15.08.2009
Alte und neue Naherholungsgebiete werden Opfer des Privatisierungswahns
Dort wo stressgeplagte Menschen ihre Freizeit beim Baden, Angeln,
Sonnen oder Segeln verbringen, könnte vielerorts schon bald der Spaß
ein Ende haben: "Privatbesitz - Zutritt verboten". Zu Zeiten der DDR
galten Seen als Volkseigentum und der Freizeitspaß an den idyllischen
Kleinoden war kostenfrei. Das ehemalige Volkseigentum der DDR-Bürger
wurde im Einigungsvertrag neu verteilt. Die meisten ostdeutschen Seen
gingen dabei in das Finanzvermögen des Bundes über und werden seitdem
nach und nach verkauft. Zu diesen bestehenden Seen kommen seit jüngstem
jedoch auch neu geschaffene künstliche Seen, die auf den Arealen des
aufgegebenen Braunkohlebergbaus entstehen. So soll beispielsweise die
Lausitz in den nächsten Jahrzehnten durch private Investoren zu einem
Naherholungs-Dorado ausgebaut werden. Ein Unternehmen, das Risiken
birgt, wie nicht zuletzt die Katastrophe von Nachterstedt zeigt, bei
der ein Erdrutsch zwei Häuser in den neuen Concordia-See zog und drei
Menschen dabei den Tod fanden.
Bauernland in Junkerhand
Zwanzig Kilometer vor den Toren Berlins liegt der Wandlitzsee. Früher
war der idyllische See ein beliebtes Ziel, an dem jedermann kostenlos
segeln, baden, rudern, angeln oder tauchen konnte. Mit der
Wiedervereinigung ging der Wandlitzsee in das Vermögen des Bundes über
und wurde zunächst von der Treuhand, und später dann von deren
Nachfolgerin BVVG verwaltet. Ziel der BVVG ist es, ehemaliges
Volkseigentum zu privatisieren. Im Juli 2003 kam auch der Wandlitzsee
unter den Hammer. Zunächst wurde der Gemeinde Wandlitz ein
Vorkaufsrecht eingeräumt, mit dem sie den See für 420.000 Euro dem Bund
hätte abkaufen können. Warum aber sollte eine Gemeinde einen See
kaufen, der schon immer im Besitz der Bürger war? Ist dies nicht
letztendlich nur eine Umverteilung von Ost nach West?
Die Gemeinde Wandlitz hatte allerdings auch gar nicht das nötige Geld,
um ihren See zurückzukaufen. Bei der öffentlichen Ausschreibung bekam
die Düsseldorfer Immobilienfirma Teutonia den Zuschlag.
Teutonia-Vorstand Becker führte den See daraufhin in die Wandlitzsee AG
über und forderte von den Altnutzern der Stege eine Beteiligung via
Vorzugsaktie für 7.500 Euro das Stück. Dies hätte den Düsseldorfer
Spekulanten rund 750.000 Euro in die Kassen gespült, eine schöne
Rendite für ehemaliges Volkseigentum. Aber auch die Gemeinde sollte
bluten - für den Steg zum kommunalen Strandbad sollte sie eine
Jahresmiete von 10.000 Euro entrichten. Die Gemeinde klagte und man
einigte sich auf einen Vergleich - unbestätigten Angaben zufolge, hat
(1) sich die Gemeinde Wandlitz gegen eine einmalige Zahlung von 50.000
Euro ihre Nutzungsrechte am Steg zum Strandbad im Grundbuch absichern
lassen. Der Fall des brandenburgischen Wandlitzsees zeigt, wie aus
Privatisierung schnell modernes Raubrittertum werden kann.
Brandenburg for sale!
Allein in Brandenburg hat die BVVG bereits mehr als 14.000 Hektar
Gewässer veräußert. In den kommenden Jahren sollen nun weitere 15.000
Hektar Seenlandschaft privatisiert werden (2). Derzeit stehen der
Fahrlander See in Potsdam, sowie der Schulzensee bei Fürstenberg zum
Verkauf. Wenn die Gemeinden die geforderte Summe nicht aufbringen
können oder wollen, wird die BVVG die Seen an die meistbietenden Käufer
veräußern. Für Bade- oder Naturfreunde in der Region könnten dann neue
Zeiten anbrechen. Dem neuen Besitzer steht es - je nach Ausgestaltung
der Verträge - frei, ob er sich für die "Nutzung" seines Sees bezahlen
lässt, oder ob er sie gleich ganz unterbindet. Vor allem in Kombination
mit erschlossenen oder zu erschließendem Bauland kann dies ein sehr
lukratives Geschäft sein. Eine Villa mit eigenem See, auf dem das
gemeine Volk nichts zu suchen hat, ist nicht nur in Zeiten der
Wirtschaftskrise ein begehrtes Objekt.
Die Privatisierung der Brandenburger Seen nutzt nur sehr wenigen,
schadet aber sehr vielen. Kann es im Sinne der Allgemeinheit sein, wenn
sich einige wenige Grundstücksspekulanten und zahlungskräftige
Investoren eine goldene Nase an einem Stück Natur verdienen, das allen
Bürgern gehört? Warum sollten die chronisch armen Gemeinden
Ostdeutschlands Seen vom Bund kaufen, um damit zu verhindern, dass
Privatinvestoren sie künftig zur Kasse bitten? Mit welchem Recht kann
Bürgern verboten werden, ein Stück Natur zu betreten?
