
hätte seinen »nachbarschaftlichen Imperialismus« nicht besser
beschreiben können als die »Alt-68erin« Cora Stephan.
Völkerrecht als »Fiktion«
Wie ein Virus hat diese Geisteskrankheit Teile der deutschen Linken
befallen und hält sie noch immer fest im Griff. Dabei werden die
Grenzen der mentalen Verworrenheit immer weiter ausgedehnt. Das
jüngste Beispiel stammt von dem vermeintlich linken Verleger Klaus
Bittermann, der ausgerechnet in der jungen Welt am 16. März 2006 zum
besetzten Palästina folgendermaßen argumentierte: »Weitaus schlimmer
(als unter israelischer Besatzung) jedoch dürfte es sein, als
Palästinenser in einem eigenen souveränen Staat zu leben, denn seit
die Linke ihre Liebe zum nationalen Befreiungskampf entdeckt hat, weiß
man auch, daß dort, wo er Erfolg hatte, die Bevölkerung häufig unter
der eigenen Regierung weit mehr zu leiden hatte als unter der
vergleichsweise erträglichen Herrschaft von Besatzern.«
Bittermanns Argumentation scheint direkt den Reichstagsreden vom Ende
des 19. Jahrhunderts entliehen, in denen die Existenz von Kolonien
gerechtfertigt wurde. So hatte bereits Kaiser Wilhelm II. in seiner
Thronrede vom 22. November 1888 vor dem Reichstag betont: »Unsere
afrikanischen Siedlungen haben das deutsche Reich an der Aufgabe
beteiligt, jene Welt für die christliche Gesittung zu gewinnen.« Und
selbst die spanischen Eroberer wollten den Inkas nicht ihr Gold
rauben, sondern den Wilden die abendländischen Werte des Christentums
bringen.
Bei soviel Scheinheiligkeit in der sogenannten »westlichen
Wertedebatte« ist es geradezu erfrischend, wenn bei den
US-amerikanischen Neokonservativen die handfesten strategischen und
wirtschaftlichen Interessen immer wieder durch den dünnen Schleier des
»Freedom and Democracy«-Gesülzes durchscheinen. So schrieb der
bekannte Neocon-Vordenker Robert Kaplan bereits während des
Angriffskriegs gegen Jugoslawien der New York Times: »Der humanitäre
Alptraum mag vielleicht ein Grund für die NATO-Intervention im Kosovo
sein. Aber für die USA stehen vitale strategische Interessen auf dem
Spiel. Der Einsatz rechtfertigt jedmögliche NATO-Maßnahme, um Serbien
zu besiegen, ... denn über nicht weniger als die zukünftigen Konturen
Europas wird jetzt entschieden.«
Und der britische Daily Telegraph machte unmittelbar nach dem Krieg
deutlich: »Beim NATO-Angriff gegen Jugoslawien hat es sich um die
erste Geltendmachung der Neuen Weltordnung gehandelt, in der anderen
(Staaten) liberale Werte aufgezwungen werden können, trotz solcher
Fiktionen wie Völkerrecht und nationaler Souveränität.«
Daß es dabei um die Durchsetzung »liberaler Wirtschaftswerte« ging,
stellte ausgerechnet der UN-Sonderbeauftragte für das Kosovo Carl
Bildt klar, indem er in einem langen Interview mit der New York Times
nach dem Krieg mit verblüffender Offenheit einräumte, daß es ohne eine
gründliche neoliberale Reform in Serbien keine der NATO und dem
westlichen Kapital genehme Lösung auf dem Balkan geben könne.
Präsident Milosevic stehe dem im Wege, und deshalb müsse er weg.
Und weil Milosevic keine Schuld an den Verbrechen im Jugoslawienkrieg
nachzuweisen war, mußte er kürzlich auch physisch verschwinden. Denn
ein Freispruch vor dem Haager Tribunal wäre zugleich ein Schuldspruch
für die NATO gewesen.
»Pearl-Harbor-Effekt«
Was aber ist beim Irak-Krieg schiefgelaufen? Daß der
NATO-Angriffskrieg auf dem Balkan ein Probelauf der westlichen
Wertegemeinschaft für weitere Kriege sein sollte, ist inzwischen klar.
Aber der 11. September 2001 verhinderte das Zustandekommen eines
gemeinsamen Menschenrechtskrieges der westlichen »Wertegesellschaft«
gegen Irak. Denn infolge von 9-11 sah die einzige Supermacht keinen
Grund mehr, ihre Kriegsziele mit humanitärem Gefasel zu rechtfertigen.
