Jörg Becker/Mira Beham: Operation Balkan 

04.07.2007

Werbung für Krieg und Tod
Baden-Baden 2006 (Nomos Verlag)
130 Seiten
17,90 Euro
ISBN 3-8329-1900-7


Ende März 1999 erklärten die damaligen deutschen Bundesminister Rudolf Scharping (Verteidigung) und Joseph Fischer (Auswärtiges Amt) auf einer Pressekonferenz, ihnen lägen "zuverlässige" Informationen über Massaker, Gräueltaten, Konzentrationslager und die Hinrichtung von Intellektuellen in der serbischen Provinz Kosovo vor. Unter der Ägide der serbischen Polizei und der jugoslawischen Bundesarmee finde ein "von langer Hand geplante(r), systematische(r) ethnische(r) Vertreibungskrieg" gegen die dort lebenden Albaner statt, behaupteten die beiden Spitzenpolitiker. Während der folgenden Tage und Wochen meinte Scharping gar, in die "Fratze der eigenen Vergangenheit" zu blicken; Fischer verglich den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic öffentlich mit Adolf Hitler und sah im Kosovo eine "serbische SS" am Werk. Die sich selektiv auf den Holocaust beziehende Regierungspropaganda, schreiben Jörg Becker und Mira Beham in ihrer aktuellen Publikation über die "Operation Balkan", konnte nur funktionieren, weil "geschlossene Informationskreisläufe in den westlichen Gesellschaften (Politiker, Medien, PR-Agenturen, NGOs, Think-Tanks, Consulting-Firmen, Intellektuelle usw.) - geleitet von politischen und Machtinteressen - durch den Gebrauch einer entsprechenden Metaphorik eine solche Erinnerung evozier(t)en".

Wie diese "geschlossenen Informationskreisläufe" der Unterstützung sezessionistischer Bestrebungen im ehemaligen Jugoslawien und schließlich der Propagierung des NATO-Angriffskrieges gegen das südosteuropäische Land dienten, wollen die Autoren untersuchen. Den Politikwissenschaftler Becker und die OSZE-Mitarbeiterin Beham interessiert insbesondere die Rolle, die PR-Agenturen und Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organizations, NGOs) dabei spielten. An diesem Punkt sehen sie sich jedoch mit einem gravierenden Problem konfrontiert: Gerade das Vorgehen von PR-Beratern und Einflussagenten verweigert sich "seiner Natur nach dem Element der Transparenz und damit einer systematischen Analyse".

Verlässliche Angaben über die Tätigkeit von PR-Firmen zur Unterstützung der sezessionistischen Kriegsparteien im ehemaligen Jugoslawien liegen denn auch nur für die beteiligten US-Unternehmen vor. Geschuldet ist dies dem "Foreign Agents Registration Act", der 1938 in den USA verabschiedet wurde, um einen Überblick über Einzelpersonen und Agenturen zu erhalten, die das Land im Auftrag der deutschen Regierung mit nazistischer Propaganda überschwemmten. Bis heute ermöglicht er einen Einblick in einschlägige Aktivitäten der PR-Branche - anders als in Deutschland, wo man gewöhnlich nichts darüber erfährt. Lediglich die "Kooperation" des Frankfurter Rüstungslobbyisten Moritz Hunzinger ermöglichte es Beham und Becker, "auch das Engagement einer deutschen Public-Relations-Firma auf dem Balkan exemplarisch (zu) untersuchen".

Als wissenschaftlich gesichert kann nunmehr folgendes gelten: Hunzinger, seinerzeit Vorstandsvorsitzender der "Hunzinger Information AG", überzeugte im Auftrag der Geschäftsführung der Messer Griesheim GmbH den NATO-Befehlshaber und späteren Kommandeur der Kosovo-Besatzungstruppe KFOR, den deutschen General Klaus Reinhardt, die Belgrader Messer-Tochtergesellschaft Tehnogas bei der Auswahl der Ziele der NATO-Luftangriffe auszusparen. Mit Reinhardt verband Hunzinger eine ebenso enge Geschäftsbeziehung wie mit Ortwin Buchbender, der für das deutsche Militär bis 1990 an der "Schule für Psychologische Verteidigung" in Euskirchen tätig war und danach Direktor der Strausberger "Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation" wurde. Den späteren serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic baute Hunzinger systematisch zum Hoffnungsträger des Westens auf. Nachdem Djindjic zunächst den NATO-Krieg gegen Jugoslawien begrüßt hatte, förderte er nach dem Sturz Milosevics im Jahr 2000 die Übernahme der serbischen Wirtschaft durch deutsche Konzerne. Hunzinger vermittelte Djindjic "rund 250 Pressegespräche, TV- und Radiointerviews" sowie "zahlreiche Einzelgespräche und Präsentationen bei deutschen Industrievertretern und Politikern" - namentlich bei Scharping und Fischer. Ob der Frankfurter PR-Berater auch deren eingangs erwähnte Propagandalügen formulierte, wie bereits des Öfteren vermutet wurde, konnten Becker und Beham allerdings nicht klären.

Hingegen ist die Herkunft einer weiteren Behauptung, die für die Befürwortung des Krieges durch die deutsche Bevölkerung wesentlich war, mittlerweile gut dokumentiert. Die vom Auswärtigen Amt und anderen staatlichen Stellen finanzierte NGO "medica mondiale" (Köln) lancierte ab 1992 immer wieder Berichte über zehntausende Massenvergewaltigungen bosnischer Frauen in "serbischen Konzentrationslagern", wobei sie von führenden deutschen Politikern unterstützt wurde. Obwohl, wie die Autoren schreiben, die Rede von "Massenvergewaltigungen in serbischen Konzentrationslagern" "seit langem als Medienhysterie entlarvt werden konnte", dient er der vermeintlichen NGO bis heute als "ideologische Existenzgrundlage".

"Embedded NGOs" waren, stellen Becker und Beham abschließend fest, ebenso an der Propaganda gegen Jugoslawien und der "Werbung für Krieg und Tod" beteiligt wie Politiker, Journalisten, PR-Berater und die Repräsentanten des "militärisch-industriellen Komplexes". Heute finanziert das deutsche Verteidigungsministerium verschiedene im von NATO-Truppen besetzten Afghanistan aktive NGOs; die Folge ihrer "zivil-militärischen Zusammenarbeit" mit der Bundeswehr ist, dass sie zunehmend ins Visier der dortigen Aufstandsbewegung geraten.