Erster Erfolg der Privatisierungsgegner
Der Kampf gegen die Privatisierung der ostdeutschen Seen hat im letzten
Jahr an Fahrt gewonnen. Eine Online-Petition des BUND (3) verfehlte
ihr Ziel von 50.000 Zeichnern zwar knapp, aber da auch in Brandenburg
in diesem Jahr ein neuer Landtag gewählt wird, äußert nun auch die
Politik Kritik an der äußerst unpopulären Privatisierung. Nachdem
zunächst der brandenburgische Ministerpräsident Platzeck öffentlich
Stellung bezog, legten in den letzen Tagen auch die Bundesminister
Tiefensee und Gabriel nach und forderten ein Moratorium bei der
Seenprivatisierung. Die BVVG reagierte und verkündete (4) am 11.
August einen Ausschreibungsstopp für das laufende Jahr, um "die
Diskussion über den Seenverkauf zu versachlichen und zu einer
vernünftigen Absicherung der berechtigten Interessen der Allgemeinheit
zu kommen." Was aber passiert, wenn sich die Diskussion nicht
versachlicht und im nächsten Jahr keine neuen Wahlen vor der Tür
stehen? Die Privatisierung ist einstweilen ausgesetzt, gestoppt ist sie
aber noch nicht.
Kohle zu Wasser zu Geld
Es sind jedoch nicht nur die "alten" Seen, die zum Verkauf stehen. Die
Lausitzer- und Mitteldeutsche Bergbau- und Verwaltungsgesellschaft mbh
(LMBV) hat weitere 70 Seen in ihrem Angebot, die stolze 14.200 Hektar
umfassen und im Namen Brandenburgs und Sachsens samt Stränden und
Gewässerrandbereichen an private Investoren verkauft werden sollen. Das
besondere an den Seen der LMBV ist, dass es sich hierbei um ehemalige
Braunkohletagebaureviere handelt. Im Einigungsvertrag wurden diese
Reviere dem Bund - und somit der Treuhand - übereignet und werden nun
von deren Nachfolgerin LMBV zunächst saniert und dann privatisiert.
Die Sanierung dieser "Altlasten" ist jedoch eine anspruchsvolle und
kostenintensive Aufgabe. Wenn riesige Areale geflutet werden, besteht
vor allem an den Böschungsrändern die Gefahr von Erdrutschen. Diese
Gefahr wurde im sachsen-anhaltinischen Nachterstedt traurige
Wirklichkeit. Dort riss ein solcher Erdrutsch ein 350 Meter breites
Areal mit zwei Häusern in die Tiefe, wobei drei Menschen den Tod
fanden. Nachterstedt liegt am Südufer des neu geschaffenen
Concordia-Sees (5). Dort sollte bis zur vollständigen Flutung im Jahre
2018 ein Tourismus-Mekka mit Marina, Surfschule und vielen privaten
Ferienwohnungen entstehen.
Die genaue Ursache der Katastrophe von Nachterstedt ist noch nicht
bekannt - im September soll ein Untersuchungsbericht Klarheit schaffen.
Nachterstedt ist jedoch kein Einzelfall. Im Januar ereignete (6) sich
im Brandenburgischen Calau ein noch größerer Erdrutsch. Eine Fläche in
der Größe von 36 Fußballfeldern rutschte dort um durchschnittlich fünf
bis sechs Meter ab, allerdings kam kein Mensch dabei zu Schaden,
weshalb der Fall nie publik wurde. Anders als in Nachterstedt galt der
ehemalige Tagebergbau in Calau jedoch als saniert und wurde bereits
verkauft.
Die "größte von Menschenhand gestaltete Wasserlandschaft Europas", die
im deutschen Osten, entsteht birgt für die Bewohner und die künftigen
Touristen noch einige Risiken. Einen Vorteil hat die Katastrophe von
Nachterstedt jedoch - das Vorkaufsrecht für die ostdeutschen Kommunen
wird in Zukunft günstiger ausfallen. Die Kaufverträge der LMBV sehen
nämlich keine Haftung für Schäden vor, die aus der ehemaligen
Bergbaunutzung resultieren. Private Investoren werden angesichts der
Risiken in Zukunft wohl ihre Finger von der neuen Seenpracht in
ehemaligen Kohlerevieren lassen.
LINKS
(1)
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2007/0515/brandenburg/0018/index.html
(2)
http://www.fr-online.de/top_news/1855519_Land-privatisiert-Gewaesser-Seeparee-in-Brandenburg.html
(3)
http://bund-brandenburg.de/(4)
http://www.die-newsblogger.de/bvvg-schreibt-vorerst-keine-seen-zum-verkauf-aus-7111300
(5)
http://www.bwk-lsa.de/download/seeland.pdf(6)
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=1842667Telepolis Artikel-URL:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30912/1.htmlCopyright © Heise Zeitschriften Verlag