Auch die Einbindung der Verbündeten zur Legitimierung der US-Kriege
hatte nur noch untergeordnete Bedeutung. Denn der 11. September hatte
den von den Neokonservativen herbeigewünschten Pearl-Harbor-Effekt,
und die US-amerikanische Bevölkerung war mehrheitlich zu jedem Opfer
und Verbrechen bereit, während im Fall Afghanistans sogar die gesamte
»westliche Wertegemeinschaft« Verständnis zeigte.
Aber im Fall Irak zeigten sich die Verbündeten schockiert, als
Washington zur Rechtfertigung des Krieges ungeniert und ohne die
geringste Sorge über deren Durchsichtigkeit eine Kriegslüge nach der
anderen servierte. Doch erst, als die USA mit ihrem Angriff gegen Irak
die beachtlichen wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und
Deutschlands im Zweistromland mit Füßen traten, kam es zum Bruch in
der »westlichen Wertegemeinschaft«. Die
»Für-uns-oder-gegen-uns«-Politik der Bush-Administration und ihr
Alleingang im Irak machten den in der EU bis dahin sorgsam gepflegten
Vorstellungen vom kooperativen Menschenrechtsimperialismus ein Ende.
Der irakische Widerstand
Erst seit sich dank des ständig erstarkenden Widerstands in Irak das
klägliche Scheitern der US-Besatzer abzeichnete, hat die
Bush-Administration inzwischen wieder begonnen, um die Verbündeten zu
werben. Zugleich rückten »Freedom and Democracy«, also die
Menschenrechtsargumente wieder ins Zentrum der Rechtfertigungspolitik
für den Irak-Krieg.
Derweil zeichnet sich in Irak das vollständige Versagen der
US-Besatzer ab. Während sie von ihrem Ziel, die irakische Ölproduktion
wieder in Gang zu setzen, weiter entfernt sind denn je, sprechen
US-Medien in den letzten Wochen vermehrt von einer »Libanisierung des
Irak«. Die FAZ befürchtete gar, daß die Lage »ins Chaotische, in einen
offenen Bürgerkrieg umkippen könnte«, während der jüngste
»Irak-Fortschrittsbericht« des Pentagon eingesteht, daß die Zahl der
Angriffe des irakischen Widerstands seit dem formalen Ende des Kriegs
kontinuierlich gewachsen ist und mit durchschnittlich über 80 am Tag
in den letzten vier Monaten (Stand vom 20. Februar) einen neuen
Höchststand erreicht hat. Zugleich befindet sich Präsident Bushs
Popularität wegen des Krieges auf einem historischen Tiefpunkt, und
seine republikanische Partei droht bei den bevorstehenden Teilwahlen
ihre Mehrheit im Kongreß zu verlieren. Dann könnte es sogar noch zu
dem von einigen Demokraten angedrohten Amtsenthebungsverfahren gegen
Bush kommen. Und das alles haben Präsident Bush und wir dem irakischen
Widerstand zu verdanken.
Bereits beim »Brussells Tribunal« im April 2004 in Belgien gab Jean
Bricmont, Professor der theoretischen Physik an der belgischen
Universität Lüttich und zugleich einer der beiden Anklagevertreter des
Tribunals zur Aufdeckung US-amerikanischer Kriegsverbrechen, der
Hoffnung Ausdruck, daß es dem irakischen Widerstand gelingt, »die USA
in eine nicht zu gewinnende Lage zu drängen«, denn dann würde er dazu
beitragen, »das Gesicht der Welt zu verändern und das imposante
Gebäude der angeblich irreversiblen (neoliberalen) Globalisierung zu
schleifen«. Für die Globalisierer sollte die Invasion des Irak, so
Bricmont, »einen Triumph darstellen«. Wenn sie jedoch scheiterte,
»dann würde das nicht nur den Palästinensern, sondern auch allen
anderen Völkern, die gegen die Globalisierung kämpfen, neuen Mut
geben«. Dann dankte Prof. Bricmont dem irakischen Widerstand: Da
dieser »die amerikanische Armee festnagelt und deren Unbesiegbarkeit
wenn auch nur temporär in Frage stellt, kämpfen und sterben die
Iraker, wie damals die Vietnamesen, für die gesamte Menschheit«. Und
damit wäre dann auch dem europäischen Menschenrechtsimperialismus der
Todesstoß versetzt und die Rückkehr zum internationalen Recht wieder
möglich.
* Der Text basiert auf einer Rede, gehalten auf einer Versammlung der
DKP Berlin am 18. März